Kleine Anfrage des Abg. Dr. h.c. Hahn (FDP) vom 02.12.2017 betreffend Wachsamkeit bei der Briefwahl und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Die Oberbürgermeisterwahl in Offenbach 2017 und die Kommunalwahl in Kelsterbach 2016 stehen im Verdacht , manipuliert worden zu sein. Der Schwerpunkt der staatsanwaltlichen Ermittlungen liegt in beiden Fällen auf der Briefwahl. Im Vergleich zur Urnenwahl begegnet die Briefwahl erhöhten Sicherheitsbedenken. Neben der Gefahr der Beeinflussung durch Dritte steht insbesondere das Verfahren zur Beantragung der Briefwahlunterlagen in der Kritik. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Briefwahl allgemein und in ihrer jetzigen Ausprägung bisher stets als verfassungsgemäß angesehen. Das Gericht hat zuletzt mit Beschluss vom 9. Juli 2013 (Az.: 2 BvC 7/10) dabei berücksichtigt, dass bei der Briefwahl die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen und die Integrität der Wahl nicht wie bei der Urnenwahl im Wahllokal gleichermaßen gewährleistet ist. Bei der Briefwahl bleibt es dem Wahlberechtigten weitgehend selbst überlassen, für das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit Sorge zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1967, Az.: 2 BvC 2/66). Die Briefwahl dient dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und will damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung tragen. Dieser Grundsatz stellt jedenfalls im Zusammenhang mit der Briefwahl eine zu den Grundsätzen der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl gegenläufige verfassungsrechtliche Grundentscheidung dar, die grundsätzlich geeignet ist, Einschränkungen anderer Grundentscheidungen der Verfassung zu rechtfertigen . Nach Auffassung des BVerfG ist es in erster Linie Sache des Gesetzgebers, bei der Ausgestaltung des Wahlrechts die kollidierenden Grundentscheidungen einem angemessenen Ausgleich zuzuführen. Dabei müsse er dafür Sorge tragen, dass keiner der vor allem das Demokratieprinzip konkretisierenden Wahlrechtsgrundsätze unverhältnismäßig eingeschränkt wird oder in erheblichem Umfang leer zu laufen droht. Nach Auffassung des BVerfG ist es nicht erkennbar , dass die geltenden wahlrechtlichen Bestimmungen keine ausreichende Gewähr für den Schutz vor Gefahren bieten, die bei der Durchführung der Briefwahl für die Integrität der Wahl, das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit entstehen können (Beschluss vom 9. Juli 2013 (Az.: 2 BvC 7/10). Der Gesetzgeber sei allerdings verpflichtet, für eine bestmögliche Sicherung und Gewährleistung der Wahlrechtsgrundsätze zu sorgen. Treten dabei Missbräuche zutage, die geeignet sein können, die Freiheit der Wahl oder das Wahlgeheimnis mehr als unumgänglich zu gefährden, so erwächst daraus die verfassungsrechtliche Pflicht, die ursprüngliche Regelung im Wege der Nachbesserung zu ergänzen oder zu ändern. Ebenso sind die zum Vollzug der Regelungen berufenen Wahlorgane und Gemeindebehörden gehalten, darüber zu wachen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass bei der Briefwahl das Wahlgeheimnis und die Freiheit der Wahl gewährleistet bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1981, Az.: 2 BvC 1/81 m.w.N.). Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung die gestiegenen Zahlen bei der Briefwahl in den letzten zehn Jahren? Von der Briefwahl wurde seit ihrer Einführung in zunehmendem Maße Gebrauch gemacht. Die Anzahl der Wähler mit Wahlschein (diese Gruppe beinhaltet größtenteils Briefwähler, daneben eine geringe Anzahl von Wählern mit Wahlschein, die an der Urnenwahl in einem beliebigen Eingegangen am 1. März 2018 · Bearbeitet am 2. März 2018 · Ausgegeben am 5. März 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5811 01. 03. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5811 Wahlbezirk des Wahlkreises teilnehmen) bei den letzten Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen ergeben sich aus den nachstehenden Tabellen: Bundestagswahl Anteil Wähler mit Wahlschein in % 2009 19,44 2013 23,14 2017 26,84 Europawahl Anteil Wähler mit Wahlschein in % 2009 16,74 2014 21,34 Landtagswahl Anteil Wähler mit Wahlschein in % 2009 13,28 2013 22,97 Das BVerfG hat es bisher verfassungsrechtlich für vertretbar gehalten, dass Gesetz- und Verordnungsgeber auf die zunehmende Mobilität in der heutigen Gesellschaft und auf die verstärkte Hinwendung zu einer individuellen Lebensgestaltung durch eine Änderung der Briefwahlvoraussetzungen reagieren. So konnte etwa die bis 2008 notwendige Pflicht zur Glaubhaftmachung von Gründen für die Briefwahl bei Europa- und Bundestagswahlen verfassungsrechtlich zulässig entfallen (Beschluss vom 9. Juli 2013, Az.: 2 BvC 7/10). Da die Briefwahl auch solchen Wahlberechtigten die Teilnahme an der Wahl eröffnet, die sich sonst aus gesundheitlichen oder anderen wichtigen Gründen gehindert sähen, ihre Stimme im Wahllokal abzugeben, trägt sie dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, der besagt, dass grundsätzlich alle Staatsbürger an der Wahl teilnehmen können, in erhöhtem Maße Rechnung (vgl. Beschluss des BVerfG vom 24. November 1981, Az.: 2 BvC 1/81). Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Gesetzgebers zur derzeitigen Ausgestaltung der Briefwahl auch unter Berücksichtigung der steigenden Beteiligung an der Briefwahl verfassungsrechtlich noch nicht bedenklich. Die Zahlen sind trotz der Steigerung auch noch nicht geeignet, in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Leitbild der Urnenwahl zu geraten, die die repräsentative Demokratie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar macht. Gemessen an der Gesamtbeteiligung bei Wahlen macht die Anzahl der Briefwähler nach wie vor einen verhältnismäßig geringen Anteil aus. Berücksichtigt man ferner, dass eine Stimmabgabe per Briefwahl nur auf Antrag möglich ist und vom Wähler eine eidesstattliche Versicherung erfordert, dass er den Stimmzettel persönlich gekennzeichnet hat, ist der Ausnahmecharakter noch gewahrt und die Briefwahl nicht zum Regelfall der Stimmabgabe geworden. Frage 2. Sieht die Landesregierung bei der Briefwahl Sicherheitsbedenken? Frage 3. Was unternimmt die Landesregierung gegen diese Sicherheitsbedenken? Die Fragen werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die wahlrechtlichen Vorschriften für Bundestags-, Landtags- Kommunal- und Europawahlen enthalten zahlreiche Bestimmungen, die auf die Begrenzung des Kreises der Briefwahlberechtigten und die Verhinderung von Manipulation abstellen. Wahlübergreifend setzt die Briefwahl stets einen schriftlichen oder mündlichen Antrag bei der Gemeinde voraus. Die Schriftform gilt dabei auch durch Telegramm, Fernschreiben, Telefax, E-Mail oder durch sonstige dokumentierbare elektronische Übermittlung als gewahrt; eine telefonische Antragstellung ist unzulässig. Der Antragsteller muss den Familiennamen, die Vornamen , den Tag der Geburt und seine Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort) angeben und wer den Antrag für einen anderen stellt, muss durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachweisen, dass er dazu berechtigt ist (§ 26 Abs. 1 bis 3 Europawahlordnung (EuWO), § 27 Abs. 1 bis 3 BWO, § 13 Abs. 1 bis 3 Landeswahlordnung (LWO), § 17 Abs. 1 bis 3 Kommunalwahlordnung (KWO)). Gründe für die Beantragung der Briefwahl müssen nicht mehr angegeben werden. Wahlschein und Briefwahlunterlagen werden dem Wahlberechtigten an seine Anschrift übersandt oder amtlich überbracht, soweit sich aus dem Antrag keine andere Anschrift oder die Abholung der Unterlagen ergibt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5811 3 Wird die Versendung der Briefwahlunterlagen an eine andere Anschrift durch Telegramm, Fernschreiben, Telefax, E-Mail oder durch eine sonstige dokumentierbare elektronische Übermittlung beantragt, gehört zur Versendung der Briefwahlunterlagen die gleichzeitige Versendung einer Mitteilung an die Wohnanschrift (vgl. § 27 Abs. 4 Satz 1 und 2 EuWO, § 28 Abs. 4 Satz 1 und 2 BWO, § 15 Abs. 4 LWO, § 18 Abs. 4 KWO). Bei einer missbräuchlichen Antragstellung kann der Wahlberechtigte dieses der Gemeinde anzeigen und diese kann den ausgestellten Wahlschein für ungültig erklären und dem Wahlberechtigten gegebenenfalls neue Briefwahlunterlagen erteilen. Der Wahlberechtigte kann die Briefwahlunterlagen auch bei der Gemeinde abholen. An einen anderen als den Wahlberechtigten persönlich dürfen die Briefwahlunterlagen nur ausgehändigt werden, wenn die Berechtigung zur Empfangnahme durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen wird. Von der Vollmacht kann nur Gebrauch gemacht werden, wenn die bevollmächtigte Person nicht mehr als vier Wahlberechtigte vertritt; dies hat sie vor Empfangnahme der Unterlagen schriftlich zu versichern (vgl. § 27 Abs. 5 Satz 3 und 5 EuWO, § 28 Abs. 5 Satz 3 und 5 BWO, § 15 Abs. 5 Satz 3 und 5 LWO, § 18 Abs. 5 Satz 3 und 5 KWO). Für die Stimmabgabe durch Briefwahl muss der Wähler den Stimmzettel unbeobachtet kennzeichnen und dem Gemeindevorstand gegenüber auf dem Wahlschein an Eides statt versichern, dass er den Stimmzettel persönlich gekennzeichnet hat (vgl. § 4 Europawahlgesetz (EuWG) i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 BWG, § 59 Abs. 1 Satz 1 EuWO, § 36 Abs. 2 Satz 1 BWG, § 66 Abs. 3 Satz 1 BWO, § 32 Abs. 2 Satz 1 LWG, § 57 Abs. 2 Satz 1 LWO, § 19 Abs. 2 Satz 1 KWG, § 45 Abs. 2 Satz 1 KWO). Die Vorschriften zur Durchführung der Briefwahlunterlagen gewährleisten im Regelfall einen ausreichenden Schutz vor Missbrauchsgefahren. Auch wenn nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass es in Einzelfällen zu einem Missbrauch im Zusammenhang mit der Briefwahl kommt, bestehen jedenfalls in Anbetracht der gesetzlichen Schutzvorschriften keine grundsätzlichen Sicherheitsbedenken. Frage 4. Hält die Landesregierung nach, an welche Adressen Briefwahlunterlagen verschickt werden? Frage 5. Wenn ja, prüft die Landesregierung, ob Briefwahlunterlagen auffällig häufig an bestimmte Adressen verschickt werden? Die Fragen werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Nein. Die Versendung der Briefwahlunterlagen obliegt bei allen Wahlen ausschließlich den Gemeinden . Die Landesregierung hat weder eine rechtliche Verpflichtung noch die tatsächliche Möglichkeit, zu kontrollieren, an welche Adressen Briefwahlunterlagen verschickt werden. Frage 6. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung aus den Verdachtsmomenten der Wahlmanipulation bei der Oberbürgermeisterwahl in Offenbach 2017 und der Kommunalwahl in Kelsterbach 2016 gewonnen? 1. Kommunalwahl in Kelsterbach 2016 Bei der Kommunalwahl am 6. März 2016 in Kelsterbach wollte eine Wahlberechtigte am Wahltag ihre Stimme im Wahllokal abgeben, wurde aber vom Wahlvorstand zurückgewiesen, da sie - ebenso wie ihr Ehemann - ausweislich des Wählerverzeichnisses bereits Briefwahlunterlagen erhalten hatte. Da sie glaubhaft versicherte, dass weder sie noch ihr Mann Wahlscheine beantragt hatten und ein Unterschriftenvergleich bei der Gemeindebehörde dies auch bestätigte, wurden die erteilten Wahlscheine für ungültig erklärt. Die Wahlscheine wurden im Rahmen der Ermittlung und Feststellung des Briefwahlergebnisses durch den Briefwahlvorstand gefunden und nicht zur Wahl zugelassen. Auf das Wahlergebnis hatte die Manipulation daher keinen Einfluss. Wegen der Unterschriftenfälschung wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ein Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl, der auf die Befürchtung gestützt wurde, dass es aufgrund des o.g. Vorfalls zu weiteren Fällen der Wahlmanipulation im Rahmen der Briefwahl gekommen sein könnte, wurde von der Stadtverordnetenversammlung zurückgewiesen. Nach dem Sachverhalt hat offenbar eine unbefugte Person mittels einer Fälschung der Unterschrift im Namen von zwei Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen beantragt. Da die Versendung der Briefwahlunterlagen an die Wohnanschrift der Wahlberechtigten erfolgte, müssen die Wahlunterlagen abgefangen worden sein, bevor sie in den Empfangsbereich der Wahlberechtigten gelangen konnten. Eine solche auf kriminellen Handlungen basierende Wahlmanipulation kann durch wahlrechtliche Schutzvorschriften nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Insbesondere konnte die Schutzvorschrift des § 18 Abs. 4 Satz 2 KWO, wonach der Wahlberechtigte durch eine Mitteilung an seine Meldeanschrift über die Erteilung von Briefwahlunterlagen informiert wird, wenn die Versendung des Wahlscheins und der Briefwahlunterlagen an eine andere Adresse beantragt wird, in diesem Fall nicht greifen, da die Briefwahlunterlagen mittels Unterschriftenfälschung missbräuchlich im Namen der Wahlberechtigten an deren Adresse be- 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5811 antragt und offensichtlich abgefangen wurden, bevor sie in den Empfangsbereich der Wahlberechtigten gelangen konnten. Die versuchte Wahlmanipulation war nur mit einem erheblichen Maß an krimineller Energie möglich. Insoweit dürfte es sich um einen besonderen Einzelfall handeln, der nicht geeignet ist, die Sicherheit der Briefwahl generell in Frage zu stellen. 2. Oberbürgermeisterwahl in Offenbach 2017 Zu dem in der Presse bekannt gewordenen Manipulationsverdacht bei der Oberbürgermeisterwahl in Offenbach hat die Stadt Offenbach mit Schreiben vom 15. Januar 2018 mitgeteilt, dass es aus ihrer Sicht keinerlei Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten während des Wahlgangs, bei der Durchführung der Briefwahl oder bei der Stimmenauszählung gegeben habe. Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl wurden keine erhoben. Zwar habe ein Kandidat in einem Briefwahlbezirk mit besonders hohem Migrantenanteil besonders viele Wählerstimmen erhalten. Dies sei aber im Hinblick darauf, dass der Kandidat ein gezielt auf Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund abgestelltes Wahlprogramm vorgestellt und gezielt auf die Möglichkeit der Briefwahl hingewiesen habe, nicht überraschend. Das Stimmenergebnis des Kandidaten hatte keinerlei Einfluss auf das Ergebnis der Oberbürgermeisterdirektwahl. Es sind staatsanwaltliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Wählerbestechung aufgenommenen worden. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Frage 7. Sind der Landesregierung weitere Verdachtsmomente für Wahlmanipulation in den letzten 10 Jahren in Hessen bekannt? Folgende Fälle von Manipulationen der Briefwahl sind bekannt: 1. Bei den Kommunalwahlen 2006 kam es in Seligenstadt zu Wahlmanipulationen im Zusammenhang mit der Briefwahl bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung. Briefwahlunterlagen wurden missbräuchlich im Namen von Wahlberechtigten beantragt und Wahlscheine nicht vom jeweiligen Wahlberechtigten selbst, sondern von Dritten, die nicht von diesen bevollmächtigt waren, ausgefüllt. Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 18. September 2008 (Az.: 3 E 1286/06) die Wahl in einem Briefwahlbezirk wegen der festgestellten Wahlmanipulationen für ungültig erklärt und die Wiederholung der Briefwahl für diesen Bezirk angeordnet . 2. Bei der Stichwahl der Bürgermeisterwahl in Hirzenhain 2014 war es zu Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren gekommen; die Gemeindevertretung hat in der Folge die Stichwahl für ungültig erklärt. Die dagegen gerichtete Klage des Bürgermeisters war im Ergebnis erfolgreich, da zwar Unregelmäßigkeiten festgestellt werden konnten, aber keine Anhaltspunkte für die Annahme bestanden, dass nach den Umständen des Einzelfalls eine nach der Lebenserfahrung konkrete Möglichkeit besteht, dass diese Unregelmäßigkeiten auf das Ergebnis von entscheidendem Einfluss gewesen sein könnten (VG Gießen, Urteil vom 21. Juni 2016, Az.: 8 K 2109/14. GI). Die Gemeinde verzichtete auf Rechtsmittel und erklärte die Stichwahl für gültig. Das Amtsgericht Büdingen verurteilte den Bürgermeister im November 2016 wegen Wahlfälschung (Urteil des Amtsgerichts Büdingen vom 23.11.2016, Az.: 60 Ds-501 Js 37231/15). Die dagegen gerichtete Revision des Bürgermeisters wurde durch Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 22. Mai 2017 (Az. 1 Ss 108/17) verworfen. Dem Bürgermeister wurde u.a. vorgeworfen in mehreren Fällen Wahlberechtigte vor der Stichwahl in ihrer Wohnung mit von ihm selbst erstellten Briefwahlantragsunterlagen aufgesucht zu haben und bei der Stimmabgabe zugegen gewesen zu sein. In folgenden Fällen gab es Auffälligkeiten im Bereich der Briefwahl: 1. Nach dem Erfahrungsbericht des Odenwaldkreises zur Kommunalwahl 2016 und zur Bundestagswahl 2017 (in Höchst verbunden mit der Direktwahl des Bürgermeisters) erfolgte in Höchst bei einigen Wahlberechtigten der Versand der Briefwahlunterlagen an auffällige Anschriften , wie z.B. die Adresse des örtlichen Vereinslokals eines ausländischen Kulturvereins. 2. Aus einem Bericht der Stadt Frankfurt am Main zu den Ausländerbeiratswahlen 2015 in Frankfurt ging hervor, dass ein starker Anstieg der Beantragung von Briefwahlunterlagen zu verzeichnen war und ein großer Anteil der Wahlberechtigten Unterlagen für andere Personen beantragten. Im Fall von abweichenden Versandanschriften wurden jeweils Informationsschreiben an die Meldeanschriften versandt. 3. Bei den Ausländerbeiratswahlen 2015 in Wiesbaden wurden zum Teil Briefwahlunterlagen von Personen beantragt, ohne dass die Wahlberechtigten selbst etwas von der Antragstellung wussten, die Briefwahlunterlagen wurden aber in diesen Fällen stets an die Meldeanschriften der Wahlberechtigten versandt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5811 5 Weitere Fälle von Wahlmanipulation im Zusammenhang mit Briefwahlen in den letzten zehn Jahren sind nicht bekannt. Frage 8. Wenn ja, welche Erkenntnisse hat die Landesregierung aus den Verdachtsmomenten gewonnen? Bei den bisher bekannten Fällen der Manipulation oder versuchten Manipulation der Briefwahl handelt es sich um außergewöhnliche Einzelfälle, die keinen Anlass zu grundlegenden Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der Durchführung der Briefwahl geben. Im Übrigen haben Gesetz- und Verordnungsgeber in der Vergangenheit versucht, unter Berücksichtigung der mit der Briefwahl intendierten Stärkung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl mögliche Missbräuche der Briefwahl zu verhindern oder zu erschweren. Neu eingeführt durch Verordnung zur Änderung der Landeswahlordnung und anderer wahlrechtlicher Vorschriften vom 14. Dezember 2006 (GVBl. I 2007, S. 26) wurde so z.B. die Bestimmung, dass von der Vollmacht für die Entgegennahme von Wahlschein und Briefwahlunterlagen durch eine andere Person als den Wahlberechtigten nur Gebrauch gemacht werden darf, wenn die bevollmächtigte Person nicht mehr als vier Wahlberechtigte vertritt, was sie dem Gemeindevorstand schriftlich zu versichern hat (§ 18 Abs. 5 Satz 3 und 5 KWO, § 15 Abs. 5 Satz 3 und 5 LWO). Durch die Fünfte Verordnung zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 28. Mai 2015 (GVBl. S. 237) wurde die Regelung eingeführt, dass der Wahlberechtigte eine Mitteilung an seine Wohnanschrift erhält, wenn die Versendung von Wahlschein und Briefwahlunterlagen an eine andere Anschrift in einer Form nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KWO bzw.§ 13 Abs. 1 Satz 2 LWO (dokumentierbare elektronische Übermittlung) beantragt wird (§ 18 Abs. 4 Satz 2 KWO, § 15 Abs. 4 Satz 2 LWO). Die gesetzlichen Regelungen zur Durchführung der Briefwahl sowie zur Ermittlung und Feststellung des Briefwahlergebnisses bieten im Regelfall eine hinreichende Gewähr für den Schutz vor Gefahren, die bei der Durchführung der Briefwahl für die Integrität der Wahl, das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit entstehen können, auch wenn in einzelnen Fällen, insbesondere im Falle der Begehung von Straftaten, ein Missbrauch der Briefwahl nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Briefwahl gerade den Wahlberechtigten eine Wahlteilnahme ermöglichen soll, die z.B. wegen Abwesenheit am Wahltag oder Krankheit sonst nicht an der Wahl teilnehmen können, rechtfertigen diese Einzelfälle allerdings keine Änderung oder Einschränkung der Briefwahl. Einer potenziellen Missbrauchsgefahr bei der Beantragung der Briefwahlunterlagen steht insbesondere entgegen, dass die Briefwahlunterlagen an den Wahlberechtigten gesendet werden bzw. für den Fall, dass die Versendung der Unterlagen an eine andere Anschrift durch Telegramm, Fernschreiben, Telefax, E-Mail oder durch eine sonstige dokumentierbare elektronische Übermittlung beantragt wurde, der Wahlberechtigte eine Information erhält, dass für ihn Briefwahlunterlagen ausgestellt wurden. Sofern der Antrag auf Briefwahlunterlagen nicht vom Wahlberechtigten gestellt wurde, kann er den Gemeindevorstand darüber informieren, der gegebenenfalls erforderliche Schritte einleitet. Dass mehrere Briefwahlunterlagen über eine E-Mail Adresse gestellt werden, ist gesetzlich nicht unzulässig und eröffnet alleine noch nicht die Möglichkeit der Manipulation. Auch die Versendung von Briefwahlunterlagen für mehrere Wahlberechtigte an eine Adresse ist alleine noch nicht geeignet, die Integrität von Wahlen in Zweifel zu ziehen, da durch die Kontrollmitteilung an die Meldeanschrift des Wahlberechtigten davon ausgegangen werden muss, dass diese Versendung von dem Wahlberechtigten gewünscht wird. Sofern Hinweise bestehen, dass der Wahlberechtigte die Briefwahl nicht unbeobachtet oder entgegen seiner abgegebenen eidesstattlichen Versicherung nicht persönlich durchgeführt hat, muss diesen Hinweisen nachgegangen werden. Wiesbaden, 17. Februar 2018 Peter Beuth