Kleine Anfrage des Abg. Lenders (FDP) vom 07.06.2017 betreffend Radfahren und Unfallgefährdung und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung wie folgt: Frage 1. Wie viele Unfälle gab es 2016 in Hessen mit Beteiligung von Radfahrern (insgesamt, in geschlossenen Ortschaften und außerhalb geschlossener Ortschaften)? In 2016 ereigneten sich 4.926 Verkehrsunfälle insgesamt mit Beteiligung von Radfahrern. Davon 4.570 innerorts und 356 außerorts. Frage 2. Wie viel Prozent dieser Unfälle wurden von Radfahrern und wie viel Prozent von anderen Verkehrsteilnehmern verursacht? 48,72 % dieser Unfälle wurden durch Radfahrer verursacht, 51,28 % von anderen Verkehrsteilnehmern . Frage 3. Wie viele Leichtverletzte, wie viele Schwerverletzte und wie viele Todesopfer gab es 2016 in Hessen, bei denen Radfahrer beteiligt waren? Es gab 2016 keinen tödlich Verletzten, jedoch 755 Schwerverletzte und 3.320 Leichtverletzte. Frage 4. Wie viele Fußgänger wurden 2016 in Hessen bei Verkehrsunfällen, die von Radfahrern verursacht wurden, leicht verletzt, schwer verletzt und getötet? Es wurden 2016 131 Personen leicht, 27 Personen schwer und keine Person tödlich verletzt. Frage 5. Ist nach Erkenntnissen der Landesregierung von einer schwächer ausgeprägten Bereitschaft zur Regelbefolgung seitens der Radfahrer auszugehen und resultiert daraus eine erhöhte Verkehrsgefährdung für andere Verkehrsteilnehmer? Der Landesregierung liegen keine entsprechenden Erkenntnisse vor. Es sind der Landesregierung keine wissenschaftlichen Untersuchungen bekannt, die eine allgemein schwächer ausgeprägte Bereitschaft zur Regelbefolgung seitens der Radfahrer belegen würden. Frage 6. Wie viel Prozent der Unfälle mit Beteiligung von Radfahrern ereigneten sich 2016 auf Radwegen, deren Benutzung verpflichtend ist und deren Benutzung nicht verpflichtend ist? 7,61 % der Unfälle ereigneten sich auf Radwegen ohne Benutzungspflicht und 3,16 % auf Radwegen mit Benutzungspflicht. Frage 7. Wie beurteilt die Landesregierung den Umstand, dass hessische Kommunen (z.B. die Stadt Darmstadt) an parallel zur Straße verlaufenden Radwegen die Benutzungspflicht aufheben? Die Landesregierung sieht in der Aufhebung der Benutzungspflicht von Radwegen eine konsequente Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben des Bundes. Seit der Novellierung der Straßen- Eingegangen am 7. August 2017 · Bearbeitet am 8. August 2017 · Ausgegeben am 11. August 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5002 07. 08. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5002 verkehrs-Ordnung (StVO) im Jahr 1997 dürfen benutzungspflichtige Radverkehrsanlagen nur noch dann angeordnet werden, wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit oder des Verkehrsablaufes tatsächlich zwingend erforderlich ist und die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO angegebenen Mindestanforderungen eingehalten sind. Diese Anforderungen wurden mit dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2010 (Az.: 3 C 42.09) bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung klargestellt, dass für den Radverkehr die Fahrbahnnutzung den Regelfall darstellt. Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt die Radwegebenutzungspflicht eine Beschränkung des fließenden Radverkehrs dar und darf somit nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in § 45 StVO genannten Rechtsgüter (hier insbesondere Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern) erheblich übersteigt. Aufgrund dieser Änderung der StVO wurden in den Folgejahren viele angeordnete Radwegebenutzungspflichten aufgehoben. Die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht bedeutet für Radfahrer jedoch nur, dass diese den weiterhin bestehenden Radweg nicht befahren müssen. Dem Radfahrer ist es damit selbst überlassen, ob er die Fahrbahn oder den nicht benutzungspflichtigen Radweg nutzt. Die Gesetzesnovelle zielte darauf ab, die Eigenverantwortung der Verkehrsteilnehmer zu stärken. Langjährige Unfalluntersuchungen hatten ergeben, dass Radfahrer, die sich auf der Fahrbahn befinden, aufgrund des direkten Sichtkontakts besser wahrgenommen werden, was in der Regel zu einer Verbesserung der Verkehrssicherheit führt. Frage 8. Gibt es konkrete Empfehlungen der Landesregierung an die Kommunen bezüglich der Aufhebung resp. Beibehaltung der Benutzungspflicht von Radwegen? Die Grundlage für verkehrsbehördliche Anordnungen ist stets die StVO. Eine darüber hinausgehende Regelung oder Empfehlung für Radverkehrsanlagen gibt es in Hessen nicht. Die Entscheidung zur Anordnung der Verkehrszeichen zur Radwegebenutzungspflicht trifft die zuständige Straßenverkehrsbehörde in einer Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der verkehrlichen Lage, des Platzangebotes und des bisherigen Unfallgeschehens. Derzeit wird eine Leitlinie zur Anordnung von benutzungspflichtigen Radwegen durch das Bundesverkehrsministerium erstellt. Nach Fertigstellung soll diese Leitlinie auch den Straßenverkehrsbehörden in Hessen als Handlungshilfe zur Verfügung gestellt werden. Frage 9. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Benutzung bestehender Radwege in der Regel auch dann im Interesse der Verkehrssicherheit liegt, wenn diese nicht vollumfänglich alle aktuellen baulichen Anforderungen erfüllen? Sofern die aktuellen baulichen Anforderungen, die sich aus den technischen Regelwerken und der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) ergeben, nicht eingehalten werden können, stellt dies tendenziell ein Verkehrssicherheitsrisiko für Radfahrende dar. Aus diesem Grund darf nach der VwV-StVO nur ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung (u.a. Abwägung alternativer Möglichkeiten) unter Wahrung der Verkehrssicherheit von den Mindestmaßen abgewichen werden. Diese Überprüfung erfolgt stets im Einzelfall . Die Auffassung, dass die Benutzung bestehender und nicht den baulichen Anforderungen entsprechender Radwege in der Regel im Interesse der Verkehrssicherheit liegt, teilt die Landesregierung daher pauschal nicht. Im Übrigen wird auf die Antwort zur Frage 7 verwiesen. Frage 10. Wird die Landesregierung auf eine Präzisierung der Straßenverkehrsordnung im Sinne der Stärkung der Benutzungspflicht für Radwege hinwirken, um die allgemeine Verkehrssicherheit zu erhöhen ? Hinsichtlich der Gründe zur Aufhebung der Benutzungspflicht wird auf die Antwort zur Frage 7 verwiesen. Die Praxis zeigt aber, dass auch nach der Aufhebung der Benutzungspflicht Radwege in der Regel eine sehr hohe Akzeptanz haben. Für außerörtliche Straßen wurde die StVO im Dezember 2016 dahin gehend geändert, dass für außerörtliche Radwege eine Benutzung auch ohne Nachweis einer Gefahrenlage angeordnet werden kann. Aufgrund der hohen Geschwindigkeitsunterschiede besteht die Notwendigkeit, den Radfahrer vom übrigen Kfz-Verkehr zur Wahrung eines sicheren flüssigen Verkehrsablaufs trennen zu können. Dies gilt auch für die Radfahrstreifen innerorts. Die Verbesserung der Verkehrssicherheit und die Förderung des Radverkehrs haben für die Landesregierung einen hohen Stellenwert. Dazu gehört insbesondere eine gute Infrastruktur, die nach den aktuell gültigen Regelwerken umgesetzt wird. Eine Initiative für die Stärkung der Radwegebenutzungspflicht zur Erhöhung der allgemeinen Verkehrssicherheit sieht die Landesregierung jedoch nicht als zielführend an. Wiesbaden, 27. Juli 2017 In Vertretung: Werner Koch