Kleine Anfrage des Abg. Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 24.04.2017 betreffend Motorrad- und Rockerclubs in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: In Deutschland sind Motorrad- und Rockerbanden wie die "Hells Angels" und deren Unterstützer schon seit Jahrzehnten aktiv. Ihnen werden Verbrechen wie Menschen- und Drogenhandel sowie schwere körperliche Gewalt zugerechnet. In den USA bezeichnet man sie als "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG). Charakteristisch für diese Gruppen ist, dass sie ihre eigenen Regeln über die Gesetze des Staates stellen und durch organisierte Kriminalität die Finanzierung ihrer Clubs sicherstellen. Dazu kommen mitunter rassistische, frauenverachtende , diskriminierende und nationalistische Strukturen. Auch in Hessen sind zahlreiche OMCGs aktiv, gerade in und um Frankfurt. Aktuell umfasst die Szene rund 700 Mitglieder. Immer wieder sorgen Gewalttaten im Umfeld der Motorradclubs für Schlagzeilen. So wurde am 7. Oktober 2016 der Präsident der "Hells Angels" Gießen, Aygün Mucuk, tot aufgefunden. Er wurde durch 16 Schüsse getötet. Wenige Monate zuvor eskalierte ein Streit verschiedener (ehemaliger) Mitglieder eines Clubs und endete in einer offenen Schießerei am Friedrich-Stoltze-Platz in Frankfurt mit zwei Verletzten. Seit einiger Zeit berichten Zeitungen vermehrt über neu entstehende Rockergruppierungen in Hessen, die sich Boxclubs (BC) nennen. Dazu zählen unter anderem die "Osmanen Germania BC" und die "Osmanen Frankfurt BC", die bereits in verschiedenen Situationen mit Gewaltbereitschaft aufgefallen sind, so z.B. als drei Mitglieder des "Osmanen Frankfurt BC" im Mai 2015 einen Mann im Frankfurter Innenstadtclub Gibson totprügelten . Die "Osmanen Germania BC", die sich in Frankfurt gegründet haben und deren Mitglieder überwiegend aus einem türkisch-nationalistischen Umfeld stammen, sind die am schnellsten wachsende Rockergruppierung und haben sich von Hessen aus bereits bundesweit ausgebreitet. Das sog. "World Chapter" der "Osmanen Germania BC" ist derzeit in Dietzenbach. Am 9. November 2016 war diese Rockergruppierung Teil einer Großrazzia, die in fünf weiteren Bundesländern stattfand. Dabei wurden in Hessen und im Saarland sieben Verdächtige aus der Szene festgenommen. Der bekannte Motorradclub "Hells Angels" hatte in den vergangenen Jahren oft interne Streitigkeiten, insbesondere zwischen den "Jungen Wilden", einer Gruppe junger Clubmitglieder, und den Frankfurter "Hells Angels". Machtansprüche im Bereich des Rauschgiftmarkts und der Prostitution führen immer wieder auch zu Straftaten. So lieferten sich die konkurrierenden Gruppierungen im Juli 2014 in Frankfurt vor dem Club Katana eine Schießerei. Die vier Motorradclubs "Bandidos MC", "Gremium MC", "Hells Angels MC" und "Outlaws MC Bergstraße " werden bereits in Hessen von der Polizei überwacht. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Kleine Anfrage richtet sich vom Wortlaut auf Motorrad- und Rockerclubs. Die Sicherheitsbehörden differenzieren hier weiter auch nach "rockerähnlichen Gruppierungen" (wie beispielsweise Boxclubs, bei denen einzelne definierende Aspekte eines "Motorrad- oder Rockerclubs " fehlen) und sonstigen Gruppierungen, die teilweise eine gänzlich andere Zielrichtung verfolgen. Um einen Gesamtüberblick zu geben, wird in der Beantwortung der Fragen auch auf diese beiden weiteren Kategorien eingegangen. Die Gruppierung Bahoz ("Der Sturm") wird aus polizeilicher Sicht derzeit als "sonstige Gruppierung " eingeordnet, da sie sich zum einen in der Selbstdarstellung nicht als Rockerclub, sondern als "antirassistisches, antifaschistisches Projekt" bezeichnet, zum anderen nicht die typische hierarchische Gliederung der Rockerclubs aufweist. Insbesondere aufgrund der Wechselwirkungen zu rockerähnlichen Gruppierungen wie den Osmanen Germania / Osmanen BC wird Bahoz jedoch ebenfalls aufgeführt. Eingegangen am 24. Juli 2017 · Bearbeitet am 25. Juli 2017 · Ausgegeben am 28. Juli 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4817 24. 07. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 Sowohl die Mitglieder von Rocker- und Motorradclubs als auch die der "rockerähnlichen" und "sonstigen" Gruppierungen stehen im Fokus der hessischen Polizei. Die Bekämpfung des Kriminalitätsphänomens verfolgt ein integratives, ganzheitliches und landesweit gültiges Konzept. Dieses ist u.a. auf eine konsequente und beweissichere Verfolgung aller Rechtsverstöße und die Ausschöpfung aller strafprozessualen Maßnahmen ausgerichtet. Hinsichtlich eines effektiven Gefahrenmanagements bestehen landesweit einheitliche Vorgaben. Innerpolizeilich wurden die Voraussetzungen für eine effektive Informationsgewinnung und -verarbeitung geschaffen (Installation von szenekundigen Beamten innerhalb der Präsidien). Neben einem landesweit gültigen Gefahrenmanagement werden immer wieder alle rechtlichen Möglichkeiten und Maßnahmen, z.B. die Überwachung des Insignienverbots und die Prüfung von Vereinsverboten, ausgeschöpft . Parallel dazu findet eine Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen zur Informationsgewinnung und Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten bei der Beantragung, Überprüfung und ggf. Versagung bestehender Erlaubnisse, z.B. in verkehrs-, gewerbe-, vereins- und waffenrechtlichen Angelegenheiten statt. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Motorrad- bzw. Rockerbanden, die mit Organisierter Kriminalität oder anderen schweren Verbrechen in Verbindung gebracht werden, sind der Landesregierung in Hessen bekannt und welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich deren Struktur, Netzwerken und Mitgliederentwicklung vor (bitte einzeln nach Gruppen aufschlüsseln)? In Hessen sind derzeit Ortsgruppen (sog. "Chapter" bzw. "Charter") der vier großen Outlaw Motorcycle Gangs (kurz: "OMCG") mit insgesamt 23 Chaptern/Chartern und etwa 420 Mitgliedern ansässig. Im Einzelnen verteilen sich die Ortsgruppen und Mitglieder wie folgt: Gremium MC: .................. 10 Chapter; ca. 180 Mitglieder, Hells Angels MC: ............... 8 Charter; ca. 160 Mitglieder, Outlaws MC: ...................... 4 Chapter; ca. 65 Mitglieder, Bandidos MC: ..................... 1 Chapter; ca. 10 Mitglieder. Zu erwähnen sind zudem die seit 2011 vom hessischen Innenminister verbotenen ehemals in Frankfurt ansässigen Hells Angels Charter "Frankfurt" und "Westend". Der Hells Angels MC, Bandidos MC, Outlaws MC und der Gremium MC gehören zu den größten kriminellen Rockerclubs weltweit. Dabei ist letzterer der einzige Club deutschen Ursprungs , die anderen haben ihre Wurzeln in den USA. Die kleinste Organisationseinheit ist das "Chapter” oder "Charter", das meistens den Namen der Region oder der Stadt trägt, in dem es ansässig ist. Die Chapter/Charter sind in ihrer Region mehr oder weniger unabhängig, haben aber starke nationale und internationale Bindungen/Netzwerke innerhalb der jeweiligen Gesamtorganisation. Die o.g. Rockerclubs haben Satzungen mit Verhaltensvorschriften und Bestimmungen ihrer Organisation , Privilegien, Aufgabenverteilung sowie Entscheidungsfindung, sie sind hierarchisch gegliedert mit strengem Reglement und z.T. drastischen Strafandrohungen bei Regelverstößen. Der "President" steht in der Rangordnung als Chef des Clubs ganz oben, gefolgt von seinem Stellvertreter, dem "Vice-President", welcher ersterem in der Regel gleichgestellt ist und meist repräsentative Aufgaben übernimmt. Die obersten Club-Repräsentanten (Offiziere) innerhalb eines Chapters/Charters werden meistens jährlich auserkoren. In regelmäßig stattfindenden oder aufgrund akuter Ausnahmesituationen einberufenen Club-Sitzungen darf und soll sich jedes Club-Mitglied äußern