Kleine Anfrage des Abg. Lenders (FDP) vom 23.10.2017 betreffend Kapazitäten und Verspätungen ÖPNV und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung des Fragestellers: In der Antwort auf meine Kleine Anfrage zu den Staus auf hessischen Straßen (Drucks.19/5003) hat die Landesregierung erklärt, dass Stauzeiten auf den hochbelasteten Autobahnabschnitten unter anderem dadurch vermieden werden könnten, wenn mehr Autofahrer auf Bus und Bahn umsteigen, zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Tatsächlich klagen schon heute viele ÖPNV-Kunden über überfüllte Busse und Züge, Verspätungen , fehlende Sitzplatzmöglichkeiten (insbesondere für ältere Menschen) und mangelnde Sauberkeit der Haltestellen und Fahrzeuge. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Für das Land Hessen wurde auf der Grundlage des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr vom 1. Dezember 2005, in der Fassung vom 29. November 2012 geregelt, dass die Aufgabenträgerschaft für den öffentlichen Personennahverkehr nicht beim Land Hessen, sondern bei den Landkreisen, kreisfreien Städten und den Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern in gemeinsamer Verantwortung mit den Verkehrsverbünden liegt (§ 5 Abs.1 in Verbindung mit § 7 Abs.2 ÖPNVG). Sie nehmen die Aufgabe des öffentlichen Personennahverkehrs als Selbstverwaltungsaufgabe wahr. Die Landesregierung bestellt keine Verkehre. Die Antwort beruht daher auf Daten, die der Landesregierung durch die Verkehrsverbünde zur Verfügung gestellt wurden. Die Landesregierung unterstützt die Aufgabenträger durch langfristige Finanzierungsvereinbarungen , Förderung im investiven Bereich sowie der Initiierung bzw. Begleitung von Infrastrukturprojekten . Mit der Finanzierungsvereinbarung 2017 bis 2021 erhalten die Verkehrsverbünde in Hessen über 20% mehr Mittel als in der vorangegangenen Finanzierungsperiode. Dies dient auch dazu, die Kapazitäten auszuweiten. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie hat sich die Auslastung von Bussen und Bahnen entlang der hochbelasteten Pendlerstrecken zu den typischen An- und Abreisezeiten (6 Uhr bis 9 Uhr und 15.30 Uhr bis 19 Uhr) in den letzten vier Jahren entwickelt? Verbundweite Erhebungen werden aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten in mehrjährigem Rhythmus durchgeführt. Entsprechend liegen keine linienbezogenen Jahreswerte vor. In den vergangenen vier Jahren ist die Fahrgastnachfrage um etwa fünf Prozent gestiegen. In der Hauptverkehrszeit auf den typischen Pendlerstrecken wird auf Grundlage stichprobenartiger Querschnittsmessungen, bei denen die Fahrgastnachfrage im Abschnitt der höchsten Auslastung erhoben wird, von einer Nachfragesteigerung von bis zu zehn Prozent ausgegangen. Frage 2. Welche Verbindungen (Linien) im hessischen ÖPNV-Netz gehören zu den am stärksten frequentierten (Top 20)? Die am stärksten nachgefragten regionalen Linien in Hessen sind: S1 (Wiesbaden->Frankfurt->Hanau->Rödermark - Ober Roden), S8 (Wiesbaden->Mainz->Frankfurt->Hanau), S2 (Niedernhausen-> Frankfurt->Dietzenbach), Eingegangen am 9. Januar 2018 · Bearbeitet am 11. Januar 2018 · Ausgegeben am 16. Januar 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5341 09. 01. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5341 S3 (Bad Soden->Frankfurt->Darmstadt), S5 (Friedrichsdorf->Frankfurt), S9 (Wiesbaden->Frankfurt->Hanau), S6 (Frankfurt->Friedberg), S4 (Kronberg->Frankfurt->Langen), R30 (Frankfurt->Gießen->Kassel), R50 (Frankfurt->Fulda), R60 (Frankfurt->Darmstadt->Heidelberg/Mannheim), R75 (Mainz/Wiesbaden->Darmstadt->Aschaffenburg), R99 (Frankfurt->Siegen), R55 (Frankfurt->Hanau->Bayern), R2/R3 (Frankfurt->Mainz), R20 (Frankfurt->Limburg), S7 (Frankfurt->Riedstadt-Goddelau), R10 (Frankfurt->Wiesbaden->Rheingau/Koblenz). Frage 3. Wie hat sich der Umfang von Verspätungen (in Minuten) und Ausfällen von Bussen und Bahnen in den letzten vier Jahren (insbesondere entlang der hochbelasteten Pendlerstrecken) entwickelt? Entsprechend der Zuordnung in Teilnetzen sind typische Pendlerlinien oftmals auch Linien mit niedrigeren Nachfragespitzen zugeordnet, so dass im Ergebnis keine linienscharfen Aussagen getroffen werden können. Die Pünktlichkeitswerte im RMV, in dessen Zuständigkeitsbereich die hochbelasteten Pendlerstrecken in Hessen liegen, stellen sich für die vergangenen Jahre wie folgt dar: Regionaler Schienenverkehr inklusive S-Bahn 2014 2015 2016 2017 (bis Oktober) Pünktlichkeit* 94,5% 91,3% 91,6% 91,1% Zuverlässigkeit** 99,1% 98,7% 99,1% 98,9% * als pünktlich gelten im Schienenverkehr Fahrten mit einer maximalen Verspätung von 5:59 Minuten ** die Zuverlässigkeit im Schienenverkehr bezeichnet den Anteil der stattgefundenen Fahrten Regionaler Busverkehr 2014 2015 2016 2017 (bis Oktober) Pünktlichkeit 92,2% 91,5% 90,8% 89,0% Zuverlässigkeit** 99,8 % 99,8 % 99,7 % 99,8 % * als pünktlich gelten im Busverkehr Fahrten mit einer maximalen Verspätung von 2:59 Minuten ** die Zuverlässigkeit im Busverkehr ist als Verhältnis der gefahrenen zu den bestellten Fahrplankilometern angegeben Frage 4. Gibt es nach Ansicht der Landesregierung Verbindungen im hessischen ÖPNV-Netz, die zumindest zeitweise bereits ihre Kapazitätsgrenze erreichen bzw. bereits als überlastet einzustufen sind und welche sind das? Bei dem hessischen ÖPNV-Netz handelt es sich, soweit hierunter die Schieneninfrastruktur verstanden wird, im Wesentlichen um bundeseigene Infrastruktur, die zu großen Teilen als Mischverkehrsstrecken (Fern-, Güter- und Nahverkehr) genutzt werden. Die Engpässe im Netz wurden vom Bund im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP 2030) ermittelt. Derzeit laufen noch die Bewertungen der sogenannten potenziellen Vorhaben des BVWP, zu denen auch der Knoten Frankfurt gehört. Zu diesen im BVWP 2030 bestätigten Engpässen gehören Zugstrecken , deren Auslastung in der Hauptverkehrszeit bereits heute bei 100 Prozent und mehr liegen. Hierzu gehören die Main-Weser-Bahn (Frankfurt-Friedberg), die Kinzigtalbahn (Frankfurt ->Fulda) und die Riedbahn (Frankfurt-Mannheim). Auch Schienenknoten und Bahnhöfe, u.a. der Frankfurter Hauptbahnhof und die dort beginnenden Streckenabschnitte Richtung Südbahnhof und Niederrad sind überlastet. Für die Auflösung dieser Engpässe wurden im BVWP 2030 Vorhaben in den sogenannten Vordringlichen Bedarf eingeordnet, wie die Aus- und Neubaustrecke Hanau-Würzburg/Fulda und die Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim (einschließlich Wallauer Spange), deren Realisierung Kapazitäten auf den Bestandsstrecken für den Nahverkehr freimachen werden. Darüber hinaus Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5341 3 werden Bestandsstrecken ausgebaut und eigene Gleise für den Nahverkehr hergestellt, wie die Nordmainische S-Bahn (von Frankfurt über Maintal nach Hanau). Ebenso werden zwei separate S-Bahn-Gleise auf der Strecke Frankfurt West - Bad Vilbel - Friedberg im Zuge der S-Bahnlinie S6 errichtet. Hinzu kommen weitere Vorhaben, wie die S-Bahnplus Maßnahmen mit denen die Pünktlichkeit im Schienenknoten Frankfurt verbessert wird, die Regionaltangente West, die Elektrifizierung der Taunusbahn zur Verlängerung der S-Bahnlinie S5 ins Usinger Land und die Verlängerung der U-Bahnlinie U2 zum Bad Homburger Bahnhof, welche zusätzliche Direktverbindungen bietet und die S-Bahnlinie S5 sowie den Frankfurter Hauptbahnhof entlastet. Die genannten Infrastrukturmaßnahmen dienen dazu, Engpässe aufzulösen, Kapazitäten zu erhöhen und zusätzliche Fahrtmöglichkeiten anzubieten. Der geplante Ausbau der Schieneninfrastruktur in Hessen umfasst Investitionen in einer Gesamthöhe von rund 12 Mrd. €. Weitere Informationen dazu finden sich u.a. auf www.frmplus.de. Frage 5. Teilt die Landesregierung die Einschätzung vieler Pendler, dass schon heute Busse und Bahnen oft überfüllt sind? Der Auslastungsgrad ist abhängig von den Platzkapazitäten der jeweiligen Züge und den Zuglängen , die oft infrastrukturell (beispielsweise durch die Längen der Bahnsteige) begrenzt sind. Der Auslastungsgrad liegt im stärker ausgelasteten RMV-Schienenverkehr über alle Züge bei knapp 120 Personenkilometer pro angebotenen Zugkilometer und damit rund 50 % über dem Bundesschnitt. Die Kapazitätsauslastung liegt trotz weiter steigendem Fahrgastaufkommen relativ konstant auf sehr hohem Niveau. Dafür werden regelmäßig Kapazitätsausweitungen - im Rahmen der betrieblichen und infrastrukturellen Randbedingungen - vorgenommen. Die Verkehrsverbünde berücksichtigen dies insbesondere bei den Ausschreibungen für die Verkehrsleistungen. Dadurch kann auch in der Hauptverkehrszeit sichergestellt werden, dass in der Regel alle Fahrgäste einen Sitz- oder Stehplatz finden. Im Sinne einer komfortablen Mitfahrt und der Wettbewerbsfähigkeit werden Sitzplätze bevorzugt. Dabei ist jedoch auch die Wirtschaftlichkeit zu betrachten . Insbesondere für kurze Strecken ist deshalb auch zukünftig die Nutzung von Stehplätzen unvermeidlich. Frage 6. Auf welchen Streckenabschnitten (Top 5) haben RMV-Kunden besonders häufig Fahrkostenerstattungen aufgrund von Verspätungen geltend gemacht und wie hoch sind diese Kosten bisher insgesamt? Bereits seit Dezember 2009 gelten die gesetzlichen Fahrgastrechte entsprechend der Europäischen Verordnung (EG) 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr : Diese haben im Bereich des RMV ab einer Verspätung von 60 Minuten zu den im Folgenden dargestellten Auszahlungen geführt. Jahr Anträge (Stück) Auszahlungsbetrag (EUR) 2013 2.554 16.078 2014 4.095 34.596 2015 7.160 58.232 2016 3.416 31.252 2017 (1. Halbjahr) 2.178 20.972 Zusätzlich bietet der RMV seit Juni 2017 die RMV-10-Minuten-Garantie, bei der Fahrgäste ab einer Verspätung von zehn Minuten anteilig Fahrtkosten bei einer Verspätung erstattet bekommen . Anträge RMV-10-Minuten-Garantie (Zur Auszahlung bereitgestellte Anträge Zeitraum 29.05.2017 bis 02.11.2017) Linie Anzahl Anträge RE50 23.421 S2 16.020 S8 13.150 S1 13.029 RB51 8.593 Die zur Auszahlung bereitgestellte Summe beträgt 390.788 €. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5341 Frage 7. Mit welchen konkreten Maßnahmen (z.B. zusätzliche Linien, zusätzliche Fahrten, Verlängerung von Linien, Erhöhung der Beförderungskapazität der eingesetzten Fahrzeuge) will die Landesregierung die Beförderungskapazitäten im ÖPNV erhöhen, und Verspätungen zu reduzieren? Die Verkehrsverbünde als zuständige Aufgabenträger nehmen sowohl im Sinne der Ausweitung der Platzkapazitäten als Reaktion auf bereits erreichte Fahrgaststeigerungen als auch um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern, laufend