Kleine Anfrage der Abg. Grumbach, Hofmann, Kummer, Özgüven, Waschke, Weiß (SPD) vom 27.02.2017 betreffend Besetzungsdesaster am Hessischen Landessozialgericht - noch immer kein Ende in Sicht und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung der Fragesteller: Seit November 2012 ist die Präsidentenstelle des Landessozialgerichts in Darmstadt nicht besetzt. Das Auswahlverfahren für diese Stelle war aufgrund der Initiative der SPD bereits mehrfach Gegenstand des Rechtspolitischen Ausschusses (Drucks. 19/1781, 19/1267, 19/3702). Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 18. März 2016 der Landesregierung untersagt, bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Bekanntgabe einer neuen Auswahlentscheidung die Präsidentenstelle mit dem von ihr mit Auswahlvermerk vom 18. August 2015 ausgewählten Bewerber zu besetzen und ihn in dieses Amt zu ernennen. Gegen diese Entscheidung legte die Landesregierung Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof ein. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde mit Beschluss vom 14. Juli 2016 zurück. Er führte aus, die klagende Bewerberin sei dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, dass die Landesregierung sie allein wegen ihres statusniedrigeren Amtes bei gleichlautender Gesamtnote von dem eigentlichen Auswahlvergleich ausgeschlossen habe. Das Auswahlverfahren muss nun erneut durchgeführt werden. Zuvor musste die Justizministerin das Verfahren schon einmal abbrechen, nachdem bekannt wurde, dass zwei Vermerke der Zentralabteilung vom 11. und 16. Januar 2013 und ein Schreiben einer sich auf die Stelle bewerbenden Person vom 26. Juli 2013 nicht zu den Akten genommen wurde. Vorbemerkung der Ministerin der Justiz: Die Besetzung der Präsidentenstelle des Landessozialgerichts in Darmstadt wurde bereits mehrfach im Rechtspolitischen Ausschuss des Hessischen Landtages erörtert. Wie bereits bei der Beantwortung des Antrags Drs. 19/3702 ausgeführt worden ist, sind dabei zwei Sachverhalte zu unterscheiden: das ursprüngliche, abgebrochene Verfahren und die Neuausschreibung infolge der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Das frühere Besetzungsverfahren wurde abgebrochen, da bei der Auswahlentscheidung nicht alle vorhandenen Unterlagen bekannt waren. Diese Unterlagen aus der letzten Legislaturperiode gehörten nach Auffassung der zum Zeitpunkt ihrer Entstehung im Jahr 2013 politisch Verantwortlichen nicht zum zwingenden Akteninhalt eines Besetzungsvorganges und waren diesem deshalb nicht beigefügt. Da nicht auszuschließen war, dass bei Kenntnis der Unterlagen eine andere Auswahlentscheidung getroffen worden wäre, wurde der Besetzungsvorgang abgebrochen und die Stelle umgehend im Justizministerialblatt vom 1. Januar 2015 neu ausgeschrieben. Zu diesem Sachverhalt wurde bereits ausführlich aufgrund entsprechender Berichtsanträge im Rechtspolitischen Ausschuss am 14. Januar 2015 sowie am 10. Juni 2015 berichtet; Neues hat sich zu diesem abgeschlossenen Sachverhaltskomplex nicht ergeben. Davon zu unterscheiden ist der zweite Sachverhaltskomplex. Infolge verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen ist es notwendig geworden, eine neue Ausschreibung vorzunehmen. Auch dieser Sachverhalt wurde im Rechtspolitischen Ausschuss am 31. August 2016 bereits ausführlich erläutert. Insbesondere wurde zum Hintergrund mitgeteilt, dass sich nach der Ausschreibung im Januar 2015 unter anderem eine Richterin und ein Beamter auf die Stelle beworben hatten. Die Auswahlentscheidung fiel zugunsten des Beamten aus. Im Rahmen des von der Richterin gestellten Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz beanstandete das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 18. Mai 2016 - und nicht, wie in der Vorbemerkung der Fragesteller angegeben , am 18. März 2016 - die aus seiner Sicht nicht hinreichende Vergleichbarkeit der Beurtei- Eingegangen am 20. April 2017 · Bearbeitet am 20. April 2017 · Ausgegeben am 26. April 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4591 20. 04. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4591 lungen der Richterin bzw. des Beamten und untersagte dem Land Hessen, den Beamten zu ernennen . Die Landesregierung vertrat eine andere Rechtsauffassung als das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in seiner Entscheidung. Insbesondere stand nach Auffassung der Landesregierung die Auswahlentscheidung zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung im Einklang mit der bis dahin ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes. Aus diesem Grund wurde das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main bestätigt und mit seinem Beschluss vom 14. Juli 2016 nunmehr erstmals zusätzliche Voraussetzungen für die Bewerberauswahl aufgestellt. Noch im Juni 2016 lag es im weiten Organisationsermessen des Dienstherrn, wie er für größtmögliche Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Beurteilungsmaßstab sorgen will. Mit seiner im Juli ergangenen Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof dann gefordert, in einem Zwischenschritt die Vergleichbarkeit explizit herzustellen. Insoweit ist umgehend eine erneute Ausschreibung der Stelle zum 1. August 2016 erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Rechtsfrage in einem anderen Verfahren mit Beschluss vom 9. August 2016 (2 BvR 1287/16) ausgeführt, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, die Vergleichbarkeit dienstlicher Beurteilungen durch einen einheitlichen Beurteilungsmaßstab und durch einen annähernd gemeinsamen Stichtag und- wenn möglich - gleichen Beurteilungszeitraum zu erreichen. Dabei liege es im weiten Organisationsermessen des Dienstherrn , wie er bei verschiedenen Beurteilern für größtmögliche Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Beurteilungsmaßstab sorge. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Was hätte die Landesregierung ihrer Auffassung nach im Rahmen des Verfahrens tun bzw. unterlassen müssen, damit die Präsidentenstelle zeitnah besetzt wird? Frage 2. Wie rechtfertigt die Hessische Landesregierung, dass die Präsidentenstelle des Landessozialgerichts aufgrund der in der Vorbemerkung benannten Gründe seit November 2012 unbesetzt ist? Die Fragen 1. und 2. werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Wie sich bereits aus den Vorbemerkungen der Fragestellerinnen und Fragesteller und der Ministerin der Justiz ergibt, war das Auswahlverfahren für die Präsidentenstelle wiederholt Gegenstand von Erörterungen im Rechtspolitischen Ausschuss. In diesem Zusammenhang wurde bereits mehrfach betont, dass es aus Sicht der Landesregierung höchst bedauerlich ist, dass die endgültige Besetzung der Stelle des Präsidenten oder der Präsidentin des Landessozialgerichts bislang noch nicht möglich war. Die Besetzung der Stelle wird seitens des Hessischen Ministeriums der Justiz mit Nachdruck verfolgt. Die Dauer eines Besetzungsverfahrens liegt jedoch nicht ausschließlich in der Hand des Justizministeriums, sondern hängt auch von anderen Faktoren - insbesondere von der Durchführung von Konkurrentenstreitverfahren - ab. Auf die Ausführungen zum Gang des Besetzungsverfahrens in den Vorbemerkungen der Ministerin der Justiz wird ergänzend Bezug genommen. Frage 3. Welche Folgen hatte die Nichtbesetzung der Präsidentenstelle für die Arbeitsbelastung im Landessozialgericht in den letzten 4½ Jahren? Es ist nicht erkennbar, dass die bislang noch nicht mögliche endgültige Besetzung der Präsidentenstelle Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der richterlichen und nichtrichterlichen Bediensteten der hessischen Sozialgerichtsbarkeit hat. Die Belastung im richterlichen Bereich lag ausweislich des Personalbedarfsberechnungsinstruments PEBB§Y in den Jahren 2013 bis 2016 immer knapp unter bzw. knapp über 100 %. Aktuell liegt die Belastungsquote im richterlichen Bereich der Sozialgerichtsbarkeit bei 99,85 %. Zudem wurden auf der vakanten Präsidentenstelle fast durchgängig Proberichter geführt, die die Arbeitskraftanteile der Sozialgerichtsbarkeit erhöht haben. Auch im nichtrichterlichen Bereich ist insgesamt kein signifikanter Belastungsanstieg zu verzeichnen. Frage 4. Ist die Stelle nach dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juli 2016 erneut ausgeschrieben worden? Ja. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4591 3 Frage 5. Falls Frage 4. mit Ja beantwortet wird: a) Wann wurde die Stelle neu ausgeschrieben? b) Welche Voraussetzungen muss der Bewerber laut Stellenausschreibung erfüllen? c) Wie viele Bewerbungen gab es auf die Stellenausschreibung? d) Wie ist der aktuelle Sachstand des Auswahlverfahrens? e) Wann ist mit einer Beendigung des Auswahlverfahrens und damit mit einer Neubesetzung der Präsidentenstelle zu rechnen? Zu 5 a: Die Stelle wurde im Justiz-Ministerial-Blatt vom 1. August 2016 neu ausgeschrieben. Zu 5 b: Der Stellenausschreibung wurde das Anforderungsprofil 2.4 der Anlage 1 zu den Beurteilungsrichtlinien vom 19. April 2012 (JMBl. 2012, S. 202 ff.) zugrunde gelegt, welches sich teilweise auf das Basisprofil für die Beförderungsämter bezieht: 2.4 Leitung eines Gerichts/einer Staatsanwaltschaft ausgenommen die Leitung eines oberen Landesgerichts/der Generalstaatsanwaltschaft, Leitung einer Abteilung bei der Generalstaatsanwaltschaft (R1 + Z und höher) 2.4.1 Grundanforderungen Neben den Anforderungen des Basisprofils insbesondere: - Tätigkeit und Bewährung auf mehreren Arbeitsfeldern, Rechtsgebieten oder in mehreren Instanzen, - Erfahrung mit der Wahrnehmung zusätzlicher Aufgaben, insbesondere in der Gerichts -, Behörden- bzw. Justizverwaltung, - für die Staatsanwaltschaften: erfolgreiche Abordnung an die Generalstaatsanwaltschaft oder eine vergleichbare Tätigkeit, die für das angestrebte Amt fachlich in gleicher Weise qualifiziert. 2.4.2 Ausgeprägte Fachkompetenz Anforderungen des Basisprofils in ausgeprägter (R 1 + Z und R 2 + Z) oder besonders ausgeprägter Form (ab R 3) 2.4.3 Ausgeprägte soziale Kompetenz Anforderungen des Basisprofils in ausgeprägter (R 1 + Z und R 2 + Z) oder besonders ausgeprägter Form (ab R 3) 2.4.4 Ausgeprägte Führungskompetenz In ausgeprägter (R 2 + Z) oder besonders ausgeprägter Form (ab R 3), insbesondere: - Fähigkeit, Personal sachgerecht einzusetzen, kooperativ anzuleiten und zu fördern , - Integrations- und Motivationskraft, - Überzeugungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen, - Organisationstalent, insbesondere Fähigkeit, technische und organisatorische Veränderungen umzusetzen, - Fähigkeit und Bereitschaft zur Repräsentation des Gerichts/der Staatsanwaltschaft und zur Pflege des Kontakts nach außen. 1. Profil für das Eingangsamt im staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Dienst bei den ordentlichen Gerichten, Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichten (R 1) und Basisprofil für die Beförderungsämter (R 1 + Z und höher) 1.1. Grundanforderungen Insbesondere: - Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, - Belastbarkeit, - Ausgewogene und gefestigte Persönlichkeit sowie Offenheit und Selbstreflexionsfähigkeit , - geistige Beweglichkeit, Auffassungsgabe und logisch-analytisches Denkvermögen, - Verantwortungsbereitschaft, - Fortbildungsbereitschaft, - Fähigkeit und Bereitschaft, andere oder zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, - Aufgeschlossenheit gegenüber Informationstechnologien, 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4591 1.2 Fachkompetenz Insbesondere: - Umfassende Rechtskenntnisse, - Verständnis sozialer, wirtschaftlicher und technischer Zusammenhänge, - Urteilsfähigkeit und Entscheidungsbereitschaft, - Verhandlungs- und Beratungsgeschick, Fähigkeit zum Ausgleich, - Fähigkeit, sich mündlich und schriftlich präzise und verständlich auszudrücken, - Selbstständigkeit und Eigeninitiative, - Organisationsfähigkeit. 1.3 Soziale Kompetenz Insbesondere: - Kommunikationsfähigkeit, - Einfühlungsvermögen, - Fähigkeit zur Konfliktvermeidung, -lösung und -bewältigung, - Fähigkeit zu konstruktiver Zusammenarbeit im Team, - Angemessener Umgang mit den Verfahrensbeteiligten. Zu 5 c: Auf die Stellenausschreibung hat es fünf Bewerbungen gegeben. Eine Bewerbung wurde zurückgenommen. Zu 5 d): Zwei dienstliche Beurteilungen liegen bereits vor, zwei weitere dienstliche Beurteilungen stehen noch aus. Zu 5 e): Die Besetzung der Präsidentenstelle wird seitens des Justizministeriums mit Nachdruck verfolgt. Die Vorhersage eines genauen Zeitpunkts für die Neubesetzung der Stelle ist jedoch nicht möglich, da die Dauer eines Besetzungsverfahrens nicht ausschließlich in der Hand des Justizministeriums liegt, sondern auch von anderen Faktoren abhängt. Insoweit wird auf die Antwort zu den Fragen 1. und 2. Bezug genommen. Frage 6. Falls Frage 4. mit nein beantwortet wird: a) Warum gab es bisher noch keine erneute Ausschreibung? b) Wann ist mit einer erneuten Ausschreibung der Stelle zu rechnen? Da Frage 4. mit "Ja" beantwortet wurde, erübrigt sich eine Antwort. Wiesbaden, 29. März 2017 Eva Kühne-Hörmann