Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 24.05.2017 betreffend Probleme und Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe im Rahmen des türkischen Verfassungsreferendums in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Durchführung von Wahlen, Volksbefragungen oder Abstimmungen in diplomatischen oder konsularischen Vertretungen oder an anderen Orten auf deutschem Territorium ist genehmigungspflichtig . Die Genehmigung erfolgt auf Antrag schriftlich durch eine Verbalnote des Auswärtigen Amtes im Namen der Bundesregierung. Eine völker- oder europarechtliche Pflicht zur Genehmigung besteht nach Auffassung der Bundesregierung nicht (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abg. Ulla Jelpke, Annette Groth, Andrej Hunko, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE betreffend Wahlkampfauftritte ausländischer Politikerinnen und Politiker in Deutschland, Bundestagsdrucksache 18/12067). Die Bundesregierung hat die diplomatischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt durch eine Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2016 darüber informiert, dass sie grundsätzlich bereit ist, die Beteiligung von diplomatischen und konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland an der Vorbereitung oder Durchführung von Wahlen und Volksbefragungen /Abstimmungen in den Entsendestaaten der Vertretungen auf deutschem Territorium zuzulassen . Die organisatorische Vorbereitung und Durchführung von Wahlen oder Abstimmungen anderer Staaten in diplomatischen und konsularischen Vertretungen oder in Wahlräumen außerhalb dieser Vertretungen obliegt ausschließlich dem jeweiligen Staat. In der Verbalnote des Auswärtigen Amtes, mit welcher dem jeweiligen Staat die Durchführung einer Wahl oder einer Abstimmung in Deutschland erlaubt wird, wird dieser ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Durchführung der Wahl oder der Abstimmung die deutschen Gesetze zu beachten sind. Die Botschaft der Republik Türkei hat dem Auswärtigen Amt mit Verbalnote vom 11. Januar 2017 mitgeteilt, dass die Beratungen über den Gesetzesvorschlag Nr. 2/1504 vom 12. Dezember 2016 zur Änderung der Verfassung der Republik Türkei am 9. Januar 2017 im Plenum der Großen Nationalversammlung der Türkei begonnen haben und der Hohe Wahlrat im Falle der Annahme dieses Vorschlags beabsichtigt, die Wahlurnen in den Generalkonsulaten der Republik Türkei in der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich im Zeitraum vom 11. bis 26. März 2017 oder vom 18. März bis 2. April 2017 für eine Dauer von 16 Tagen zu öffnen. Mit Verbalnote vom 13. Februar 2017 hat die Botschaft der Republik Türkei das Auswärtige Amt darüber informiert, dass das "Gesetz Nr. 3376 zur Durchführung von Volksabstimmungen über die Verfassungsänderungen" durch das Plenum der Großen Nationalversammlung der Türkei verabschiedet und am 11. Februar 2017 im Amtsblatt veröffentlicht wurde. Der Hohe Wahlrat habe beschlossen, die Volksabstimmung über die Verfassungsänderung in der Türkei am 16. April 2017 durchzuführen; die Stimmabgabe in den Räumlichkeiten der Botschaft Berlin und der Generalkonsulate in Berlin, Düsseldorf, Essen, Köln-Hürth, Münster, Frankfurt am Main, Hannover , Karlsruhe, Stuttgart, Mainz, München und Nürnberg soll vom 27. März bis zum 9. April 2017 in der Zeit von 9 Uhr bis 21 Uhr möglich sein. Es wurde um Zustimmung für die Durchführung der Abstimmung in diesem Zeitraum gebeten. Mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 17. Februar 2017 wurde das Auswärtige Amt über die näheren Einzelheiten der Abstimmung informiert. Mit E-Mail vom 22. Februar 2017 übersandte das Bundesministerium des Innern den betroffenen Ländern den Entwurf einer Genehmigungsnote des Auswärtigen Amtes und teilte mit, dass beabsichtigt sei, dem Anliegen der Botschaft der Republik Türkei unter Bezugnahme auf den Beschluss der Innenministerkonferenz am 3. Mai 1991 zur Ausübung des Wahlrechts durch Ausländer im Bundesgebiet bei Wahlen in ihren Heimatstaaten zu entsprechen, falls keine Si- Eingegangen am 27. Juli 2017 · Bearbeitet am 28. Juli 2017 · Ausgegeben am 1. August 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/4934 27. 07. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4934 cherheitsbedenken erhoben werden würden. Nachdem von Seiten der zuständigen Sicherheitsbehörden keine Bedenken erhoben wurden, wurde dem Anliegen der Republik Türkei durch Genehmigungsnote des Auswärtigen Amtes vom 14. März 2017 entsprochen. Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Türkinnen und Türken haben nach Kenntnis der Landesregierung beim türkischen Verfassungsreferendum ihre Stimme in Hessen abgegeben und mit welchem Ergebnis? Nach der Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 17. Februar 2017 waren mit Stand vom 11. Januar 2017 für die Abstimmung im Generalkonsulat Frankfurt am Main ca. 140.263 Wahlberechtigte registriert. Die organisatorische Vorbereitung und Durchführung der Wahlen obliegt ausschließlich dem ersuchenden Staat. Eine Einbindung deutscher Behörden in die Vorbereitung und Durchführung ausländischer Wahlen ist abgesehen von den zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßnahmen im Umfeld der Abstimmung nicht vorgesehen. Die Anzahl der Abstimmenden und das Abstimmungsergebnis für das Generalkonsulat Frankfurt am Main sind daher nicht bekannt; nach Presseberichten sollen ca. 68.000 Wahlberechtigte im Generalkonsulat der Republik Türkei in Frankfurt am Main an der Abstimmung teilgenommen haben. Frage 2. Sind der Landesregierung Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung bekannt geworden wie etwa - Versuche der doppelten Stimmabgabe, - Verhinderung der Stimmabgabe gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen (Bspw. Anhänger der Gülen-Bewegung, Kurden), - Drohungen gegen Befürworter oder Gegner der Verfassungsänderung vor bzw. nach der Stimmabgabe, - Unstimmigkeiten darüber, ob einer abstimmungswilligen Person ein Recht zur Teilnahme an der Abstimmung zustand (bspw. wegen Unklarheiten bzgl. der Staatsangehörigkeit)? Falls ja, bitte detaillierte Darstellung der Fälle. Im Zusammenhang mit dem Referendum wurden dem Hessischen Landeskriminalamt die nachfolgenden Sachverhalte bekannt: Der Bund der CHP Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland e.V. (Cumhuriyet Halk Partisi - Republikanische Volkspartei) meldete drei Werbeinfostände für den 6. März 2017, den 8. März 2017 und den 10. März 2017 an. Mit den Infoständen wollte die CHP auf eine gemeinsam mit der SPD, Unterbezirk Gießen veranstaltete Podiumsdiskussion zum Thema "Demokratie und Frauenrechte" in Gießen am 11. März 2017 und das in der Türkei anstehende Präsidial- Referendum aufmerksam machen. Der Anmelder der Veranstaltungen (Mitglied der CHP) wurde im Zuge der Organisation der Infostände und der Podiumsdiskussion dreimal genötigt bzw. bedroht. Er wurde zweimal telefonisch anonym angerufen und einmal persönlich durch drei unbekannte männliche Täter aggressiv genötigt. Nach erfolgter Plakatierung für die Podiumsdiskussion in der Gießener West-Stadt ist er nach eigenen Angaben vor seinem privaten Fahrzeug durch die o.g. Personengruppe abgepasst worden. Durch den Geschädigten wurde bei der örtlichen Polizei Strafanzeige erstattet. Das Ermittlungsverfahren wurde durch das Staatsschutzkommissariat des PP Mittelhessen geführt und mittlerweile an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Im Bereich des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main ist es zu einem Sachverhalt zum Nachteil einer mutmaßlichen Anhängerin der sogenannten "Gülen-Bewegung" gekommen. Der 50- jährigen türkischen Staatsangehörigen wurde am 21. März 2017, wenige Tage vor dem Beginn des Wahlzeitraums in Frankfurt am Main, ein anonymer Brief in türkischer Sprache mit beleidigenden Inhalten in den Briefkasten geworfen. Täterhinweise haben sich im Laufe der Ermittlungen , die wegen des Verdachts der Beleidigung geführt wurden, nicht ergeben. Weitere Fälle wurden in Hessen nicht bekannt. Frage 3. Gab es im unmittelbaren räumlichen Umfeld des Wahllokals im Generalkonsulat Frankfurt Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Verfassungsänderung? Falls ja, bitte detaillierte Darstellung der Fälle. Die Wahlen im türkischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main verliefen weitgehend ohne Zwischenfälle. Am 11. März 2017 kam es jedoch in der Zeit von 22:40 Uhr bis ca. 24:00 Uhr zu einer Spontankundgebung von 30 türkischen Staatsangehörigen vor dem türkischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main. Hintergrund war die Weigerung der Niederlande, den türkischen Außenminister Mevlüt CAVUSOGLU und die Familienministerin KAYA zu einer Wahlkampfveranstaltung (Referendum) in Rotterdam einreisen zu lassen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/4934 3 Frage 4. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber, wie viele und welche Informationsveranstaltungen , Kundgebungen oder Demonstrationen es seitens der Unterstützer sowie Gegner der Verfassungsänderung bis zum Abschluss der Volksabstimmung gegeben hat? Bitte insbesondere auch angeben, ob und ggf. wie hierbei Mitglieder staatlicher Stellen der Türkei oder der türkischen Regierung teilgenommen bzw. mitgewirkt haben. Zur Beantwortung der Frage wird auf die als Anlage beigefügte tabellarische Auflistung der im Zusammenhang mit dem Referendum bekannt gewordenen Veranstaltungen in Hessen hingewiesen . Frage 5. Wird die Landesregierung für den Fall, dass es in der Türkei zu einer Volksabstimmung über die Einführung der Todesstrafe kommen sollte, diese Abstimmung in Hessen zulassen? Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes obliegt ausschließlich der Bundesregierung die Entscheidung über die Genehmigung zur Durchführung von Wahlen und Abstimmungen ausländischer Staaten im Bundesgebiet. Die Prüfung erfolgt durch das Auswärtige Amt unter Beteiligung des Bundesministeriums des Innern, das in einem in der Innenministerkonferenz abgestimmten Verfahren die Innenressorts der Länder beteiligt, in denen Wahlräume eingerichtet werden sollen. Dabei beschränkt sich die Prüfung grundsätzlich auf die Zuständigkeit für die Sicherheit und Ordnung im Umfeld der Wahlräume; darüber hinaus sind deutsche Behörden in die organisatorische Vorbereitung von ausländischen Wahlen grundsätzlich nicht eingebunden. Die Bundesregierung hat allerdings im Rahmen von parlamentarischen Anfragen bereits angekündigt , keine Initiativen zur Einführung der Todesstrafe zu unterstützen (vgl. Plenarprotokoll 18/230 über die 230. Sitzung des Deutschen Bundestags am 26. April 2017, S. 23167) und hat darauf hingewiesen, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe ein Verstoß gegen das Protokoll Nummer 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention wäre, welches die Todesstrafe unter allen Umständen verbietet. Die Türkei habe dieses Protokoll ratifiziert und sei völkerrechtlich daran gebunden. Welche Folgen gegebenenfalls daraus im Rahmen des Europarates zu ziehen wären, müsste nach Auffassung der Bundesregierung in dem dafür zuständigen Gremium - dem Ministerkomitee des Europarats - diskutiert werden (vgl. Plenarprotokoll 18/198 über die 198. Sitzung des Deutschen Bundestags am 9. November 2016, S. 19748). Die Landesregierung schließt sich dieser Bewertung an und wird ebenfalls keine Initiativen zur Einführung der Todesstrafe unterstützen. Wiesbaden, 19. Juli 2017 Peter Beuth Anlagen Anlage Tabellarische Auflistung der im Zusammenhang mit dem Referendum bekannt gewordenen Veranstaltungen in Hessen: Datum / Ort Veranstaltungsart -Informations-VA -Kundgebung -Demonstration Gegner Befürworter Teilnahme von Mitgliedern –türk. staatl. Stellen -der türk. Regierung 25.02.2017 Frankfurt am Main Kundgebung mit ca. 10 Teilnehmern (TN) Gegner nein 04.03.2017 Frankfurt am Main Kundgebung mit ca. 10 TN Gegner nein 06.03.2017 Kelsterbach Innenveranstaltung mit 450 TN Befürworter Taner YILMAZ (Türk. Politiker) 08.03.2017 Gießen Infostand mit 4-5 TN Gegner Nein 11.03.2017 Gießen Podiumsdiskussion TN- Zahl nicht bekannt Gegner Zeynep ALTIOK (stellvertretender Parteivorsitzender der CHP in der Türkei) und Hilmi YARAYICI (CHP- Abgeordneter) 11.03.2017 Frankfurt am Main Kundgebung mit 20 TN Gegner nein 16.03.2017 Frankfurt am Main Kundgebung TN-Zahl nicht bekannt Gegner nein KA 19/4934 16.03.2017 Kassel Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner 17.03.2017 Wetzlar Kundgebung mit ca. 50 TN Gegner nein 18.03.2017 Frankfurt am Main Kundgebung mit ca. 7- 10 TN Gegner nein 18.03.2017 Frankfurt am Main Kundgebung mit ca. 10 TN Gegner nein 24.03.2017 Darmstadt Infostand mit 8 TN Befürworter nein 25.03.2017 Darmstadt Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner nein 25.03.2017 Büdingen Infostand mit ca. 10 TN Gegner nein 25.03.2017 Frankfurt am Main Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner nein 25.03.2017 Wetzlar Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner nein 25.03.2017 Frankfurt am Main Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner nein 01.04.2017 Darmstadt Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner nein 01.04.2017 Frankfurt am Main Infostand mit ca. 25 TN Gegner nein 01.04.2017 Frankfurt am Main Infostand mit ca. 20 TN Gegner nein KA 19/4934 01.04.2017 Gießen Infostand mit 10-12 TN Gegner nein 08.04.2017 Frankfurt am Main Infostand (TN-Zahl nicht bekannt) Gegner nein KA 19/4934