Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer (SPD) vom 19.09.2017 betreffend Patientenakten und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Patientenakten, die zu den wichtigsten Bestandteilen einer Praxis gehören, haben mehrere Funktionen : Therapiesicherung, Rechenschaftslegung gegenüber dem Kostenträger, Beweissicherung z.B. bei Rechtsstreitigkeiten, Qualitätssicherung und Erinnerungshilfe. Grundlage für die Vertrauensbeziehung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist das Patientengeheimnis. Das Nutzungsrecht an medizinischen Daten wird daher außer von der ärztlichen Schweigepflicht auch dadurch eingeschränkt, dass dafür entweder eine Einwilligung der Patientin bzw. des Patienten vorliegen muss oder eine gesetzliche Regelung ein Einsichtsrecht zum Schutz eines höheren Rechtsgutes ermöglicht. Soweit gesetzliche Vorschriften die Schweigepflicht einschränken , soll die Ärztin bzw. der Arzt die Patientin oder den Patienten darüber unterrichten. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie sind die derzeitigen Regelungen für den Umgang mit Patientenakten, wenn eine Praxis übergeben wird? Bei der Übergabe einer ärztlichen Praxis an eine Praxisnachfolge ist das Patientengeheimnis im Hinblick auf die Patientenakten zu beachten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dazu entschieden (Urteil BGH, 11.10.1995 - VIII ZR 25/94), dass auch bei einer Praxisveräußerung die eindeutige und unmissverständliche Einwilligung der Patientinnen und Patienten in die Weitergabe der sie betreffenden Akten erforderlich ist. Ohne diese werden nach Feststellung des BGH das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patientin oder des Patienten sowie die ärztliche Schweigepflicht verletzt. Eine Arzt-Patienten- Vertrauensbeziehung lässt sich nicht ohne weiteres auf die Praxisnachfolge übertragen. Aus Praktikabilitätsgründen wurde daher für die Praxisübergabe bei manuell geführten Patientenkarteien das "Zwei-Schrank-Modell" entwickelt. Dabei wird in einem Übernahmevertrag geregelt , dass die Patientenakten verwahrt werden und nur im Behandlungsfall mit entsprechendem Einverständnis der Patientin/des Patienten auf einzelne Akten Zugriff genommen wird. Dann darf die Patientenakte fortgeführt werden. Das Einverständnis ist in der Akte zu dokumentieren . Bei elektronisch geführten Patientendaten ist der alte Bestand zu sperren und der Zugriff hierauf z.B. mittels Passwort zu sichern. Für einen erstmaligen Zugriff auf einen Patientendatensatz ist die Zustimmung der Patientin bzw. des Patienten erforderlich. Die Ärztin bzw. der Arzt verpflichtet sich i.d.R. mit der Übernahme, für die "gehörige Obhut" über die Unterlagen Sorge zu tragen. Frage 2. Wie sind die derzeitigen Regelungen für den Umgang mit Patientenakten, wenn eine Patientin/ein Patient die Ärztin/den Arzt wechselt? Bei einem Arztwechsel ist der Patientin/dem Patienten freigestellt, was über den bisherigen Krankheitsverlauf und Behandlungsvorgang bekannt gegeben werden soll. Es besteht die Mög- Eingegangen am 1. November 2017 · Bearbeitet am 2. November 2017 · Ausgegeben am 3. November 2017 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5286 01. 11. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5286 lichkeit, Kopien der Patientenakte zu übergeben oder die Erlaubnis zur Ausleihe der Patientenakte zu erteilen. Die Übergabe einer kompletten Originalakte ist nur möglich, wenn die Behandlung bereits seit zehn Jahren abgeschlossen ist (Beweissicherung z.B. bei Rechtsstreitigkeiten). Frage 3. Wie sind die derzeitigen Regelungen für den Umgang mit Patientenakten, wenn eine Ärztin/ein Arzt aufhört und keine Nachfolge findet? a) Gibt es für diese Fälle Regelungen für den Zugriff auf die Akten? b) Wie können ärztliche Erkenntnisse, Anamnesen oder Therapien zugänglich gemacht werden, um der Patientin/dem Patienten einen Anschluss an bisherige Behandlungen zu garantieren? c) Gibt es Möglichkeiten des Zugriffs für die zuständigen Gesundheitsämter? Auch für den Fall, dass keine Nachfolge gefunden werden kann, muss die Ärztin bzw. der Arzt dafür Sorge tragen, dass die Akten für die Patienten zugänglich bleiben, beispielsweise durch die Abgabe der manuellen Patientenkarteien in „gehörige Obhut“ bei einer Kollegin/einem Kollegen . Die Aufzeichnungen sind dabei unter Verschluss zu halten und dürfen nur mit Einwilligung der Patientin/des Patienten eingesehen oder weitergeben werden. Im Falle des Todes regelt die Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Hessen, dass bis zur Dauer von sechs Monaten nach Ende des Kalendervierteljahres, in dem der Tod eingetreten ist, die Praxis durch eine andere Ärztin/einen anderen Arzt fortgesetzt wird, um die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen ergreifen zu können. Frage 4. Inwiefern wird die elektronische Gesundheitskarte Vorteile beim Umgang mit Patientenakten bringen? Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) nach § 291a Abs. 3 SGBV muss unter anderem dafür geeignet sein, folgende Anwendungen zu unterstützen: insbesondere das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Notfalldaten, Befunden, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichten sowie Impfungen. Mit Blick auf die Patientenakte fungiert die eGK als Speicher und Transportmedium für Gesundheitsdaten. Diese vereinfacht Verwaltungsabläufe und macht medizinische Informationen sektorenübergreifend verfügbar (z.B. bei Arztwechsel). Durch die Speicherung sämtlicher Daten auf der Karte können Daten schneller abgerufen und beurteilt werden. Dies verbessert die Behandlungsqualität durch eine transparente Patientenhistorie. Maßnahmen zur Behandlung des Patienten können schneller getroffen werden und Doppeluntersuchungen und/oder Wechselwirkungen von Medikamenten können vermieden werden. Der jeweilige Behandler kann mit Zustimmung des Versicherten die für ihn wichtigen Daten in seine interne Patientenakte übertragen und umgekehrt. Gemäß § 291 a Abs. 5c SGB V ist die Gesellschaft für Telematik damit beauftragt, bis zum 31. Dezember 2018 die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die systematische Speicherung und Bereitstellung von Daten in der elektronischen Patientenakte (ePA) ermöglicht wird. Der Zugriff auf die ePA mittels eGK darf nur in Verbindung mit einem elektronischen Heilberufsausweis erfolgen (Zwei-Schlüssel-Prinzip) und wird protokolliert. Mit Ausnahme der Notfallversorgung kann der Versicherte im Sinne der Patientenautonomie selbst bestimmen, wer Zugriff auf seine Daten hat. Allerdings werden die meisten Daten nicht automatisch in der eGK abgelegt, sondern der Versicherte muss den jeweiligen Behandler auch auffordern, die Daten, auf die der Versicherte einen gesetzlichen Anspruch hat, einzupflegen. Wiesbaden, 23. Oktober 2017 Stefan Grüttner