Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 23.03.2017 betreffend Landesstrategie zur Förderung von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern und Antwort des Kultusministers Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Welches Gesamtkonzept verfolgt die Landesregierung hinsichtlich der Förderung und Unterstützung von (besonders) leistungsstarken Kindern und Jugendlichen und wer ist wie in der Weiterbzw . Entwicklung der Konzeption eingebunden? Eine der wichtigsten pädagogischen Leitlinien der hessischen Schulpolitik ist die bestmögliche individuelle Förderung, das heißt die Förderung jeder einzelnen Schülerin bzw. jedes einzelnen Schülers mit ihrer/seiner persönlichen Begabungsausprägung. Dies schließt Schülerinnen und Schüler mit besonderen Potenzialen in ihrer Leistungsfähigkeit ein. Dem wird seit über 19 Jahren in Hessen Rechnung getragen. Mehr als 180 Schulen arbeiten im laufenden Schuljahr 2016/2017 im entsprechenden "Gütesiegel-Programm" des Hessischen Kultusministeriums (HKM) mit. Hessen konnte sich damit im Vergleich der Bundesländer in der inklusiven Begabungsförderung einen weithin beachteten Spitzenplatz sichern. Einzelheiten sind im Hessischen Bildungsserver abrufbar. Am 11.06.2015 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) die Förderstrategie für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler beschlossen. Daraus erwuchs die KMK-Förderinitiative: "Gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler" (Beschluss der 228. AK vom 10.11.2016, Berlin). Hessens Teilnahme an der KMK-Initiative zur Förderung von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern bedeutet eine konsequente Weiterentwicklung des hessischen Konzepts. Angestrebt werden eine möglichst frühzeitige Erkennung der kognitiven Potenziale, die Entwicklung entsprechender schulischer Leitbilder und kooperativer Netzwerkstrukturen, die fachkundige Forderung und Förderung innerhalb und außerhalb des Regelunterrichts sowie der Transfer der Ergebnisse in die Fläche. Die Laufzeit der Förderinitiative beträgt zehn Jahre, die erste Phase beginnt im Schuljahr 2017/2018. Dazu sollen in der ersten Phase 20 hessische Schulen der Primarstufe und Sekundarstufe I die Entwicklungsmöglichkeiten von leistungsstarken und begabten Schülerinnen und Schülern optimieren. Als 21. Schule wird die Internatsschule Schloss Hansenberg mit ihrer langjährigen Expertise in diesem Feld hinzukommen (vgl. auch Antwort zu Frage 3). In der zweiten Phase sollen die Schulen und ihre schulischen Netzwerke als Multiplikatoren den breiten Transfer der Ergebnisse in die Praxis anderer Schulen unterstützen. Die wissenschaftliche Begleitung der Schulen durch Forschungseinrichtungen wird von Seiten des Bundes ausgeschrieben . Frage 2. Wie wird die wissenschaftliche Fundierung der Begabungsförderung auch hinausgehende über die Diagnostik an Hessischen Schulen sichergestellt und welche Universitäten, Hochschulen oder Forschungsinstitutionen begleiten die Schulen bei der Diagnostik von Hochbegabung (insbesondere durch BRAIN) und darüber hinaus? Seit 1999 besteht am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der Philipps-Universität in Marburg (Professor Dr. Rost) die Beratungsstelle "BRAIN (BeRAtung und INformation über besondere Begabung)". Sie stellt eine Anlaufstelle für Eltern, Lehrkräfte , Erzieher und Erzieherinnen, Schulleitungen sowie Psychologen und Psychologinnen dar, Eingegangen am 15. Mai 2017 · Bearbeitet am 15. Mai 2017 · Ausgegeben am 19. Mai 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4741 15. 05. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4741 die spezielle Fragen im Zusammenhang mit "intellektueller Hochbegabung" haben. In jährlichen detaillierten Berichten weist BRAIN dem HKM den Umfang des Erreichten und Geleisteten im Einzelnen nach. BRAIN ist ein zentraler Eckpfeiler der Begabtenförderung im hessischen Schulwesen und nimmt zudem eine Vortrags- und auch Fortbildungsaufgabe zum Thema Begabung /Hochbegabung/Hochleistung für Eltern und Lehrkräfte wahr. Darüber hinaus arbeiten Schulen mit Beratungsstellen der sich in Hessen befindenden Hochschulen (z.B. MainKind/Goethe-Universität Frankfurt) zusammen. Die schulpsychologischen Ansprechpartnerinnen und -partner mit der Generalia bzw. (der übergreifenden) Zuständigkeit für dieses Thema in allen 15 Staatlichen Schulämtern des Landes Hessen nehmen eine unterstützende Funktion wahr. Sie haben in ihren Ämtern entsprechende Arbeitskreise gegründet, bilden Kollegien fort, beraten Eltern, helfen bei der Einrichtung und Erprobung von Förderkonzepten einzelner Schulen und stehen ihren Schulen auch bei der anschließenden Evaluation hilfreich zur Seite: http://djaco.bildung.hessen.de/schule/allgemeines/begabung/diagnostik/Beratung_ABL_08- 02.pdf.pdf Die im Rahmen der o.g. KMK-Förderstrategie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (siehe Antwort zu Frage 1) beauftragten Forschungseinrichtungen werden nach der noch ausstehenden Ausschreibung benannt werden. Die Projektschulen in Hessen werden durch die externe Schulevaluation von der Hessischen Lehrkräfteakademie (HLA) begleitet. Frage 3. Welchen Stellenwert misst die Landesregierung der Internatsschule Schloss Hansenberg als Versuchsschule des Landes Hessen mit besonderen Erfahrungswerten in diesem Bereich bei? Die Internatsschule Schloss Hansenberg wurde vom Land Hessen mit dem Ziel gegründet, besonders leistungsfähigen, leistungswilligen und sozial engagierten Schülerinnen und Schülern die Chance zu bieten, in einer Internatsschule mit herausragenden Lernmöglichkeiten ihre Begabung zu entfalten. Das Konzept dieser Schule basiert auf der Idee einer (relativ) homogenen Schülerschaft, die hinsichtlich ihrer Selbststeuerungskompetenzen enorm herausgefordert, aber auch intensiv begleitet wird. Ihr Pädagogisches Leitbild besagt: "Wir fördern Begabung im Geist einer besonderen Gemeinschaft. Wir bieten leistungsstarken und motivierten Schülerinnen und Schülern Rahmenbedingungen, in denen sie ihre Potenziale entfalten können. Als Internatsschule gestalten wir Bildung, Begabungsförderung und Persönlichkeitsentwicklung in einem Entwicklungs- und Reifungsprozess. Als Profilschule bieten wir besondere Lernmöglichkeiten in Mathematik, Ökonomie und den Naturwissenschaften. Als Versuchsschule entwickeln wir innovative Konzepte in Kooperation mit außerschulischen Partnern. Als staatliche Schule unterstützen wir gleiche Bildungschancen durch kostenlosen Schulbesuch und einen Internatsbeitrag, der sich am BAföG-Satz orientiert." Die Schule ist seit dem Schuljahr 2014/15 teilnehmende Schule im hessischen Gütesiegelprogramm. Sie nimmt mit weiteren 7 Schulen auch am Kooperationsprogramm der Länder Hessen/Bayern/Sachsen teil und wird sich voraussichtlich am Bund-Länder Projekt ebenfalls beteiligen. Die Internatsschule Schloss Hansenberg war und ist ein wesentlicher Baustein zur schulischen Förderung und Forderung von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern in Hessen. Frage 4. Derzeit verfügen 181 hessische Schulen über das Gütesiegel für Schulen, die hochbegabte Schülerinnen und Schüler besonders fördern, das für die Dauer von drei Jahren verliehen wird. Wie vielen Schulen wurde dieses Siegel entweder aberkannt oder nicht verlängert und aus welchen Gründen wurde diese Entscheidung getroffen? Seit Beginn des Gütesiegelprogramms sind 14 hessische Schulen aus dem Gütesiegelprogramm ausgeschieden. Die zugrunde liegenden Entscheidungen waren sehr heterogen. Dies betraf Schulen, die aufgrund sinkender Schülerzahlen aufgelöst wurden oder sich mit anderen Schulen zusammenschlossen, die sich bereits im Gütesiegelprogramm befanden. Ursächlich war aber auch Personalfluktuation der mit dieser Aufgabe betrauten Kolleginnen und Kollegen. Eine Aberkennung des Gütesiegels ist nicht vorgekommen. Die geringe Zahl an ausscheidenden Schulen über einen langen Zeitraum ist der intensiven Zusammenarbeit in den Netzwerken, der Unterstützung durch die Schulpsychologie und der engen Zusammenarbeit mit dem HKM zu verdanken . Frage 5. Wie wird, u.a. durch das Hessische Kultusministerium, sichergestellt, dass die Anforderung an die Gütesiegel-Schulen gemäß Erlass vom 15. November 2016, insbesondere die Verwirklichung des schriftlichen Förderkonzepts (Abschnitt 2 a) und der individuellen Förderpläne (Abschnitt 2 c), in der praktischen schulischen Arbeit realisiert werden und wann erscheint der nächste Evaluationsbericht zu den hessischen Gütesiegel-Schulen mit Hochbegabtenförderung? Schulische Anträge auf Zuerkennung des Gütesiegels einer begabungsfördernden Schule werden mehrstufig geprüft von den schulpsychologischen Ansprechpartnerinnen und -partnern mit der Generalia für dieses Thema, der Schulaufsicht in den Staatlichen Schulämtern und vom Kultus- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4741 3 ministerium. In der Regel werden derartige Anträge mehrfach überarbeitet und nachgebessert, bevor eine Genehmigung erfolgt. Während der Gütesiegel-Laufzeit werden die betreffenden Schulen seitens der Staatlichen Schulämter kontinuierlich beraten und aktiv begleitet, insbesondere durch die von den oben aufgeführten schulpsychologischen Ansprechpartnerinnen und -partnern betreuten Netzwerke zur Begabungsförderung. Das schriftliche Förderkonzept muss dem Antrag zur Aufnahme in das Gütesiegelprogramm Hochbegabung beigefügt sein. Die Umsetzung erfolgt durch die Schulen, die in Kontakt mit den Schulpsychologen stehen und in ihrer Arbeit unterstützt werden. Die individuellen Förderpläne liegen in der Verantwortung der Schulen, die ihre Arbeit durch die Evaluationsberichte dokumentieren . Der nächste Evaluationsbericht zu den hessischen Gütesiegelschulen ist bereits erstellt und wird demnächst veröffentlicht. Frage 6. In welcher Art und Weise werden mit Hilfe der Evaluations-Fragebögen des hessischen Kultusministeriums auch die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und ggf. auch Eltern erfasst oder obliegt die Auswertung vornehmlich den schulischen Ansprechpartnern (z.B. Schulleiter, Funktionsstelle, Fachsprecher, Lehrkraft, vgl. Zweiter Evaluationsbericht zu hessischen Gütesiegel -Schulen mit Hochbegabtenförderung)? Die einschlägigen Evaluationsberichte werden jeweils nach drei Jahren Laufzeit von den benannten Ansprechpartnern oder der Schulleitung verfasst. Sie gehen auf dem Dienstweg über die Schulaufsicht der Staatlichen Schulämter unter Einbindung der schulpsychologischen Ansprechpartnerinnen und -partner im HKM ein. Die Schulen legen in der Regel die Fragebögen der Schüler- und/oder Elternbefragung dem Antrag auf Verlängerung und dem ausgefüllten Evaluationsbogen bei. Sie werden im HKM geprüft. Die zusammenfassende kritische Auswertung von Evaluationsfragebögen wird von einer unabhängigen Diplom-Psychologin vorgenommen . Frage 7. Welche inhaltlichen, organisatorischen und/oder konzeptionellen Veränderungen haben sich nach Auswertung des Zweiten Evaluationsberichts ergeben oder sind nach der Auswertung von neueren Evaluationsergebnissen für das Gütesiegel-Programm geplant? Das Gütesiegel-Programm zur Begabungsförderung verfolgt unverändert das Ziel der bestmöglichen individuellen Förderung und Forderung aller in der Klasse vorkommenden Begabungen und Leistungsfähigkeiten - am Beispiel von intellektueller Hochbegabung, weil diese empirisch besonders gut erforscht und belegt ist. Damit wird der ursprüngliche Elternwunsch, der sich auf die Schaffung möglichst vieler und möglichst heimatnaher konkreter schulischer Angebote für begabte und hochbegabte Kinder und Jugendliche richtete, erfüllt. Nach der Auswertung des zweiten Evaluationsberichtes wurde das Augenmerk fortan weniger auf die quantitative Ausweitung , als vor allem auf den qualitativen Ausbau der schulischen Arbeit durch vermehrte Lehrerfortbildung , Orientierung an den Inhalten der beiden Module der Begabungsförderung in allen drei Phasen der Lehrerbildung, verstärkte Netzwerk-Kooperation zwischen Schulen unterschiedlicher Schulformen und kompetenten außerschulischen Institutionen aller Art gelegt. Frage 8. In welchem Umfang findet die Begleitung des systematischen lernbegleiteten Diagnoseprozesses an hessischen Schulen durch Lehrkräfte, die auf dem Gebiet intellektueller Hochbegabung speziell geschult, fortgebildet und/oder erfahren sind, statt und wie erfolgt die Auswahl der entsprechenden Lehrkräfte? Seit 2000 findet alljährlich, sowohl zentral als auch dezentral, eine Vielzahl von fachgerechter Lehrerfortbildung zur schulischen Begabtenförderung statt. Begonnen worden war mit dem Modellprojekt einer zweijährigen Lehrerfortbildung gemeinsam mit der Karg-Stiftung für Begabungsförderung , hälftig besetzt mit Lehrkräften aus der Primarstufe und der Sekundarstufe. Seitdem können einzelne Schulen mit dem HKM Pädagogische Tage oder anderweitige Fortbildungsprogramme zur Begabungsförderung gestalten bzw. abrufen. Zudem fanden von Juli 2014 bis heute 18 ganztägige öffentliche Fachtagungen zur Begabungsförderung in allen Regionen des Landes statt. Schließlich führt das HKM gemeinsam mit der Goethe-Lehrerakademie alljährlich zweimal landesweite Blended-Learning-Fortbildungen zu diesem Thema durch, an denen regelmäßig auch Lehrkräfte aus anderen Bundesländern teilnehmen. Die Auswahl der Lehrkräfte erfolgt demnach nicht zentral durch die Verwaltung, sondern in erfreulich großem Umfang und kontinuierlich von Jahr zu Jahr anwachsend seitens der an dem Gütesiegel-Programm teilnehmenden Schulen selbst, die regelmäßig Lehrkräfte in entsprechende Fortbildungen entsenden oder aber solche in ihrer Schule für das eigene Kollegium durchführen. Diese Lehrkräfte nehmen die Aufgaben der Lernbegleitung wahr. Sie beraten und unterstützen die Kollegen in ihren Aufgaben. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4741 Frage 9. Welchen Stellenwert hat die Vermittlung von Begabungsdiagnostik im Bereich der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften auch vor dem Hintergrund der verpflichtenden Belegung von zwei Modulen zur Begabtenförderung für alle Phasen der Lehrerausbildung und ist es gewährleistet, dass zumindest an jeder Grundschule Lehrkräfte mit entsprechender Kompetenz arbeiten? Die Vermittlung von Begabungsdiagnostik und -förderung im Bereich der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften besitzt einen hohen Stellenwert, und dies nicht erst seit der Erstellung der beiden o.a. Module zur individualisierenden Begabungsförderung vor mehr als zehn Jahren. Bereits jetzt ist sichergestellt, dass an jeder Grundschule mit dem Gütesiegel einer hochbegabungsfördernden Schule Lehrkräfte mit entsprechender Kompetenz tätig sind. Im Zuge der zweiten Phase der neuen Bund-Länder-Initiative zur Leistungsstärke soll gewährleistet werden, dass solche Kompetenz allerorten in die Fläche des Landes getragen wird. Frage 10. Wie viele Kinder und Jugendliche nahmen oder nehmen derzeit Maßnahmen des landesweiten Unterstützungsangebots für hochbegabte "Problemkinder" "Mindestleister" bzw. "Underachiever " in Anspruch? Bei dem statistisch ausgesprochen seltenen Phänomen des "Underachievement" ist von einem gleichzeitigen Vorkommen von exzellenter kognitiver Leistungsfähigkeit und schlechten schulischen Leistungen auszugehen. Nach der hierfür aussagefähigen Gaußschen Normalverteilungskurve treten ein Intelligenzquotient größer als 130 und ein Leistungsdurchschnitt von schlechter als Note 3 bei einer von 360 Personen zugleich auf. In Hessen gibt es darüber keine statistische Erhebung. In der privaten Förderschule "Oswald-von-Nell-Breuning-Schule" des Theresienkinderheims in Offenbach am Main werden jährlich etwa 65 Schülerinnen und Schüler beschult. Den Gütesiegel-Schulen steht in vergleichbaren Fällen ein landesweites Unterstützungsprogramm in Form von Hilfe durch die o.a. schulpsychologischen Generalisten und zugleich auch von speziell fortgebildeten sonderpädagogischen Fachkräften zur Verfügung. Wiesbaden, 27. April 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz