Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 12.12.2017 betreffend Bau und Betrieb von Kindertageseinrichtungen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung des Fragestellers: Die Zusammenarbeit der öffentlichen mit der freien Jugendhilfe ist im SGB VIII in § 4 (2) so geregelt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen soll, wenn anerkannte Träger der freien Jugendhilfe geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen betreiben oder rechtzeitig schaffen. Diese Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Sind die Kommunen Hessens, im Hinblick auf § 4 SGB VIII, laut Landesregierung gehalten, auch bei dem Erbauen einer Kindertageseinrichtung stets freien Trägern gegenüber einem Eigenbau oder dem Sanieren einer bestehenden kommunalen Einrichtung den Vorzug zu geben? Frage 2. Wenn ja, ergibt sich der Vorrang aus einer Handlungsempfehlung oder einer verpflichtenden Vorgabe der Landesregierung? Frage 3. Wenn keine bindende Verpflichtung vorliegt, ist es einer Kommune frei gestellt, eine Kindertageseinrichtung selbst zu bauen oder zu sanieren und lediglich deren Betreiben durch einen freien Träger zu ermöglichen? Die Fragen 1 bis 3 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Das Subsidiaritätsprinzip nach § 4 Abs. 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), das auch im Landesrecht allgemein in § 3 Abs. 5 Hessisches Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch (HKJGB) sowie speziell für den Bereich der Kindertagesbetreuung in § 30 Abs. 4 HKJGB aufgenommen ist, besagt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen soll, soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können. Das Subsidiaritätsprinzip enthält damit keinen generellen, sondern einen bedingten Vorrang der Leistungserbringung durch freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Die Regelung dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu, eine vernünftige Aufgabenverteilung und eine möglichst wirtschaftliche Verwendung der zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Mittel sicherzustellen. In diesem Sinne führt das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung (BVerfGE 22, 180, 200f) aus: „Das Jugendamt muss zunächst prüfen, welche Einrichtungen und Veranstaltungen für die Wohlfahrt der Jugend nach den örtlichen Verhältnissen erforderlich sind und ob sie ausreichend zur Verfügung stehen. Das Jugendamt soll aber nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen; letzteres ist auch dann der Fall, wenn der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann oder wenn die Einrichtung des freien Trägers deshalb für die örtlichen Bedürfnisse nicht als ausreichend angesehen werden kann, weil sie z. B. von einem Bekenntnis geprägt ist, dem in der Gemeinde nur eine Minderheit angehört. Es kann aber nicht angenommen werden, dass ein Gesetz, das öffentliche und private Jugendhilfe zu sinnvoller Zusammenarbeit zusammenführen will, die Gemeinden und Gemeindeverbände als Träger der Eingegangen am 17. Januar 2018 · Bearbeitet am 17. Januar 2018 · Ausgegeben am 19. Januar 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5778 17. 01. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5778 Jugendämter durch die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 2 JWG1 zwingen will, bereits vorhandene öffentliche Einrichtungen zu schließen. Wo geeignete Einrichtungen der Jugendämter ausreichend zur Verfügung stehen, kann von ihnen weder eine Förderung neuer Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe verlangt werden noch eine Schließung bereits vorhandener öffentlicher Einrichtungen zugunsten freier Einrichtungen, die erst noch neu geschaffen werden müssten . Derselbe Grundsatz des sinnvollen Einsatzes finanzieller Mittel und der Zusammenarbeit verbietet es aber auch, von den Gemeinden zu verlangen, dass sie von einem mit bescheidenen Mitteln möglichen Ausbau vorhandener eigener Einrichtungen absehen und stattdessen mit erheblich höherem Aufwand die Schaffung einer neuen Einrichtung eines Trägers der freien Jugendhilfe fördern. Umgekehrt soll das Jugendamt dort, wo geeignete Einrichtungen der Träger der freien Jugendhilfe bereits vorhanden sind, die schon allein gewährleisten, dass die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen ausreichend zur Verfügung stehen, keine Mittel für die Schaffung eigener Einrichtungen einsetzen, sondern vielmehr seine Mittel für die Förderung der freien Einrichtungen verwenden (§ 5 Abs. 1, § 7, § 8 JWG).“ Bereits im Planungsstadium von Maßnahmen, für die die Gemeinden nach § 30 HKJGB und die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung nach §§ 79, 80 SGB VIII zuständig sind, ist die Beteiligung der freien Träger vorgeschrieben. Von dieser allgemeinen Verantwortungsaufteilung geht das Land auch bei Investitionen in den Ausbau der Kindertagesbetreuung aus. Bei der Umsetzung der entsprechenden Bundesinvestitionsprogramme ist zwar zunächst grundsätzlich vorgesehen, dass die Bauträger auch Einrichtungsträger sein müssen. Eine generelle Ausnahme besteht aber für die Kommunen. Aufgrund ihrer originären Zuständigkeit für die Sicherstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Plätzen in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach § 30 Abs. 2 HKJGB können diese auch gefördert werden, wenn sie Bauträger sind, mit dem Betrieb der Einrichtung aber einen freien Träger der Jugendhilfe beauftragen. Voraussetzung ist, dass die Kommune die zweckentsprechende Verwendung für die Dauer der Zweckbindung sicherstellt. Wiesbaden, 9. Januar 2018 Stefan Grüttner 1 Anmerkung: Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG), eine Vorgängerreglung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII).