Kleine Anfrage des Abg. Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 15.11.2017 betreffend "Jugendforum Politik" und Antwort des Kultusministers Die Kleine Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit der Staatskanzlei und dem Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung Veranstaltungen des "Jugendforums Politik" (https://www.facebook.com/JufoPolitik/) an hessischen Schulen? Die Landesregierung begrüßt es, wenn Gelegenheiten geschaffen werden, die das Interesse junger Menschen an Politik fördern, die Kritik- und Argumentationsfähigkeit stärken sowie der Bildung einer eigenen Meinung dienen. Das "Jugendforum Politik" (JUFO) führt als freiwillige Abendveranstaltungen Debatten an Schulen durch und will insbesondere durch die Verknüpfung von politischer Bildung und unterhalterischen Elementen junge Menschen dazu motivieren, an seinen Veranstaltungen teilzunehmen . Das "Jugendforum Politik" hat dafür mehrere Preise erhalten. Zuletzt wurde JUFO im November 2017 als einer von sieben Gewinnern aus ganz Deutschland in der Kategorie U21 mit dem Deutschen Bürgerpreis ausgezeichnet. Der Preis wird von der Initiative "für mich. für uns. für alle.", einem Bündnis aus Sparkassen, Bundestagsabgeordneten, Städten, Landkreisen und Gemeinden, vergeben. Die Laudatio bei der Preisverleihung hielt in der Kategorie U21 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. In seiner Rede führte der Bundespräsident zu einem der Preisträgerteams aus, dass diese jungen Menschen ihren Einsatz zu keinem Zeitpunkt in Frage stellen, und fuhr fort: "Genauso wenig wie die Engagierten von JUFO: Die Tag für Tag losziehen , unsere Demokratie zu stärken. Sie begeistern sich für Politik, ein Metier, das sich aktuell, gerade unter jungen Menschen, eher durchschnittlicher Beliebtheit erfreut. Warum das so wichtig ist? Weil junge Menschen für Politik zu gewinnen heißt, sie für dieses Land und seine Zukunft zu gewinnen. Wir brauchen mehr denn je Menschen, die sich für die Demokratie in unserem Gemeinwesen engagieren. Die für Austausch und politische Meinungsbildung sorgen. Die sich nicht zu schade sind fürs Debattieren und Diskutieren, fürs Inspirieren und Sensibilisieren. Die nicht nur selbst mitmachen, sondern auch andere dazu bewegen." Dem Landesamt für Verfassungsschutz Hessen liegen keine Erkenntnisse zum "Jugendforum Politik" vor. Frage 2. Unter welchen Voraussetzungen dürfen Organisationen wie das "Jugendforum Politik" politische Diskussionsveranstaltungen an Schulen durchführen? Soweit es sich nicht um eine Veranstaltung innerhalb einer Lerngruppe oder Klasse im Verantwortungsbereich der unterrichtenden Lehrkraft handelt, dürfen Diskussionsveranstaltungen als schulische Veranstaltung grundsätzlich nur mit Zustimmung der Schulleiterin oder des Schulleiters durchgeführt werden. Veranstalter ist dann nicht eine schulfremde Organisation, sondern die Schule selbst ist verantwortlich. Die Zustimmung darf nur erteilt werden, wenn eine Veranstaltung mit dem gesetzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag nach § 2 des Hessischen Schulgesetzes (HSchG) und den Grundsätzen zur Verwirklichung dieses Auftrages nach § 3 HSchG vereinbar ist. Wesentlich dabei ist das Neutralitätsgebot in hessischen Schulen, welches seine Grundlage findet in Art. 56 der Hessischen Landesverfassung und den §§ 2 und 3 HSchG. Die Wahrung oder Verletzung des Neutralitätsgebots lässt sich allerdings nicht allein daran festmachen , ob Vertreter aller parlamentarisch vertretenen Parteien an einer Diskussionsrunde teilnehmen . Eingegangen am 28. Februar 2018 · Bearbeitet am 6. April 2018 · Ausgegeben am 6. April 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5418 28. 02. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5418 Im Bereich der politischen Bildung ist zudem der sogenannte Beutelsbacher Konsens von 1976 zu beachten, welcher die Grundsätze politischer Bildung formuliert: Überwältigungsverbot Es ist nicht erlaubt, Schülerinnen und Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern. Kontroversitätsgebot Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Subjektorientierung Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Wenn Schulräumlichkeiten ohne schulischen Bezug und außerhalb von Unterricht und schulischen Veranstaltungen durch den jeweiligen Schulträger an schulfremde Personen als Veranstalter vermietet werden, so liegt dies in der Zuständigkeit des Schulträgers, welcher seinerseits die Zulässigkeit prüfen muss. Frage 3. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass insbesondere bei politischen Diskussionsrunden an Schulen parteipolitische Neutralität zu wahren ist? Frage 4. Ist eine einseitige politische Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler durch solche Veranstaltungen in den Räumen einer Schule zulässig? Fragen 3 und 4 werden zusammen wie folgt beantwortet: Bei schulischen Veranstaltungen im Rahmen der politischen Bildung in Schulen sind neben dem Neutralitätsgebot die zu der Frage 2 dargestellten Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses zu beachten. Frage 5. Wäre es vor dem Hintergrund der vorherigen Fragen beispielsweise unzulässig Vertreterinnen und Vertretern, die Sympathien für das Gedankengut der vom Verfassungsschutz beobachteten "Identitären Bewegung" äußern, ein einseitiges Forum zu bieten? Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) versteht sich als Teil einer europaweiten Bewegung für Freiheit, Heimat und Tradition. Die "Identitären" sehen sich als Patrioten, die sich für den Erhalt der deutschen bzw. einer christlich-europäischen Identität einsetzen wollen. Als Erkennungszeichen dieser Gruppierung gilt das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets , in einem Kreis. Als ein Hauptziel benennt die IBD den Einsatz für die ethnokulturelle Identität der Deutschen, aber auch für die Identität eines jeden europäischen Landes. Demnach sollen jedem Land die eigene Tradition, Kultur und Sprache erhalten bleiben. Als nach Auffassung der IBD schädigende Einflüsse werden insbesondere die außereuropäische Massenzuwanderung , Multikulturalismus sowie Islamisierung ausgemacht. Die IBH, die Regionalorganisation der Identitären Bewegung für Hessen, bezieht sich in ihrem Facebook-Auftritt auf die IBD und übernimmt dort die Ideologie der IBD. Die IBH wird seitens des LfV Hessen als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen Bestrebungen, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Im Rahmen der Prüffallbearbeitung, welche seit März 2013 erfolgte, ergaben sich tatsächliche Anhaltspunkte, dass es sich bei der IBH um eine rechtsextremistische Bestrebung handelt. Dies hatte zur Folge, dass die IBH im November 2015 zum Beobachtungsobjekt des LfV Hessen erklärt wurde. Vor diesem Hintergrund würde es den in den Antworten zu den Fragen 2 bis 4 genannten Grundsätzen widersprechen, Vertreterinnen und Vertretern, die Sympathien für das Gedankengut der Identitären Bewegung äußern, ein einseitiges Forum zu bieten. Frage 6. Ist der Landesregierung bekannt, dass mit Flugblättern unter Nennung eines Honorars Moderatoren für die Veranstaltungen des "Jugendforums Politik" geworben werden sollen? Auf der Internetseite des JUFO ist von einer Bezahlung der Moderatorinnen und Moderatoren im Alter von 18 bis 25 Jahren auf "Studentenjob-Niveau" die Rede. Konkret wird demnach ein Honorar von 100 Euro pro Veranstaltung angeboten. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5418 3 Frage 7. Was würde ein vorhandenes oder evtl. sogar dominierendes ökonomisches Interesse für die Zulässigkeit von Veranstaltungen in den Räumlichkeiten von Schulen bedeuten? Werbung für Produkte oder Dienstleistungen an Schulen ist nach § 3 Abs. 15 HSchG unzulässig . Im Rahmen von schulischen Veranstaltungen darf es daher kein vorhandenes oder sogar dominierendes ökonomisches Interesse geben. In der Zahlung von Moderatorenhonoraren, wie sie das JUFO beschreibt, wird jedoch kein unzulässiges ökonomisches Interesse erkannt. Wenn Schulräumlichkeiten ohne schulischen Bezug und außerhalb von Unterricht und schulischen Veranstaltungen durch den jeweiligen Schulträger an schulfremde Personen als Veranstalter vermietet werden, so liegt dies in der Zuständigkeit des Schulträgers, welcher seinerseits die Zulässigkeit prüfen muss. Frage 8. Gibt es von Seiten der Landeszentrale für politische Bildung vorhandene Angebote, die eine Alternative zu den Veranstaltungen des "Jugendforums Politik" sind? Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) ist im Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Landesschülervertretung Hessen (LSV), ob ein gemeinsames Veranstaltungsformat im Vorfeld der kommenden Landtagswahl in Hessen mit Vertreterinnen und Vertretern der politischen Nachwuchsorganisationen möglich und sinnvoll erscheint. Besondere Herausforderungen bergen drei Aspekte, die dabei berücksichtigt werden sollen: a) eine professionelle und in politischen Zusammenhängen geschulte Moderation, b) ein Faktencheck in Echtzeit, um Äußerungen ggf. zu verifizieren bzw. zu falsifizieren sowie c) die Frage, welche politischen Nachwuchsorganisationen an einem solchen Format teilnehmen würden und wo die Kapazitätsgrenzen einer solchen Diskussionsveranstaltung liegen. Hierzu gibt es noch keinen abschließenden Sachstand. Frage 9. Unter welchen Voraussetzungen können Schulen selbst - ohne die Vermittlung von Veranstaltern wie dem "Jugendforum Politik" - Diskussionsveranstaltungen mit Vertreterinnen und Vertretern von Parteien anbieten? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Wiesbaden, 22. Februar 2018 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz