Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 18.06.2014 betreffend Umgang der Landesregierung mit Straftaten mit radikalislamistischem Hintergrund II und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Anfang Mai 2014 kam es im Frankfurter Stadtteil Gallus zu einem Übergriff auf Mitarbeiter des dortigen Jugendhauses in Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Idsteiner Straße 73, 60326 Frankfurt am Main. Nach den vorliegenden Erkenntnissen, insbesondere aus Medienberichten, wurde vor gut sechs Wochen mindestens eine Mitarbeiterin des Jugendhauses von mehreren Personen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sowohl beleidigt als auch bedrängt. Trotz mehrfacher Aufforderung verließen die fraglichen Personen das Gebäude zunächst nicht, sodass die Polizei zu Hilfe gerufen wurde. Den Tätern, die in der Einrichtung persönlich bekannt waren und die der radikalislamistischen bzw. salafistischen Szene zuzuordnen sind, war bisherigen Informationen nach der Kleidungsstil der Mitarbeiterin nicht "keusch" genug. Bei dem durch den Übergriff ausgelösten Einsatz der Frankfurter Polizei wurden unter anderem die Personalien der Tatverdächtigen festgestellt. Zudem gab es bereits in der Vergangenheit wiederholt Auseinandersetzungen über die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten. Nach Auskunft des Hessischen Innenministers Peter Beuth in der Sitzung des Innenausschuss des Hessischen Landtages am 29. Mai 2014 im Rahmen der Berichterstattung zu dem diesbezüglichen dringlichen Berichtsantrag der FDP-Fraktion wurden gegen die Täter keine strafrechtlichen Ermittlungen eingeleitet. Zur Begründung führte der Innenminister an, dass die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine Strafanzeigen gestellt hätten. Im Übrigen sei auch kein strafrechtlich relevantes Verhalten festzustellen gewesen, welches die Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungen von Amts wegen veranlasst hätte. Die Arbeiterwohlfahrt schloss das Jugendhaus in Folge des Übergriffes und aus Angst vor weiteren Übergriffen vorübergehend. Die Wiedereröffnung erfolgte am 13. Juni 2014. Allerdings sind als Konsequenz aus den Vorkommnissen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen bereits beauftragt, wie eine Kamera am Hauptzugang, Einlass nur nach Klingeln sowie der Einbau einer Sicherheitsschleuse. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Der Salafismus ist gegenwärtig die bundesweit dynamischste und am schnellsten wachsende islamistische Bewegung. Die Hessische Landesregierung nimmt die Gefährdung durch den islamistischen Extremismus und Terrorismus und die Folgen des deutlichen Anwachsens der salafistischen Szene sehr ernst. Aktuell wird in Hessen von etwa 1.200 Anhängern ausgegangen. Die Probleme, die dieses Phänomen mit sich bringt, lassen sich trotz aller Anstrengungen, etwa im Hinblick auf Ausreiseverhinderung, Verbote von salafistischen Organisationen und Vereinen , Strafverfahren nach § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ), nicht alleine durch das Handeln der Sicherheitsbehörden lösen. Aus diesem Grund geht Hessen im Präventionsbereich neue Wege und hat ein Hessisches Präventionsnetzwerk gegen Salafismus eingerichtet. Bis zum Ende des Jahres werden hierfür über 200.000 Euro bereitgestellt . Im Mittelpunkt des Präventionsnetzwerks stehen eine zentrale Beratungsstelle und ein Fachbeirat . Der zentralen Beratungsstelle wird der Verein Violence Prevention Network (VPN) angebunden . Zu den Aufgaben gehören sowohl Präventions- als auch Interventionsmaßnahmen So werden im Bereich der Prävention interreligiöse bzw. interkulturelle Workshops (z.B. an Schulen) sowie Maßnahmen zur Stärkung von Toleranz und Demokratiefähigkeit angeboten. Darüber hinaus bietet die Beratungsstelle präventive Maßnahmen mit direktem Bezug zum Thema Salafismus an. In Informationsveranstaltungen mit Multiplikatoren (z.B. Lehrer, JVABedienstete , Moscheegemeinden) werden wesentliche Kenntnisse vermittelt und eine Sensibili- Eingegangen am 1. Oktober 2014 · Ausgegeben am 7. Oktober 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/529 01. 10. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/529 sierung für die Thematik zur Früherkennung von Radikalisierungstendenzen ermöglicht. Durch Fortbildungsveranstaltungen soll zudem eine Stärkung der Handlungskompetenz erreicht werden . Im Übrigen fallen in den Bereich der Prävention Trainings für gefährdete Jugendliche, die dazu dienen sollen salafistischen und islamistischen Gefahren vorzubeugen. Im Bereich der Intervention hat das Präventionsnetzwerk u.a. das Ziel, das Umfeld der radikalisierten Person zu unterstützen und zu beraten. Diese Beratung wird in Hessen bereits seit etwa einem Jahr durch die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und den VPN erfolgreich umgesetzt. Darüber hinaus treten die Experten von VPN, sofern die Hinwendung zu extremistischem Gedankengut frühzeitig erkannt wird, aktiv in einen direkten Dialog mit dem Radikalisierten ein, um eine Distanzierung von extremistischem Gedankengut anzustoßen und zu verstetigen. Des Weiteren wurde mit der Einrichtung des hessischen Präventionsnetzwerks auch ein Ausstiegsprogramm für Radikalisierte geschaffen. Dieses Ausstiegsangebot richtet sich primär an Radikalisierte, die der salafistischen Szene den Rücken kehren wollen. Sie werden in diesem Prozess intensiv begleitet und unterstützt. Aber auch inhaftierte Salafisten in Justizvollzugsanstalten werden angesprochen, um sie zum Umdenken und zum Ausstieg zu motivieren. Im Übrigen können sich ab sofort Eltern, Angehörige sowie Institutionen mit ihren Anfragen an den Leiter der zentralen Beratungsstelle wenden. Die telefonische Erreichbarkeit ist bereits jetzt über eine Hotline beim BAMF sichergestellt. Künftig wird diese durch eine weitere regionale Hotline ergänzt. Abschließend ist explizit hervorzuheben, dass selbstverständlich polizeiliche Maßnahmen zur Aufhellung des Gesamtsachverhalts und zur Feststellung strafrechtlich relevanten Handelns unmittelbar erfolgt sind. Im Gesamtzusammenhang wurde schlussendlich der entstandene Vorgang durch die Polizei Frankfurt nach der Aufnahme des Sachverhaltes und mehrmaliger erfolgloser Ansprache der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendhauses der zuständigen Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main am 16. Juni 2014 zur rechtlichen Würdigung vorgelegt. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium der Justiz wie folgt: Frage 1. Wie steht die Landesregierung zu der Auffassung des Unterzeichners, dass es der freiheitliche Rechtsstaat nicht hinnehmen darf, wenn Einzelpersonen oder auch Organisationen wie geschehen solchen Druck auf Andersdenkende aufbauen, dass diese sich genötigt sehen, zum eigenen und zum Schutz anderer wichtige Einrichtungen zur Förderung des friedlichen Zusammenlebens und der Entwicklungschancen junger Menschen ganz oder auch nur vorübergehend zu schließen? Die Hessische Landesregierung nimmt die Bedrohung durch radikalislamische bzw. salafistische Personen bzw. Gruppen sehr ernst. Der Übergriff in dem Jugendhaus der AWO im Stadtteil Gallus in Frankfurt zeigt deutlich, mit welchen Mitteln salafistische Extremisten ihre Weltordnung verbreiten wollen. Dies steht in krassem Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und wird aus diesem Grund von der Landesregierung in aller Deutlichkeit verurteilt . Frage 2. Wie beurteilt die Landesregierung, dass ein ehemals offenes Jugendhaus in Frankfurt am Main in Reaktion auf die geschilderten Übergriffe nunmehr nicht mehr nach dem bisherigen, auf Offenheit beruhenden Konzept betrieben werden kann, sondern dass Sicherheitsmaßnahmen wie verschlossene Türen mit Einlasskontrollen, Videoüberwachung und ggf. sogar die Installation einer Sicherheitsschleuse für erforderlich gehalten werden? Frage 3. Wie steht die Landesregierung zu der Frage, ob es für den freiheitlichen Rechtsstaat hinnehmbar ist, wenn offene Jugendhäuser damit letztlich ähnlichen Sicherheitsstandards unterworfen werden wie sicherheitsrelevante öffentliche Einrichtungen, etwa Flughäfen, Gerichte oder sonstige exponierte öffentliche Gebäude, etwa der Hessische Landtag oder die Hessische Staatskanzlei? Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam wie folgt beantwortet : Die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen stehen im Ermessen des Trägers der jeweiligen Einrichtung . Die Hessische Landesregierung geht allerdings davon aus, dass die Träger derartiger Einrichtungen solche Entscheidungen nach sorgfältiger Abwägung treffen. Jugendhäuser sollten dabei grundsätzlich ihre Offenheit nicht verlieren. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/529 3 Frage 4: Wie steht die Landesregierung zu der Auffassung, dass es ein falsches Zeichen des Rechtsstaates ist, wenn er neben allen begrüßenswerten, sinnvollen und notwendigen Aktivitäten im sozialen und präventiven Bereich bei solchen Fällen ein deutliches Zeichen durch die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen und die Durchsetzung entsprechender Maßnahmen unterlässt? Die Frage, ob ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss, ist gesetzlich in § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung geregelt. Danach ist die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, soweit sich ein entsprechender Anfangsverdacht ergibt. Die für den in Frage stehenden Vorgang zuständige Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat einen solchen Anfangsverdacht bejaht und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Bedrohungslage für die freiheitliche demokratische Grund- ordnung in Hessen vor dem Hintergrund, dass radikale Islamisten wie in Frankfurt geschehen zunehmend zur Durchsetzung ihrer Wertvorstellungen versuchen, auf öffentliche Einrichtungen, gleich ob in öffentlicher oder privater Hand, Druck auszuüben? Frage 6. Welche Rolle spielt es für die Beurteilung, wenn dabei wie in Frankfurt auch noch Erfolge erzielt werden, die Strafverfolgungsbehörden nicht tätig werden und Betroffene möglicherweise aus Angst vor Repressalien keinen Strafantrag gegen die Täter stellen? Die Fragen 5 und 6 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam wie folgt beantwortet : Das elementare Problem des Salafismus als Ausprägung eines radikalen Islamismus ist, dass grundsätzlich jedes von Menschen geschaffene Gesetz im Angesicht der universellen Gültigkeit der Scharia, dem göttlichen Recht, strikt abgelehnt wird. Dies betrifft vorrangig auch unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, an die sich die Salafisten nicht gebunden fühlen. Gleichermaßen arbeiten sie auf die Errichtung eines Gottesstaates hin und sind dementsprechend nicht gewillt, eine andere Herrschaftsform zu akzeptieren. Staat und Zivilgesellschaft müssen sich daher gegen jede Form der Besetzung und Inanspruchnahme öffentlicher Räume durch Extremisten wehren. Die Landesregierung sieht deshalb die Schließung von Einrichtungen auf Druck von radikalen Islamisten bzw. Salafisten als äußerst problematisch an, auch weil dies von radikalen Kräften als Erfolgserlebnis wahrgenommen werden könnte. Hinsichtlich der Unterstellung des Fragestellers, die Strafverfolgungsbehörden seien nicht tätig geworden, wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Derzeit laufen die Ermittlungen, so dass weitere Einzelheiten hierzu nicht mitgeteilt werden können. Der Vollständigkeit halber ist im Übrigen anzumerken, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendhauses Gallus anlässlich der Wiedereröffnung eine Erklärung veröffentlicht haben, aus der sich ergibt, dass man keine Anzeige erstattet habe, da es zu keinem Zeitpunkt zu körperlichen Angriffen gekommen sei. Wiesbaden, 19. September 2014 Peter Beuth