Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 28.03.2017 betreffend Schulvermeidung und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: In Ergänzung der kleinen Anfragen 19/4288 und 19/4289, in denen bereits einige wenige Auskünfte über die Problematik Schulvermeidung und Schulabstinent gegeben wurden, haben sich weitere Fragen, insbesondere hinsichtlich der Fallzahlen, Erfassung und praktischen Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ergeben: Die Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Fälle von Schulvermeidung und Schulverweigerung sind der Landesregierung bekannt, bei denen nicht basierend auf § 181 HSchG Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Schulpflichtverletzungen eingeleitet worden sind? Aktenkundig erfasst wurden in den Staatlichen Schulämtern nur diejenigen Vorgänge im Zusammenhang mit der Verletzung der Schulpflicht, die auf Basis des Erlasses zur Vereinheitlichung des Verfahrens zur Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten nach § 181 Hessisches Schulgesetz vom 8. Juli 2013 (ABl. S. 423) mit einer Anzeige eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens durch die Schule verbunden waren. Im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage Drucksache 19/4288 wurden die vorhandenen Zahlen aus dem Jahr 2015 zur Verfügung gestellt. Viele Fälle von Schulvermeidung und Schulverweigerung werden von den Schulen selbst bewältigt, insbesondere durch pädagogische Maßnahmen, ohne dass dieses aktenkundig wird oder es zu einer Ordnungswidrigkeitsanzeige beim zuständigen Staatlichen Schulamt kommt, so dass hierzu keine statistischen Angaben vorhanden sind. Frage 2. Wie viele solcher Fälle, in denen Kinder unter 14 Jahren betroffen sind, sind bei den Staatlichen Schulämtern erfasst? (Bitte in absoluten Zahlen und prozentual im Vergleich zu den schulischen Daten je Schulamtsbezirk angeben) Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Frage 3. Wie viele Fälle wurden wiederholt erfasst und in wie vielen Fällen wurden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet und mit welchem Ergebnis abgeschlossen? (bitte auch die Anzahl der Mehrfachverfahren benennen) Aufgrund der gemäß dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) zu beachtenden Verjährungsfristen ist keine zuverlässige Auswertung von Wiederholungsfällen möglich, da die vorhandenen Datensätze gemäß den Vorgaben zu anonymisieren sind und damit in keinen plausiblen Zusammenhang mehr gesetzt werden können. Von den im Jahr 2015 als abgeschlossen gemeldeten Ordnungswidrigkeitenverfahren kam es in 33 % zu einer Einstellung des Verfahrens, in 43 % der Fälle wurde ein Bußgeld verhängt und in 23 % eine Arbeitsauflage verfügt. In 0,7 % aller Fälle kam es zu Jugendarrest. Frage 4. Sind der Landesregierung Modellprojekte oder best-practice-Beispiele bekannt, die sich der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen Schulen, Jugendhilfeträgern, Betreuungsanbietern und/oder Jugend- sowie Familiengerichten annehmen und wie wird dort verfahren? Eingegangen am 24. Mai 2017 · Bearbeitet am 24. Mai 2017 · Ausgegeben am 29. Mai 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4744 24. 05. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4744 Die Zuständigkeit für Leistungen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe liegt bei den örtlichen Trägern der Jugendhilfe. Das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) sieht dabei grundsätzlich eine strukturelle Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation junger Menschen und ihrer Familien auswirkt, wie Schulen, Polizei, Ordnungsbehörden oder Gerichte vor (§ 81 SGB VIII). Eine Einbindung im konkreten Einzelfall erfolgt etwa durch die Beteiligung an der Hilfeplanung zur Gewährung von Hilfen zur Erziehung (§ 36 SGB VIII). Problematiken wie Schulvermeidung gehören zum Ursachenkreis, der Hilfen zur Erziehung oder auch Maßnahmen der Jugendsozialarbeit zugrunde liegen kann. Hingewiesen werden kann auch auf Initiativen zur Vernetzung von Jugendhilfe bzw. Jugendarbeit und Schule. Angebote der Jugendarbeit richten sich grundsätzlich an alle Jugendlichen, leisten aber auch einen Beitrag zur Prävention von Problematiken beim Aufwachsen und zur Förderung der Teilhabe von Jugendlichen. Zuletzt wurde die seitens des Sozial- und des Kultusministeriums geförderte Handreichung "Schulen und Jugendverbände in Kooperation" durch den Hessischen Jugendring (2013) herausgegeben. In den Jahren 2007 bis 2009 hat das Hessische Ministerium für Soziales und Integration verschiedene Modellprojekte im Rahmen des Aktionsprogramms "Partizipation und Kooperation zwischen Jugendarbeit und Schule" gefördert. Als Beispiel für ein regionales Angebot kann die 1999 durch die Stadt Marburg eingerichtete Servicestelle Jugendhilfe-Schule (www.jugendhilfe-schule.de) angeführt werden. Frage 5. Gibt es auf Seiten der Landesregierung einen diesbezüglichen thematischen Austausch und gemeinsame Handlungsstrategien, um insbesondere auch präventive Maßnahmen zwischen Schulund Sozialbereich abzustimmen und umzusetzen und sieht sie die Notwendigkeit, auch den Bereich der Justiz dabei präventiv hinzuzuziehen? Auf Ebene der Staatlichen Schulämter ist ein anlassbezogener regelmäßiger Austausch mit den Jugendämtern üblich. Angesichts der kommunalen Zuständigkeit für die Leistungen und Maßnahmen der Jugendhilfe kann es zum Themenbereich Schulvermeidung keine eigenständigen Aktivitäten des Landes in der Jugendhilfe geben. Eine Einbeziehung der Justiz in präventiver Hinsicht wird z.B. über die Häuser des Jugendrechts ermöglicht. Frage 6. Bezug nehmend auf die punktuellen Ausführungen zu der sich im Etablierungsprozess befindlichen Broschüre bzw. Handlungsempfehlung und dem langen Zeitraum, der bis zur Erstellung und Verteilung vergeht, ist erkennbar, dass die Landesregierung selbst durchaus Handlungsbedarf bei dieser Problematik sieht. Welche konkreten Maßnahmen sind diesbezüglich angedacht? Die Handreichung zum Umgang mit Schulabsentismus fußt u.a. auf bisherigen Erfahrungen aus der schulischen Praxis und Vorarbeiten der Staatlichen Schulämter und wird erst nach Abschluss eines sorgfältig abgestimmten Erarbeitungs- und Beteiligungsprozesses veröffentlicht. Darin u.a. ausgeführte konkrete Maßnahmen sind dem den Schulen hierzu bereits zur Verfügung gestellten Flyer zu entnehmen (siehe Anlage). Ungeachtet dessen gilt die bestehende Rechtslage und deren Anwendung. Frage 7. Ist es geplant, Ansätze und Methoden z.B. aus dem Programm "Zweite Chance" flächendeckend zu übertragen und nicht nur im Rahmen des Nachfolgeprogramms "Jugend stärken im Quartier" fortzuführen, wenn wie angegeben die Evaluationsergebnisse die Wirksamkeit und den Erfolg bestätigen und wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind dies und welche finanziellen Mittel stellt die Landesregierung diesbezüglich bereit? Die Landesregierung befürwortet den Einsatz der beiden genannten Programme in Hessen. Da diese aber durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den Europäischen Sozialfonds gefördert und durchgeführt werden, bedarf es hierzu keiner eigenen Initiative seitens der Landesregierung. Frage 8. Welche konkreten Maßnahmen und Unterstützungsangebote werden für Eltern, abgesehen von der Beteiligung der Elternverbände bei der Erstellung der Handreichung getroffen bzw. bereitgestellt ? Zur Vermeidung von Schulabsentismus ist es wichtig, dass Schule und Elternhaus Hand in Hand arbeiten. Eltern sollten sich generell darauf verlassen können, bei unentschuldigten Fehlzeiten ihres Kindes unmittelbar informiert und einbezogen zu werden. Voraussetzung hierfür ist eine effektive Kommunikationsstruktur, so dass Eltern über die vereinbarten innerschulischen Abläufe entsprechend informiert werden. Erziehungsvereinbarungen nach § 100 Abs. 2 HSchG können darüber hinaus ein mögliches Instrument sein, um im Einzelfall ein gezieltes Vorgehen abzustimmen . Falls eine Schülerin oder ein Schüler über längere Zeit fehlt, gibt es für Eltern unterschiedliche Beratungsangebote (z.B. bei den Schulpsychologinnen und Schulpsychologen), um sich abhängig vom Einzelfall Unterstützung holen zu können. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4744 3 Frage 9. Zu welchem Ergebnis kann die Landesregierung bei der regelmäßigen Überprüfung des Optimierungsbedarfs hinsichtlich der Schließung der Lücke zwischen Sozial- und Schulsystem und zur Verbesserung der Kommunikation, Information, Abstimmung von Handlungsansätzen, durch wen wurde die Prüfung, ggf. in welchen zeitlichen Abständen durchgeführt und wie wurden die Ergebnisse umgesetzt? Die Suche nach Optimierungsmöglichkeiten ist Teil des üblichen Verwaltungshandelns. Aktuell besteht seitens der zuständigen Ressorts kein akuter Handlungsbedarf: Die bestehende Rechtslage wird als ausreichend angesehen. Etwaige Unsicherheiten bei der Umsetzung werden im Rahmen der geplanten Handreichung berücksichtigt und den Schulen zusätzliche Hilfestellungen gegeben. Frage 10. Welche Maßnahmen empfiehlt die Landesregierung und wie unterstützt sie die Lehrkräfte in Ihrer Arbeit, wenn bei Schülerinnen oder Schüler Anzeichen von beginnender "Schulmüdigkeit" erkennbar sind? Anzeichen beginnender "Schulmüdigkeit" können sporadisch bei vielen Schülerinnen und Schülern vorkommen und müssen keineswegs in eine dauerhafte Schulvermeidung münden. Durch ein rechtzeitiges Ansprechen entsprechender Beobachtungen sendet die Schule das Signal, dass die Lehrkräfte dies wahrnehmen und dass die Schülerin bzw. der Schüler von Seiten der Schule Hilfe erwarten kann. Wenn eine oder mehrere Warnzeichen für beginnenden Schulabsentismus auftreten, wird Lehrkräften empfohlen, die besondere Problemlage der Schülerin bzw. des Schülers zu recherchieren und danach anlassbezogen zu reagieren. U.a. stehen Lehrkräften hierzu pädagogische Maßnahmen gemäß § 68 HSchG zur Verfügung. Neben den bereits bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten wird die geplante Handreichung hierzu ergänzende Materialien enthalten, wie z.B. eine Checkliste für Warnzeichen, strukturierende Fragen für die Aufarbeitung des Problemhintergrunds und eine Sammlung möglicher Interventionen. Wiesbaden,17. Mai 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz Anlagen