Kleine Anfrage der Abg. Faulhaber (DIE LINKE) vom 06.07.2017 betreffend der Schädlichkeit von Neonicotinoiden und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. Hat die Landesregierung Kenntnis von der Gefährdung die von Neonicotinoiden (stark giftige Pestizide) bei Bestäuberinsekten, wie z.B. Bienen und Hummeln, in Hessen ausgeht? Die Hessische Landesregierung verfolgt aufmerksam die Diskussion um die Neubewertung der in Frage stehenden drei bienengefährlichen Wirkstoffe Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam aus der Stoffgruppe der Neonicotinoide durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. In diesem Zusammenhang hat sie bereits seit dem Jahr 2004 das Bieneninstitut in Kirchhain des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen (LLH) mit Untersuchungen zu den Auswirkungen auf Gesundheit und Belastung von Bienenvölkern mit Umweltchemikalien beauftragt. Die Landesregierung hat dadurch auch Kenntnisse über die Gefährdung von Bestäuberinsekten durch Pflanzenschutzmittel aus der Gruppe der Neonicotinoide. So werden vom Bieneninstitut Kirchhain im Rahmen des Deutschen Bienenmonitorings seit dem Jahr 2004 jährlich hessenweit Bienenvölker auf die Gesundheit und Belastung mit Umweltchemikalien, u.a. Neonicotinoiden, untersucht und die Ergebnisse u.a. im Jahresbericht des Bieneninstituts Kirchhain veröffentlicht. Seit dem Jahr 2011 laufen mit dem Institut für Bienenkunde der Universität Frankfurt in Oberursel Forschungsprojekte und gemeinsame Feldversuche zum Thema Neonicotinoide und Bienen , über die die Landesregierung jährlich informiert wird. Einige wesentliche Erkenntnisse dieser Forschungen sind: a) In zwei umfangreichen Feldversuchen (Fitbee-Programm, gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zu chronischen subletalen Effekten der Neonicotinoide Thiacloprid und Clothianidin auf die Brutentwicklung, Volksstärke, Honigerträge und Überwinterungsfähigkeit konnten keine gravierend negativen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der untersuchten Völker gemessen werden (Siede et al. 2017, Pest management science 73, S. 1334-1344; Siede et al. zur Veröffentlichung eingereicht). b) Da Bienenvölker eine große Kompensationskapazität besitzen, wurden in einem weiteren Feldversuch kleine und deshalb sensitivere Begattungsvölker mit Clothianidin behandelt, um detaillierter die Brutpflege und Brutentwicklung zu untersuchen. Clothianidin hatte bereits in praxisrelevanten Konzentrationen erhebliche negative Auswirkungen auf die Gelée Royalbildende Futtersaftdrüse von Ammenbienen, sowie auf die Überlebensrate von Bienenlarven. Die Anzahl der Brutzellen war in den Clothianidin-behandelten Völkern allerdings gleich zu den Kontrollen, was eine große Kompensationsleistung der Bienen darstellt und eine mögliche Erklärung liefert, warum in großen Vollvölkern subletale Effekte von Neonicotinoiden schwer belegbar sind (Schott et al, in Vorbereitung). c) In Laborversuchen wurden subletale Effekte von Neonicotinoiden auf das Immunsystem von Arbeitsbienen (Brandt et al. 2016, Journal of insect physiology 86, S. 40-47) und Bienenköniginnen (Brandt et al. 2017, Scientific Reports 7, S. 4673) untersucht. Nach der Behandlung mit praxisrelevanten Konzentrationen von Thiacloprid oder Clothianidin hatten sowohl Arbeiterinnen als auch Königinnen weniger Immunzellen, eine schwächere Wundheilung sowie auch eine deutlich schwächere antimikrobielle Aktivität der Hämolymphe und können sich so weniger gut gegen eindringende Bakterien und Parasiten wehren. Eingegangen am 15. September 2017 · Bearbeitet am 15. September 2017 · Ausgegeben am 19. September 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5097 15. 09. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5097 d) Untersuchungen zur zeitlichen Dynamik des Abbaus von Neonicotinoiden in Bienenproben bei Verdacht auf Bienenvergiftungen: Im Verdachtsfall auf eine Bienenvergiftung können Imker eine Bienenprobe zum Julius Kühn-Institut (JKI) per Post senden und auf Pflanzenschutzmittelrückstände untersuchen lassen. Häufig können keine Rückstände nachgewiesen werden, aber es bestanden aus Sicht der Imker Zweifel, ob diese bereits abgebaut worden sein könnten. In einem gemeinsamen Versuch hat das Bieneninstitut Kirchhain und das JKI getestet, ob Neonikotinoidrückstände in lebenden und toten Bienen sowie unter Einfluss von UV-Strahlung und auf verschiedenen Transportwegen abgebaut werden. Tatsächlich verringert UV-Strahlung die nachweisbaren Rückstände, durch ein schnelles Einfrieren der Proben konnte der Abbau in den Bienen gestoppt werden.(Schott et al., SciRep 2017). Daraus konnten direkte Handlungsempfehlungen für die Imker abgeleitet werden. e) Zum ersten Mal wurden subletale Effekte von Neonicotinoiden (Thiacloprid) auf das Immunsystem von weiblichen und männlichen Mauerbienen (Osmia bicornis) untersucht. Die Weibchen zeigten keine Immuneffekte, die Männchen reagierten dagegen sehr empfindlich und zeigten eine deutlich verringerte Anzahl Immunzellen und verminderte antimikrobielle Aktivität der Hämolymphe. Im Gegensatz zu Honigbienen war die Wundheilung nicht betroffen . Dies macht deutlich, dass die Untersuchung beider Geschlechter notwendig ist und Forschungsergebnisse von Honigbienen nicht einfach auf andere Bienenarten übertragbar sind (Brandt et al. in Vorbereitung). Die Landesregierung nimmt ferner mit Sorge die begründeten Hinweise des ehrenamtlichen Naturschutzes in Hessen zur Kenntnis, wonach insgesamt ein starker Rückgang der Bestände der Insektenfauna, insbesondere im Offenland, zu beobachten ist. In dieselbe Richtung deuten auch Erkenntnisse des Öffentlichen Fachgesprächs anlässlich der 73. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages zu dem Thema "Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten" (Selbstbefassung 18(16)SB-132) am 13. Januar 2016. Hier sind regional gemessen an der Tiermasse Rückgänge von Insektenfängen um bis zu 80 % gemessen und dokumentiert worden. Auch die Landesnaturschutztagung 2016 in Hessen hat letztlich auf vergleichbare Entwicklungen hingewiesen. Frage 2. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung gegen die Auswirkungen von Neonicotinoiden , die bei Honig-, Wildbienen, Hummeln und Schmetterlingen das Immunsystem stören sowie deren Orientierung und Fortpflanzung beeinträchtigen? In einem Arbeitskreis "Pflanze und Biene" des LLH und des hessischen Pflanzenschutzdienstes (PSD) arbeiten hessische Pflanzenbau-, Pflanzenschutz- und Bienenexperten eng zusammen. Dieser dient primär dazu, Risiken der Pflanzenschutzmittelanwendung zu identifizieren und zu minimieren. Aus der gemeinsamen Arbeit ist u.a. die Broschüre des Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz "Landwirte und Imker in Partnerschaft" hervorgegangen, die entsprechende Handlungsempfehlungen aufzeigt. Der LLH und der PSD schulen und beraten Landwirte speziell im Hinblick auf eine Verringerung der Pflanzenschutzmittelbelastung von Bienen (z.B. Drop-leg-Technik zur gezielten Applikation unterhalb der Blütenzone im Rapsanbau) und verbreiten entsprechende Informationen bei zahlreichen öffentlichen Informationsveranstaltungen. Auch die Vermittlung der einschlägigen gesetzlichen Bienenschutzbestimmungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Pflanzenbau gehört dazu. Zudem setzt sich das Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit der Kampagne "Bienenfreundliches Hessen", die im Frühjahr 2017 gestartet wurde, für den Schutz von Bienen und anderen bestäubenden Insekten ein. Frage 3. Welche Maßnahmen wurden von der Landesregierung gegen den offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Neonicotinoiden und dem Vogelsterben von Feldvögeln unternommen (Diesen Zusammenhang hat der BUND bereits festgestellt und macht den drastischen Rückgang von Insekten dafür verantwortlich)? Zusammenfassende Berichte über diesbezügliche Beobachtungen in anderen Mitgliedstaaten liegen vor. Es wird davon ausgegangen, dass die Verweise auf Studien in Spanien und den Niederlanden zu diesem Thema in die Bewertung der EFSA zu der auf EU-Ebene anstehenden Entscheidung einer künftigen Genehmigung oder Versagung dieser Wirkstoffe eingehen werden. Die Landesregierung fordert Landbewirtschafter ausdrücklich auf, den Einsatz von Neonicotinoiden freiwillig auf ein Mindestmaß zu beschränken und, soweit ein Einsatz von Neonicotinoiden unumgänglich ist, die Anwendungshinweise für Abstände zu sensiblen Landschaftsteilen großzügig einzuhalten und möglichst zu überschreiten. Dies gilt insbesondere für einen großzügigen Abstand zu Saumstrukturen, wie z.B. der Krautsäume entlang von Feldwegen und Feldrainen . Diese Bereiche haben wegen des erhöhten Anteils an Blütenpflanzen eine erhöhte Attraktivität für bestäubende Insekten und müssen besonders geschont werden. Die Landesregie- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5097 3 rung erinnert daran, dass bienengefährliche Mittel im Freiland nicht in blühende Pflanzen sowie "Unkräuter" und nicht auf Pflanzen, auf denen bereits starke Honigtaubildung festzustellen ist, gespritzt werden dürfen. Frage 4. Gibt es Bestrebungen, Neonicotinoide zu verbieten oder deren Gebrauch einzuschränken, wie es auf EU-Ebene bereits 2013 geschehen ist? Frage 5. Werden die Berichte der EU-Lebensmittelbehörde EFSA in Hessen berücksichtigt, die hohe Risiken für Bienen und andere nützliche Bestäuber festgestellt hat? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland und somit auch die Beschränkung oder ein Verbot von Anwendungen finden als Kombination von Entscheidungen zur Wirkstoffgenehmigung auf der europäischen Ebene und der anschließenden Produkt- oder Mittelzulassung in den einzelnen Mitgliedstaaten statt. Die auf Bundesebene getroffenen Entscheidungen sind somit auch für Hessen gültig und werden auch hier umgesetzt. Damit ist ein auf Bundesebene getroffenes Verbot oder eine Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten für Neonicotinoide auch in Hessen wirksam. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich intensiv an den momentan stattfindenden Expertenrunden zur Vorbereitung der bis Ende des laufenden Jahres zu erwartenden Entscheidungen auf EU-Ebene über die Neonicotinoide. In diese Entscheidungen fließen auch die Berichte der EFSA ein. Die Hessische Landesregierung unterstützt dabei ein restriktives Vorgehen gegenüber den Neonicotinoiden sowie Überlegungen der EU zu einem Verbot dieser Wirkstoffgruppe auf EU- Ebene. Frage 6. Hat die Landesregierung neue Forschungen, im Hinblick auf die Gefährlichkeit die von Neonicotinoiden ausgeht, in Auftrag gegeben? Im Rahmen der mit Landes- und EU-Mitteln finanzierten "Maßnahmen zur Förderung der Erzeugung und Vermarktung von Honig in Hessen" unterstützt das Land seit dem Jahr 2013 Forschungsprojekte zur Auswirkung von Neonicotinoiden auf Bienen an den Bieneninstituten in Kirchhain und Oberursel. Aktuell werden dabei am Bieneninstitut in Kirchhain mögliche Wechselwirkungen von Neonicotinoiden mit anderen häufiger nachweisbaren Pflanzenschutzmitteln (z.B. Fungizide) auf die Immunabwehr und Krankheitsanfälligkeit von Honigbienen untersucht. Am Bieneninstitut in Oberursel läuft aktuell ein Projekt zu Einflüssen von Stress, u.a. durch Einwirkung von Neonicotinoiden auf das Sozialverhalten von Bienenvölkern. In diesem Zusammenhang wird auf die seit kurzem vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage 18/13142 zu "Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs " verwiesen. Dort wird umfänglich auf die verschiedenen Aspekte, die Forschungsergebnisse und den -bedarf auf diesem Gebiet eingegangen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Frage 7. Falls dies nicht der Fall sein sollte (Frage 6), wird sie es zukünftig veranlassen? Die bewilligte Forschungsförderung zum Thema Neonicotinoide und Bienengesundheit besteht bis Mitte 2019 fort, über eine Weiterführung ist noch nicht entschieden. Wiesbaden, 4. September 2017 Priska Hinz