Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer und Warnecke (SPD) vom 05.07.2017 betreffend Auswirkungen der Aufhebung der Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente für ausländische Versandapotheken auf hessische Apotheken und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragesteller: Mit Urteil vom 19.10.2016 (Az. C-148/15) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Preisbindung rezeptpflichtiger Medikamente für ausländische Versandapotheken, die ihre Arznei in Deutschland vertreiben wollen, aufgehoben. Vor allem die ländlichen Präsenzapotheken, die weiterhin für rezeptpflichtige Medikamente an die Abgabenpreise der Arzneimittelpreisverordnung gebunden sind, befürchten aufgrund dieses EuGH-Urteils schwere Umsatzeinbußen. Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung das Urteil vom 19.10.2016 des EuGH (Az. C-148/15), mit dem dieser die Preisbindung für ausländische Versandapotheken aufgehoben hat, insbesondere in Bezug auf die Auswirkungen für hessische Präsenz- und Versandapotheken? Das EuGH-Urteil gilt nur für ausländische Versandapotheken. Die hessischen Apotheken sind, unabhängig davon, ob sie über eine Versandhandelserlaubnis verfügen oder nicht, von dem Urteil nicht direkt betroffen. Die indirekten Auswirkungen des Urteils auf die hessischen Apotheken sind noch unklar. Frage 2. Ist nach Einschätzung der Landesregierung eine Bestandsgefahr für hessische Apotheken aufgrund der Aufhebung der Preisbindung für ausländische Versandapotheken sowie eine Bedrohung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln in Hessen durch die Entscheidung des EuGH zu befürchten? Momentan ist die Arzneimittelversorgung in Hessen gesichert. Welche Auswirkungen das EuGH-Urteil auf die flächendeckende Versorgung hat, ist noch ungewiss (siehe Beantwortung Frage 1). Es wird befürchtet, dass sie sich verschlechtert, sollten vermehrt Landapotheken schließen müssen. Die Landesregierung steht im Austausch mit der Landesapothekerkammer (LAK), um die weitere Entwicklung zu beobachten. Frage 3. Inwiefern sind Versandapotheken am Not- und Nachtdienst beteiligt, bezogen auf die derzeitigen Regelungen und Honorierung der Not- und Nachtdienste in Hessen, und wie soll dies zukünftig geplant und geregelt werden? Die hessischen Apotheken, die über eine Versandhandelserlaubnis verfügen, sind wie alle anderen Apotheken in den Not- und Nachtdienst eingebunden und werden es auch bleiben. Sie erhalten auch die gleiche Vergütung dafür. Eine Änderung der Honorierung wäre bundesweit zu regeln und ist nach Wissen der Landesregierung nicht geplant. Frage 4. Wie beurteilt die Landesregierung ein etwaiges Vorhaben auf Bundesebene, ein Versandhandelsverbot für in- und ausländische Versandapotheken in Bezug auf rezeptpflichtige Arzneimittel durchzusetzen und welche Folgen hätte dies für die in Hessen ansässigen Versandapotheken? Dass in 21 von 28 EU-Mitgliedstaaten ein Versandhandelsverbot existiert, zeigt, dass ein solches Verbot zur Sicherstellung des Gesundheitsschutzes innerhalb des gemeinsamen europäischen Binnenmarkts durchsetzbar ist. Die meisten hessischen Apotheken mit Versandhandels- Eingegangen am 10. August 2017 · Bearbeitet am 11. August 2017 · Ausgegeben am 15. August 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5093 10. 08. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5093 erlaubnis nutzen diese in sehr geringem Umfang (siehe Beantwortung Frage 5: Betreiben von Web-Shops). Gemäß gutachterlichen Aussagen (May/Bauer/Detting "Wettbewerbsökonomische und gesundheitspolitische Begründung eines Versandhandelsverbots verschreibungspflichtiger Arzneimittel") führt nur ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur Beibehaltung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Frage 5. Wie viele hessische Apotheken, die Arzneimittel an ihre Kunden verschicken, wären von einem Versandhandelsverbot betroffen? 224 hessische Apotheken besitzen eine Versandhandelserlaubnis. 76 betreiben einen eigenen Web-Shop. Frage 6. Bestehen nach Bewertung der Landesregierung an diesem Vorhaben verfassungsrechtliche und/oder europarechtliche Bedenken, insbesondere vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit der in Deutschland zugelassenen Versandapotheken und der Warenverkehrsfreiheit der im Ausland ansässigen Versandapotheken? Zu den europarechtlichen Bedenken wird auf die Beantwortung zu Frage 4 verwiesen. Eine Rückkehr zum Verbot des bisher zugelassenen Versandhandels müsste umfassend begründet werden. Die Berufsfreiheit der Apotheken, die über eine Versandhandelserlaubnis verfügen, würde eingeschränkt werden, wobei ihr Präsenzgeschäft bestehen bliebe. Auch der Versand nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bliebe erlaubt, der den größten Teil des Versandhandelsgeschäfts ausmacht. Diese Einschränkung muss gegenüber den möglichen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln, auch für ältere Menschen und in ländlichen Gebieten, abgewogen werden. Frage 7. Wie beurteilt die hessische Landesregierung den Vorschlag, die Preisbindungen für rezeptpflichtige Arzneimittel gänzlich aufzuheben und welche Folgen könnte dies für den Bestand hessischer Apotheken haben? Der Wegfall der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel könnte zur Folge haben , dass umsatzschwache Landapotheken den Preiswettbewerb nicht verkraften. Deren Umsatz hängt stärker als der von Stadtapotheken von der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ab, da weniger Nebensortiment nachgefragt wird. Als Folge der Reduzierung der Apothekendichte in dünn besiedelten Gebieten würde es trotz der Möglichkeit des Versandhandels zu einer Verschlechterung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung kommen; diese umfasst nämlich nicht nur die Lieferung der Arzneimittel, sondern auch persönliche Bindung und Beratung, die die Compliance vergrößert. Hinzu kommt die Verschlechterung der Akutversorgung und des Nacht- und Notdienstes. Frage 8. Inwieweit kann nach Ansicht der Landesregierung durch eine Preisbindung eine bessere geografische Verteilung der Apotheken in Hessen sichergestellt werden? Die Tatsache, dass die Arzneimittelversorgung in Hessen durch die öffentlichen Apotheken auch im ländlichen Raum momentan sichergestellt ist, spricht dafür, dass die Preisbindung zu einer besseren geografischen Verteilung beiträgt. Hierzu wird auf die Beantwortung der Frage 7 verwiesen . Frage 9. Wäre eine Beschränkung von Rabatt- oder Bonuszahlungen und in welcher Höhe für ausländische Versandapotheken aus Sicht der Landesregierung denkbar und wie würde sich diese für hessische Apotheken auswirken? Gemäß Art. 87 des Gemeinschaftskodexes 2001/83/EG muss "die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt." Rabatt- und Bonuszahlungen könnten also in gewissem Umfang europarechtlich zulässig sein. Die Auswirkung von beschränkten Rabatten auf die hessischen Apotheken kann nicht vorhergesagt werden. Es wird befürchtet, dass umsatzschwache Apotheken auch geringfügigere Preisnachlässe nicht verkraften könnten. In Gebieten mit ohnehin geringer Apothekendichte würde die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dadurch verschlechtert werden. Wiesbaden, 1. August 2017 Stefan Grüttner