Kleine Anfrage des Abg. Dr. Blechschmidt (FDP) vom 06.12.2017 betreffend gemeinsames IT-Fachverfahren und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung des Fragestellers: Die Justizstaatssekretäre des Bundes und der Länder haben in der 11. Sitzung des eJustice-Rates vereinbart, ein gemeinsames IT-Justizfachverfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe zukünftig gerichtliche und staatsanwaltliche Verfahren bearbeitet werden sollen. Dieses Fachverfahren soll die unterschiedlichen Lösungen ersetzen , die heute in Bund und Ländern im Einsatz sind. Grundlage des neuen Fachverfahrens soll eine modernisierte Version des Justizfachverfahrens ForumStar sein. Bislang hat das Land Hessen als Mitglied im sogenannten e2-Verbund auf eine IT-Lösung jenseits von ForumStar gesetzt. Vorbemerkung der Ministerin der Justiz: Auf Länderebene wurde bereits 2012 und unter hessischem Vorsitz ein "Koordinationsprojekt zur Umsetzung der ERV-Gesamtstrategie" von den Amtschefinnen und Amtschefs ins Leben gerufen, welches zum Ziel hatte, eine gemeinsame Strategie der Länder zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte zu erarbeiten. In einem Teilaspekt wurden die in Bund und Ländern eingesetzten Fachverfahren erhoben. Im Abschlussbericht des Koordinationsprojektes aus dem Jahr 2016 wurde aufgenommen, dass zur Bearbeitung der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren in den Ländern mehr als 30 unterschiedliche Systeme im Einsatz sind. Die Länder setzen diese Fachverfahren zum Teil seit 20 Jahren in den Gerichten und Staatsanwaltschaften zur Registrierung der Akten und Aktenbearbeitung ein. Die Fachverfahren wurden im Laufe der Zeit zwar den verschiedenen gesetzlichen und technischen Neuerungen angepasst, basieren jedoch auf mittlerweile veralteten technischen Grundlagen. Die Amtschefinnen und Amtschefs sahen im Jahr 2016 die Chance, die in der Justiz in Deutschland betriebenen Fachverfahren zu vereinheitlichen. In ihrer Sitzung am 28. September 2016 setzten sie eine Arbeitsgruppe ein, um die Chancen und Risiken einer gemeinsamen Entwicklung zu prüfen. Die Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass sich die gemeinschaftliche Entwicklung eines bundeseinheitlichen Fachverfahrens in technischer sowie strategischer Hinsicht als die für alle Länder vorteilhafteste Lösung darstellt. In die Prüfungen waren die verschiedenen Aspekte von Organisation und Personaleinsatz, Infrastruktur und Schnittstellen sowie Planung , Kosten und Vertragliches einbezogen worden. In der Sitzung am 29. März 2017 fassten die Amtschefinnen und Amtschefs auf Grundlage des Berichts der Arbeitsgruppe den Entschluss für eine gemeinsame Neuentwicklung. 14 der 16 Bundesländer zeichneten in der darauffolgenden Sitzung am 20. September 2017 ein entsprechendes Verwaltungsabkommen. Hessen ist diesem Abkommen ebenfalls beigetreten. Mit der Leistung der letzten Unterschrift am 8. Dezember 2017 trat das Verwaltungsabkommen in Kraft. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welcher Zeitplan ist für die Einführung des neuen, einheitlichen Fachverfahren für die einzelnen Gerichtsbarkeiten und die Staatsanwaltschaft in Hessen vorgesehen? Derzeit befindet sich das neue Gemeinsame Fachverfahren noch in den ersten Entwicklungsschritten , weshalb eine Planung der Einführung des neuen Gemeinsamen Fachverfahrens zum jetzigen Zeitpunkt nicht verlässlich wäre. Nach derzeitigem Stand ist eine Pilotierung des Ge- Eingegangen am 19. Januar 2018 · Bearbeitet am 19. Januar 2018 · Ausgegeben am 24. Januar 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5748 19. 01. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5748 meinsamen Fachverfahrens in Zivilsachen frühestens Ende 2022 vorgesehen. Die Planungen für eine Pilotierung der übrigen Module (wie beispielsweise für die Straf- und Fachgerichte) werden derzeit überarbeitet. Frage 2. Welche Übergangsstrategie besteht bis zur Einführung dieses neuen Fachverfahrens für die einzelnen Gerichtsbarkeiten und die Staatsanwaltschaft in Hessen? Mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 wurde die Einführung der elektronischen Akte in allen großen Verfahrensordnungen bis zum 31. Dezember 2025 angeordnet. Die Planungen zur Entwicklung des gemeinsamen Fachverfahrens lassen bereits in diesem frühen Stadium erkennen, dass eine Einführung der elektronischen Akte in der gesetzlichen Frist unter Einbeziehung der heutigen Fachverfahren erfolgen wird. Frage 3. Wie und mit welchem finanziellen und personellen Einsatz werden die bestehenden Fachverfahren (z.B. EUREKA, MESTA) im Übergangszeitraum betrieben und ggf. so fortentwickelt, dass die Anforderungen, die der elektronische Rechtsverkehr und die eAkte an sie stellen, erfüllt werden? Die Neuentwicklung des gemeinsamen Fachverfahrens erfolgt außerhalb des Programms zur Umsetzung des E-Justice-Gesetzes in Hessen. Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte in Hessen basiert noch auf den bisherigen Fachverfahren. Bis das neue Fachverfahren entwickelt und zur Einführung in den Gerichten und Staatsanwaltschaften bereit ist, bleiben die finanziellen und personellen Aufwände für die derzeit eingesetzten Fachverfahren unverändert. Frage 4. Welche Erwägungen führen dazu, dass einzelne Produkte - wie jetzt das Fachverfahren - vereinheitlicht werden, andere - wie das universelle Aktenbearbeitungs-Tool oder das Textsystem - aber nicht? Das Gemeinsame Fachverfahren ist von der elektronischen Akte (e²A), den Textsystemen (e²T) und den Kommunikationsplattformen (e²P) zu unterscheiden, die von der Vereinbarung nicht umfasst sind und an das Fachverfahren angeschlossen werden. Der Fokus auf die heute im Einsatz befindlichen Fachverfahren ist mit deren technischem Modernisierungsbedarf begründet. Die anderen Systeme befinden sich in der Entwicklungs- bzw. Pilotierungsphase, so dass eine technische Ablösung nicht ansteht. Der Prüfauftrag der Amtschefinnen und Amtschefs bezog sich deshalb auf die heute eingesetzten Fachverfahren. In der Präambel des Verwaltungsabkommens ist allerdings das langfristige Ziel aufgenommen worden, die IT-Landschaft in der Justiz der Länder weiter zu vereinheitlichen. Frage 5. Welche zusätzlichen Kosten entstehen dem Land Hessen durch die getroffene Vereinbarung? Die bis 2023 vorgesehene Neuentwicklung des Gemeinsamen Fachverfahrens wird nach derzeitigen Schätzungen bundesweit knapp 100 Mio. € kosten. Für die Gesamtkosten des Gemeinsamen Fachverfahrens (Entwicklung, Pflege und Anpassungskosten der Umsysteme) wird ausweislich der Kostenschätzung im Zeitraum bis 2025 bundesweit ein Mittelbedarf von insgesamt 187,6 Mio. € gesehen. Gemäß aktuellem Königsteiner Schlüssel beträgt der hessische Anteil an den Gesamtkosten circa 13,94 Mio. € (2016: 7,39885 %). Grundlage dieser Schätzung ist eine Kostenkalkulation, welche auf der Kostenplanung zur Realisierung der Neuentwicklung des in 10 Ländern eingesetzten Fachverfahrens ForumSTAR fußt. Von den Entwicklungskosten entfallen auf die Anbindung der e2-Produkte nach Einschätzung des Entwicklers circa 700.000 €. Neben den monetären Leistungen haben die Länder dem Projekt 60 Arbeitskraftanteile beizustellen . Auch hier erfolgt eine Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel. Auf Hessen entfallen 4,4 Arbeitskraftanteile. Stellen mit 4,0 Arbeitskraftanteilen sind zum Haushalt 2018/2019 angemeldet worden und sollen - vorbehaltlich einer entsprechenden Beschlussfassung des Haushaltsgesetzgebers - der IT-Stelle der hessischen Justiz zur Projektmitarbeit zugewiesen werden. Daher ist auch die Personalbeistellung für die Entwicklung des gemeinsamen universellen Fachverfahrens von der IT-Stelle der hessischen Justiz zu leisten. Als Alternativen zur bundesweiten Entwicklung prüfte der e2-Verbund, dem Hessen neben Bremen , Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und dem Saarland angehört, eine Eigenentwicklung unter dem Titel "e2F". Die Gesamtkosten (Entwicklungskosten und weitere Kosten wie insbesondere Pflegekosten) einer grob kalkulierten Eigenentwicklung einer neuen Fachanwendung nur im e2-Verbund (e2F) hätten sich bis 2025 auf rund 116,80 Mio. € belaufen. Der hessische Anteil hätte circa 20,2 Mio. € betragen (Anteil Hessen im e2-Verbund 2016 ca. 17,27 %). Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5748 3 Frage 6. Welche IT-Produkte sind von der Vereinbarung erfasst; insbesondere welche Anpassungen sind bei e2A, e2T und e2P vorzunehmen, um eine Anbindung dieser Produkte an das neue ForumS- TAR-Fachverfahren zu gewährleisten? Welche Kosten entstehen hierdurch? Das gemeinsame Fachverfahren löst perspektivisch die derzeit in der Justiz betriebenen Fachverfahren ab, die hauptsächlich Verfahrensdaten wie Registerzeichen, Termine und Beteiligte verwalten oder die Geschäftsstatistiken führen. In Hessen sind davon beispielsweise in der ordentlichen Gerichtsbarkeit die Fachverfahren aus der EUREKA-Familie, in der Staatsanwaltschaft MESTA und in der Fachgerichtsbarkeit EUREKA-Fach betroffen. Ausgenommen sind die Sachgebiete Grundbuch, Register und Mahnverfahren, in denen bereits bundesweite Entwicklungen erfolgen. Zu den Anbindungskosten der e2-Produkte wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Frage 7. Welche Software und welche Betriebssysteme werden von dem neuen Fachverfahren serverseitig eingesetzt? Welche Auswirkungen hat dies auf die hessische IT-Infrastrukturplanung? Die betrieblichen Anforderungen des Gemeinsamen Fachverfahrens sind abhängig von der technischen Architektur, die derzeit in Abstimmung mit allen Landesjustizverwaltungen im Projektteam des Gemeinsamen Fachverfahrens entwickelt wird. Verlässliche Angaben zur technischen Basis und Betriebskosten sind erst nach Abnahme der technischen Architekturkonzeption möglich . Frage 8. Welche Rolle wird zukünftig e2T spielen? In Hessen wird das Textsystem e2T voraussichtlich wie geplant zum Einsatz kommen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keinen Anlass, von der Entwicklung abzuweichen. Frage 9. Für den Fall, dass die Programme eIP, das Textsystem und EKP nicht von der Vereinbarung umfasst sind: Aus welchem Grund wurden diese Produkte ausgenommen und wie sollten die Funktionen , die auch diese Produkte bereitstellen, zukünftig in Hessen gewährleistet werden? Bei der Einführung der elektronischen Akte in der hessischen Justiz werden die heute im Betrieb befindlichen Fachverfahren an die e2-Anwendungen für die elektronische Akte (e²A), das Textsystem (e²T) und die Kommunikationsplattform (e²P) angeschlossen. Nach Fertigstellung des Gemeinsamen Fachverfahrens sollen die heutigen Fachverfahren sukzessive ausgetauscht und mit den e2-Anwendungen fortbetrieben werden. Der Fortbetrieb der heutigen Fachverfahren wird von den Fachteams in der IT-Stelle der hessischen Justiz und Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung gewährleistet. Frage 10. Welche Kosten entstehen für Hessen jährlich für bzw. durch e2A, e2T und e2P? (Bitte aufschlüsseln nach einmaligen und laufenden Entwicklungskosten sowie Lizenzgebühren). Im e2-Verbund fallen derzeit insbesondere Entwicklungskosten für die Teilprodukte und die Integration dieser zu einem Gesamtprodukt an. Die folgende Aufstellung enthält die reinen Verbundkosten . Betriebskosten in den einzelnen Ländern sind davon nicht erfasst. Zu den Verbundkosten gehören neben den Entwicklungskosten in den Teilprojekten (z.B. Konzeptionierung , Realisierung, Tests) auch Supportkosten, Kosten des vorläufigen Integrationsprojektes sowie die Kosten für die Verwaltung (e2-PgMO) und die Vorbereitung von gemeinsamen Ausschreibungen und Veranstaltungen (CeBIT, EDV-Gerichtstag). Teilprojekt Summe 01.01.2017 bis 31.12.2017 e²Achitekturboard 441.025,00 € e²A 4.471.136,81 € e²F - € e²P (auch CeBIT, EDV-Gerichtstag) 1.963.277,35 € e²T 2.900.356,37 € e²PgMO 531.364,55 € e²S 62.932,44 € e²Integrationsprojekt (Ausschreibung in Vorbereitung) - € weitere Aufw. NI (z.B. vorläufiges Integrationsprojekt) 2.081.536,42 € weitere Aufw. NRW 149.524,58 € Summe 12.601.153,52 € 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5748 Der hessische Anteil an den Gesamtkosten beträgt gemäß relativem Königsteiner Schlüssel 2016 rund 17,27 %. Das entspricht circa 2.176.219 €. Die Finanzplanung für das Jahr 2018 ist im Verbund noch nicht endgültig abgestimmt. Die Beschlussfassung des Lenkungskreises steht noch aus. Der Verbund plant für 2018 Ausgaben in Höhe von 13.789.573,70 €. Ein Großteil dieser Kosten soll auf das Teilprojekt e2A (5.611.700 €) und das Integrationsprojekt (circa 3.100.000 €) entfallen. Allerdings ist die Ausschreibung für das Integrationsprojekt noch nicht erfolgt, sodass der Kostenbetrag auf einer Schätzung beruht. Für e2P sind lediglich Kosten in Höhe von rund 670.000 € geplant. Hessen hat die 2017 abgeschlossene Entwicklung des Teilproduktes e2P verantwortet. Die Kosten entfallen zu einem Großteil auf den Support beim Betrieb der Anwendung (543.255,44 €). Diese Kosten entsprechen dem üblichen Aufwand für den Support einer Software. Alle aufgeführten Kosten betreffen einmalige Entwicklungskosten, die mit Abschluss der Entwicklung und Integration nicht mehr anfallen werden. Lediglich die Supportkosten ab 2018 für e2P stellen laufende Kosten dar, die auch nach Entwicklungsende anfallen. Die zukünftigen Kosten für Pflege und Support der Gesamtsoftware können noch nicht beziffert werden. Wiesbaden, 12. Januar 2018 Eva Kühne-Hörmann