Fahrplanverbesserungen oder Kapazitätsausweitungen vor. So auch zum Fahrplanwechsel im Dezember 2017. Beispielsweise werden hier das Fahrtenangebot und durch neue Fahrzeuge das Platzangebot auf den Linien Frankfurt - Darmstadt - Heidelberg/Mannheim und Frankfurt - Groß-Gerau - Mannheim und der Odenwaldbahn ausgeweitet . Mittel- und langfristige Maßnahmen und Handlungsfelder unter anderem zur Kapazitätssteigerung und zur Qualität des Angebotes werden durch die Verkehrsverbünde im Rahmen ihrer verbundweiten Nahverkehrspläne behandelt. Die Überlastung von Strecken wie der Kinzigtalbahn beeinträchtigt darüber die Pünktlichkeit. Zu den infrastrukturellen Maßnahmen, die der Erhöhung der Beförderungskapazitäten und der Verbesserung der Pünktlichkeit dienen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Frage 8. In welchem Umfang kann das Zufußgehen hessischer Bürgerinnen und Bürger nach Ansicht der Landesregierung dazu beitragen, Staus auf den stark belasteten Autobahnen (siehe Drucks. 19/5003) zu reduzieren? Der Fußverkehr ist in diesem Zusammenhang als essenzieller Teil der Verknüpfung von Verkehrsarten und Verkehrsmitteln zu sehen. Wege, die mit Bus und Bahn oder in Fahrgemeinschaften zurückgelegt werden, entlasten die stark belasteten Autobahnen. Dabei wird die erste und letzte Etappe fast immer zu Fuß zurückgelegt. Die Bedingungen für den Fußverkehr tragen damit maßgeblich zur Entscheidung für das Hauptverkehrsmittel bei. Deshalb unterstützt die Landesregierung die Kommunen durch Fördermittel und den Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Nahmobilität dabei, die Bedingungen für den Fußverkehr zu verbessern. Wichtige Maßnahmen sind dabei der Abbau von Hindernissen bzw. Barrieren und die Erhöhung der Verkehrssicherheit beispielsweise durch Querungshilfen. Frage 9. Mit welchen zusätzlichen Maßnahmen will die Landesregierung die Kapazität und Qualität der ÖPNV-Produkte erhöhen, um die wachsende Nachfrage infolge der Einführung des Schülertickets und des kostenlosen Jobtickets für Landesbedienstete gerecht zu werden und eine Verschlechterung der ÖPNV-Qualität zu verhindern? Die regionalen und lokalen Aufgabenträger passen das Fahrtenangebot laufend den Bedürfnissen und der Nachfrage der Fahrgäste an. Mit dichterem Takt, modernen Fahrzeugen und einem hohen Serviceniveau ist der ÖPNV heute auch qualitativ eine hochwertige Alternative zum Autoverkehr . Hinsichtlich der zusätzlichen Fahrgastnachfrage durch Einführung des hessenweiten Schüler- und Landestickets wird darauf hingewiesen, dass die Dienststellen der Landesbediensteten dezentral über das Landesgebiet verteilt sind. Entsprechend werden im Regionalverkehr keine Platzengpässe durch die geplante Vereinbarung mit dem Land Hessen erwartet. Dabei gilt es zu bedenken, dass jeden Tag ca. 3 Millionen Fahrgäste die Busse und Bahnen in Hessen nutzen . Aufgrund der Verteilung der Arbeitsorte werden auch viele der neuen Fahrgäste Linien und Fahrten entgegen der typischen Haupt-Pendlerströme nutzen. Weiterhin zählen bereits heute viele Landesbedienstete zu den Stammkundinnen und Stammkunden. Dies gilt ebenso für die Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildenden. In jedem Fall wird die Entwicklung der Fahrgastnachfrage auf allen Linien in Hessen beobachtet und die Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen werden bedarfsabhängig etwaigen Platzengpässen begegnen. Wichtigste Voraussetzungen sind dabei eine ausreichende Finanzierung und Infrastrukturkapazität. Wiesbaden, 14. Dezember 207 Tarek Al-Wazir