Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 23.03.2017 betreffend Möglichkeiten zur Meldung radikalisierter bzw. extremistischer Flüchtlinge und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Welche Möglichkeiten gibt es für Flüchtlinge, extremistische, radikalisierte oder sich radikalisierende andere Flüchtlinge den (Sicherheits-)Behörden zu melden, wenn ein entsprechender Verdacht besteht? In Erstaufnahmeeinrichtungen stehen den Asylbewerbern für solche Fälle konkrete Ansprechpartner und Meldewege zur Verfügung. Durch die allgemeinen Anlaufstellen für Bewohnerinnen und Bewohner, sogenannte "Info- Points", und durch Briefkästen für vertrauliche Informationen ist in den Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen sichergestellt, dass deren Bewohnerinnen und Bewohner entsprechende Verdachtsfälle melden können. Darüber hinaus können sich Bewohnerinnen und Bewohner jederzeit an die Standortleitung, die Landessozialarbeiterinnen und Landessozialarbeiter und die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Dienstleister wenden und ein persönliches Gespräch führen. Von den Standortleitungen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Einrichtungen werden gegebenenfalls die zuständigen Sicherheitsbehörden über bekannt gewordene Sachverhalte informiert. Entsprechend werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen der Hessischen Erstaufnahme einschließlich der ehrenamtlich Tätigen und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sensibilisiert. Zusätzlich wurden und werden regelmäßig Informationsveranstaltungen für Bewohnerinnen und Bewohner der Hessischen Erstaufnahme durchgeführt, die die Widerstandskraft gegen salafistische Anwerbeversuche, den Vertrauensaufbau zu den Sicherheitsbehörden und die Integrationsanbahnung durch Aufklärung über Werte und Normen in Deutschland stärken sollen. Aufgrund der zu beobachtenden vereinzelten salafistischen Missionierungsversuche im Nahbereich von Asylbewerberunterkünften hat zudem das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen sein Präventionsangebot hierauf modifiziert und stetig erweitert. Bereits im November 2015 fand eine Veranstaltung des LfV für die Standortleiterinnen und Standortleiter der Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünfte statt, im Rahmen derer diese über die Versuche sowie die Gefahr extremistischer Einflussnahme auf Asylbewerber und Asylbewerberunterkünfte informiert wurden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LfV sind zudem als Berater und Präventionspartner insbesondere auch im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtungen tätig. In diesem Kontext fanden und finden nach wie vor im Rahmen des Landesprogrammes "Extremismusprävention Flüchtlinge " des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport gezielte Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Erstaufnahmeeinrichtungen unter Koordinierung des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus (HKE) statt. Das LfV bietet in diesem Zusammenhang auch spezifische Angebote zur Information und Beratung, um vor Ort in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Sensibilität für mögliche Gefahren durch extremistische Agitation zu schärfen. Das unterbreitete Beratungsangebot wird sehr gut angenommen und genutzt . Bislang hat das LfV - in der Regel zusammen mit den örtlichen Staatsschutzdienststellen Eingegangen am 17. Juli 2017 · Bearbeitet am 18. Juli 2017 · Ausgegeben am 21. Juli 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4739 17. 07. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4739 der Hessischen Polizei - mehr als 20 Sensibilisierungsveranstaltungen an Erstaufnahmeeinrichtungen (vormals HEAE) durchgeführt und mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fortgebildet. Diese geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Erstaufnahmeeinrichtungen stehen den Asylbewerbern als Ansprechpartner zur Verfügung. Innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen wurden darüber hinaus Meldewege entwickelt, über die Hinweise auf Radikalisierungsprozesse möglichst zeitnah den Sicherheitsbehörden übermittelt werden. Im Bereich der Zweitaufnahme von Asylbewerbern in Landkreisen, Städten und Kommunen führen die Migrationsbeauftragten der Hessischen Polizei vertrauensbildende Maßnahmen mit Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund durch. Ziel ist es, den Kontakt und das Vertrauen zwischen Vertretern der örtlichen Polizeireviere/-stationen und den Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund sowie Asylbewerbern aufzubauen. Hierzu fungieren Vertreter der Polizeireviere/-stationen bzw. Schutzleute vor Ort als Ansprechpartner für Asylbewerberunterkünfte und setzen Maßnahmen gegebenenfalls in Abstimmung mit Verantwortlichen der Polizeidirektion um. Im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen haben die Stabsbereiche E4 der polizeilichen Flächenpräsidien (Prävention) eine fachlich übergeordnete Funktion. Die Migrationsbeauftragten unterstützen daher die Kontaktaufnahme der örtlich zuständigen Ansprechpartner und begleiten die vertrauensbildenden Maßnahmen. Zum Aufbau einer Vertrauensebene sind diverse Maßnahmen möglich. In einem ersten Schritt erfolgt eine Informationsveranstaltung mit der Zielgruppe der Asylbewerber, die mit den Betreuern der Asylbewerberunterkunft vorbereitet wird. Vertrauensbildende Maßnahmen bedürfen einer gewissen Anlaufzeit. Mit dem Ziel der Nachhaltigkeit finden im Anschluss an erste Informationsveranstaltungen weitere Kontakte zum Aufbau und zur Konsolidierung von Vertrauen statt. In der Regel werden in der Zweitaufnahmeeinrichtung die Ansprechpartner der Polizei bekannt gemacht, z.B. durch Aushang am schwarzen Brett. Für Asylbewerber werden nicht nur feste Sprechstunden angeboten. Es finden neben anlassbezogenen Kontaktaufnahmen auch anlassunabhängige Kontakte statt, um ein niedrigschwelliges Gesprächsangebot zu gewährleisten. Asylbewerber werden außerdem zu öffentlichen Veranstaltungen der Polizei eingeladen, z.B. zum Tag der offenen Tür. Darüber hinaus wurden sämtliche hessische kommunale Einrichtungen durch zwei Präventionsveranstaltungen des LfV Hessen in Hofheim am Taunus am 23. März 2016 und am 13. Juni 2016 in Bad Hersfeld in die Lage versetzt, ihre Kompetenzen betreffend das Thema "Extremismus -Prävention im Kontext der aktuellen Flüchtlingssituation" zu stärken. In diesem Rahmen klärte das LfV Hessen über aktuelle extremistische Entwicklungen auf und stellte die Präventionsangebote des Landes Hessen vor. Zudem fand am 2. Dezember 2016 in Echzell eine Veranstaltung des Hessischen Informationsund Kompetenzzentrums gegen Extremismus (HKE) für alle hessischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zum Thema "Extremismusprävention - Land und Kommunen gemeinsam für Hessen" statt, im Rahmen derer auch Möglichkeiten und Wege der Extremismusprävention im Kontext der Flüchtlingssituation vorgestellt und erörtert wurden. Frage 2. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass vor allem sprachliche Barrieren oder ein Informationsdefizit , an welche Stellen sich Flüchtlinge wenden können, nicht dazu führen, dass entsprechende Verdachtsmomente nicht weitergegeben und ggf. verfolgt werden können? Die Bewohnerinnen und Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtungen werden im Rahmen von Informationsveranstaltungen sowie künftig auch über einen Informationsfilm in den Sprachen ihrer Herkunftsländer informiert; diese Informationen enthalten entsprechende Handlungsanleitungen . Zudem wirkt eine bedarfsorientierte Dolmetscher-Betreuung sprachlichen Barrieren und Informationsdefiziten entgegen. Im Rahmen des im Hessischen Innenministerium angesiedelten Landesprogramms "Extremismusprävention Flüchtlinge", das als Präventionskonzept die Verbesserung des Informationsstandes der Mitarbeiter/innen der Erstaufnahmeeinrichtungen, die Stärkung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Asylbewerbern gegen salafistische Anwerbeversuche, den Vertrauensaufbau zu den Sicherheitsbehörden, die Integrationsanbahnung durch Aufklärung über Werte und Normen in Deutschland sowie die Beratung und Unterstützung der betroffenen Kommunen zur Stärkung ihrer Handlungskompetenz im Umgang mit fremdenfeindlichen Stimmungen als Ziel verfolgt, wurden und werden zudem eine Vielzahl von Maßnahmen realisiert. Seit dem Jahr 2016 wurden in damals 14 Standorten der Erstaufnahme 27 Informationsveranstaltungen für die untergebrachten Asylbewerber in deren Sprache unter Einbindung der Mitarbeiter der Beratungsstelle Hessen (Violence Prevention Network) oder anderer geeigneter Or- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4739 3 ganisationen gemeinsam mit ausgesuchten Muttersprachlern und weiteren Akteuren, z.B. örtlichen Ansprechpartnern der Polizei und der Leitung der jeweiligen Einrichtungen, durchgeführt. Dabei wurden u.a. folgende Themen behandelt: Gefahren durch Extremisten (insbesondere salafistische Anwerbeversuche); Informationen zum weiteren Asylverfahren bzw. zur Hausordnung (durch Mitarbeiter der Unterkunft); Gesetze, Normen und Gebräuche in Deutschland; Religionsfreiheit, Umgang mit und zwischen den Religionen in Deutschland; Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau; Würde des Menschen; Polizei - Freund und Helfer (Rolle der Polizei/Vertrauensaufbau); Diskrepanz zwischen möglichen Erwartungen und der Realität; Kontakte zu Ansprechpartnern (Polizei, Seelsorger etc.). Dieses Modul trug dem Umstand Rechnung, dass die Asylbewerber in den Erstaufnahmeeinrichtungen erst sehr kurze Zeit in Deutschland waren und einen hohen Informationsbedarf hatten . Gleichzeitig konnte in den Informationsveranstaltungen eine hohe Anzahl an Asylbewerbern zentral erreicht werden, bevor sie in den Zweitaufnahmeeinrichtungen in Städten, Gemeinden und Landkreisen untergebracht wurden. Auf der Grundlage der Inhalte dieser Veranstaltungen für Asylbewerber wurde im Auftrag des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport ergänzend ein etwa halbstündiger Informationsfilm erstellt, der sich mit der Rolle der Polizei im demokratischen Rechtsstaat, den Werten und Normen in Deutschland (wie z.B. Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, Religionsfreiheit , Meinungsfreiheit etc.) sowie der Stärkung der Abwehrfähigkeit gegen islamistische Anwerbeversuche beschäftigt. Zur Vorführung und Begleitung dieses Films, der möglichst vielen Asylbewerbern in den Erstaufnahmeeinrichtungen einen vertieften Eindruck über das Leben in Deutschland vermitteln soll, werden derzeit Personen (ggf. ehemalige Polizeibeamte) ausgewählt , die zu den Filminhalten weiterführende Informationen geben können sowie für mögliche Gespräche und Diskussionen im Nachgang zur Verfügung stehen. Das Angebot der Informationsveranstaltungen mit dem Ziel der Schaffung von Resilienz soll allen Asylbewerbern möglichst zeitnah gemacht werden. Frage 3. In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2015, 2016 und im ersten Quartal 2017 Flüchtlinge von anderen Flüchtlingen bei den (Sicherheits-)Behörden in Hessen gemeldet, weil der Verdacht einer islamistischen Radikalisierung bestand? In wie vielen Fällen haben sich die Verdachtsmomente bestätigt und sind in Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gemündet? Statistische Informationen zur Person des Anzeigeerstatters werden durch die Hessische Polizei nicht vorgehalten, so dass eine Aussage dazu, in wie vielen Fällen Asylbewerber von anderen Asylbewerbern wegen Verdachts islamistischer Radikalisierung gemeldet wurden, nicht getroffen werden kann. Frage 4. Wie steht die Landesregierung zu dem Vorschlag, eine zentrale Hotline einzurichten, über die entsprechende Verdachtsmomente in den häufigsten Sprachen (bspw. Arabisch, Dari/Farsi, Paschtu, Somali) bei den (Sicherheits-) Behörden gemeldet werden können? Es bestehen bereits verschiedene Hotline-Angebote auf Bundes- und Landesebene. Die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat seit Anfang des Jahres 2012 eine Hotline geschaltet, an die man sich bei Verdachtsfällen wenden kann. Sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Sozialpädagogen, Politikwissenschaftler , Islamwissenschaftler und Psychologen führen über diese Hotline Gespräche, nehmen Meldungen entgegen und geben diese an geeignete Träger sowie Ansprechpartner weiter. Beraten wird in den Sprachen Deutsch, Türkisch, Arabisch, Englisch, Farsi, Russisch und Urdu. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat ein Hinweistelefon geschaltet, das rund um die Uhr erreichbar ist. Zu bestimmten ausgewiesenen Zeiten ist von montags bis freitags auch eine Betreuung auf Arabisch und Türkisch möglich. Über diese Hotline kann vertraulich Kontakt zu dem BfV aufgenommen werden; insbesondere in Fällen, in denen Planungen von Gewaltakten oder Terroranschlägen bekannt werden, Personen bekannt sind, die sich an entsprechenden Planungen beteiligen, in der Umgebung für Terror und Gewalt geworben wird oder auch bei Beobachtungen , dass sich Personen aus dem jeweiligen Umfeld radikalisieren. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4739 Das LfV hat bereits im Oktober 2015 eine Hotline für die Standortleiterinnen und Standortleiter der Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünfte geschaltet, über die Fälle im Kontext extremistischer Einflussnahme auf Asylbewerber bzw. auf Asylbewerberunterkünfte gemeldet werden können und ein Beratungsangebot zur Verfügung steht. Vor dem Hintergrund etablierter Meldewege in den Erstaufnahmeeinrichtungen steht diese indirekt auch Asylbewerbern zur Verfügung . Frage 5. Hält es die Landesregierung für sinnvoll, eine zentrale Hotline einzurichten und diese flächendeckend in den häufigsten Sprachen unter den Flüchtlingen in entsprechenden Einrichtungen bekannt zu machen? Vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Angebote und vorhandener Ansprechpartner wird eine solche zentrale Hotline als nicht notwendig erachtet. Wiesbaden, 8. Juli 2017 Peter Beuth