und abstimmen. Der "Sergeant at Arms" ist zuständig für den Schutz des Clubs. Weiter ist er für die Aufrechterhaltung der Disziplin im Club verantwortlich. Der "Road-Captain" trägt die Verantwortung für den Fuhrpark des MCs und organisiert die Ausfahrten des Clubs. Bei dem Hells Angels MC stellt die wichtigste Ausfahrt der meist jährlich in Nordamerika oder Europa stattfindende "World-Run" dar. Die anderen Clubs veranstalten meist ein entsprechendes Pendant. Um die verwaltungstechnischen Aufgaben und die Kommunikation mit anderen Chaptern /Chartern, Supportern und Clubs kümmert sich der "Secretary". Der "Treasurer" fungiert als Schatzmeister. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 3 Neben den vorgenannten funktionalen Ämtern besteht die "Mannschaft" eines Clubs aus "Membern ", also normalen Mitgliedern, die zumeist ein mehrjähriges Aufnahmeverfahren als "Prospect bzw. Hangaround" durchlaufen haben. Die großen Clubs, Hells Angels MC, Bandidos MC, Outlaws MC sowie Gremium MC, sind global vernetzt. So werden organisatorische Entscheidungen wie neue Chartereröffnungen, Gebietsverteilungen oder Disziplinarmaßnahmen auf einer übergeordneten, meist internationalen Ebene getroffen. Diese Ebene stellt sich im Rahmen sogenannter "World-Meetings" bzw. "World-Officer-Meetings", dar, die in der Regel einmal im Jahr in verschiedenen Ländern stattfinden . Die Mitgliederzahlen der genannten großen OMCG sind in den vergangenen Jahren nahezu unverändert . Den aus unterschiedlichen Gründen erfolgten Abgängen von Mitgliedern standen etwa die gleiche Anzahl neuer Mitglieder gegenüber. Seit ein paar Jahren gründen sich bundesweit immer wieder neue sogenannte "rockerähnliche Gruppierungen". Diese Gruppierungen haben ein, für die Öffentlichkeit wahrnehmbares, ähnliches Auftreten wie o.g. OMCG - sie bezeichnen sich aber selbst nicht als Motorradclub und verfügen zumeist auch nicht über solche Fahrzeuge. Derzeit sind sechs verschiedene rockerähnliche Gruppierungen in Hessen, mit insgesamt etwa 180 Mitgliedern, den Sicherheitsbehörden bekannt. Osmanen Germania BC: .......................... 2 Chapter; ca. 60 Mitglieder, Rules Five: .......................................... 3 Chapter; ca. 40 Mitglieder, Osmanen BC: ....................................... 2 Chapter; ca. 50 Mitglieder, Lions Cartel: ........................................ 1 Chapter; ca. 15 Mitglieder, Hardcore Crew Cassel: ............................ 1 Chapter; ca. 10 Mitglieder, United Tribuns: ...................................... 1 Chapter; ca. 5 Mitglieder. In Bezug auf Aufbau, Struktur und Vernetzung bestehen große Ähnlichkeiten mit den "klassischen " Rockerclubs. Das Aufnahmeverfahren gestaltet sich in der Regel weniger langwierig als bei diesen. Insbesondere die Osmanen Germania BC (Abspaltung von Osmanen BC (Frankfurt), Gründung erst im Mai 2015) hatten in den Jahren 2015/2016 hohen Zulauf (siehe Mitgliederzahlen). Allerdings unterliegen die Zahlen, der hohen Fluktuation innerhalb dieser Gruppierungen geschuldet, deutlichen Schwankungen und sind daher nur als Anhaltswerte zu sehen. Darüber hinaus ist entsprechend der Vorbemerkung die Gruppierung Bahoz zu erwähnen. Bei dieser Gruppierung handelt es sich um eine kurdische Jugendbewegung, die dem Trend der Anlehnung an die Rockerszene folgt. Modell hierfür dürften unter anderem die Gruppierungen Red Legion und United Tribunes, Lions Cartel sowie die zwischenzeitlich in Bahoz aufgegangene Gruppierung Sondame ("der Schwur") sein, welche vornehmlich in Baden-Württemberg und Hessen aktiv waren. Damit muss zumindest aktuell von einer Vernetzung über die Landesgrenze Hessens hinaus ausgegangen werden. Weiter können allerdings aufgrund einzelner Verbindungen von Mitgliedern der Bahoz mit dem Umfeld der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK auch internationale Kontakte, beispielsweise in die Türkei, nicht ausgeschlossen werden. Die Gruppierung Bahoz organisiert sich entgegen den Rockerclubs und rockerähnlichen Vereinigungen offenbar nicht in Chartern, sondern im Schwerpunkt über soziale Medien und lokale Treffen in Form eines losen Verbundes. Frage 2. Welche Supporter-Clubs sind in Hessen aktiv und welche Gefahren gehen von diesen nach Ansicht der Landesregierung aus? Die o.g. OMCGs haben bis auf den Gremium MC alle Supporter - Gruppierungen. In Hessen sind folgende ansässig: Supporter Hells Angels MC (insgesamt 7 Charter, ca. 80 Mitglieder): Red City, Red Devils MC, Redneck MC, Support 81. Supporter Outlaws MC: Black Pistons (3 Chapter; ca. 30 Mitglieder). 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 Supporter Bandidos: Chicanos MC (1 Chapter; ca. 2 Mitglieder). Die Supporter-Clubs stellen eigenständige MCs dar. Sie stehen jedoch aufgrund ihres "Support- Status" im Bedarfsfall innerhalb kurzer Zeit dem jeweiligen unterstützten MC zur Verfügung. Gefahren gehen von den Supporterclubs vor allem in Gestalt von Auseinandersetzungen zwischen Supportern und anderen Clubs aus. Dabei sind vor allem beim (zufälligen) Zusammentreffen von Angehörigen verfeindeter Rocker-/rockerähnlichen Gruppierungen Auseinandersetzungen auch mit schweren, gewalttätigen Verläufen immer in Betracht zu ziehen. Frage 3. Wie werden die Gefahren, die von Rockergruppierungen nahestehenden sogenannten "Fight Clubs" oder ähnlichen Gruppen ausgehen, die nicht den OMCGs im "klassischen" Sinne zugeordnet werden können, bewertet? Grundsätzlich sind die Gefahren, die von rockerähnlichen oder sonstigen Gruppierungen ausgehen , denen der OMCGs im klassischen Sinn vergleichbar. Soweit Hinweise im Vorfeld bekannt werden, reagiert die Polizei durch entsprechende Maßnahmen . So ist es in der Vergangenheit mehrfach gelungen, durch starke Präsenz weitere Vorfälle zu verhindern. Bei regelmäßig durchgeführten Kontrollmaßnahmen im Rockermilieu und hierdurch entfalteten Kontrolldruck wurden wiederholt Hieb-, Stich-, Schlag- und Schusswaffen aufgefunden und sichergestellt, die zur Einleitung entsprechender Strafverfahren führten. Auf aktuelle Ereignisse und Entwicklungen wird unverzüglich lageangemessen reagiert. Die hessische Polizei führt landesweit offensive polizeiliche Maßnahmen durch, um gefährdungsrelevante Sachverhalte frühzeitig zu erkennen und Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppierungen durch konsequentes polizeiliches Einschreiten zu verhindern sowie Straftaten beweiskräftig aufzuklären. Insbesondere bei Gruppierungen, welche sich im Aufbau befinden, kann es aufgrund von Expansionsbestrebungen vermehrt zu Auseinandersetzungen mit anderen Gruppierungen kommen. Konfliktträchtig stellt sich das Agieren von Osmanen Germania und Osmanen BC gegenüber der Gruppierung Bahoz dar. Jenseits der rockerimmanenten Konfliktfelder betreffend Expansion, Beherrschung bestimmter Territorien oder illegaler Geschäftsfelder stehen die Gruppierungen sich aufgrund ihrer politischen Ausrichtung feindschaftlich gegenüber - die Osmanen neigen türkisch-nationalistischen Ansichten zu, während Bahoz deutlich Positionen der PKK vertritt und gegen die Verfolgung der kurdischen Minderheit in der Türkei eintritt. Hier findet die Vermischung von organisierter und politisch motivierter Kriminalität statt. Die aktuellen Ereignisse in der Türkei lassen befürchten, dass sich dieser Konflikt weiter verschärft. Bislang konnten in Hessen gegenseitige Provokationen, vornehmlich über das Internet, festgestellt werden; körperliche Auseinandersetzungen konnten bisher soweit bekannt verhindert werden. Frage 4. Welche Auseinandersetzungen und/oder Verteilungskämpfe innerhalb der oder zwischen den einzelnen OMCGs sind der Landesregierung bekannt? In jüngster Zeit sind keine aktuellen Vorfälle im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen oder Verteilungskämpfen zwischen den einzelnen OMCGs sicherheitsbehördlich feststellbar. Die bestehenden Konflikte bzw. Konkurrenzen zwischen den OMCGs existieren zweifelsohne noch, allerdings ist - möglicherweise auch vor dem Hintergrund der Betroffenheit durch die Novellierung des Vereinsgesetzes, das das öffentliche Tragen von Kennzeichen verbotener Rockergruppierungen umfassend untersagt - derzeit kein akutes Austragen der Konflikte zu konstatieren . Bezüglich des Konfliktes zwischen Osmanen Germania und Bahoz wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Wesentliche Sachverhalte der letzten fünf Jahre, bei denen es zu öffentlichkeitswirksamen und folgenschweren Auseinandersetzungen zwischen OMCGs bzw. in deren Umfeld kam, sind nachfolgend dargestellt: a) Am Montag, 6. Mai 2013, wurden in Kelsterbach mehrere Schüsse aus einem Fahrzeug auf eine Person abgegeben, als diese ein Fitnessstudio verließ. Nach der Schussabgabe entfernte sich das Fahrzeug. Nach ersten Erkenntnissen wurde mindestens 10-mal auf den Geschädigten geschossen. Der Geschädigte erlitt einen Durchschuss sowie einen Streifschuss am Bein und wurde durch Rettungskräfte in das Uni-Klinikum Frankfurt am Main verbracht bzw. dort operiert. Er zeigte sich gegenüber den eingesetzten Beamten nicht kooperativ, machte keine Angaben zum Tatgeschehen und zum möglichen Motiv, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 5 sodass der genaue Tatablauf unklar blieb und eine abschließende Bewertung des Gesamtsachverhalts nicht möglich war. Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des versuchten Totschlags eingeleitet und die polizeilichen Ermittlungen durch das HLKA geführt. Die im Rahmen der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse ergaben den Verdacht, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Milieustraftat handelt. Gegen einzelne Mitglieder des Hells Angels MC wurden strafprozessuale Maßnahmen vollstreckt. Der Tatverdacht konnte durch die Ermittlungen nicht belegt werden, so dass das Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. b) In den späten Abendstunden des 02.07.2014 kam es vor der Diskothek "Katana" in Frankfurt am Main zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Zugehörigen des verbotenen Hells Angels Charter "Westend" und einer Gruppe Hells Angels Member aus Gießen. Hierbei wurden vier Gießener Member durch Schüsse erheblich verletzt. Die polizeilichen Erhebungen ergaben, dass die Gießener Member um den Aygün M. die Konfrontation mit Angehörigen des verbotenen Charters "Westend", suchten und eine Schlägerei provoziert hatten. Nachdem ein Türsteher des "Katana" erhebliche Verletzungen erlitten hatte, kam es im weiteren Verlauf durch den Betriebsleiter des "Katana", ein ehemaliges Mitglied des Chartes "Westend", zur Schussabgabe auf die Gruppierung des Aygün M. Hintergrund der Auseinandersetzungen waren vermutlich beabsichtigte Gebietsübernahmen durch die vorwiegend türkischstämmigen Anhänger der Hells Angels Member aus Gießen gegenüber den alteingesessenen Hells Angels (sogenannte Old School) aus Frankfurt . Nach dem Vorfall vom 02.07.2014 kam es zu mehreren, als Macht- und Stärkedemonstration zu bezeichnenden Ausfahrten der Gießener Gruppierung in das "Hoheitsgebiet" der Frankfurter Hells Angels, die durch den Einsatz starker Polizeikräfte unterbunden wurden. c) Am 24.10.2015 kam es im "Club 62" in Dreieich zu einer Auseinandersetzung von Mitgliedern des verbotenen HA Charters Frankfurt und der Osmanen Frankfurt, die in einer körperlichen Auseinandersetzung mündete. Nachfolgend konnten zunächst 50 Unterstützer der Hells Angels und 40 Unterstützer der Osmanen Frankfurt vor dem "Club 62", wenig später insgesamt ca. 100 Personen vor dem Vereinsheim der Osmanen Frankfurt in Dreieich, festgestellt werden. Ausschreitungen konnten durch starke Polizeikräfte aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet verhindert werden. d) Am Abend des 11.11.2015 kam es auf dem Parkplatz eines Fitness-Clubs in Offenbach zu einer Streitigkeit zwischen Mitgliedern der rockerähnlichen Gruppierungen Osmanen Frankfurt und Osmanen Germania. In der Folge wurde bekannt, dass die Osmanen Germania eigene sowie Mitglieder der Hells Angels Gießen und des Lions Fight Club mobilisiert hatten. Die Osmanen Frankfurt hingegen konnte in ihrem Vereinsheim in Dreieich 30-35 Mitglieder zusammen ziehen. Nachdem vor Ort ca. 25 Mitglieder des Hells Angels MC Giessen1, ca. 80 Mitglieder Osmanen Germania und Lions Fight Club festgestellt werden konnten, konnte durch polizeiliche Maßnahmen eine Bewältigung der Lage sichergestellt werden. e) Am 05.05.2016 (Christi Himmelfahrt), 16:50 Uhr, kam es in Höhe der Gaststätte "Helium " in der Bleidenstraße in Frankfurt am Main zu einer Auseinandersetzung mit Schusswaffen. Als dort ein weißer Mercedes Geländewagen vorfuhr, wurden die Insassen des Fahrzeuges beim Aussteigen aus dem Wagen beschossen. Dabei wurden zwei Personen schwer verletzt. Die Angreifer flüchteten in verschiedene Richtungen, zum Teil unter Zurücklassen ihrer Motorradhelme. Am Tatort wurden zudem Motorräder der Tätergruppe sichergestellt. Es handelt sich mutmaßlich um eine interne Auseinandersetzung zwischen Chartern der Hells Angels, Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main führte mit dem PP Frankfurt am Main ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes und Verstößen gegen das Waffengesetz , die Hauptverhandlung wurde am 19.05.2017 eröffnet. f) Am Freitag, den 07.10.2016 wurde der Präsident des Hells Angels Charters Gießen Aygün M. vor seinem Wohnhaus in Wettenberg von mehreren Projektilen getroffen aufgefunden . Nach aktuellem Kenntnisstand des noch laufenden Ermittlungsverfahrens verschafften sich bislang unbekannte Täter Zugang zu dem Nachbargrundstück des Wohn- und Clubhausgeländes und gaben von dort aus mehrere Schüsse durch eine Sichtschutzwand auf das Opfer ab. Derzeit kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, ob es sich bei dem Tötungsdelikt um eine Auseinandersetzung zwischen OMCGs oder innerhalb der Hells 1 Bei diesem handelte es sich um das durch Aygün M., (erschossen am 07.10.2016, siehe f)) geführte Charter. Ausweislich der Internetauftritte ist es nach wie vor existent. 6 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 Angels gehandelt hat oder ob außerhalb der Clubstrukturen liegende Gründe Motiv für das Tötungsdelikt waren. g) Am Samstag, 18.02.2017, kam es in einem Jugendtreff in Neuhof, der ortsüblich als "Garage" bezeichnet wird, zu einem Überfall auf eine Jugendgruppe durch fünf bis sechs unbekannte, rockerartig gekleidete Täter. Die ca. 15 anwesenden Besucher des Jugendtreffs und deren 23-jähriger Betreuer bedroht und beraubt. Der Betreuer wurde darüber hinaus mehrfach ins Gesicht, sowie mit Fäusten und Baseballschlägern gegen den Kopf geschlagen, auf dem Boden liegend wurde er noch gegen Kopf und Körper getreten. Er erlitt erhebliche Verletzungen, aufgrund derer er im Krankhaus mehrere Tage stationär behandelt werden musste. Als Haupttäter konnte später eine männliche Person, die als "President" der Gruppierung Rules Five Mainz bekannt ist, festgenommen werden. Er befindet sich derzeit in Untersuchungshaft . Frage 5. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Finanzierungs- und Einnahmequellen von Rockergruppierungen in Hessen? Rockergruppierungen finanzieren sich zunächst offiziell (legal) durch den Verkauf von Merchandising -Produkten und Kutten an Mitglieder sowie das Erheben von Mitgliedsbeiträgen (z.T. bis zu 300 € pro Monat). Einzelne Mitglieder der verschiedenen Rockergruppierungen sind im Prostitutionsgewerbe (Wirtschafter etc.) bzw. im Sicherheitsgewerbe (z.B. Türsteher) tätig. In der Vergangenheit wurden diverse Mitglieder wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz bzw. das Waffengesetz festgestellt. Eine direkte Zuordnung der Einnahmequellen der Rockergruppierungen als solche kann allerdings nur schwer getroffen werden - der finanzielle Verdienst ist eher den einzelnen Mitgliedern zuzurechnen, welche jedoch ohne die Zugehörigkeit zu der Gruppierung sicherlich keine entsprechenden Gewinne zu erwarten hätten. Frage 6. Welche und wie viele Diskotheken, Lokale, Restaurants, Bordelle etc. werden von den jeweiligen Rockergruppierungen betrieben und welche Produkte werden von den Gruppierungen produziert, verkauft oder vertrieben? Die Rockergruppierungen selbst betreiben keine der o.g. Einrichtungen. Sie verfügen lediglich über Clubhäuser, welche in regelmäßigen Abständen Clubabende durchführen, die auch vereinzelt öffentlich sind (sogenannte "Open-House-Party"). Einzelne Mitglieder von Rockergruppierungen sind an Bordellen oder Lokalen beteiligt, hier seien beispielhaft die Bordelle/FKK-Clubs FKK-Mainhattan in Frankfurt am Main, FKK-World in Pohlheim, Rotes Haus in Frankfurt am Main aufgeführt. Bei Feierlichkeiten werden vereinzelt Stände mit T-Shirts etc. mit Club-Utensilien aufgebaut, wobei diese zumeist nur intern veräußert werden. Darüber hinaus sind in Hessen keine Produkte bekannt, welche von den Gruppierungen öffentlich vertrieben werden. Frage 7. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über den Umfang des Waffenbesitzes der verschiedenen OMCGs und Supporter-Gruppierungen? Nach Erkenntnissen der hessischen Sicherheitsbehörden (Stand: 18.05.2017) sind 11 Mitglieder von OMCGs bzw. Supporter-Gruppierungen Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse. Die waffenrechtlichen Erlaubnisse verteilen sich wie folgt: 4 Personen besitzen einen Kleinen Waffenschein, 6 Personen verfügen als Sportschütze und 1 Person als Jäger über insgesamt 31 Schusswaffen (15 Kurzwaffen und 16 Langwaffen). In drei der vorgenannten elf Fälle wurden waffenrechtliche Erlaubnisse widerrufen; es sind jeweils Gerichtsverfahren anhängig. In den übrigen Fällen dauert die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit (insbesondere wegen der Ermittlung gerichtsverwertbarer Nachweise zum Bestehen einer Mitgliedschaft in einem OMCG oder in einer Supporter-Gruppierung) noch an. Über den legalen Waffenbesitz hinaus ist es in der Vergangenheit wiederholt zu Feststellungen gekommen, dass sich Waffen im illegalen Besitz von Mitgliedern von Rockergruppierungen befinden . Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 7 Frage 8 Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung darüber vor, wie Menschen Mitglieder der Rockergruppierungen werden (können) und welche Maßnahmen hält die Landesregierung für sinnvoll , um den Zulauf zu solchen Gruppierungen zu minimieren? Neue Mitglieder von OMCGs rekrutieren sich zumeist aus dem Umfeld und persönliche Kontakte zu bestehenden Mitgliedern. Vielfach bedeutet dies, dass Personen, die im Türsteherbereich tätig sind und Kontakte über diverse Kampf- und Kraftsportarten etc. knüpfen, Anlaufpunkte für neue Interessenten sind. "Hangarounds" müssen diverse (oftmals auch niedere) Tätigkeiten verrichten und dürfen nur an ausgewählten Veranstaltungen des Clubs teilnehmen. In der Regel befindet sich das potentielle Mitglied für drei Monate in diesem Status. In dieser Zeit sind sowohl der Kauf einer Harley Davidson als auch die Entrichtung eines monatlichen Mitgliedsbeitrags Pflicht. Hat sich der "Hangaround" bewährt, steigt er in den Rang eines "Prospects " auf. In diesem Rang muss sich der Anwärter innerhalb von ein bis drei Jahren beweisen, bevor er in den Rang eines "Members" aufsteigt. Member sind Vollmitglieder, die an internen Meetings mit Stimmberechtigung teilnehmen und in das weitere "Clubleben" integriert werden. In den