Kleine Anfrage der Abg. Hartmann (SPD) vom 16.08.2017 betreffend Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt an Schulen und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung der Fragestellerin: Im Februar 2017 hat Hessen die Unterstützung der Bundesinitiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" bekannt gegeben. Hiermit soll der Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen verbessert werden. Mit der Unterstützung verbunden war die Aussage des Kultusministers, Schulen fachlich zu unterstützen, um eigene Konzepte gegen sexuelle Übergriffe erstellen zu können. Bei der Vorstellung der SPEAK-Studie im Juni 2017 hat Kultusminister Prof. Dr. Alexander Lorz angekündigt, Schulen als Schutz und Präventionsorte zu stärken. Die Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration und dem Minister des Innern und für Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Gibt es über die Erhebungen im Rahmen der SPEAK-Studie hinaus Erkenntnisse über Vorfälle sexualisierter Gewalt in Hessen in den Jahren 2014, 2015 und 2016? Wenn ja, wie stellt sich die Zahl der Vorfälle aufgeschlüsselt nach Geschlecht der Opfer und Schulformen dar? Träger von nach § 45 SGB VIII erlaubnispflichtigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind nach § 47 SGB VIII verpflichtet, alle Ereignisse und Entwicklungen, die geeignet sind, das Kindeswohl zu beeinträchtigen, an die zuständige Aufsichtsbehörde zu melden. Unter diesen in Hessen an die örtlichen Jugendämter abzugebenden Meldungen finden sich unter anderem auch solche zu Vorfällen sexueller Gewalt (z.B. sexuelle Übergriffe unter Jugendlichen). Die Anzahl solcher Fälle wird nicht erhoben. Es handelt sich ausschließlich um Vorkommnisse im Kontext der Einrichtungen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist die Fälle sexueller Gewalt an hessischen Schulen aus. Eine Unterscheidung der Schulform erfolgt in "Öffentliche Schule" und "Private Schule". Öffentliche Schulen Erfasste Fälle Anzahl Opfer davon weiblich davon männlich 2014 68 64 58 6 2015 60 45 32 13 2016 66 58 44 14 Private Schulen Erfasste Fälle Anzahl Opfer davon weiblich davon männlich 2014 9 8 7 1 2015 1 1 1 0 2016 3 4 3 1 Eingegangen am 10. Oktober 2017 · Bearbeitet am 10. Oktober 2017 · Ausgegeben am 13. Oktober 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5154 11. 10. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5154 Frage 2. Wie sollen die Erkenntnisse der SPEAK-Studie in die Schulen transportiert werden? Alle hessischen Schulen können nach der Veröffentlichung der Ergebnisse über den Internetauftritt des Hessischen Kultusministeriums und der SPEAK!-Studie auf die Erkenntnisse zugreifen. Für 2018 ist eine spezifische Fachtagung zur SPEAK!-Studie geplant. Darüber hinaus werden die Erkenntnisse in die Fortbildung der schulischen Ansprechpersonen für sexuelle Gewalt und zukünftig auch in die Lehreraus- und -fortbildung einfließen (vgl. Antwort zu Frage 4). Frage 3. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bisher ergriffen, um die Qualifizierung des Personals , das mit Kindern und Jugendlichen an Schulen arbeitet, bezüglich einer Sensibilisierung zur Problematik sexueller Übergriffe und nicht-körperlicher sexualisierter Gewalt zu fördern? Das Netzwerk gegen Gewalt, eine interministerielle Gewaltpräventionsinitiative der Hessischen Landesregierung, veranstaltet landesweit sowie regional berufsübergreifende Fachtagungen zu dieser Thematik. Auf regionaler Ebene wirkt das Netzwerk gegen Gewalt in Arbeitskreisen sowie Runden Tischen mit und beteiligt sich an bzw. initiiert eigene Maßnahmen in Kooperation mit Vereinen. Hierzu gehören unter anderem die Ausstellungen "Echt fair!", "Rosenstraße", "Was geht?? zu weit". Sexuelle Gewalt im virtuellen Raum wurde auch im Rahmen von Veranstaltungen zum Thema Cybermobbing berücksichtigt. Um die im Jahr 2014 in Hessen unter der Schirmherrschaft des Hessischen Kultusministers und des Hessischen Sozialministers gestartete bundesweite Initiative zur Prävention sexuellen Missbrauchs "Trau dich!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nachhaltig in Hessen zu verankern, hat der Kreidekreis e. V. als Träger des Schultheaterstudios Frankfurt von der BZgA Nutzungsrechte erworben, die ihn dazu berechtigen, das Theaterstück in Hessen aufzuführen sowie die dazugehörigen Begleitveranstaltungen (Lehrerfortbildungen und Elterninformationsveranstaltungen ) zu organisieren und durchzuführen. Zur Thematik “Gewalt im Namen der Ehre“ führte das Netzwerk gegen Gewalt landesweit und regional berufsübergreifende Fachtagungen durch. Eine interministerielle Arbeitsgruppe (HKM, HMdIS, HMdJ, HMSI) unter Leitung des Netzwerks gegen Gewalt erstellte die Broschüre "Gewalt im Namen der Ehre" - eine Neubearbeitung der Ausgabe von 2009. Zusammen mit dem HKM, mit Unterstützung des Vereins TERRE DES FEMMES, wurde das Faltblatt "Du entscheidest, wen und ob du heiratest" (Zielgruppe Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren) entwickelt . Im Januar 2017 wurde die zweite überarbeitete Handreichung zum Umgang mit sexuellen Übergriffen im schulischen Kontext zusammen mit Informationsmaterial zur Bundesinitiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" allen hessischen Schulen zur Verfügung gestellt. Darauf aufbauend wurde die Thematik auf Schulleiterdienstversammlungen behandelt und über die überarbeiteten Inhalte der Handreichung informiert. Zusätzlich werden durch die Staatlichen Schulämter bei Bedarf gezielte Fortbildungen und Beratungen zur Unterstützung einer schulspezifischen Umsetzung angeboten (vgl. Antwort zu Frage 4). Frage 4. Welche Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter werden seitens des Landes hierfür und seit wann angeboten und ist eine Erhöhung dieses Angebots geplant (bitte jeweils die Dauer der Fortbildung und die Zahl der Plätze angeben)? Neben unterschiedlichen Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter zum Umgang mit sexueller Gewalt, die über den Veranstaltungskatalog der Hessischen Lehrkräfteakademie abrufbar sind, gibt es nach einer Pilotphase in zwei Schulamtsbezirken im Jahr 2016 auch eine spezifische Fortbildungsreihe für die schulischen Ansprechpersonen zum Thema sexuelle Gewalt, die 2017 in fünf und 2018 in acht Schulamtsbezirken durchgeführt wird. Abhängig von regionalen Gegebenheiten richten sich die Fortbildungsmodule an ca. 25 bis 30 Personen . Insgesamt handelt es sich um eine 4-tägige Qualifizierungsmaßnahme. Frage 5. Wurden für die Umsetzung der Bundesinitiative in Hessen zusätzliche Stundenkontingente und Lehrerstellen zur Verfügung gestellt? Die Umsetzung der Bundesinitiative erfolgt vor allem durch die Nutzung bereits vorhandener Unterstützungsstrukturen für die hessischen Schulen, z.B. durch Fortbildungs- und Beratungsangebote der Staatlichen Schulämter (siehe auch Frage 8). Die Schulen können hierzu bei Bedarf eigenständig aus vorhandenen Ressourcen Stundenkontingente für die schulspezifische Arbeit, z.B. zur Erstellung eines Schutzkonzeptes, bereitstellen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5154 3 Frage 6. Welche Maßnahmen gibt es bereits oder sind seitens der Landesregierung geplant, um a) den Betroffenen angemessene Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung eines Missbrauchs zukommen zu lassen? b) "Täterarbeit" zur Verhinderung weiterer Übergriffe zu leisten? c) Die spezielle Problematik von Kindern mit Behinderung und Beeinträchtigung zu berücksichtigen ? Die professionelle Unterstützung von Betroffenen ist ein zentraler Bestandteil bei der individuellen Bewältigung sexueller Gewalt. In Hessen gibt es vielfältige Beratungs- und Hilfsangebote für Missbrauchsopfer. Derzeit können Betroffene sexualisierter Gewalt die Angebote zur Erstabklärung , Diagnostik und Intervention in Krankenhäusern und die Angebote von spezialisierten Beratungsstellen, Opferhilfevereinen sowie Erziehungs-, Familien-, Ehe- und Lebensberatungsstellen nutzen. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration unterstützt seit den 1980er Jahren spezialisierte Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Spezialisierte Beratungsstellen zum Thema sexueller Missbrauch bilden ein niedrigschwelliges, unbürokratisches Hilfsangebot für von sexuellem Missbrauch Betroffene. Kriminalprävention und Opferschutz haben für die hessische Polizei einen sehr hohen Stellenwert . Opferschutz und Opferhilfe sind unverzichtbare Bestandteile der Kriminalprävention. Seitens der hessischen Polizei wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt , die dem Opferschutz dienen. Erfahrungen der Hilfeeinrichtungen belegen, dass Opfer, und hier vor allem Missbrauchsopfer, noch viel zu häufig eine Kontaktaufnahme zu Opferhilfeinstitutionen von sich aus scheuen, auch wenn sie von der Polizei auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Insofern kommt der Polizei im Rahmen der Erstbefassung mit den Opfern eine wichtige Rolle zu. Der polizeiliche Opferschutz besteht dabei aus den drei Säulen "Gefahrenabwehrmaßnahmen ", "professioneller Umgang" sowie "Information über Rechte". In unmittelbarem Zusammenhang mit einer Tat werden alle erforderlichen und zulässigen strafprozessualen Maßnahmen getroffen, wie z.B. Durchsuchungen, körperliche Untersuchungen und Vernehmungen. Ergänzend stehen der Polizei die Instrumentarien aus dem Gefahrenabwehrrecht zur Verhinderung weiterer Übergriffe zur Verfügung, wie z.B. Gefährder- und Gefährdetenansprachen , Meldeauflagen, Platzverweise, Aufenthaltsverbote, Ingewahrsamnahmen sowie Observationen. Schließlich sei auf das Programm zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter (ZÜRS) hingewiesen. Zum Schutz der Bevölkerung vor rückfallgefährdeten Sexualstraftätern werden Maßnahmen der optimierten Betreuung und Überwachung dieser Tätergruppe durchgeführt. Das Ministerium für Soziales und Integration fördert seit September 2015 das Informationszentrum für Männerfragen e.V. Der Verein betreut Männer in der Täter- und Opferrolle. Insbesondere bei therapeutischen Hilfen für die Betreuung von Männern, die sexuellen Übergriffen ausgeliefert waren, bei gruppentherapeutischen Maßnahmen für Männer, die sexuellen Missbrauch begangen haben sowie für Straftäter im Bereich der Kinderpornografie geht es um Prävention von Erst- und Wiederholungstaten im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und damit um Kinderschutz. Der Verein Männerfragen e.V. arbeitet als Partner eng mit der Strafgerichtsbarkeit zusammen. Der Verein begleitet straffällige Klienten im Rahmen seiner Arbeit langfristig mit dem Ziel, dass diese psychisch stabil und straffrei leben können. Des Weiteren setzt sich der Verein im Rahmen seines Angebots mit sexueller Missbrauchserfahrung sowohl bei Opfern als auch bei Tätern auseinander und bietet hier therapeutische Hilfe an. Für Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung sind für die Gestaltung des Unterrichts in den Richtlinien für Unterricht und Erziehung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung vom 24. Januar 2013 ausführlich Kompetenzbereiche und Erfahrungsfelder ausgewiesen, die die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu einem möglichst selbstständigen Leben begleiten und sie zur Teilhabe an der Gesellschaft befähigen sollen. Hier ist explizit als durch die Schule zu vermittelnde Kompetenzen ausgeführt, dass die Schülerin bzw. der Schüler lernt: eigene sexuelle Bedürfnisse wahrzunehmen, die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu achten, juristisch nicht zulässige Formen der Sexualität und sexuelle Übergriffe zu erkennen, Grenzen zu ziehen, sich zu wehren und gegebenenfalls Hilfe zu holen. Derzeit werden Schülerinnen und Schüler aus den Förderschulen im Rahmen der SPEAK!- Studie befragt, um auf dieser Datengrundlage weitere Erkenntnisse zur speziellen Problematik sexueller Gewalt an Kindern mit Behinderung und Beeinträchtigung im schulischen Kontext gewinnen zu können. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5154 Frage 7. Welche Projekte, Organisationen und Netzwerke, die präventiv Angebote gegen sexualisierte Gewalt an Schulen durchführen, werden mit Landes- und Bundesmitteln in welcher Höhe in Hessen gefördert? Schulen beauftragen Fachberatungsstellen wie "Wildwasser", den Kinderschutzbund und pro familia mit der Durchführung von präventiven Angeboten gegen sexualisierte Gewalt in Form von Seminaren für Schülerinnen und Schüler, für das Schulpersonal sowie für Eltern etwa im Rahmen von Themenabenden. Das Hilfsangebot der Beratungsstellen ist vertraulich, kostenlos und auf Wunsch anonym. Im Zielbereich "Schutz vor Gewalt und vor sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen" der kommunalisierten sozialen Hilfen sind im Jahr 2016 1.191.290 € Landesmittel den Gebietskörperschaften zur Verfügung gestellt worden, welche die einschlägigen Fachberatungsstellen mit diesen Mitteln gefördert haben. Darüber hinaus haben die Gebietskörperschaften selbst 2.016.853 € in diesen Zielbereich investiert. Die Umsetzung der unter Frage 3 beschriebenen Übernahme der "Trau Dich!"-Initiative unterstütze der Bund im Rahmen einer Kooperation mit dem Land Hessen durch eine Zuwendung in Höhe von bis zu 23.866 € und das Land Hessen durch die Kostenübernahme pro Aufführungstag in Höhe von bis zu 4.170 €. Das Netzwerk gegen Gewalt beteiligt sich mit 10.000 € an dem Projekt des HKM "Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre." - ein Angebot, das sich an weiterführende Schulen richtet. Dieses Projekt wird seitens des HKM in Kooperation mit TERRE DES FEMMES durchgeführt und zusätzlich mit 24.088,63 € gefördert. Frage 8. Welche Abstimmungen haben im Zuge der Unterstützung der Bundesinitiative mit Fachorganisationen bereits stattgefunden oder sind geplant? Auf Landesebene wird die Umsetzung der Initiative "Trau Dich!" von den Staatlichen Schulämtern , dem Netzwerk gegen Gewalt und dem Projekt des Hessischen Kultusministeriums "Gewaltprävention und Demokratielernen" unterstützt. Darüber hinaus arbeitet die Initiative eng mit den regionalen Netzwerken für Kinderschutz und frühe Hilfen zusammen. Sie kooperiert vor Ort unter anderem mit den Jugendämtern, den Kreis- und Stadtelternbeiräten sowie mit regionalen und auf sexualisierte Gewalt spezialisierten Fachberatungsstellen. Diese vorhandenen Strukturen können auch zur Unterstützung der Bundesinitiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" genutzt werden. Wiesbaden, 25. September 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz