Kleine Anfrage der Abg. Schott (DIE LINKE) vom 30.10.2017 betreffend Genitalverstümmelung und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Genitalverstümmelung bei Frauen ist auch in Deutschland ein Thema. Nach einer Studie der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und des Bundesfamilienministeriums sind fast 50.000 Frauen betroffen und 1.500 bis 5.700 Mädchen bedroht. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz wie folgt: Frage 1. Welche Beratungsstellen für betroffene Frauen und Familien sind in Hessen mit dem Thema befasst ? In den vergangenen Jahren haben sich in Frankfurt am Main folgende Selbsthilfegruppen und auf die Genitalbeschneidung spezialisierte Beratungsstellen etabliert, die überregional weitere Akteurinnen und Akteure unterstützen und regelmäßig aufklären: Maisha e.V., eine Frankfurter Selbsthilfegruppe afrikanischer Frauen in Deutschland, info@maisha.org die Beratungsstelle für afrikanische Familien beim Stadtgesundheitsamt Frankfurt, info.internationalesprechstunde@stadt-frankfurt.de und FIM - Frauenrecht ist Menschenrecht e.V., Beratungs- und Informationszentrum für Migrantinnen , info@fim-beratungszentrum.de, www.fim-frauenrecht.de. Frage 2. Welche Hilfsangebote medizinischer, psychologischer, sozialer Art erhalten betroffene Frauen und Familien? Die Beratungsstellen der pro familia e.V. sind aufgrund der personellen Besetzung mit Sexualmedizinerinnen und Psychologinnen vielfach sowohl in der Beratung und Begleitung von Opfern der Genitalverstümmelung tätig als auch für die Schulung von Multiplikatorinnen ansprechbar. Die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und Frauenberatungsstellen stehen regelmäßig in enger Kooperation mit den bei Frage 1 aufgeführten spezialisierten Stellen. Zur Unterstützung von betroffenen geflüchteten Frauen und Mädchen, stehen in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen verschiedene niedrigschwellige Hilfsangebote zur Verfügung. An jedem Standort der Erstaufnahmeeinrichtung befindet sich eine medizinische Ambulanz. Hier werden regelmäßige ärztliche Sprechstunden angeboten. Vervollständigt wird das Angebot durch einen rund um die Uhr anwesenden Sanitätsdienst. Bei Bedarf stehen unterstützend Übersetzerinnen und Übersetzer zur Verfügung. Durch ein niedrigschwelliges und spezifisch angepasstes Angebot kann somit gezielt auf die individuellen Gesundheitsbedürfnisse eingegangen werden. Bereits im Rahmen der Erstuntersuchung identifiziert das medizinische Personal schutzbedürftige Personen, stellt in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Dezernaten im Regierungspräsidium Gießen eine bedarfsgerechte Unterstützung sicher und trifft Festlegungen zur Unterbringung an besonderen Standorten für Schutzbedürftige (Darmstadt Michaelisdorf, Rotenburg), sodass den individuellen Bedürfnissen Rechnung getragen wird und eine adäquate Unterbringung gewährleistet ist. Eingegangen am 28. Dezember 2017 · Bearbeitet am 8. Januar 2018 · Ausgegeben am 12. Januar 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5360 28. 12. 2017 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5360 Sobald eine weibliche Genitalbeschneidung bekannt wird, findet eine zügige ärztliche Konsultation in der medizinischen Ambulanz des Standortes statt. Äußert die Betroffene körperliche Beschwerden , können dort Sofortmaßnahmen eingeleitet werden. Ebenfalls erfolgt eine schnellstmögliche Vorstellung bei einer Fachärztin/einem Facharzt für Gynäkologie. An allen Standorten der Erstaufnahmeeinrichtung gibt es Gesprächsangebote und eine regelmäßig durchgeführte Veranstaltung zum Thema "Gesundheit der Frau". Zur Verbesserung der psychosozialen Versorgung Geflüchteter hat das Land Hessen insgesamt 1,6 Mio. € zur Verfügung gestellt, die in Form einer Förderung an vier neu zu etablierende Psychosoziale Zentren fließen (Höchstforderung von 400.000 € pro Jahr und pro Zentrum). Diese Zentren entstehen noch dieses Jahr in Kassel, Gießen, Frankfurt und Darmstadt. Eine große Anzahl von Gesundheitsämtern in Hessen (z.B. das Gesundheitsamt Frankfurt am Main und Wiesbaden) bieten humanitäre Sprechstunden an und arbeiten dabei mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten der unterschiedlichsten Fachrichtungen, auch der Gynäkologie, zusammen . Dort finden auch von Folgen der Genitalbeschneidung (FGM) betroffene oder bedrohte Frauen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Sie können von dort an medizinische Einrichtungen oder andere helfende Organisationen weitervermittelt werden. In den gynäkologischen Abteilungen der hessischen Krankenhäuser, besonders auch an den Universitätskliniken in Frankfurt und Gießen, wird die rekonstruierende Operation nach FGM angeboten. Frage 3. Welche Präventionsprojekte werden von der Landesregierung in welchem Umfang unterstützt? Im Zeitraum von 2009 bis 2012 erfolgte die Integrationsförderung des innovativen Modellprojektes "AFYA - Afrikanisches Gesundheitsnetzwerk in Hessen" von Maisha e.V. Frankfurt am Main in Höhe von ca. 53.450 € durch die Hessische Landesregierung. Der Projektschwerpunkt galt dem Schutz von Mädchen und Frauen vor Genitalbeschneidung. Im Zeitraum 2014 bis Anfang 2017 hat FIM-Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. ein Projekt "Bildung und Aufklärung in der Familie" in Frankfurt mit einem Schwerpunkt auf die Gesundheitsförderung und das Empowerment in der Vernetzung durchgeführt. Die Förderung betrug 30.000 € für das Jahr 2014. Dieses Projekt befasste sich unter anderem mit der weiblichen Genitalbeschneidung . Frage 4. Welche Unterstützungsprojekte für Betroffene werden von der Landesregierung in welchem Umfang unterstützt? Hierzu wird auf die Beantwortung der Fragen 1 bis 3 verwiesen. Frage 5. Welche Fortbildungen zum Thema Genitalverstümmelung und zur Prävention derselben werden in Hessen für Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, z.B.: Hebammen, Lehrer, Sozialpädagogen und Ärzte, angeboten? In Hessen wurden und werden aktuell zahlreiche Fachtagungen/Fortbildungen zum Thema FGM angeboten. Als Beispiele seien genannt: Fortbildungsveranstaltung "FGM - Female Genital Mutilation weibliche Genitalverstümmelung " am 03.11.2017 in Kassel, organisiert durch den Deutschen Hebammenverband DHV für Hebammen, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Interessierte. Am 22.11.2017 fand in Gießen im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration und in Kooperation mit dem Büro für Frauen und Gleichberechtigung der Stadt Gießen die von Wildwasser Gießen e.V. veranstaltete Fachtagung für Fachkräfte aus dem pädagogischen, medizinischen und therapeutischen Bereich zum Thema weibliche Genitalbeschneidung statt, die mit knapp 10.000 € gefördert wurde. Hauptreferent war Dr. med. Christoph Z. Er ist Gynäkologe und hat für von weiblicher Genitalbeschneidung betroffenen Frauen eine Sondersprechstunde eingerichtet. Weiterhin referierten u.a. Frau Charlotte N. N. und Frau Dr. von H. Sie sind bei "FIM-Frauenrecht ist Menschenrecht e.V." in Frankfurt im Rahmen der psychosozialen Beratung tätig. Sie begleiten vor allem Frauen aus afrikanischen Ländern. Ihr Fokus liegt dabei auf der Aufklärungs- und Beratungsarbeit zum Thema. Unter den Teilnehmenden waren viele soziale Beratungsfachkräfte, Hebammen, Ärztinnen, Netzwerkkoordinatorinnen und Jugendamtsmitarbeiterinnen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5360 3 Der Arbeitskreis Häusliche Gewalt des Rheingau-Taunus-Kreises bot eine Veranstaltung "Ein Schnitt in die Seele! Weibliche Genitalverstümmelung, die größte Menschenrechtsverletzung an Frauen und Mädchen weltweit" am 07.12.2017 an. Weiterbildung zum Thema findet für den Öffentlichen Gesundheitsdienst durch die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen Düsseldorf statt; in diesem Rahmen wurden Fortbildungen u.a. in Frankfurt durchgeführt. Daneben existiert schriftliches Informationsmaterial, das sich an die unterschiedlichen Berufsgruppen richtet. Als Beispiele seien genannt: Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen - Hintergründe und Hilfestellung für professionell Pflegende des DBfK Broschüre "Weiblicher Genitalverstümmelung begegnen - Ein Leitfaden für Fachkräfte in sozialen, pädagogischen und medizinischen Berufen" des CHANGE Projekts, das von TERRE DES FEMMES koordiniert und von der EU unterstützt wird Empfehlungen der BÄK zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung (female genital mutilation - FGM), die zuletzt 2015 aktualisiert wurden. Frage 6. Gibt es Fachberatungsstellen für die o.g. Berufsgruppen? Hierzu wird auf die Beantwortung der Fragen 1, 2 und 5 verwiesen. Frage 7. Wie viele Strafanzeigen sind seit der Gesetzesverschärfung 2013 in Hessen eingegangen? (Bitte nach Jahren und Kreisen aufschlüsseln) Frage 8. Wie viele Verurteilungen haben in demselben Zeitraum stattgefunden? (Bitte nach Jahren und Kreisen aufschlüsseln) Die Fragen 7 und 8 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Bei den hessischen Staatsanwaltschaften wurden bisher keine entsprechenden Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Delikten nach § 226a StGB erfasst. Frage 9. Inwiefern werden in Hessen Frauen und Mädchen, die weibliche Genitalverstümmelung erleben mussten bzw. gefährdet waren, als Flüchtling anerkannt oder erhalten Bleiberecht? Hierzu liegen dem Land Hessen keine Zahlen vor. Frage 10. Gibt es Informationsangebote, auch über Strafbarkeit in Deutschland, für Menschen, Vereine und Communities aus Herkunftsländern, in denen Genitalverstümmelung geübte Praxis ist? Derartige Informationsangebote sind dem Land Hessen nicht bekannt. Wiesbaden, 11. Dezember 2017 Stefan Grüttner