Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer und Di Benedetto (SPD) vom 06.03.2017 betreffend Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS - Chronisches Erschöpfungssyndrom) und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: CFS steht für Chronic Fatigue Syndrom. Es ist ein Zustand, der sich durch starke Erschöpfung und Mangel an Energie ausweist. ME steht für Myalgische Enzephalopathie. CFS und ME werden sowohl synonym als auch zusammen verwendet ((ME/CFS). Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronic Fatigue Syndrome ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad der körperlichen Behinderung führt. Weltweit sind ca. 17 Mio. Menschen betroffen. In Deutschland sind es Schätzungen zufolge bis zu 240.000. Die WHO stuft ME/CFS als neurologische Erkrankung ein. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst wie folgt: Frage 1. Ist der Landesregierung bekannt, wie viele Menschen in Hessen an dem Myalgische Enzephalitis /Chronic Fatigue Syndrom erkrankt sind? Wenn ja, wie viele sind es? Hierzu liegen der Hessischen Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Frage 2. Welche Hilfen können Erkrankte an ME/CFS in Hessen finden? Frage 3. Wie und wo werden Erkrankte an ME/CFS in Hessen derzeit behandelt? Die Fragen 2 und 3 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Für den Umgang mit diesem komplexen Krankheitsbildes existieren verschiedene medizinische Leitlinien: S3-Leitlinie "Müdigkeit" AWMF-Registrierungsnummer: 053-002, steht zur Überarbeitung an. S3-Leitlinie "Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden, AWMF-Reg.-Nr. 051-001" (http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001l_S3_Nichtspezifische _funktionelle_somatoforme_Koerperbeschwerden_2012-04.pdf). S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression, AWMF-Register-Nr.: nvl-005" (https://www.dgppn.de/fileadmin/user...leitlinien/S3-NVLdepression-lang_2015.pdf). S3-Leitlinie (in Finalisierung befindlich) "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms", AWMF-Registernummer 04/004. Diese Leitlinien beinhalten u.a. Angaben zur Diagnostik einer/s ME/CSF. Es ist anzumerken, dass die genannten Laboruntersuchungen und bildgebenden Verfahren dem Ausschluss anderer Erkrankungen dienen. Ein definitiver diagnostischer Test existiert nicht. Ärztinnen und Ärzte haben nach der Hessischen Berufsordnung ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten. Eingegangen am 19. April 2017 · Bearbeitet am 19. April 2017 · Ausgegeben am 21. April 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4612 19. 04. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4612 Eine gewissenhafte Ausübung des Berufs erfordert insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse. Insofern ist ein Handeln gemäß vorhandener medizinischer Leitlinien vorgesehen. Dennoch kann jeder Arzt von Leitlinienempfehlungen abweichen, soweit das Handeln medizinisch begründet und dokumentiert ist. Inwieweit der behandelnde Arzt weitere Fachärzte hinzuziehen muss oder sollte, ist ebenfalls in der Berufsordnung geregelt. § 7 Abs. 3 der Hessischen Berufsordnung lautet: "Ärztinnen und Ärzte haben im Interesse der Patientinnen und Patienten mit anderen Ärztinnen und Ärzten und Angehörigen anderer Fachberufe im Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten. Soweit dies für die Diagnostik und Therapie erforderlich ist, haben sie rechtzeitig andere Ärztinnen und Ärzte hinzuzuziehen oder ihnen die Patientin oder den Patienten zur Fortsetzung der Behandlung zu überweisen." Menschen mit dem genannten Krankheitsbild werden nach den genannten Grundsätzen ambulant im üblichen Regelsystem (Hausarzt-Facharzt) versorgt. Neben den ambulanten und unter Frage 4 genannten Versorgungsangeboten besteht auch für Menschen mit unklaren Diagnosen, die Möglichkeit adäquate Hilfe zu finden: Ergänzend zum Regelsystem stehen universitäre bzw. spezialisierte Krankenhäuser zur Verfügung , die in Fällen von unklaren Diagnosen trotz umfangreicher Voruntersuchungen den Betroffenen Hilfe anbieten. In Hessen sind dies zum Beispiel das Universitätsklinikum Gießen/Marburg (Standort Marburg ), das Universitätsklinikum der Goethe Universität Frankfurt am Main und die Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden, als Zentren für unerkannte und seltene Erkrankungen. Frage 4. Welche möglichen Therapien werden derzeit erprobt oder eingesetzt? Die Fachbereiche Medizin der Universitäten in Frankfurt, Gießen und Marburg haben Folgendes mitgeteilt: Frankfurt: Das Erkrankungsbild ME/CFS ist nach wie vor unscharf definiert. Eine etablierte, wissenschaftlich gedeckte und anerkannte Diagnose liegt derzeit nicht vor. Eine leitlinienbasierte Therapie kann somit im Schulmedizinischen Bereich nicht zur Anwendung kommen. ME/CFS weist Überschneidungen mit neurologischen, vor allem aber auch psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen auf. Eine Therapie muss daher individualisiert erfolgen, geht in der leitlinienbasierten Therapie1 einer dieser Erkrankungen auf und kann physikalische Therapie, Verhaltenstherapie oder pharmakologische Therapie beinhalten. An der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Frankfurt existieren spezifischere Therapieangebote für Patienten mit Fatigue -Syndrom im Rahmen einer Multiplen Sklerose (MS). Im Rahmen der MS- Spezialambulanz werden erkrankungs-modulierende und symptomatische Pharmaka eingesetzt. [1Vgl.: S 3 Leitlinie "Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden , AWMF-Reg.-Nr. 051-001" (http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001l_S3_Nicht-spezifische_funktionelle _somatoforme_Koerperbeschwerden_2012-04.pdf), S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie "Unipolare Depression , AWMF-Register-Nr.: nvl-005" (https://www.dgppn.de/fileadmin/user...leitlinien/S3-NVLdepressionlang _2015.pdf) sowie die in Finalisierung befindliche S3-Leitlinie "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms", AWMF-Registernummer 04/004.] Gießen: Am Fachbereich Medizin befasst sich der Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie mit dem Erkrankungsbild. Entzündlich rheumatische Erkrankungen wie z.B. rheumatoide Arthritis, Psoriasisarthritis, M. Bechterew, Lupus und Vaskulitiden führen durch ihren chronischen Charakter im Gefolge oft zu einer sekundären Fibromyalgie (FMS/Chronic Fatigue Syndrome). Deshalb ist es unabdingbar, dass diese Erkrankungen möglichst gut eingestellt sind, am besten durch Remission (Ruhe der Grunderkrankung). Sollte es zu einem FMS/CFS gekommen sein, kann dieses mit Amitriptylin oder Seroxat, bzw. Pregabalin behandelt werden, unterstützt durch entsprechende Physiotherapie. Neuere Ansätze v. a. bei zusätzlicher Depression sind IL-6 Hemmung mittels Biologika, die allerdings noch experimentell sind und in Studien zu überprüfen wären. Marburg: Derzeitig ist von erheblichen Überschneidungen zwischen dem Chronic Fatigue Syndrome und psychiatrischen Syndromen wie der Depression auszugehen. Aufgrund dessen gibt es spezifische Behandlungsangebote in der psychiatrischen Klinik in Marburg. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4612 3 Ein Sonderfall ist das Fatigue-Syndrom bei der Multiplen Sklerose. Hier wird spezifisch im Rahmen der multimodalen Therapie der MS im MS-Schwerpunkt der neurologischen Klinik diagnostiziert und behandelt. Diese Behandlung ist aber immer integriert in ein ganzheitliches Behandlungskonzept für die Multiple Sklerose beim einzelnen Patienten. Frage 5. Gibt es derzeit Studien an Hessischen Hochschulen bzw. hessischen Forschungseinrichtungen, die sich mit der Erkrankung beschäftigen? Wenn ja, welche? Die Fachbereiche Medizin der Universitäten Frankfurt, Gießen und Marburg haben mitgeteilt, dass derzeit keine klinischen Studien zu ME/CFS durchgeführt werden. Von Seiten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gibt es zu diesem Thema keine Studien . Frage 6. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit ME/CFS in Hessen zu verbessern? Der Hessischen Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über eine unzureichende oder mangelhafte Versorgung von Menschen mit ME/CFS vor. Wie schon in den Ausführungen zu den übrigen Fragen dargestellt, findet die Versorgung von Menschen mit diesem komplexen Krankheitsbild ambulant durch niedergelassene Allgemeinund /oder entsprechende Fachärzte in Zusammenarbeit mit stationären Einrichtungen der entsprechenden Fachgebiete sowie ergänzend durch spezialisierte und universitäre Zentren statt. Wiesbaden, 6. April 2017 In Vertretung: Dr. Wolfgang Dippel