Kleine Anfrage der Abg. Faulhaber (DIE LINKE) vom 16.11.2017 betreffend Kerncurriculum des Schwerpunkts Erziehungswissenschaft/Psychologie an beruflichen Gymnasien und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Kultusministers: Gemäß Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich Hessen, wie alle anderen Bundesländer auch, dazu verpflichtet, die nationalen Bildungsstandards zu übernehmen, zu implementieren und anzuwenden, insbesondere im Rahmen der Erarbeitung landesspezifischer curricularer Vorgaben und der Unterrichtsentwicklung. Die entsprechenden Kerncurricula liegen bereits für die Primarstufe und die Sekundarstufe I (Kerncurriculum Hessen [KCH]), in Kraft getreten am 01.08.2011 mit dem Schuljahr 2011/12, sowie für die gymnasiale Oberstufe im allgemeinbildenden Bereich (Kerncurriculum gymnasiale Oberstufe [KCGO]), in Kraft getreten am 01.08.2016 zum Schuljahr 2016/17, vor. In ihnen werden sowohl Bildungsstandards als auch ergänzende inhaltliche Festlegungen verbindlich ausgewiesen . Die Erstellung curricularer Grundlagen für die beruflichen Gymnasien ist ein weiterer Baustein für eine konsistente Kompetenzentwicklung aller Lernenden von der Jahrgangsstufe 1 bis hin zum Abschluss der Sekundarstufe II. In diesem Rahmen wird aktuell ein Kerncurriculum für den Schwerpunkt Erziehungswissenschaft (vorher Schulversuch Pädagogik) entwickelt, für welches das informelle Rückmeldeverfahren für Interessierte vom 2. Oktober 2017 bis zum 13. November 2017 geöffnet war. Die Einführung des Kerncurricula ist für Sommer 2018 geplant . Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Gab es Rückmeldungen an die Hessische Lehrkräfteakademie im Rahmen des Beratungsverfahrens bis zu dem 13.11.2017, die sich mit dem Teilbereich Gender, der bislang im oben genannten Kerncurriculum integriert war, auseinandergesetzt haben? Ja. Frage 2. Aus welchem Grund soll der Teilbereich Gender nun aus dem Kerncurriculum gestrichen werden ? Aspekte der geschlechtsspezifischen Erziehung und Sozialisation sowie der geschlechtsbewussten Pädagogik sind durch die Neugestaltung, auch in Verbindung mit dem Fach Psychologie, nicht entfallen. Sie finden sich vielmehr in anderen Halbjahren (siehe hierzu auch die Antwort auf Frage 4). Bei der neu erstellten curricularen Grundlage für die fachrichtungs- und schwerpunktbezogenen Fächer im beruflichen Gymnasium handelt es sich um kompetenzorientierte Kerncurricula. Dabei ist das Ziel, den Kern des Faches zu beschreiben, d.h. die unverzichtbaren Bestände zu bestimmen , zu erfassen und folglich stoffliche Entlastung und Exemplarität, wo immer möglich, umzusetzen. Um den beruflichen Gymnasien hinreichend Spielraum in der unterrichtlichen Gestaltung zu geben , sind nur zwei Drittel der Unterrichtszeit durch verbindlich festgelegte Lern- bzw. Wissens- Eingegangen am 9. Januar 2018 · Bearbeitet am 10. Januar 2018 · Ausgegeben am 12. Januar 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5426 09. 01. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5426 inhalte abgedeckt. In der verbleibenden Unterrichtszeit ist es möglich, Aspekte der verbindlichen Themenfelder zu vertiefen, zu erweitern oder eines der nicht verbindlichen Themenfelder vollumfänglich oder teilweise zu bearbeiten. Im Fokus der curricularen Unterrichtsgrundlagen steht die Kompetenzentwicklung und nicht der Aspekt der kanonischen Wissensaufnahme durch die Schülerinnen und Schüler. Frage 3. In welchem Umfang sollte er bislang im Lehrplan berücksichtigt werden? Der genannte Textbereich war im Entwurf des Lehrplans des Schulversuchs im Kurshalbjahr Q3 "Institutionen und konzeptuelle Entwürfe pädagogischen Handelns" als einer von mehreren Unterpunkten verankert. Frage 4. Wird zukünftig sichergestellt, dass Schülerinnen und Schüler diesen wichtigen Teilbereich während ihrer Oberstufenzeit vermittelt