Kleine Anfrage der Abg. Hofmann (SPD) vom 06.06.2014 betreffend Sexualdelikte in Hessen und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung der Fragestellerin: Das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KfN) hat bei einer bundesweiten Analyse zur Strafverfolgung der Vergewaltigung festgestellt, dass nach erfolgter Anzeige in immer weniger Fällen mit einer Verurteilung zu rechnen sei. Nicht nur im historischen, sondern auch im Ländervergleich seien die unterschiedlichen Verurteilungszahlen besonders signifikant. Vorbemerkung der Ministerin der Justiz: Die in Bezug genommene Analyse des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. (KFN) ist bisher nicht veröffentlicht. Vielmehr hatte das KFN zunächst lediglich unter der Überschrift "Vergewaltigung - Die Schwächen der Strafverfolgung - das Leiden der Opfer" in einer Presseerklärung vom 16. April 2014 erste Prozentzahlen bekannt gegeben. Danach hatten im Jahr 1994 knapp 22 % der Anzeigen zu einer Verurteilung geführt, während es im Jahr 2012 nur noch ca. 8 % waren. Weiterhin hat die Analyse des KFN ergeben, dass der Anteil der Fälle , in denen eine Vergewaltigungsanzeige zur Verurteilung eines Täters geführt hat, im Ländervergleich von ca. 4 % bis ca. 24 % reicht. Auf der Grundlage dieser Zahlen hat das KFN Überlegungen angestellt, worauf der Rückgang der Verurteilungshäufigkeit und die starken regionalen Unterschiede der Verurteilungsquoten zurückzuführen sein könnten. Ohne Bekanntgabe der absoluten Zahlen sind die Angaben des KFN jedoch von begrenztem Aussagewert, der sich durch die Angabe der tatsächlichen Anzahl der angezeigten Vergewaltigungen (Anzeige gegen Unbekannt oder Anzeige eines namentlich bekannten Täters), der Anzahl der eingestellten Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft , der Anklagen, gerichtlichen Einstellungen, Verurteilungen und Freisprüche relativieren könnte. Möglicherweise steht den stark abweichenden Verurteilungsquoten eine unterschiedliche Anzeigequote in den Ländern gegenüber. Auch ist zu bedenken, dass nicht jede "polizeilich registrierte Vergewaltigung" tatsächlich eine Vergewaltigung sein muss, sondern die rechtliche Bewertung durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht anders ausfallen kann. Die Studie des KFN war auch Gegenstand der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 25. und 26. Juni diesen Jahres. Diese hat folgenden Beschluss gefasst: "Die Justizministerinnen und Justizminister haben die Ausführungen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. zur Strafverfolgung bei Vergewaltigung erörtert. Sie bekräftigen ihre Auffassung, dass eine konsequente Verfolgung von Sexualstraftaten ein wichtiges Anliegen der staatlichen Stellen ist. Sie bitten das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. um Vorlage seiner vollständigen Vorstudie, um einen konkreten Handlungsbedarf, etwa für ein wissenschaftliches Forschungsprojekt , beurteilen zu können." Mit am 10. Juli 2014 eingegangenen Schreiben hat das KFN nunmehr eine Projektskizze für das geplante Forschungsvorhaben übersandt. Diese enthält weiteres statistisches Zahlenmaterial, das zunächst einer eingehenden Auswertung bedarf, um sodann einen konkreten Handlungsbedarf zu ermitteln. Eingegangen am 1. August 2014 · Ausgegeben am 6. August 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/483 01. 08. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/483 Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Wie hat sich das Anzeigeverhalten bei Sexualdelikten in Hessen in den Jahren 1998 bis heute entwickelt bzw. wie viele Anzeigen bezüglich Sexualdelikten sind in den Jahren 1998 bis heute eingegangen? Ich bitte um Darstellung nach einzelnen Jahren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) beruht auf dem Kenntnisstand bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen. Polizeiliche Statistiken über das Anzeigeverhalten bei Sexualdelikten werden nicht erhoben. Die PKS weist folgende Fallzahlen für den Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus: Jahr Fälle 1998 3393 1999 3427 2000 3624 2001 3513 2002 3460 2003 4341 2004 4492 2005 3975 2006 3713 2007 4095 2008 3832 2009 3396 2010 3482 2011 3422 2012 3686 2013 3273 Frage 2. In wie vielen der unter Frage 1. genannten Fälle kam es zu einer Eröffnung des Hauptverfah- rens? Ich bitte um Darstellung nach einzelnen Jahren. Die Anzahl der eröffneten Hauptverfahren im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wird statistisch nicht erhoben. Überdies könnte in Ermangelung einer sogenannten Verlaufsstatistik der erfragte Zusammenhang zwischen der in der Antwort zu Frage 1. dargestellten Anzahl der in der Polizeilichen Kriminalistik erfassten Strafanzeigen pro Jahr und der Anzahl der eröffneten Hauptverfahren pro Jahr nicht hergestellt werden. Eine von der IT-Stelle der hessischen Justiz vorgenommene Auswertung der Verfahrenserledigungen betreffend die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung für die Jahre 2008 bis heute ergibt folgendes Bild: Jahr Anklagen Strafbefehle Einstellungen 2008 516 77 1671 2009 530 120 1570 2010 483 140 1930 2011 481 158 2032 2012 468 126 2052 2013 441 106 2018 bis Mai 2014 165 60 796 Frage 3. Wie hat sich die Verurteilungsquote in Hessen in den Jahren 1998 bis heute in den einzelnen Jahren entwickelt? Die Verurteilungsquote ergibt sich aus der Strafverfolgungsstatistik und bezeichnet das Verhältnis der Anzahl der Verurteilten zur Anzahl aller Abgeurteilten. Die Zahl der Aburteilungen beinhaltet neben den Verurteilungen auch Freisprüche und Einstellungen durch die Gerichte. Wie bereits in der Antwort zu Frage 2. ausgeführt, kann mangels einer sogenannten Verlaufsstatistik Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/483 3 kein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen den in den Antworten zu den Fragen 1. und 2. dargestellten Zahlen hergestellt werden. Die Entwicklung der Verurteilungsquote in Hessen - bezogen auf Sexualdelikte in den Jahren 1998 bis 2013 - lässt sich der nachfolgenden Tabelle entnehmen: Jahr Abgeurteilte insgesamt Verurteilte insgesamt Anzahl Verurteilter an Abgeurteilten in Prozent 1998 524 402 76,72 1999 570 506 88,77 2000 547 449 82,08 2001 597 508 85,09 2002 608 503 82,73 2003 656 579 88,26 2004 754 662 87,80 2005 747 628 84,07 2006 821 652 79,42 2007 717 594 82,85 2008 746 636 85,25 2009 751 640 85,22 2010 670 567 84,63 2011 610 499 81,80 2012 565 473 83,72 2013 508 417 82,09 Frage 4. Wie hoch ist die sogenannte Dunkelziffer beziehungsweise die bezifferte und geschätzte Dunkel- ziffer in diesem Bereich? Die in den Antworten zu den Fragen 1. bis 3. dargestellten Statistiken beleuchten naturgemäß nur das sogenannte Hellfeld, das heißt die den Behörden bekannt gewordenen Fälle. Die sogenannte Dunkelziffer lässt sich nur mittels kriminologischer Forschungen bestimmen. Dem Hessischen Ministerium der Justiz liegen insoweit keine eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Soweit dem Hessischen Ministerium der Justiz entsprechende wissenschaftliche Forschungsergebnisse bekannt werden, werden diese bei Überlegungen zu einem eventuellen gesetzgeberischen oder in der Praxis der Strafverfolgung bestehenden Handlungsbedarf mit einbezogen. Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung ein Auseinanderfallen der Zahlen in der Beantwortung der Fragen 1. und 2.? Wie bereits in der Antwort zu Frage 2. ausgeführt, können die in den verschiedenen Statistiken von Polizei und Justiz erhobenen Zahlen nicht in valider Weise in Relation gesetzt werden. Die Gründe hierfür liegen insbesondere in den unterschiedlichen Erfassungsgrundsätzen, den sich verschiebenden Erfassungszeiträumen und der möglicherweise abweichenden strafrechtlichen Bewertung des jeweils statistisch zu erfassenden Falls. Wiesbaden, 16. Juli 2014 Eva Kühne-Hörmann