Kleine Anfrage der Abg. Feldmayer, Hammann, Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 16.08.2017 betreffend hofnahe Schlachtung und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragesteller: Seit Januar 2017 arbeitet eine Gruppe von Landwirten, Metzgern, Vertretern aus der Forschung sowie aus Verbänden und Verwaltung an dem Thema hofnahe Schlachtung. Hierbei soll ermöglicht werden, dass das Schlachten ohne übermäßigen Stress und Leid bei Rindern, Schafen und Ziegen durchgeführt wird. Das Land Hessen fördert dieses Projekt und die dazu gebildete Operationelle Gruppe "Extrawurst" über die Europäische Innovationspartnerschaft "Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit" (EIP-Agri) bis Mitte 2019. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz : Das Land Hessen fördert die Operationelle Gruppe "Extrawurst" mit dem Vorhaben "Entflechtung des Schlachtverfahrens für Rinder und kleine Wiederkäuer" nach Teil II Nr. A ("Europäische Innovationspartnerschaft Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit - EIP-Agri") der Richtlinien des Landes Hessen zur Förderung von Innovation und Zusammenarbeit in der Landwirtschaft und in ländlichen Gebieten (RL - IZ). Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche konkreten Ziele verfolgt dieses o.g. EIP-Projekt zur hofnahen Schlachtung? Das Projekt zielt darauf ab, in Kooperation mit dem Schlachthandwerk den Prozess des Schlachtens zu entflechten. Dazu wird eine mobile, EU-zugelassene Schlachteinheit entwickelt, die ein Fixieren, Betäuben, Töten und Entbluten des Tieres auf dem Haltungsbetrieb ermöglicht und den Schlachtkörper in kurzer Zeit zum Schlachtunternehmen befördert. Dort erfolgt das weitere Ausnehmen, Enthäuten und Zerteilen des Schlachtkörpers. Dadurch wird ein längerer Lebendtiertransport im Zusammenhang mit der Schlachtung vermieden . Diese Art der Schlachtung landwirtschaftlicher Nutztiere ist bisher nur bei Notschlachtungen oder bei ganzjährig im Freien gehaltenen Rindern mit Einzelfallgenehmigung möglich. Uneingeschränkt wird die Methode der hofnahen Schlachtung bei der Haltung von Farmwild umgesetzt , diese Tiere werden im Haltungsbetrieb getötet und dann in einen Schlachtbetrieb verbracht . Ergänzend dazu sollen Leitlinien für die Entflechtung des Schlachtprozesses von Wiederkäuern entwickelt und gleichzeitig das geltende europäischen Lebensmittelrecht, nach dem die Schlachtung von Wiederkäuern nur in einem zugelassenen Schlachthof stattfinden darf, berücksichtigt werden. Frage 2. Welche Vorteile ergeben sich durch eine hofnahe Schlachtung im Sinne des Tierschutzes, für die landwirtschaftlichen Betriebe sowie für die Verbraucherinnen und Verbraucher? Durch eine hofnahe Schlachtung ergeben sich Vorteile in verschiedenen Bereichen, und zwar beim Tierschutz, für Verbraucherinnen und Verbraucher, für die landwirtschaftlichen Unternehmen und die Schlachtunternehmen sowie mittelbar auch für die Kulturlandschaft. Eingegangen am 12. Oktober 2017 · Bearbeitet am 12. Oktober 2017 · Ausgegeben am 16. Oktober 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5150 12. 10. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5150 Die Möglichkeit der hofnahen Schlachtung von Wiederkäuern führt zur Vermeidung von Stress bei den Schlachttieren, der durch Separieren im landwirtschaftlichen Unternehmen (unabhängig ob Stall oder Weide), Transport und Verbringen in eine fremde Umgebung (vom landwirtschaftlichen Unternehmen zum Schlachtbetrieb, ggf. Aufstellung im Wartestall mit anderen Tieren, Zuführung zur Schlachtung etc.) entsteht. Dies trifft besonders für die Mutter- und Ammenkuhhaltung bzw. auch Jungmasttiere zu, die nicht uneingeschränkt im Kontakt mit den sie betreuenden Menschen stehen. Durch das beschriebene Verfahren wird eine Vermarktung von Schlachttieren mit speziellen Qualitätsmerkmalen wie "Stressarm geschlachtet ohne Lebendtiertransport" ermöglicht. Auch die Schlachtung spezieller Rinderrassen, die beispielsweise nicht enthornt und relativ "scheu" sind, ist im regionalen Kontext, d.h. in handwerklichen Schlachtunternehmen, wieder möglich. Durch den Wegfall von Transporten zum Schlachtunternehmen mit den damit zusammenhängenden Arbeiten (Separieren, Aufladen, Verbringen, Entladen) wird die Unfallgefahr für die Landwirte deutlich gemindert. Durch die Stärkung regionaler Schlachtunternehmen ist auch eine Verbesserung der Vermarktung von Einzeltieren mit höherer Fleischqualität eher zu gewährleisten und damit eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verwertung von Schlachttieren zu erreichen. Neben den Aspekten des Arbeitsschutzes für die Beschäftigten in der Schlachtstätte ist auch die Stärkung von regionalen Schlachtstrukturen hervorzuheben. Die Verbesserung der Produktqualität stärkt die beteiligten handwerklichen Schlachtunternehmen bei der Vermarktung ihrer Erzeugnisse . Vorteile für den Verbraucher sind darin zu sehen, dass die Anforderungen an die Transparenz von Herkunft, Prozessqualität und insbesondere an den Tierschutz gegenüber der bisherigen Situation besser erfüllt werden. Durch die Vermeidung von Stress im Zusammenhang mit der Schlachtung wird eine bessere Fleischqualität erreicht. Die Gesamtheit der Vorteile führt zu einer Verbesserung der Attraktivität der Rinderhaltung, besonders der extensiven Rinderhaltung mit Mutter- und Ammenkuhhaltung und fördert damit die nachhaltige Bewirtschaftung sonst brachliegender Grünlandflächen. Größere Schlachtbetriebe sind im Regelfall nicht in der Lage, solche individualisierten Verfahren umzusetzen und können daher Schlachttiere dieser Herkünfte nicht mit der gewünschten Prozessqualität verwerten. Frage 3. Wie sind die rechtlichen Rahmenbedingungen? Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden durch eine Vielzahl europäischer und nationaler Rechtsnormen vorgegeben. Die wichtigsten sind die VO (EG) Nr. 1099/2009 des Rates vom 24.9.2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung sowie die VO (EG) NR. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs. Auf nationaler Ebene sind zusätzlich die Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit über den Schutz von Tieren bei der Schlachtung oder Tötung (Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates - TierSchlV) und die Tier-LMHV - Tierische Lebensmittel Hygieneverordnung mit Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs - zu beachten. Die LAV-Arbeitsgemeinschaft Fleisch- und Geflügelfleischhygiene und fachspezifische Fragen von Lebensmitteln tierischer Herkunft (AFFL) berät und erarbeitet Beschlüsse, welche die Vorortbehörden bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben unterstützen und damit zu einem einheitlichen Vollzugshandeln beitragen. Aus Sicht der Veterinärverwaltung stellt die Schlachtung außerhalb eines Schlachthofes eine Ausnahme dar, welche durch § 12 Abs. 2 der Tier-LMHV regelementiert wird. Neben dem Erfordernis einer behördlichen Genehmigung, ist diese Art der Schlachtung auch nur für einzelne Rinder in ganzjähriger Freilandhaltung anwendbar. In Bezug auf die hofnahe Schlachtung müssen verschiedene Punkte erfüllt werden, wie beispielsweise die Einhaltung der Zeitvorgaben zwischen Betäubung und Ausweiden, der hygienische Transport des Schlachtkörpers zur Vermeidung von Kontaminationen insbesondere von Schnitt- und Stichstellen sowie die Bereitstellung aller Teile des Tierkörpers. Diese müssen zuordnungsfähig und vollständig sein sowie dem Untersuchungspersonal bei der Fleischuntersuchung vorgelegt werden können. Auf die tierseuchenrechtliche Betrachtung der Situation auf landwirtschaftlichen Betrieben wird darüber hinaus verwiesen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5150 3 Frage 4. Welche Erfahrungen wurden bereits mit dem Projekt gesammelt? Die Bewilligung des Vorhabens erfolgte im Dezember 2016, so dass derzeit noch keine konkreten Erfahrungen vorliegen. Der Aktionsplan beinhaltet die Arbeitspakete Analyse und Klärung von Schnittstellen, technische Entwicklung des neuen Verfahrens, Entwicklung der Leitlinie und Umsetzung in die Praxis. Ziel des Vorhabens ist es, die aktuelle Rechtslage ausführlich zu analysieren. In einem ersten Schritt sind daher entsprechende Abstimmungsgespräche auf allen Ebenen der Veterinärüberwachungsbehörden vorgesehen. Außerdem werden Erfahrungen von Schlachtunternehmen und Landwirten ausgewertet, die sich mit diesem Schlachtverfahren, z.B. im Rahmen von Notschlachtungen oder der Durchführung des Kugelschusses auf der Weide, beschäftigen. Mit einem Schlachthofausstatter ist die Technikausstattung für Probeschlachtungen geplant. Zurzeit finden Abstimmungsgespräche mit den zuständigen Überwachungsbehörden bezüglich einer Zulassung von Probeschlachtungen in zwei hessischen Betrieben statt. Frage 5. Was plant die Landesregierung, um nach erfolgreichem Abschluss des Modellprojekts die Ergebnisse hessenweit umsetzen zu können? Bezüglich der Umsetzung der Ergebnisse sind folgende Schritte geplant: Öffentlichkeitsarbeit Im Rahmen des EIP-Vorhabens sind die Ergebnisse transparent darzustellen und zu veröffentlichen . Dies umfasst auch die Darstellung des Projektes und die notwendigen Anweisungen für die Handelnden bei der Umsetzung. Anpassung der rechtlichen Vorgaben Es sind die notwendigen Schritte einzuleiten, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung dieses Verfahrens in die Allgemeingültigkeit zu überführen und somit die weitere Verbreitung und Nutzung zuzulassen. Entsprechend soll im engen Dialog mit den zuständigen Veterinärbehörden eine Leitlinie zur "mobilen Schlachtung" nach VO (EU) Nr. 1099/2009 erstellt werden. Diese Leitlinie kann dann als Standardarbeitsanweisung im Sinne der vorgenannten Verordnung und der Tierschutzschlachtverordnung verwendet werden. Damit kann ein hessen- bis bundesweiter Konsens über das neue Verfahren erreicht werden. Unterstützung von Unternehmen Die Anpassung der betrieblichen Voraussetzungen in den Schlachtunternehmen können im Rahmen der Förderung gemäß dem Entwicklungsplan für den ländlichen Raum des Landes Hessen 2014-2020 durch die Teilmaßnahme 4.2 "Investitionen zur Verarbeitung und Vermarktung tierischer und pflanzlicher Erzeugnisse (Marktstrukturverbesserung)" unterstützt werden. Die Entwicklung einer zu erarbeiteten Leitlinie des Projektes, um eine mögliche Zertifizierung des Verfahrens zu erreichen und damit die besondere Qualität gegenüber den Verbrauchern verlässlich sichtbar machen zu können. Wiesbaden, 29. September 2017 Priska Hinz