Kleine Anfrage der Abg. Löber, Hofmann, Kummer, Schmitt, Warnecke (SPD) vom 23.02.2017 betreffend Chemikalienaufkommen im Trinkwasser des Hessischen Ried und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Im Grundwasser und in Trinkwasserbrunnen im Hessischen Ried wurden Chemikalien festgestellt. Laut dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) wurden in diesem Zusammenhang in mehreren Trinkwasserbrunnen gesundheitliche Orientierungswerte (GOW) überschritten. Ein im Auftrag des HLNUG erstelltes Gutachten (Zweckverband Landeswasserversorgung, Suspect- und Non-Target- Screening von Wasserproben mittels LC-HRMS, 22. Dezember 2014) befasst sich mit dem Aufkommen bislang unbekannter Chemikalien in Grundwasser und Trinkwasserbrunnen. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Von November 2014 bis Juni 2016 hat die Arbeitsgruppe "Spurenstoffe aus Kläranlagen im Hessischen Ried" neben einer umfangreichen Analyse der Kläranlagenabläufe betroffener Kläranlagen , Oberflächengewässer und Grundwassermessstellen zur Erfassung der Belastungssituation die Beurteilung der Gefährdung des Grundwassers und die Ableitung der erforderlichen Maßnahmen untersucht. Der Untersuchungsrahmen umfasste ausgewählte Spurenstoffe wie zum Beispiel Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel, Süßstoffe oder Industriechemikalien. Darüber hinaus wurden am Landgraben und im Bereich des Wasserwerks Dornheim sogenannte Non- Target-Untersuchungen durchgeführt, die Hinweise auf Eintragspfade geben können. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden vom HLNUG in einem Projektbericht mit Datum 30. Juni 2016 zusammengefasst. Dieser wurde am 15. Juli 2016 den betroffenen Kläranlagenbetreibern , Wasserversorgern und Wasserverbänden vorgestellt und auf der Homepage des HLNUG veröffentlicht. Für die Beantwortung der Fragen wurden die für die Überwachung der Trinkwasserqualität im hessischen Ried zuständigen hessischen Gesundheitsämter gehört. Die Vormerkungen vorangestellt, beantwortet der Minister für Soziales und Integration die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Namen der Landesregierung wie folgt: Frage 1. Welche Bedeutung misst die Hessische Landesregierung dem Aufkommen hunderter unbekannter Chemikalien im Trinkwasser bei? Frage 2. Strebt die hessische Landesregierung an, die unbekannten Chemikalien bestimmen zu lassen, um dadurch mögliche gesundheitsschädliche Auswirkungen für den Menschen zu kennen? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 1 und 2 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Durch Fortschritte in der Analytik können mittlerweile geringste Konzentrationen bekannter Stoffe in der Umwelt nachgewiesen werden. Bei diesen chemischen Substanzen handelt es sich ursächlich häufig um vom Menschen synthetisch hergestellte (anthropogene) Inhaltsstoffe aus unterschiedlichen Quellen; z.B. Kosmetika, Human- und Tierarzneimittel, Waschmittel und auch Pflanzenschutzmittel sowie Industrie- und Haushaltschemikalien. Sie können über unterschiedliche Wege in Oberflächengewässer und Grundwässer gelangen. Oftmals sind das kommunale Abwassersystem oder landwirtschaftliche Flächen bestimmende Eintragspfade. Im Trinkwasser können die Spurenstoffe bisher nur in Einzelfällen überhaupt nachgewiesen werden. Eingegangen am 10. Mai 2017 · Bearbeitet am 11. Mai 2017 · Ausgegeben am 17. Mai 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4586 10. 05. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4586 Nach der geltenden Trinkwasserverordnung dürfen chemische Stoffe im Trinkwasser nicht in Konzentrationen enthalten sein, die eine Schädigung der menschlichen Gesundheit besorgen lassen . Da es für anthropogene Spurenstoffe - mit Ausnahme der Pflanzenschutzmittel - in der Regel keine gesetzlichen Grenzwerte für das Trinkwasser gibt, sind vom Umweltbundesamt "gesundheitliche Orientierungswerte (GOW)" festgelegt. Der GOW ist ein Vorsorgewert für nicht bewertbare Stoffe und wird für einen Stoff so niedrig angesetzt, dass auch bei lebenslanger Aufnahme der betreffenden Substanz kein Anlass zur gesundheitlichen Besorgnis besteht. Im Rahmen der in den Vorbemerkungen genannten Untersuchungen im Hessischen Ried wurden Grund- und Rohwasserbrunnen untersucht. In diesen Wässern waren teilweise anthropogene Spurenstoffe nachzuweisen. Im abgegebenen Trinkwasser aus dem Hessischen Ried werden gegenwärtig keine GOW überschritten. Das Gutachten "Suspect- und Non-Target-Screening von Wasserproben mittels LC-HRMS (Zweckverband Landeswasserversorgung 2015)" beruht auf einer Untersuchungsmethode, die es erlaubt über die Molekülmassen auch bisher unbekannte chemische Verbindungen zu erfassen. Die Identifizierung und Bewertung der über Non-target-Analysen erfassten Substanzen ist ein sehr umfassendes Forschungsthema, deren Erkenntnisse die Landesregierung im Hinblick auf das Potenzial für weitergehende maßnahmenorientierte Nutzbarkeit erhaltener Informationen verfolgt. Die Bedeutung der Spurenstoffe wird im Rahmen einer Spurenstoffstrategie des Bundes zum Schutz der Gewässer vor anthropogenen Spurenstoffen untersucht. Diese Ergebnisse werden einen wesentlichen Beitrag für ein gemeinsames, fachliches Verständnis und ein Bündel geeigneter Strategien und Maßnahmen zum Umgang mit Spurenstoffen liefern. Ergänzend wird die Landesregierung folgende Aspekte im Rahmen einer zu erarbeitenden Spurenstoff -Gesamtstrategie beachten: - Priorisierung des Schadstoffspektrums, daraus abgeleitet Identifikation gefundener Stoffe - Klärung einer möglichen human-/ökotoxikologischen Relevanz; Rückkopplung und Abstimmung auf Bund-/Länder-Ebene - Einbeziehung bundesweiter Informationen und Verpflichtungen in die Bewertung Frage 3. Welche Maßnahmen sieht die Hessische Landesregierung vor, um der Gefahr unbekannter Chemikalien im Trinkwasser zu begegnen? Eine vollständige Eliminierung von in die Umwelt eingetragenen Spurenstoffen und damit auch im Wasserkreislauf ist kaum möglich. Die Trinkwasserqualität muss jedoch zum wirkungsvollen Gesundheitsschutz den Anforderungen der Trinkwasserverordnung entsprechen. Hierbei sind nicht nur die bestehenden Grenzwerte und Höchstwerte sondern darüber hinaus das Minimierungsgebot der Trinkwasserverordnung gemäß § 6 Abs. 3 Trinkwasserverordnung zu beachten. Hiernach sollen "Konzentrationen von chemischen Stoffen, die das Trinkwasser verunreinigen oder seine Beschaffenheit nachteilig beeinflussen können, so niedrig gehalten werden, wie dies nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik mit vertretbarem Aufwand […] möglich ist". In der Trinkwasserverordnung sind für organische Spurenstoffe in der Regel keine Grenzwerte festgelegt. Hier stehen die vom Umweltbundesamt und der Trinkwasserkommission empfohlenen gesundheitlichen Orientierungswerte (GOW) zur Verfügung, die als Vorsorgewerte einen lebenslang sicheren Trinkwassergenuss beschreiben. Auch wenn gegenwärtig keine GOW im abgegebenen Trinkwasser überschritten sind, ist es das grundsätzliche Ziel, die einwandfreie Gewässerqualität für das aquatische Ökosystem und für die Trinkwassergewinnung langfristig und nachhaltig sicherzustellen. Das Multi-Barrieren- Konzept der Wasserwirtschaft zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung findet seit Jahren eine breite Anwendung und ist ein Risikomanagement-Ansatz für sicheres Trinkwasser mit einzelnen Schutzbarrieren. Neben den möglichen "end-of-pipe"-Maßnahmen in der Abwasserbehandlung und in der Trinkwasseraufbereitung, die gleichsam die Gefahr einer einseitigen Kostenverlagerung hin zum Endverbraucher bergen, sind übergreifende Konzepte zum präventiven Gewässerschutz im Hinblick auf eine nachhaltige und kosteneffiziente Minderungsstrategie zu favorisieren. Diese sollten frühzeitig das Verursacherprinzip berücksichtigen und dabei die Minderung an der Quelle sowie die Minimierung der Stoffeinträge in den Wasserkreislauf hervorheben . Hierzu zählen auch die Konkretisierung der Produktverantwortung und die möglichst dezentrale Entsorgung relevanter Inhaltsstoffe, anwendungsbezogene Informations- und Bildungsmaßnahmen sowie Produktkennzeichnungen. Nur so lassen sich zielgerichtet die Anforderungen zum Gesundheitsschutzniveau in der Trinkwasserqualität und zum Schutz der Oberflächengewässer sowie zum Grundwasserschutz weiterhin und langfristig hinreichend sicherstellen. Bei Anwendung eines ganzheitlichen Konzepts dürfen einzelne Verursacher nicht unberücksichtigt bleiben. Die Landesregierung wird sich auch weiterhin für einen vorsorgenden Grundwasser- und Oberflächengewässerschutz zur langfristigen Sicherstellung der Trinkwasserqualität in Hessen einsetzen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4586 3 Frage 4. Wie will die Hessische Landesregierung der Versickerung der Chemikalien im Grundwasser begegnen ? Zur Entlastung des Abwassers von Spurenstoffen wird das Land Hessen in einem ersten Schritt zwei Pilotprojekte, die die Ausstattung der Kläranlagen der Gemeinde Büttelborn und des Abwasserverbandes Bickenbach-Seeheim-Jugenheim mit einer 4. Reinigungsstufe zur Spurenstoffelimination zum Gegenstand betreffend, fördern. Im Rahmen der Pilotprojekte sollen Erkenntnisse über die Möglichkeiten nachgeschalteter Maßnahmen zur Elimination von Spurenstoffen gewonnen werden. Zuletzt wurde am 16. März 2017 in Frankfurt vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) ein Symposium zum Thema "Spurenstoffe in den Gewässern des Hessischen Rieds und Strategien der Eliminierung" durchgeführt. Zum weiteren Vorgehen der Landesregierung wird auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. Frage 5. Nutzen die Wasserwerke im Hessischen Ried Aufbereitungsverfahren (z.B. Aktivkohlefiltration), um die gefundenen Chemikalien vor Einspeisung in das Trinkwassernetz zu entfernen? Wenn ja, welche Wasserwerke nutzen welche Verfahren? Nach Mitteilung der zuständigen Gesundheitsämter nutzen die Wasserversorgungsanlagen im Hessischen Ried in der Regel nur naturnahe Aufbereitungsverfahren wie Oxidation mit anschließender Sand/Kies-Filtration zur Entfernung von Eisen und Mangan. Darüber hinaus findet in manchen Fällen eine Entsäuerung oder eine Desinfektion des Reinwassers mittels Chlorgas statt. Weitergehende Verfahren, wie die Verfahrenskombination aus Ozonierung und anschließender Aktivkohlefiltration, zur Entfernung einiger anthropogener Spurenstoffe, finden in den Wasserversorgungsanlagen des Hessischen Rieds keine Anwendung. Nach bisherigen Mitteilungen gibt es derzeit kein technisches Verfahren, welches zuverlässig alle Spurenstoffe entfernen kann. Durch die Möglichkeit der Mischung unterschiedlicher Rohwässer ist dies derzeit auch nicht notwendig, da im abgegebenen Trinkwasser keiner der gesundheitlichen Orientierungswerte (GOW) überschritten ist. Frage 6. Welche Bedeutung hat die Überschreitung von gesundheitlichen Orientierungswerten vor dem Hintergrund des Minimierungsgebotes gemäß § 6 (3) der Trinkwasserverordnung für Chemikalien ? Im abgegebenen Trinkwasser des Hessischen Rieds werden die Anforderungen der geltenden Trinkwasserverordnung eingehalten. Die gesundheitlichen Orientierungswerte (GOW) sind ausdrücklich als spezifische Vorsorgewerte definiert, deren Überschreitung keinen Anlass zu konkreter Besorgnis, wohl aber zu einer verbesserten Vorsorge bietet. Vor dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit , unter dem auch das Minimierungsgebot der Trinkwasserverordnung steht, sind insbesondere quellenorientierte Maßnahmen zum Gewässerschutz gemäß dem Verursacherprinzip mittel- bis langfristig umzusetzen. Es wird dabei auf die Beantwortung von Frage 3 verwiesen. Frage 7. Welche Verursacher für die Chemikalienaufkommen konnte die Landesregierung bisher identifizieren ? Hier wird auf die Beantwortung der Fragen 1 und 2 verwiesen. Wiesbaden, 28. April 2017 Stefan Grüttner