Kleine Anfrage des Abg. Degen (SPD) vom 28.06.07 betreffend schulschärfere Lehrerzuweisung nach einem Sozialindex und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: Das Hessische Kultusministerium weist seit einigen Jahren den Schulen zusätzliche Stellen nach einem Sozialindex zu. Diese Stellen sollen dazu beitragen, die Bildungsbenachteiligung von Schülerinnen und Schülern zu verringern. Ob angesichts des zunehmenden Anteils von armen Kindern und von Kindern mit Migrationshintergrund und nichtdeutsche Familiensprache weniger als ein % der Lehrkräftestellen in Hessen geeignet sind, Bildungsbenachteiligungen nachhaltig zu verringern, ist zu bezweifeln. Für die aus Sicht des Fragestellers notwendige Ausweitung einer bedarfsorientierten Differenzierung der Schulfinanzierung, wie sie bisher nur die Stadtstaaten praktizieren, wäre es aber wichtig, die Mittelverteilung in Abhängigkeit von der Situation der einzelnen Schule vorzunehmen. Dazu ist der bisher in Hessen verwendete Sozialindex nicht geeignet. Drei der vier verwendeten Indikatoren werden auf Gemeindeebene erfasst und allen Schülern nach ihrer Wohnsitzgemeinde zugewiesen. Dadurch können vor allem die großen sozialen Disparitäten innerhalb der Großstädte nur über das anhand der Schülerschaft der Schulen bestimmte Merkmal des Zuwanderungshintergrunds erfasst werden. Schülerinnen und Schüler an Schulen in sozial privilegierten Stadtteilen und den dort gelegenen wenig sozial belasteten Schulen profitieren bei der Lehrkräfteversorgung von der Situation in der Gesamtstadt, während die wirklich sozial belasteten Schulen vergleichsweise wenige zusätzliche Personalressourcen erhalten. Die Umverteilungswirkung der nach dem Sozialindex vergebenen Stellen im Vergleich zu einer Vergabe der Stellen nach der Schülerzahl der Schulen ist dadurch vergleichsweise gering. In Hamburg wird die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft der einzelnen Schulen über eine Elternbefragung und ergänzende Daten der Bevölkerungsstatistik bestimmt. Das Verfahren ist nicht nur sehr aufwändig , sondern auch fehleranfällig, weil Eltern erwartungskonform antworten können, um eine bessere Personalausstattung der Schule ihres Kindes zu erreichen. In Berlin wird neben dem Zuwanderungshintergrund der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, ob sie von der Bezahlung der Lernmittel befreit sind. Kostenlose Lernmittel erhalten .alle Schülerinnen und Schüler, die Sozialleistungen erhalten. Damit erhebt Berlin im Rahmen der Schulstatistik die beiden Indikatoren, die sich in den Studien der letzten Jahre als effizient für die Ermittlung der sozialen Situation der Schülerinnen und Schüler erwiesen haben. Der Bildungsbericht 2016 hat in seinem Schwerpunktkapitel die sozial benachteiligte Lage von Migranten in Deutschland herausgestellt (S. 168 bis 169) und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seinem Forschungsbericht Nr. 11/2016 jüngst den Forschungsstand zu Kindern in Armutslagen zusammengefasst. Beide Indikatoren sind hoch mit den konventionellen Indikatoren zur Bestimmung der sozialen Lage: Einkommen, Bildung und Berufsposition korreliert. Durch die Lernmittelfreiheit in Hessen kann auf den in Berlin verwendeten Armutsindikator nicht zurückgegriffen werden. Auch das in Ganztagsschulsystemen im Ausland verwendete Merkmal der Befreiung von der Bezahlung des Mittagstisches kommt nicht in Frage. Es müssen folglich für Hessen andere Wege gefunden werden, um eine valide Grundlage für eine Differenzierung der Personalzuweisung an die einzelnen Schulen in Abhängigkeit von der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft zu erreichen. Ein Ansatzpunkt könnte eine Zusammenführung der Schüler-Individualstatistik des Kultusministeriums mit den Daten des IAB zu den Kindern in Bedarfsgemeinschaften mit SGB-II-Bezug, die nach Wohnadressen vorliegen , sein. Es müsste nur ein datenschutzrechtlich gesicherter Ort für die Zusammenführung und den Abgleich der Daten gefunden werden und der Schulverwaltung nur die Zahl der Leitungsempfänger an den Schulen mitgeteilt werden ohne zu wissen, um welche Schülerinnen und Schüler es sich handelt. Denkbar wäre auch, über ein vergleichbares Verfahren, die Nutzung der Daten der medizinischen Schuleingangsuntersuchung , die nach einem standardisierten Erhebungsverfahren mehrere Merkmale erhebt, die soziale Benachteiligung anzeigen. Zur Nachjustierung des Zuwanderungshintergrunds als Sozialindikator für die Schülerinnen und Schüler an den Schulen wäre es denkbar, über die in der Schulstatistik erfasste zweite Nationalität einzelne Migrantengruppen auszuschließen oder auf der Basis weiterführender Analysen Gewichtungen zwischen Nationalitäten vorzunehmen. Vorbemerkung des Kultusministers: Die sozial indizierte Zuweisung wurde am 1. August 2013 eingeführt. Sie hat sich als sinnvolles Instrument erwiesen. Seitdem wurde die zur Verfügung stehende Stellenzahl kontinuierlich von 300 Stellen auf mittlerweile 540 Stellen für das Schuljahr 2017/18 erhöht. Indikatorgestützt wird die soziale Lage an den Schulen im Landesvergleich bewertet. Schulen, die unter besonders Eingegangen am 25. August 2017 · Bearbeitet am 28. August 2017 · Ausgegeben am 1. September 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5045 25. 08. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5045 schwierigen sozialen Bedingungen arbeiten, erhalten eine zusätzliche Zuweisung. Sie können selbst über den Einsatz dieser (personellen) Ressource entscheiden. Die Einführung des sogenannten Feinindexes im Schuljahr 2014/2015, der Wegfall der Bestandsgarantie im Schuljahr 2016/2017 und die Aktualisierung der bewertungs- und zuweisungsrelevanten Ausgangsdaten führen jedes Jahr zu Anpassungen und Veränderungen bei der Stellenverteilung. Dies zeigt, dass das Hessische Kultusministerium stetig das Ziel verfolgt, mit dem Sozialindex eine angemessene Bewertung der sozialen Lage zu erzielen. Vor dem Hintergrund des sich regelmäßig auf mehrere Schuljahre beziehenden Planungshorizonts von Maßnahmen zur Verbesserung der lokalen sozialen Bedingungen sind Veränderungen bei der Berechnung des Sozialindexes und die sich ggf. ergebenden Änderungen bei der Stellenverteilung sehr sorgfältig zu analysieren und vorzubereiten. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie bewertet sie die in der Vorbemerkung dargelegten Überlegungen? Der Fragesteller versucht in seiner Vorbemerkung den Eindruck zu erwecken, dass die Hessische Landesregierung im Kultusbereich weniger als ein % der Lehrerstellen zur Verringerung der Bildungsbenachteiligung einsetzt. Dieser Darstellung ist zu widersprechen. Neben dem Sozialindex gibt es zahlreiche weitere Maßnahmen außerhalb der Grundunterrichtszuweisung, z.B. in Form der Intensivmaßnahmen für Seiteneinsteiger, der sonderpädagogischen Förderung und im Bereich des Ganztags, die in Summe mit mehr als 20 % der Lehrkräftestellen in Hessen auch der Bildungsbenachteiligung von armen Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund entgegenwirken . Außerdem ist es grundsätzlich die Aufgabe einer jeden Lehrkraft, im Kontext der individuellen Förderung jedes Kind bestmöglich zu fördern und zu fordern. Durch die Kombination der schülerzahlbasierten zentralen Lehrerstellenzuweisung einerseits und der ergänzenden, durch die Schulämter vor Ort in einzelnen, abgegrenzten Sonderzuweisungsbereichen vorgenommenen Verteilung andererseits, ist die hessische Schulfinanzierung seit Jahren in hohem Maße vom Grundsatz der Bedarfsorientierung geprägt. Die vom Fragesteller gemäß dem IAB-Forschungsbericht Nr. 11/2016 besonders herausgestellten Indikatoren Armut und Migration wurden vom hessischen Kultusministerium bereits im Schuljahr 2013/14 durch die Verwendung der Indikatoren "Anteil der Sozialhilfeempfänger nach SGB II" (SGB II) und "Zuwandereranteil" im Sozialindex berücksichtigt. Der in der Anfrage hervorgehobene, zunehmende Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund wird dabei nicht nur als Indikator eingesetzt , sondern im Rahmen der Feinindexberechnung auch auf die drei gemeindespezifischen Indikatoren : Anteil der Sozialhilfeempfänger SGB II, Anteil der Arbeitslosen an der Wohnbevölkerung jeder Gemeinde (AL) und Anteil der bewohnten Einfamilienhäuser jeder Gemeinde (EI) übertragen. In den vom Fragesteller angesprochenen Großstädten erfolgt somit bereits auf Basis der Daten der Lehrer- und Schülerdatenbank (LUSD) eine schülerscharfe Verfeinerung der gemeindespezifischen Indikatoren bei der Festlegung der sozial indizierten Stellenverteilung. Frage 2. Hat sie zum Sachverhalt einer schulschärferen Zuweisung des Sozialindexes bisher eigene Überlegungen angestellt? Frage 3. Wie beabsichtigt sie den hessischen Sozialindex weiterzuentwickeln? Frage 4. Welche Möglichkeiten sieht sie, den hessischen Sozialindex schulschärfer zu gestalten? Frage 5. Kann hierbei auf die Vorarbeit des früheren Schulnavigators oder des Datenspiegels angeknüpft werden? Die Fragen 2 bis 5 werden aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet: Im Sozialindex wird die soziale Lage anhand von Indikatoren bewertet, deren Auswahl und Gewichtung mithilfe statistischer Verfahren erfolgte. Dabei wurden unter anderem Leistungsdaten verwendet, die seinerzeit im Rahmen der Umsetzung der Strategischen Ziele erhoben und auch im Schulnavigator eingebunden wurden. Aufgrund der Identität der Datenbasis sind seinerzeit Erkenntnisse aus dem Schulnavigator, der stets nur als lokale Entwicklerversion betrieben wurde, bereits in vollem Umfang bei der Entwicklung des Sozialindexes berücksichtigt worden. Das Kultusministerium strebt eine möglichst schulscharfe Bewertung der sozialen Lage durch den Sozialindex an. Im Hinblick auf eine gerechte und effiziente Ressourcenverteilung soll die Berechnung des Sozialindexes jedoch grundsätzlich für alle Schulen einheitlich erfolgen. Dies bedingt, dass die zugrunde liegenden Daten hessenweit und dauerhaft verfügbar sein müssen. Aufgrund dieser Anforderung war bisher keine schulschärfere Ausgestaltung in den vom Fragesteller problematisierten Großstädten möglich. Derzeit werden Überlegungen angestellt, wie in Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5045 3 Großstädten eine (noch) passgenauere Zuweisung erfolgen kann. Zudem wird überlegt, die Auswirkungen der Einführung einer zusätzlichen, regional geprägten Berechnungsstufe zu überprüfen . Frage 6. Aus welchen Gründen wurde der Schulnavigator (wie in Drucksache 19/2347 mitgeteilt) eingestellt ? Ausgangspunkt der Entwicklung des Schulnavigators war die Schaffung eines Informationsinstruments für alle hessischen Schulen. Da der Schulnavigator stets nur als lokale Entwicklerversion betrieben wurde, konnten auch Datenbestände zur Klärung von Einzelfragen eingebunden werden, die z.B. in Form von Leistungsdaten nur punktuell zur Verwirklichung der strategischen Ziele erhoben wurden. Für ein hessenweit den Schulen zur Verfügung stehendes Informationsinstrument musste jedoch eine einheitliche und beständige Datenstruktur als Basis gewählt werden, die die konsistente und automatische Erzeugung von Kennzahlen über Jahre hinweg erlaubt . Daher wurde die LUSD als ausschließliche Datenbasis festgelegt und die Entwicklung des Schulnavigators zugunsten dieses als Datenspiegel bezeichneten Systems eingestellt. Die bisherigen Entwicklungen im Schulnavigator wurden in diesem neuen System weitergeführt, soweit dies im Rahmen der aus der LUSD verfügbaren Daten möglich war. Frage 7. Ist laut ihrer Auffassung, gegebenenfalls auch durch Bewertung durch das Statistische Landesamt, eine rechtliche Grundlage für die Zusammenführung von Datenbeständen des Kultusministeriums und des IAB, der Gesundheitsämter oder anderer Stellen im statistischen Landesamt gegeben? Um Daten der in der Frage genannten Behörden oder Dienststellen mit Daten des Kultusministeriums für eine schulschärfere Lehrerzuweisung nach einem Sozialindex zusammenzuführen, bedarf es keiner speziellen datenschutzrechtlichen Grundlage, sofern es sich nicht um Individualdaten handelt, sondern um anonymisierte Datensätze, sogenannte Rasterdaten. Die Nutzung der anonymisierten Datensätze anderer Behörden oder Dienststellen muss von diesen jedoch eingeräumt werden. Frage 8. Falls dies nicht gegeben ist, unter welchen Rahmenbedingungen kann die Datenverfügbarkeit erreicht werden? In Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verwendung von anonymisierten Daten wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. Wiesbaden, 15. August 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz