Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer und Franz (SPD) vom 18.05.2017 betreffend physische und psychische Risiken für Feuerwehrkräfte in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: Das ehrenamtliche, flächendeckende System im Brand- und Katastrophenschutz ist für die Bevölkerung in Hessen unverzichtbar. Landesweit erfolgen durchschnittlich über 70.000 Einsätze im Jahr. Ziel ist, schnelle Hilfe für jeden Menschen gewährleisten zu können. Zunehmende schwierige Gefahrenlagen beispielsweise durch Terror, Radikalismus oder Naturkatastrophen erfordern eine nachhaltige Unterstützung der Feuerwehren . Feuerwehrkräfte sind häufig selbst physischen und psychischen Risiken ausgesetzt. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: In den letzten Jahren hat die Anzahl von Einsätzen im Zusammenhang mit Radikalismus und Gewalt auch für die Feuerwehren zugenommen. Auch wenn sie nicht das tägliche Einsatzgeschäft des Brand- und Katastrophenschutzes prägen, so ist jederzeit mit solchen zu rechnen. Aufgrund der zunehmenden Anzahl von Einsätzen mit terroristischem oder radikalem Hintergrund , bei denen sich Einsatzkräfte selbst in Gefahr bringen und psychischen Belastungen ausgesetzt sein können, muss die heutige psychosoziale Versorgung und Nachsorge angepasst werden . Das grundsätzliche Thema der "Psychosozialen Notfallversorgung" (PSNV) und der Aufbau von entsprechenden Strukturen wurde seit Ende der 1990er Jahre, aufgrund von mehreren schweren, die Einsatzkräfte belastenden Einsätzen im nationalen wie auch internationalen Bereich , immer mehr etabliert. Für die Bundesrepublik Deutschland sind hier besonders das Flugtag -Unglück von Ramstein am 28. August 1988 und das ICE-Unglück von Eschede am 3. Juni 1998 hervorzuheben. Wirkungsvolle Konzepte zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen existieren daher seit vielen Jahren, müssen jedoch auf neue Bedrohungslagen fortlaufend überprüft und angepasst werden. Die mehrheitlich ehrenamtlich tätigen Einsatzkräfte der Feuerwehren genießen über ihre Gemeinden den Versicherungsschutz und die Versorgung der Unfallkasse Hessen. Sie tritt ein bei Dienstunfällen. Dazu zählen nicht nur körperliche Verletzungen, wie Verbrennungen oder Brüche , sondern auch psychische Probleme. Die Unfallkasse Hessen besitzt daher valide Zahlen, welche zur Beantwortung der Fragen herangezogen wurden. Die Grundlage für valide Aussagen über das Straftatengeschehen ist die jährlich erscheinende "Polizeiliche Kriminalstatistik" (PKS). In der PKS werden Opfermerkmale, wie Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit grundsätzlich nur bei Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, wie beispielsweise das Leben, die körperliche Unversehrtheit und Freiheit erfasst. Hier ist eine Differenzierung der Opfer nach einigen wenigen Berufs- bzw. Tätigkeitsgruppen in der PKS vorgesehen und möglich. Für den Aufgabenbereich des öffentlichen Dienstes sind die zu erfassenden berufs- bzw. tätigkeitsbezogenen Merkmale bislang im Wesentlichen auf den Personenkreis beschränkt, der zur Vornahme hoheitlicher Maßnahmen befugt ist, das heißt auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen . Darin sind auch "Feuerwehrkräfte" enthalten. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Eingegangen am 12. Juli 2017 · Bearbeitet am 13. Juli 2017 · Ausgegeben am 18. Juli 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4915 12. 07. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4915 Frage 1. Wie viele Feuerwehrkräfte in Hessen wurden in den Jahren 2011 bis 2016 während bzw. nach ihrem Einsatz medizinisch versorgt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Frage 2. Wie viel Feuerwehrkräfte erlagen in den Jahren 2011 bis 2016 während bzw. nach ihrem Einsatz ihren Verletzungen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Frage 1 und Frage 2 werden zusammen beantwortet. Die Zahlen zur medizinischen Versorgung und zu Unfällen mit Todesfolge sind der nachfolgenden Tabelle der Unfallkasse Hessen zu entnehmen: Jahr Gemeldete Versicherungsfälle Behandelte Versicherungsfälle Behandlungsquote Meldepflichtige Versicherungsfälle (inkl. Wegeunfälle ) Davon: Meldepflichtige Versicherungsfälle im Einsatzdienst (Brandbekämpfung /Technische Hilfeleistung) Unfälle mit Todesfolge 2011 1.671 1.515 91% 477 163 0 2012 1.545 1.423 92% 455 143 0 2013 1.532 1.352 88% 395 116 0 2014 1.596 1.429 90% 418 126 0 2015 1.514 1.344 89% 430 131 0 2016 1.528 1.332 87% 398 130 0 Es werden der Unfallkasse Hessen auch jährlich Versicherungsfälle von kleineren Verletzungen angezeigt, die keine ärztliche Behandlung zur Folge haben. Diese Sachverhalte werden von den Verantwortlichen der Feuerwehr neben dem Eintrag in das bei der Feuerwehr ausliegende Verbandbuch zusätzlich zur Sicherung evtl. zukünftiger Ansprüche der Unfallkasse angezeigt. Diese Fälle sind nicht in der Tabelle enthalten. Frage 3. Wie viele Feuerwehrkräfte wurden in den Jahren 2011 bis 2016 während bzw. nach ihrem Einsatz psychologisch betreut (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Die Anzahl der psychologisch zu betreuenden Feuerwehrkräfte ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen: Jahr Versicherungsfälle mit psychologischer Betreuung 2011 9 2012 9 2013 3 2014 4 2015 20 2016 13 Frage 4. Wie viele verbale Beschimpfungen wurden in den Jahren 2011 bis 2016 gegenüber den Feuerwehrkräften während bzw. nach ihrem Einsatz verzeichnet (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Hierzu liegen keine statistischen Daten vor (siehe Vorbemerkung). Frage 5. Wie viele tätliche Angriffe wurden in den Jahren 2011 bis 2016 auf Feuerwehrkräfte während bzw. nach ihrem Einsatz verzeichnet? Wie viele davon erfolgten in schwierigen Gefahrenlagen beispielsweise bei Einsätzen mit terroristischem oder radikalem Hintergrund (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? In den Jahren 2011 bis 2016 wurden in Hessen insgesamt 40 Fälle/tätliche Angriffe auf Feuerwehrkräfte erfasst. Detaillierte Aufstellung für die Jahre 2011 bis 2016: Jahr Anzahl Opfer / Feuerwehrkraft 2011 4 2012 5 2013 4 2014 6 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4915 3 2015 14* 2016 7 * 8 der 14 Opfer resultierten aus einer besonderen Einsatzlage. Auf Basis der PKS kann keine Aussage getroffen werden, ob tätliche Angriffe während oder nach einem Einsatz erfolgt sind. Diese müssen jedoch im Zusammenhang mit der Ausübung einer Tätigkeit als "Feuerwehrkraft" erfolgt sein. Darüber hinaus ist auch keine weitere Unterscheidung der Einsatzlage ("schwierige Gefahrenlage", Einsätze mit terroristischen oder radikalen Hintergrund) möglich. Frage 6. Welche Hilfen und Beratungsangebote in Hessen stehen Feuerwehrkräften bzw. ihren Angehörigen nach einem Einsatz zur Verfügung? Sollte aufgrund belastender Einsätze eine psychosoziale Betreuung als Erstversorgung von Feuerwehrkräften erforderlich sein, so stehen besonders ausgebildete Teams der "Psychosozialen Notfallversorgung" (PSNV) zur Verfügung, bzw. können über die Zentrale Leitstelle für den Brandschutz, den Katastrophenschutz und den Rettungsdienst angefordert werden. Diese Teams werden im Regelfall von den Hilfsorganisationen gestellt und bestehen aus ehrenamtlichen Fachkräften. Vielerorts arbeiten die Hilfsorganisationen eng mit den Kirchen zusammen. Diese Teams stehen Einsatzkräften, Unfallbeteiligten, Zeugen und Angehörigen gleichermaßen zur Verfügung. Besteht Bedarf an einer weitergehenden PSNV, stellt die Unfallkasse Hessen im Anschluss das Angebot der "Psychologischen Einsatznachsorge" (PEN) zur Verfügung. Dafür existiert bei der Unfallkasse Hessen eine Notfallnummer. Gerade im Hinblick auf die Schnittstellen der Akut- PSNV und der sich nach höchstens 24 Stunden anschließenden Langzeitnachsorge der Unfallkasse Hessen ist eine Zusammenarbeit zwingend notwendig und geboten. Eine geschulte Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter leistet vor Ort Unterstützung und leitet weitere Maßnahmen bis hin zu Reha- und Kuraufenthalten ein. Hierzu gehören für eine professionelle Krisenintervention auch eine Gruppenberatung und soweit erforderlich auch Einzelgespräche. Ziel der Intervention ist es, eine Entwicklung zur möglichen psychischen Krise aufzuhalten und zu bewältigen. Die Hilfe soll möglichst unmittelbar nach dem Ereignis einsetzen oder spätestens dann, wenn eine akute Belastungsreaktion auftritt. Die frühzeitige Intervention beugt der Entstehung weiterer Gesundheitsschäden vor. Frage 7. Welche speziellen Hilfen und Beratungsangebote stehen Feuerwehrkräften bzw. ihren Angehörigen im Zuge zunehmenden schwierigen Gefahrenlagen beispielsweise bei Einsätzen mit terroristischem oder radikalem Hintergrund zur Verfügung? Sind die Maßnahmen der Krisenintervention nicht ausreichend, so kommt das Reha- Management der Unfallkasse Hessen zum Einsatz. Sie erarbeiten gemeinsam mit besonders qualifizierten Psychotherapeuten ein ganz individuelles und auf einen längeren Zeitraum ausgerichtetes Therapiekonzept. Grundlage bildet das Psychotherapeutenverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Im Einzelnen gliedert sich die "Psychologische Einsatz-Nachsorge" der Unfallkasse Hessen in drei Abschnitte: Maßnahmen am Unfalltag Maßnahmen ab Tag 2 Weitergehende Maßnahmen PSNV (Psychosoziale Notfall - Versorgung) Notfallseelsorger und Fach- kräfte der Hilfeleistungsorganisationen leisten PSNV am Unfallort für Unfallbeteiligte, Zeugen, Angehörige und Einsatzkräfte. PEN (Psychologische Einsatz- Nachsorge) Ein Angebot der Unfallkasse Hessen bei Bedarf an weitergehender Unterstützung. Professionelle Krisenintervention für Einsatzkräfte der Hilfeleistungsorganisationen (Gruppenberatung und Einzelberatung). Psychotherapeutisches Verfahren Reha-Management der Unfallkasse Hessen bei weitergehendem Therapiebedarf (Einzeltherapie : ambulant oder stationär). Die Therapie kann, abhängig von der Schwere der Diagnose, in ambulanter Form erfolgen. Die Anzahl der hierfür erforderlichen Sitzungen wird im Vorfeld gemeinsam abgestimmt. Sollte eine ambulante Therapie nicht ausreichend sein, sind auch stationäre Maßnahmen in ausgewählten Trauma-Klinken als geeignete Behandlungsform möglich. Eine solche stationäre Therapie dauert in der Regel vier bis sechs Wochen und kann im Bedarfsfall verlängert werden. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4915 Bei der Entscheidung der richtigen Therapieangebote sind die individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen , denn jeder Mensch verarbeitet ein Trauma anders und es gilt, für jeden das richtige Konzept zu finden, mit dem sich der oder die Betroffene auch identifizieren kann. Das Therapieangebot richtet sich nach der Auswirkung auf die zu therapierende Person und nicht nach den Ursachen von Einsätzen, z.B. Terrorismus und Radikalismus. Frage 8. Inwiefern unterstützt die Landesregierung die zuvor genannten Hilfen und Beratungsangebote für Feuerwehrkräfte und ihre Angehörigen? Das Land steht mit der Unfallkasse Hessen als Träger der Unfallversicherung für Feuerwehrkräfte in engem Kontakt und unterstützt durch Verbreitung der Informationen über das gestufte Versorgungssystem zur PSNV. So wird es im Rahmen der Ausbildung der Führungskräfte an der Hessischen Landesfeuerwehrschule behandelt, aber auch die einmal im Monat erscheinende Informations-Sendung "Feuerwehr-TV", in der Beiträge von der Unfallkasse Hessen zum Unfallschutz der Feuerwehrkräfte , unter anderem auch zu PSNV, gesendet werden, wird jährlich mit 48.000 € vom Land unterstützt. Weiterhin unterstützt das Land Hessen das Angebot des Landesfeuerwehrverbandes Hessen für die Leitungen der bestehenden Teams der Krisenintervention/Notfallseelsorge zur Einbindung in die bestehenden Führungsstrukturen. Es werden damit die Leiterinnen oder die Leiter dieser Teams in die Lage versetzt, sich in die bei einem Einsatz vor Ort aufgebauten hessenweiten Führungsstrukturen zu integrieren. Inzwischen wurden bereits zwei Pilot-Lehrgänge erfolgreich durchgeführt. Zusätzlich zu den schon bestehenden psychosozialen Nachsorgesystemen wird das Land Hessen ein Projekt des Landesfeuerwehrverbandes Hessen bei der Neukonzeption der Einsatznachsorge unterstützen. Zuerst sollen die Führungskräfte hessenweit im Thema "Psychologische Einsatznachsorge " sensibilisiert werden, um vor Ort Hinweise und Hilfestellungen zu geben. In Tagesseminaren werden Schulungen und Informationsmaterialien angeboten. Weiterhin wird es zuerst in zwei Pilotlandkreisen, einschließlich einer Berufsfeuerwehr, eine anonyme Infoline geben, die direkt von Feuerwehrangehörigen telefonisch kontaktiert werden kann und dann bei einem "Psychotraumatologischen Zentrum" aufläuft. Diese Nummer wird über Flyer bei den Feuerwehren bekannt gegeben. Das "Psychotraumatologische Zentrum" hilft anonym und spricht ggf. weitere Therapieempfehlungen aus. Grund der Einführung dieses anonymen Beratungsangebotes ist, die Schwelle zur Annahme von psychotherapeutischen Hilfsangeboten herabzusetzen, weil Betroffene sich nicht erst an Andere bzw. an den Vorgesetzten wenden müssen. Des Weiteren soll dieses Thema verstärkt in verschiedenen Lehrgängen (Grundausbildung und insbesondere bei der Führungsausbildung) an der Hessischen Landesfeuerwehrschule behandelt werden. Wiesbaden, 3. Juli 2017 Peter Beuth