Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 22. März 2017 betreffend nachrichtendienstliche Tätigkeiten und politische Aktivitäten staatlicher türkischer Stellen in Hessen I und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Insbesondere seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei im Juli 2016 häufen sich die Meldungen, dass staatliche türkische Stellen ihre Aktivitäten in Deutschland erheblich verstärkt haben. In diesem Kontext erfolgt seit Monaten eine ausführliche Berichterstattung über die direkten oder indirekten Aktivitäten der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die unter anderem Einfluss auf die Gemeinden der türkisch-islamischen Union DiTiB genutzt haben soll, um Informationen über (vermeintliche) Unterstützer des Putsches - namentlich die so genannte Gülen-Bewegung - zu sammeln. Wegen eines entsprechenden von Diyanet an die Religionsattachés in den türkischen Auslandsvertretungen in Deutschland verschickten Aufrufs vom 20. September 2016 ermittelt derzeit der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Spionage auch gegen mehrere DiTiB- Imame, die Informationen über die Generalkonsulate Köln, Düsseldorf und München an Ankara geliefert haben sollen. Das Bundeskriminalamt durchsuchte in Folge dessen Mitte Februar im Auftrag der Bundesanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Wohnungen von vier DiTiB-Geistlichen. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte jüngst mitgeteilt, dass es "einen signifikanten Anstieg nachrichtendienstlicher Tätigkeiten der Türkei" in Deutschland gebe. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Spionageabwehr gehört gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG), § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Hessischen Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz (LVerfSchG) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Hessen geht aufgrund seines gesetzlichen Auftrags jedem Spionageanfangsverdacht nach und trägt diesem in seiner Arbeit Rechnung. Die Verfassungsschutzbehörden überprüfen alle Hinweise auf gegen deutsche Interessen gerichtete nachrichtendienstliche Aktivitäten. Im Übrigen erfolgen Erkenntnismitteilungen zu Sachverhalten der Spionageabwehr ausschließlich gegenüber dem zuständigen Gremium der Parlamentarischen Kontrollkommission Verfassungsschutz des Hessischen Landtags. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz wie folgt: Frage 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu nachrichtendienstlichen Tätigkeiten, vor allem des türkischen Geheimdienstes "MIT" sowie anderer staatlicher türkischer Stellen, vor allem der Religionsbehörde Diyanet, in Hessen? Erkenntnismitteilungen zu Sachverhalten der Spionageabwehr erfolgen ausschließlich gegenüber dem zuständigen Gremium der Parlamentarischen Kontrollkommission Verfassungsschutz des Hessischen Landtags. Frage 2. a) Sind der Landesregierung seitens staatlicher türkischer Stellen Aufrufe an Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats, DiTiB-Gemeinden oder türkische Kulturvereine in Hessen bekannt, politische Gegner der türkischen Regierung bzw. des Staatspräsidenten Erdogan (bspw. Gülen -Anhänger oder türkische Kurden) an klar definierte Adressen, Personen, Organisationen oder Telefonanschlüsse zu melden bzw. Informationen zu sammeln? b) Falls ja, sind nach Kenntnis der Landesregierung Informationen durch Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats in Hessen, hessische DiTiB-Gemeinden oder türkische Kulturvereine an staatliche türkische Stellen geliefert worden und wenn ja, welche? Eingegangen am 28. August 2017 · Bearbeitet am 29. August 2017 · Ausgegeben am 1. September 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4713 28. 08. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4713 c) Falls Informationen geliefert worden sind: Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber , ob damit Nachteile bzw. Gefährdungen für die betreffenden Personen im In- oder Ausland eingetreten sind? Unmittelbare Aufrufe seitens staatlicher türkischer Stellen sind nicht bekannt. Den Sicherheitsbehörden liegen jedoch Erkenntnisse vor, dass von der Generalsicherheitsdirektion für Sicherheit der Türkei eine Liste erstellt und bereits 2015 im Internet veröffentlicht wurde (abrufbar unter: www.terorarananlar.pol.tr). Verschiedene farblich markierte Kategorien weisen Auslobungen (bis zu 4.000.000 TL) für Hinweise aus, die zur Ergreifung der aufgelisteten Personen führen. Aufgeführt sind Personen aus den Spektren der "Arbeiterpartei Kurdistans " (PKK), der "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), der "Marxistisch Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP), der Organisation "Fetullah Gülen" (FTÖ) und dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS). Neben der Benennung der Zugehörigkeit zu einer der genannten Gruppierungen sind Lichtbilder und Personalien der aufgeführten Personen enthalten. Bislang konnten nach Bewertung des Bundeskriminalamtes (BKA), abgesehen von einer öffentlichen Denunzierung (Outing) durch verbale Angriffe in öffentlichen Netzwerken, keine schädigenden Ereignisse zum Nachteil von durch die Türkei gesuchten Personen festgestellt werden. Darüber hinaus liegen den Sicherheitsbehörden inzwischen Listen von türkischen Behörden zu Gülen-Anhängern vor. Der Chef des türkischen Nachrichtendienstes MIT übergab am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes eine Liste mit rund 350 angeblichen Gülen-nahen Personen und Institutionen. Dieser Hinweis wurde von den Sicherheitsbehörden geprüft. Auf der Liste waren 39 Personen und 18 Institutionen aus Hessen verzeichnet. Bis auf drei Personen und sieben Institutionen, die keinen Wohn- bzw. Firmensitz mehr in Hessen haben, wurden alle durch die hessische Polizei persönlich informiert und sensibilisiert. Darüber hinaus informierte Herr Staatsminister Beuth mit Schreiben vom 31. März 2017 den Präsidenten des Hessischen Landtags. Weitergehende Informationen bei den Bundesbehörden haben zu keinen weiteren betroffenen Personen oder Institutionen in Hessen geführt. Des Weiteren wurde Anfang Juni 2017 auf der offiziellen Internetseite des türkischen Staatsanzeigers eine Liste mit 130 türkischen Staatsangehörigen veröffentlicht. Im Begleittext wurde folgendes ausgeführt (Übersetzung aus dem Türkischen): "Vom Innenministerium: Personen auf der unten genannten Liste, gegen die nach §§ 302, 309, 310, 311, 312, 313, 314 und 315 des türkischen Strafgesetzbuches, datiert vom 26. September 2004 mit der Nummer 5237, seitens der Staatsanwaltschaft ermittelt wird und die derzeit wegen ihres Aufenthaltes im Ausland nicht erreicht werden können, wird, sofern sie nicht innerhalb von 3 Monaten ab Erscheinen dieser Mitteilung im Staatsanzeiger in die Türkei zurückkehren und sich den zuständigen Behörden stellen, gemäß §29 Absatz II des Staatsbürgerschaftsgesetzes mit der Nummer 5901 die türkische Staatsbürgerschaft entzogen." Möglich wurde diese Maßnahme durch ein am 02.01.2017 in Kraft getretenes Notstandsdekret, mit dem das türkische Staatsangehörigkeitsrecht geändert wurde. Die angegebenen Straftatbestände sind mit hohen, in vielen Fällen lebenslänglichen Freiheitsstrafen bewehrt. Nicht mitgeteilt wird, mit welchen Konsequenzen die Personen bei ihrer Rückkehr in die Türkei rechnen müssen. Über den Sachverhalt wurde in türkischsprachigen Medien umfassend berichtet. Im Gegensatz zu in der Vergangenheit von türkischen Behörden an deutsche Behörden übergebenen Listen wurde die Anfang Juni veröffentlichte Liste nicht an deutsche Behörden übergeben , sondern im Internet weltweit für jedermann einsehbar eingestellt. Auch wenn der Sachverhalt in der türkischen Medienberichterstattung präsent ist und sich türkische Staatsangehörige im Internet darüber informieren können, ob ihr Name auf der Liste steht, wurden durch die jeweils zuständige Polizei der Länder mit den in Deutschland befindlichen Personen Sensibilisierungsgespräche durchgeführt, da nicht gewährleistet ist, dass diese tatsächlich bereits Kenntnis haben. In Hessen betraf dies zwei Personen. Frage 3. a) Gab es bzw. gibt es derzeit Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen Vertreter staatlicher türkischer Stellen oder hessische DiTiB-Funktionäre wegen einschlägiger Straftaten im Sinne der oder im Zusammenhang mit den in der Vorbemerkung dargestellten Vorwürfen, wegen derer die Bundesanwaltschaft derzeit ermittelt? Falls ja, bitte kurze Darstellung der Sachverhalte. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4713 3 b) Hat die Landesregierung Hinweise darauf, dass zuvor in Hessen ansässiges türkisches diplomatisches Personal in Folge von strafrechtlichen Ermittlungen aus Deutschland abgezogen wurde, bspw. um diese Personen der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen? Falls ja, bitte kurze Darstellung der Sachverhalte. Kenntnisse über Ermittlungs- und Strafverfahren im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor. Frage 4. Sind der Landesregierung Fälle von türkischen Staatsangehörigen oder Personen mit deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft bekannt, die seit dem Putschversuch aus Hessen in die Türkei reisen wollten und denen eine Einreise verweigert wurde oder die nach ihrer Einreise in die Türkei vorläufig oder dauerhaft inhaftiert wurden? Falls ja, bitte kurze Darstellung der Fälle. Der hessischen Polizei sind bislang neun Einreiseverweigerungen in die Türkei bekannt. Am 17. Februar 2017 wurden zwei männliche Personen aus Oberursel auf dem Istanbuler Flughafen Gökcen kurzfristig durch türkische Sicherheitsbeamte festgehalten und am gleichen Tag nach Deutschland zurückgewiesen. Am 23. Februar 2017 wurde einer männlichen Person aus Gladenbach die Einreise in die Türkei untersagt. Nach Erkenntnissen des BKA wurde eine männliche Person aus Rüsselsheim bei seiner Einreise am Flughafen Istanbul am 26. März 2017 zurückgewiesen. Er flog einen Tag später zurück nach Frankfurt am Main. Nach Erkenntnissen der Bundespolizei wurde am 30. März 2017 einer männlichen und einer weiblichen Person aus Frankfurt am Main am Istanbuler Flughafen die Einreise verweigert. Über das BKA wurde am 10. April 2017 mitgeteilt, dass zwei männliche Personen und eine weibliche Person aus Erlenbach am Main (BY) am 9. April 2017 am Flughafen Sabiha Gökcen in Istanbul landeten. Ihnen wurde die Einreise nicht gewährt. Alle drei Personen wurden am 10. April 2017 nach Frankfurt zurückgeschickt. Zudem wurde der hessischen Polizei eine Ausreiseverweigerung aus der Türkei bekannt. Im Rahmen der Gefährdetenansprachen im Zusammenhang mit der sogenannten Gülen-Liste des türkischen Nachrichtendienstes MIT teilte die Ehefrau eines Betroffenen mit, dass ihr Ehemann vor ca. vier Monaten in die Türkei gereist sei, wo sein Reisepass bei der Einreise am Flughafen ohne Begründung beschlagnahmt wurde. Eine Ausreise aus der Türkei ist damit nicht möglich. Frage 5. Medienberichten zu Folge (bspw. "Spiegel online" vom 23.03.2017 - "Türkei fordert angeblich zu Spitzelei in NRW-Schulen auf") soll es in Konsulaten der türkischen Republik in Düsseldorf, Essen, Köln und Münster Ende Januar Informationsveranstaltungen gegeben haben, auf denen die Teilnehmer dazu angehalten worden sein sollen, den türkischen Generalkonsulaten jede Kritik an der türkischen Regierung, die an Schulen beobachtet wird, zu melden. Hat die Landesregierung Anhaltspunkte, dass seitens türkischer staatlicher Stellen in Hessen bzw. Konsulaten solche Informationsveranstaltungen bzw. Bestrebungen zur Informationsgewinnung in Schulen gegeben hat und wenn ja, welche? Erkenntnismitteilungen zu Sachverhalten der Spionageabwehr erfolgen ausschließlich gegenüber dem zuständigen Gremium der Parlamentarischen Kontrollkommission Verfassungsschutz des Hessischen Landtags. Wiesbaden, 19. Juli 2017 Peter Beuth