Kleine Anfrage des Abg. Dr. h.c. Hahn (FDP) vom 28.08.2017 betreffend Ausschluss vom Wahlrecht und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, kritisiert, dass mehr als 80.000 Menschen mit Behinderung von der Bundestagswahl ausgeschlossen seien. Verantwortlich macht sie hierfür die Regelung in § 13 Nr. 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG), die denjenigen vom aktiven und passiven Wahlrecht ausschließt , „für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist“. Laut Bentele verstößt § 13 Nr. 2 BWahlG gegen Artikel 29 UN-Behindertenrechtskonvention . Sie hält die Norm für völkerrechts- und verfassungswidrig. Für die Landtagswahl in Hessen existiert in § 3 Nr. 1 Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen (Landtagswahlgesetz – LWG) eine zu § 13 Nr. 2 BWahlG wortgleiche Regelung. Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben § 3 Nr. 1 LWG vergleichbare Regelungen zum Wahlrechtsausschluss vollbetreuter Menschen bereits abgeschafft . Einer Abschaffung wird hingegen entgegnet, dass eine Vollbetreuung nahezu nie veranlasst würde. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Nach dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sollte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mittels einer Studie zur aktiven und passiven Beteiligung an Wahlen die reale Praxis der Wahlrechtsausschlüsse untersuchen und Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Partizipation entwickeln. Nach der im Juni 2016 erschienen Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen liegt die Gesamtzahl der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 BWG bundesweit bei 81.220; für Hessen wurden 7.090 Ausschlüsse ermittelt. Die Zahlen basieren auf einer Erhebung bei den Meldebehörden in allen Bundesländern (Stand 2014/2015). Eine ersatzlose Aufhebung der Regelung des § 13 Nr. 2 BWG wurde in der Studie nicht empfohlen, da sonst auch Personen an der Wahl teilnehmen können, die aufgrund richterlicher Entscheidung als entscheidungsunfähig anzusehen sind. Gegen § 13 Nr. 2 BWG und die fast wortgleiche Vorschrift des § 3 Nr. 1 LWG bestehen auch keine völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Bundesgesetzgeber hatte bereits bei der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Wahlrechtsausschlüsse im Blick gehabt und ausdrücklich an diesen Ausnahmefällen festgehalten, weil das Wahlrecht als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbstständig handlungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht nach Auffassung des Bundesgesetzgebers auch im Einklang mit den Vorgaben des Art. 29 Buchst. a der UN-Behindertenrechtskonvention, da diese Bestimmung nur die in Art. 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für das in Art. 25 Buchst. b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, sei allgemein anerkannt, dass ein Ausschluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv und angemessen sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BT-Drs. 16/10808). Die Vorschrift des § 13 Nr. 2 BWG wird auch als verfassungsgemäß angesehen. Der in Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes für Wahlen vorgesehene Grundsatz der All- Eingegangen am 26. Oktober 2017 · Bearbeitet am 2. November 2017 · Ausgegeben am 3. November 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5204 26. 10. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5204 gemeinheit der Wahl schließt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Differenzierung grundsätzlich nicht aus. Begrenzungen sind zulässig, sofern für sie ein sachlich legitimierter Grund besteht. Liegt ein solcher Grund vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differenzierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen darf. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl steht in einem Spannungsverhältnis zu der sogenannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht (BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2012, Az.: 2 BvC 2/11, BVerfGE 132, 39). Dementsprechend geht auch die Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen davon aus, dass der Wahlrechtsausschluss des § 13 Nr. 2 BWG verfassungsgemäß ist. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung des § 3 Nr. 1 LWG ist zusätzlich zu berücksichtigen , dass Art. 74 Nr. 1 der Verfassung des Landes Hessen ausdrücklich vorsieht, dass vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft steht. Mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Wahlrechtsausschlüsse wird sich voraussichtlich auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen, da derzeit noch ein Wahlprüfungsverfahren anhängig ist (Az. BvC 62/14), mit welchem sich mehrere Einspruchsführer gegen die bundesgesetzlichen Wahlrechtsausschlüsse, insbesondere den Ausschluss des Wahlrechts bei einer Betreuung in allen Angelegenheiten, gewandt haben. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz wie folgt: Frage 1. Für wie viele in Hessen lebende Menschen wurde ein Betreuer für die Besorgung all seiner Angelegenheiten nicht durch einstweilige Anordnung bestellt? Im Jahr 2016 weist die bundeseinheitliche Betreuungsstatistik für Hessen 6.015 und im 1. Halbjahr 2017 5.955 Fälle einer durch die hessischen Betreuungsgerichte ausdrücklich angeordneten und fortdauernden Betreuung in allen Angelegenheiten aus. Ob es darüber hinaus Fälle gibt, in denen in der Tenorierung der Betreuerbestellung einzelne Aufgabenkreise benannt werden, die so weit reichen, dass es sich in der Sache um alle Angelegenheiten handelt, wird statistisch nicht erfasst. Da sich die Statistik zudem aufgrund einer vollständigen Neuprogrammierung zum 1. Januar 2016 noch in der Plausibilisierungsphase befindet, sind die Daten zudem nur bedingt valide. Auf eine Abfrage der Wahlrechtsausschlüsse bei allen hessischen Meldeämtern wurde unter Berücksichtigung des hohen Verwaltungsaufwands verzichtet. Frage 2. Für wie viele in Hessen lebende Menschen wurde ein Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis lediglich die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst (§ 3 Nr. 1 HS 2 LWG)? Betreuungen, bei denen einem Betreuer nur die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht übertragen wurden, werden statistisch nicht separat erfasst. Wiesbaden, 13. Oktober 2017 Peter Beuth