Supporterclubs sind diese Regeln häufig etwas abgeschwächt, so dass es allgemein einfacher ist, dort Mitglied zu werden. Über eine Mitgliedschaft im Red Devil MC wird beispielsweise auch eine spätere Mitgliedschaft im Hells Angels MC erleichtert, z.B. mit Verkürzung der Zeit als "Prospect". Ein wesentlicher Aspekt für die Minimierung des Zulaufs zu den OMCGs ist es, ihre Attraktivität zu begrenzen. Die "Vorteile", die die Mitgliedschaft in den Gruppierungen mit sich bringt, sind insbesondere die persönliche Aufwertung, das Gruppengefühl, ein nach außen hin legitimiertes übergeordnetes Verhalten, das Ansehen im Milieu bzw. in der Szene sowie Verdienstmöglichkeiten . Im Rahmen von Konfliktlagen zwischen rockerähnlichen Gruppierungen wurden zurückliegend Betretungs- und Aufenthaltsverbote gemäß dem HSOG (mit Androhung von Zwangsgeld) für Stadtbereiche ausgesprochen. Weder wurden im Nachgang weitere Konfliktsituationen bekannt noch konnten Verstöße gegen die Verbote festgestellt werden, so dass sich diese Maßnahmen als ein taugliches Mittel der Gefahrenabwehr und Prävention erwiesen haben. Das o.g. Zweite Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes (siehe Antwort auf Frage 4) könnte sich als erfolgreiche Maßnahme erweisen, den Zulauf zu verringern. Die Mitglieder können nicht mehr durch das Tragen von Vereinsinsignien auf den sogenannten "Kutten" ihre Zusammengehörigkeit demonstrieren, welche sicherlich für den Einzelnen als wichtiges Utensil gesehen wird. Darüber hinaus sind die bislang bereits ausgesprochenen Verbote für einzelne Charter / Chapter und die intensiven Kontrollmaßnahmen der Polizei sowie erfolgreiche Strafverfahren, die in entsprechenden Verurteilungen münden, wesentliche Bausteine, um die Attraktivität weiter zu mindern. Frage 9. Gibt es Rockergruppierungen aus Hessen mit politischen Zielen und wenn ja, welchen und liegen der Landesregierung Erkenntnisse über Verbindungen der Rockerszene in Hessen mit rechten bzw. rechtsextremistischen oder nationalistischen Szenen vor? In Hessen gibt es nach derzeitigen Erkenntnissen keine Rockergruppierung mit eindeutigen politischen Zielen. In ihren Selbstdarstellungen, Satzungen etc. bezeichnen sie sich selbst als unpolitisch . Etwaige politische Äußerungen von Einzelmitgliedern oder einzelne Chapter/Charter mit engeren Kontakten zu Rechtsextremisten stellen hier eine Ausnahme dar. Zu etwa zehn Mitgliedern von Rockergruppierungen liegen Erkenntnisse aus dem Phänomenbereich des polizeilichen Staatsschutzes vor. Rockergruppierungen, insbesondere die großen OMCG, vermeiden im Allgemeinen eine zu enge Partnerschaft und Verbindung zu rechtsextremistischen Strukturen. Bei der rockerähnlichen Gruppierung "Osmanen Germania BC" sind einzelne Mitglieder mit einer türkisch–nationalistischen Ausrichtung bekannt. Entsprechende Äußerungen wurden über soziale Netzwerke sowie die Anwesenheit auf verschiedenen Demonstrationen, welche eher dem türkisch–nationalistischen Spektrum zuzurechnen sind, festgestellt. Dies spricht für eine entsprechende Ausrichtung der Gruppierung an sich, diese ist aktuell aber nicht belegbar. Aufgrund einzelner Verbindungen von Mitgliedern der Bahoz mit dem Umfeld der PKK sowie ihrer Selbstdarstellung als antifaschistisches und antirassistisches Projekt muss dieser Gruppe eine politische Ausrichtung unterstellt werden. 8 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4817 Frage 10. Sind der Landesregierung Verbindungen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit solchen Gruppierungen bekannt? Falls ja, wie wird in solchen Fällen bzw. bei Bekanntwerden solcher Fälle reagiert? Ein bestätigter und bewiesener Verdacht von Verbindungen von Polizeibeamtinnen oder - beamten in Rockergruppierungen, rockerähnliche oder sonstige Gruppen ist in Hessen derzeit nicht bekannt. Wiesbaden, 14. Juli 2017 In Vertretung: Werner Koch