Kleine Anfrage der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD) vom 18.12.2017 betreffend Überdeckung bzw. Unterdeckung bei Krankenkassen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesversicherungsamt stellt fest, dass der Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) keine fairen Wettbewerbsbedingungen schafft. Es beinhaltet allerdings keine Vorschläge zur raschen Behebung der dadurch bedingten zunehmenden finanziellen Schieflage zwischen den Krankenkassen. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Mit dem vom Bundesgesundheitsministerium beauftragten Sondergutachten zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) wurde eine umfassende Ausund Bewertung von zentralen Elementen einer Fortentwicklung des RSA vorgelegt, um aufzeigen zu können, durch welche Anpassungen der Morbi-RSA zielgerichtet weiterentwickelt werden kann, und welche Weiterentwicklungsvorschläge die Funktion des Morbi-RSA ggf. beeinträchtigen könnten. Auch wenn die Zuweisungen im Morbi-RSA wesentlich genauer sind als in dem zuvor praktizierten RSA, werden eine Reihe von Fortentwicklungsmöglichkeiten mit ihren systembedingten Interdependenzen aufgezeigt, die einer sorgfältigen politischen Bewertung unterzogen werden müssen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Bei welchen Krankenkassen mit Versicherten in Hessen gibt es eine Unter- bzw. Überdeckung? Frage 8. Wie will sich die Landesregierung konkret dafür einsetzen, dass die ungerechtfertigte Überdeckung von Kassen gekappt, die systemisch bedingte Unterdeckung der Kassen behoben wird? Die Fragen 1 und 8 werden wie folgt gemeinsam beantwortet: Nach den Auswertungen des Wissenschaftlichen Beirates (vgl. 5.1 des Sondergutachtens oder Ziffer 9. der Zusammenfassung) nehmen die Überdeckungen der AOKn von 2012 bis 2015 zu, die Position der Knappschaft ist weitgehend unverändert; BKKn, IKKn und Ersatzkassen haben zunehmend negative Deckungsquoten. Zugleich stellt der Wissenschaftliche Beirat auch fest, dass es in allen Kassenarten unter- und überdeckte Krankenkassen gibt und die Heterogenität der Deckungsquoten innerhalb der Kassenarten im Untersuchungszeitraum 2009 - 2015 zugenommen hat. Über- und Unterdeckungen ergeben sich nach den Erläuterungen des Wissenschaftlichen Beirates aus der Gegenüberstellung von Zuweisungen und Ausgaben. Eine nähere Analyse zeige, dass bei den AOKn und bei der Knappschaft der RSA-Risikofaktor (also die kodierte Morbidität ) und damit zusammenhängend die auf den GKV-Mittelwert bezogenen Zuweisungen sinken, die Leistungsausgaben jedoch stärker als die Zuweisungen abnehmen, wodurch sich wachsende Überdeckungen ergeben. Demgegenüber habe bei BKKn und IKKn zwar der RSA-Risikofaktor (also die kodierte Morbidität) zugenommen und damit haben sich auch steigende auf den Mittelwert der GKV normierte Zuweisungen ergeben, die normierten Leistungsausgaben sind jedoch stärker gestiegen, woraus wachsende Unterdeckungen resultieren. Der Wissenschaftliche Beirat könne nach eigener Aussage jedoch anhand der zur Verfügung stehenden Daten nicht abschließend feststellen, inwieweit die beobachtbaren Differenzen zwi- Eingegangen am 23. Februar 2018 · Bearbeitet am 26. Februar 2018 · Ausgegeben am 29. Februar 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5791 23. 02. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5791 schen der Entwicklung der Risikostruktur und der Leistungsausgaben zwischen Krankenkassen, Krankenkassentypen und Krankenkassenarten auf Limitationen im gegenwärtigen RSA, auf regionale Aspekten, auf Unterschiede im Erfolg der Versorgungssteuerung (z.B. durch Rabattoder Selektivverträge) bzw. zu welchen Teilen sie auf eine krankenkassen(arten)spezifische Einflussnahme auf das Kodierverhalten der Leistungserbringer zurückzuführen seien. Es ist unstreitig, dass der Morbi-RSA einer zeitnahen Weiterentwicklung bedarf, in der u.a. die derzeit zu beobachtenden Über- und Unterdeckungen einer noch weitergehenden, vertieften Analyse unterzogen werden müssen. Frage 2. Welche Konsequenzen hat dies auf die Versicherten in Hessen? Für die Versicherten hat die unter Frage 1 dargestellte Problematik von Über- bzw. Unterdeckungen hinsichtlich ihrer medizinischen Versorgung keine Auswirkungen. Die gesetzlichen Krankenkassen gewährleisten für alle ihre Versicherten unabhängig davon eine sehr gute Versorgung . Es ist jedoch denkbar, dass eine Krankenkasse aufgrund angespannter finanzieller Situation , die sich möglicherweise aus der strukturellen Benachteiligung durch die Regelungen des Morbi-RSA ergibt, ihren Zusatzbeitrag anheben muss. Für diesen Fall sieht § 175 Abs. 4 SGB V jedoch ein Sonderkündigungsrecht für die Mitglieder dieser Krankenkasse vor. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in Hessen können zwischen 51 Krankenkassen wählen. Die aktuelle Spanne der Zusatzbeitragssätze liegt dabei zwischen 0,59 und 1,7 Beitragssatzpunkten (vgl. Frage 5.). Damit bestehen in Bezug auf die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) vielfältige Wahlmöglichkeiten für die Versicherten in Hessen. Frage 3. Wie stellt sich die Landesregierung einen Morbi-RSA vor, der einen fairen Wettbewerb zwischen Krankenkassen ermöglicht und Monopolisierung der Krankenkassenlandschaft sowie Manipulationsmöglichkeiten verhindert und regionale Besonderheiten berücksichtigt? Mit dem Morbi-RSA-Sondergutachten liegt eine wissenschaftlich belastbare und umfassende Grundlage für die systematische Weiterentwicklung des Morbi-RSA im Sinne eines "lernenden Systems" vor. Insbesondere da die Daten aller Krankenkassen für die Analysen berücksichtigt wurden, unterliegen die Ergebnisse keinen Einschränkungen in Bezug auf Repräsentativität und Übertragbarkeit. Zudem ist der Auftraggeber des Gutachtens in Bezug auf mögliche wettbewerbliche Auswirkungen neutral. Zusätzlich ist der Wissenschaftliche Beirat vom Bundesgesundheitsministerium beauftragt, in einem Folgegutachten bis April 2018 die regionalen Verteilungswirkungen des Morbi-RSA zu untersuchen. Daraus werden sich zusätzliche Erkenntnisse für die Weiterentwicklung des Morbi-RSA ableiten lassen. Als Maßstab für die Weiterentwicklung wird die mit dem Gutachten verbundene Zielsetzung der Vermeidung von Risikoselektion und einer Erhöhung der Zielgenauigkeit auf Ebene von Versicherten und Versichertengruppen im Morbi-RSA unterstützt, um faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Krankenkassen zu gewährleisten. Auf diesem Wege wird zugleich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Az. 2 BvF 2/01) aus 2005 Rechnung getragen, dass es die Funktion des Risikostrukturausgleichs ist, eine Wettbewerbsordnung zu flankieren, die auf der Basis des Solidarprinzips wirtschaftliches und effizientes Verhalten der Krankenkassen bei der gesundheitlichen Leistungserstellung fördern will. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass zu den Ausführungen des Wissenschaftlichen Beirates zwischenzeitlich sehr kritische Gegenäußerungen der Ersatz-, Betriebs- und Innungskrankenkassen vorliegen, die gleichermaßen einer sorgfältigen Analyse bedürfen, um eine adäquaten Weiterentwicklung des Morbi-RSA erreichen zu können. Aber auch dann muss man sich bewusst sein, dass es systembedingt keine Weiterentwicklungen des Morbi-RSA geben wird, die nicht bei der einen oder anderen Krankenkassenart bzw. Krankenkasse auf Kritik stößt, da steigende Zuweisungen für die eine Krankenkasse zwingend zu reduzierten Zuweisungen einer anderen Krankenkasse führen. Frage 4. Welche Lösungsvorschläge werden derzeit bzgl. der Fehlallokation in Hessen diskutiert? Aus Sicht der Ersatzkassen ist die Einführung einer Versorgungsstrukturkomponente (= Regionalkomponente ) zwingend erforderlich, da die Kosten für die medizinische Versorgung in den Regionen Deutschlands teils erheblich variieren; diese Tatsache müsse beim Morbi-RSA Berücksichtigung finden. Des Weiteren werden seitens der Ersatzkassen der Wegfall von Zuschlägen für Erwerbsminderungsrentner, eine Neuregelung bei Auslandsversicherten und die Einführung eines Hochrisikopools gefordert, um den Wettbewerb gerechter zu gestalten. Nach Ansicht der IKK Classic sind schnelle, pragmatische Lösungsansätze erforderlich, um die wachsende Spreizung der Über- und Unterdeckungen einzudämmen und die Fehlverteilung so- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5791 3 wohl auf Bundes- wie auch auf Länderebene abzubauen. Als kurzfristige Übergangslösung wäre beispielsweise ein hälftiger Ist-Kostenausgleich analog dem derzeitigen Krankengeldübergangsmodell denkbar. Übergedeckte Kassen wären dann zwar immer noch übergedeckt und untergedeckte Kassen immer noch untergedeckt. Über- und Unterdeckungen würden jedoch halbiert. Dies würde den Handlungsdruck in der GKV deutlich entschärfen und dem Gesetzgeber die nötige Zeit verschaffen, um eine grundlegende und sorgfältige Reform des Morbi-RSA zu initiieren , bei der dann auch die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten der bisherigen Vorschläge aufeinander geprüft und regionale Besonderheiten adäquat berücksichtigt werden könnten. Wie bereits zu Frage 3 ausgeführt, müssen alle Vorschläge, die nunmehr vorliegen, einer gemeinsamen Bewertung unterzogen werden, um beurteilen zu können, welche kurz- bis mittelfristig möglichen Reformschritte zu einer sinnvollen Weiterentwicklung des Morbi-RSA führen können. Hierbei ist insbesondere auch die Methodik der Krankheitsauswahl zu überdenken. Um seltene und teure Erkrankungen stärker zu berücksichtigen, ist es erforderlich, die derzeit mit der Wurzelfunktion gewichtete Häufigkeit einer Erkrankung mit Hilfe der Logarithmusfunktion zu gewichten. Damit würde die Relevanz leichter Erkrankungen, die derzeit bei der Beeinflussung der Kodierung eine große Rolle spielen, an Bedeutung verlieren. Frage 5. Welchen Zusatzbeitrag erhebt welche Kasse in Hessen und wie viel des Zusatzbeitrages verbleibt als Rückfluss, wie viel wird an andere Kassen außerhalb Hessens geleitet? a) Wie bewertet die Landesregierung den Vorschlag als prägnante Lösung, dass der Zusatzbeitrag bei der Krankenkasse verbleiben soll, die ihn erhebt? b) Wie will sich die Landesregierung dafür im Bundesrat einsetzen? Krankenkasse Zusatz beitrag geöffnet in actimonda BKK 1,00 % bundesweit AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen 1,00 % Hessen Audi BKK 0,70 % bundesweit BAHN-BKK 1,40 % bundesweit BARMER 1,10 % bundesweit Bertelsmann BKK 1,20 % bundesweit BKK Mobil Oil 1,10 % bundesweit BIG direkt gesund 1,00 % bundesweit BKK Diakonie 1,10 % Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern , Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig- Holstein BKK firmus 0,60 % bundesweit BKK Freudenberg 0,90 % Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen , Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen BKK Gildemeister Seidensticker 1,20 % bundesweit BKK HENSCHEL Plus 1,60 % Bayern, Hessen, Niedersachsen BKK Herford Minden Ravensberg 1,00 % Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen -Anhalt, Schleswig-Holstein BKK Herkules 1,10 % Bayern, Hessen, Niedersachsen BKK Linde 1,10 % bundesweit BKK Pfalz 1,40 % bundesweit BKK ProVita 1,30 % bundesweit BKK VerbundPlus 0,70 % bundesweit BKK Verkehrsbau Union (VBU) 1,30 % bundesweit BKK Werra-Meissner 1,10 % Bayern, Hessen BKK Wirtschaft & Finanzen 1,10 % Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein -Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen BKK ZF & Partner 1,20 % Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein -Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5791 Krankenkasse Zusatz beitrag geöffnet in BKK24 1,10 % bundesweit Bosch BKK 0,90 % Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen , Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen Continentale BKK 1,30 % bundesweit DAK-Gesundheit 1,50 % bundesweit Debeka BKK 0,90 % bundesweit Die Schwenninger BKK 1,30 % bundesweit energie-BKK 1,10 % bundesweit Hanseatische Krankenkasse 1,00 % bundesweit Heimat Krankenkasse 1,10 % bundesweit hkk 0,59 % bundesweit IKK classic 1,40 % bundesweit IKK gesund plus 0,60 % bundesweit IKK Südwest 1,50 % Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland Kaufmännische Krankenkasse - KKH 1,50 % bundesweit Knappschaft 1,30 % bundesweit mhplus BKK 1,10 % Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen , Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig- Holstein, Thüringen Novitas BKK 1,35 % bundesweit pronova BKK 1,20 % bundesweit R+V BKK 0,90 % bundesweit Salus BKK 0,95 % bundesweit SECURVITA BKK 1,70 % bundesweit SIEMAG BKK 1,40 % Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg , Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen Siemens-BKK (SBK) 1,30 % bundesweit SKD BKK 0,70 % Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg , Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen Techniker Krankenkasse 0,90 % bundesweit TUI BKK 1,10 % bundesweit VIACTIV Krankenkasse 1,70 % bundesweit WMF BKK 1,10 % bundesweit Quelle: GKV-Spitzenverband: Krankenkassenliste, Auszug für Hessen Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde das Finanzierungsmodell der GKV neu geregelt. Der vom Bundesversicherungsamt verwaltete Gesundheitsfonds gemäß § 271 SGB V bündelt seitdem die Beiträge der Arbeitgeber, der anderen Sozialversicherungsträger und der Mitglieder der Krankenkassen zuzüglich des Bundeszuschusses. Aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Krankenkassen Zuweisungen zur Deckung ihrer Ausgaben. Der Bundesgesetzgeber hat parallel den Risikostrukturausgleich im Jahr 2009 durch direkte Einbeziehung der Morbidität als Risikofaktor (Krankheiten und Krankheitsgruppen) neu justiert. Der Morbi- RSA soll dafür sorgen, dass aus bestehenden Unterschieden in der Versichertenstruktur zwischen den Krankenkassen keine ungleichen Wettbewerbschancen resultieren. Ein Rückfluss von Zusatzbeiträgen ist daher in dem geltenden Finanzierungssystem der GKV nicht vorgesehen bzw. als systemfremd zu bezeichnen. Insoweit wird sich das Land Hessen hierfür im Bundesrat auch nicht einsetzen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5791 5 Frage 6. Welche manipulationssicheren Vorgaben erwägt die Landesregierung, um eine präzise Kodierung durch Ärzte sicherzustellen? Wie seitens der Länder bereits seit mehreren Jahren betont wird, bedarf es der Einführung verbindlicher Kodierrichtlinien für die Dokumentation der vertragsärztlichen Behandlungsdiagnosen ; zum einen wegen der Morbiditätsorientierung des Risikostrukturausgleichs, zum anderen leidet die Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung darunter, dass aussagekräftige Daten nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Der ambulante Bereich sollte aber bei dem überaus wichtigen Thema "Qualität" nicht vernachlässigt oder gar ausgeklammert werden. Die Vereinbarung von Kodierrichtlinien - die im Übrigen im stationären Bereich den Alltag darstellen - und deren verpflichtende Anwendung durch die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte beinhaltet daher nicht die Gefahr einer Überregulierung, sondern eine unerlässliche Maßnahme zur Gewährleistung von Versorgungsqualität. Es sollte die Aufgabe der gemeinsamen Selbstverwaltung sein, den bürokratischen Aufwand hierfür für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte auf das Notwendige zu beschränken. Diese Sichtweise wird auch vom Wissenschaftlichen Beirat in Kapital 8.2, speziell auf Seite 498, des Gutachtens bestätigt. Für eine Einführung von Kodierrichtlinien sprechen sich zudem die Krankenkassen (Ersatzkassen, AOK Hessen, IKK classic) bei ansonsten durchaus sehr weit auseinander liegenden Bewertungen des Morbi-RSA sowie des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirates, aus. Frage 7. Wie bewertet die Landesregierung die Begrenzung bzw. Nicht-Begrenzung der sicher diagnostizierten Krankheiten sowie die Einführung eines zielgenauen Ausgleichs für teure Akutfälle und neue kostenintensive Arzneimitteltherapien? Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt als Fazit in Kapitel 6.2 seines Gutachtens, zukünftig die Einschränkung der berücksichtigten Erkrankungen aufzuheben und das Klassifikationsmodell als Vollmodell weiterzuentwickeln. Kritiker dieses Vorschlages weisen jedoch darauf hin, dass eine Aufhebung dieser Begrenzung dazu führen würde, dass insbesondere auch kostengünstige und hochprävalente Krankheiten, wie z.B. Husten oder Schnupfen ausgleichsfähig würden. Dies fördere die Manipulationsanreize, da die Hürden für die ungerechtfertigte Dokumentation von häufig vorkommenden kostengünstigen Krankheiten deutlich niedriger seien als bei seltenen, teuren Erkrankungen. Ein Krankheitsvollmodell würde zudem weitere negative Anreize setzen, für Krankenkassen in Maßnahmen zur Prävention und Gesunderhaltung ihrer Versicherten zu investieren. Einer solchen, nicht gewünschten Fehlentwicklung müsste entgegengewirkt werden, das berücksichtigt auch der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirates. Eine isolierte Betrachtung der Einführung eines Risikopools erscheint nicht zielführend. Eine solche Entscheidung kann nur zusammen mit weiteren Modellfestlegungen, wie z.B. der Zahl der zu berücksichtigenden Krankheiten und weiterer Aufgreifkriterien beantwortet werden. Kapitel 7.4 des Sondergutachtens gibt hier wichtige Informationen, die bei einer erneuten Einführung eines Risikopools berücksichtigt werden sollten. Zur Frage der Berücksichtigung von Arzneimitteltherapien befasst sich das Sondergutachten unter unterschiedlicher Betrachtungsweise in den Kapiteln 5.3 und 7.2. Der Wissenschaftliche Beirat stellt insbesondere in Kapitel 7.2.4 fest, dass die weitere Berücksichtigung von Arzneimittelinformationen im Rahmen von Pharmakostengruppen die Modellgüte z.T. deutlich verbessere , die Streichung von ambulanten Diagnosen könne eine Einführung von Pharmakostengruppen hingegen nicht auffangen. Es sei zu überlegen, wie eine weitergehende Berücksichtigung von Arzneimitteln im Morbi-RSA tatsächlich ausgestaltet werden könne. Die Überlegungen des Wissenschaftlichen Beirates sollten daher bei einer Weiterentwicklung des Morbi-RSA miteinfließen . Im Übrigen wird hierzu auf die Beantwortung der Fragen 3 und 4 verwiesen. Wiesbaden, 16. Februar 2018 Stefan Grüttner