bekommen? Wenn ja, in welchem Umfang? Die Behandlung der Thematik ist in vielen Themenfeldern des Kerncurriculums Erziehungswissenschaft /Psychologie impliziert: in Q2 insbesondere bei den Themenfeldern "Sozialisationsprozesse in unterschiedlichen Lebensaltern " und "Sozialisationsinstanzen", in Q3 bei dem Themenfeld 1 mit dem Unterpunkt "kritische Auseinandersetzung mit der Institution Schule" sowie dem Themenfeld 2 "Das System der Kinder- und Jugendhilfe" mit den Unterpunkten "rechtliche Grundlagen" und "Handlungsfelder" und dem Themenfeld 3 "Partizipation und Bildungschancen" mit dem Unterpunkt "Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem", in Q4 inkludieren die Themenfelder 1 bis 4 mit den Unterpunkten "Pädagogik heute", "Inklusion als pädagogische Herausforderung", "Interkulturelle Pädagogik" und "Neubestimmung des Generationenverhältnisses" die Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Pädagogik . Darüber hinaus erfordert die Leitidee "Werte und Normen" die Berücksichtigung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. In diesem Zusammenhang sind Veränderungsprozesse gesellschaftlicher Rollenzuschreibungen vor dem Hintergrund dieser Leitidee zu berücksichtigen. Geschlechtersensible Erziehung ist ein grundlegendes Anliegen der Bildung in Hessen. Sie wird systematisch und fächerübergreifend in der Sekundarstufe II des allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasiums vermittelt. In allen Kerncurricula der gymnasialen Oberstufe wird in der Dimension "Demokratie und Teilhabe/zivilgesellschaftliches Engagement" darauf hingewiesen, dass die Reflexion der "Fragen des Zusammenlebens der Geschlechter" wesentlich und "von übergreifender Bedeutung ist", um überfachliche Kompetenzen einzuüben und aufzubauen. Es handelt sich um ein Querschnittsthema aller Fächer. Besondere Berücksichtigung erfährt es in den Fächern Deutsch, Politik und Wirtschaft sowie in den Fächern Englisch, Geschichte und evangelische Religion. Im Fach Deutsch ist im Rahmen des Themas "Sprache und Literatur in politischgesellschaftlichen Spannungsfeldern", das in Q2 unterrichtet wird, das vom Fragesteller angesprochene Thema Gegenstand des Deutschunterrichts. Die "Begegnung mit sich verändernden Männer- und Frauenbildern gibt Einblicke in den Kultur- und Sprachwandel". Hierbei werden neben Literatur auch andere mediale Formen auf diesen Aspekt hin untersucht. Mit dem Themenfeld Q2.5 "Frauen- und Männerbilder" ist das Thema nochmals im Kerncurriculum Deutsch verankert. Hierbei werden in Grund- und Leistungskurs Frauen und Männerbilder in der Literatur , geschlechtsspezifische Schlüsselthemen sowie Kommunikationsformen im Rahmen von Sprachreflexion Gegenstand des Unterrichts. Darüber hinaus wird im Leistungskurs der Blick auf entsprechende Fragen in modernen Medien gelenkt. Im Englischunterricht wird das Thema "Gender Issues (Geschlechterfragen)" innerhalb des Themenfeldes "Challenges of our time" in Q3 unterrichtet. Ziel ist es, den Lernenden nicht nur Wissen und Kenntnisse zu vermitteln, sondern ihnen "Impulse zu einer künftigen aktiven gestaltenden Teilhabe an der Gesellschaft zu geben". Es werden die Aspekte "gender and identity", "culture and gender now and then" im Grund- und Leistungskurs unterrichtet. Darüber hinaus thematisiert der Leistungskurs auch das Thema "gender issues in the art". Im Kerncurriculum für das Fach Geschichte wird in zwei Dimensionen das Thema ausdrücklich als Reflexionskategorie genannt. In der Dimension "Soziale und kulturelle Lebenswelten" wird betont, dass "alltägliche Lebensumstände […] im Verhältnis der Geschlechter zueinander […] sichtbar" werden. Die Beschäftigung damit soll den Lernenden ein konkretes Verständnis des Konstrukts Gesellschaft vermitteln und die in Gesellschaften wirkenden Konflikte und Verände- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5426 3 rungen in der Zeit sowie der Wechselwirkungen zwischen politischen und gesellschaftlichen Phänomenen ermöglichen. In der Dimension "Eigenes und Fremdes" wird unter anderem auf das Geschlecht als prägender Einflussfaktor auf die Identitätsbildung verwiesen. Die Frage, wie sich solche Identitäten in Form von Ideologien und Religionen herausbilden, ist Gegenstand des Geschichtsunterrichts. Fragen der Geschlechterrollen von der Antike bis zur jüngeren Geschichte werden im Kerncurriculum immer wieder aufgegriffen. In der Einführungsphase behandeln die Schülerinnen und Schüler das Thema "Wurzeln des europäischen Selbstverständnisses und Entstehung der modernen Welt". Im verbindlichen Themenfeld E3 "Französische Revolution - Realisierung von 'Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit' in Europa" wird die Ausprägung der Vorstellung von Gleichheit sowie der Menschenrechte behandelt sowie der Ausschluss von Frauen aus dem Geltungsbereich der Menschenrechte problematisiert. Im Themenfeld Q1.2 sind die "Emanzipationsbestrebungen im 19. Jahrhundert - auf dem Weg zu Freiheit und Gleichheit aller Menschen?" Gegenstand. Wahlweise kann hier die Frauenemanzipation im internationalen Vergleich behandelt werden. In Themenfeld Q2.1 "Die Weimarer Republik als erste deutsche Demokratie" wird unter anderem der Aspekt "Gesellschaft zwischen Tradition und Modernität" behandelt. Die "neue Frau" kann als Beispiel dieser Entwicklung berücksichtigt werden. Im Themenfeld Q2.3 werden im Rahmen des Themenfeldes "Die nationalsozialistische Diktatur - Zerstörung von Demokratie und Menschenrechten in Deutschland und Europa" die Grundzüge des NS-Staats erarbeitet. Dabei ist die ideologische Überformung der Geschlechterbeziehungen zu berücksichtigen. Im Themenfeld Q3.3 "Deutschland von der Teilung zur Einheit" wird der gesellschaftliche Aufbruch in West und Ost auch am Beispiel der Geschlechterbeziehungen behandelt. Das Kerncurriculum Politik und Wirtschaft formuliert im Kompetenzbereich Handlungskompetenz als Ziel des Politikunterrichts, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, "sich in politischen , gesellschaftlichen und ökonomischen Auseinandersetzungen reflektiert mit sozialer, geschlechtsspezifischer und kultureller Differenz auseinanderzusetzen". Im Themenfeld "Herausforderungen gesellschaftlichen Wandels", das verbindlich in E1 zu unterrichten ist, werden die "Bevölkerungs-, Bildungs- und Familienstruktur (einschließlich der Beziehungen zwischen den Geschlechtern)" auf den verschiedenen Ebenen reflektiert. Im Rahmen des Themenfeldes setzen sich die Schülerinnen und Schüler unter anderem mit Identitätsbildung und Sozialisationsprozessen oder den Politikfeldern Familien- und Geschlechterpolitik (E1.2) auseinander. Im Unterrichtsfach evangelische Religion findet sich das Thema Geschlechtergerechtigkeit im Themenfeld Q3.4 "Ethik der Mitmenschlichkeit". Hier werden die Aspekte "Gleichheit, Ausgrenzung , Vorurteile und Diskriminierung in unserer Welt heute" an konkreten Beispielen wie Kleidung, Körperkult, Sexualität und Geschlechtergerechtigkeit reflektiert. Frage 5. Werden weitere bislang berücksichtigte Teilbereiche aus dem Kerncurriculum gestrichen? Wenn ja, welche? Es ist nicht vorgesehen, dass aus dem derzeitigen Kerncurriculum (Version B) Teilbereiche gestrichen werden. Frage 6. Wann ist mit einer Endfassung der Kerncurricula für die fachrichtungs- und schwerpunktbezogenen Fächer im beruflichen Gymnasium zu rechnen? Die Einführung der Kerncurricula für die fachrichtungs- und schwerpunktbezogenen Fächer im beruflichen Gymnasium ist für Sommer 2018 geplant. Sie sollen ab dem Schuljahr 2018/2019 verbindliche Grundlage für den Unterricht ab der Einführungsphase aufsteigend sein. Wiesbaden, 20. Dezember 2017 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz