Kleine Anfrage des Abg. Greilich (FDP) vom 21.12.2017 betreffend Kommunikationspraxis bei Bekanntgabe der Staatsangehörigkeit von Straftätern oder Tatverdächtigen durch Polizeibehörden und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Die Frage zur Kommunikationspraxis von Polizeibehörden bei Straftaten von Flüchtlingen bzw. Migranten war bereits Inhalt des Dringlichen Berichtsantrags der Fraktion der FDP (Drs. 19/3026) vom 11. Januar 2016. Hier hat die Landesregierung bereits im Rahmen der Innenausschusssitzung vom 21. Januar 2016 ausführlich Stellung bezogen. Diese Stellungnahme ist erneut vollumfänglich Inhalt der Antwort auf die hier vorliegende Kleine Anfrage. Diese Vorbemerkung vorangestellt, wird die Kleine Anfrage wie folgt beantwortet: Frage 1. Welche Erlasse, Verwaltungsvorschriften, Anweisungen oder Hinweise (insgesamt sowohl schriftlicher wie auch mündlicher Art) des Hessischen Innenministeriums oder seiner nachgeordneten Behörden gibt es bezüglich der Veröffentlichung der Staatsangehörigkeit von Straftätern oder Tatverdächtigen, bspw. zum Zwecke der Fahndung nach Tatverdächtigen oder Ermittlung von Zeugen? Bitte aufschlüsseln unter Angabe des wesentlichen Inhalts der Regelung. Es gibt eine Vielzahl an Erlassen, Verwaltungsvorschriften, Anweisungen oder Hinweisen, nach denen sich die hessische Polizei bei ihrer Berichterstattung bzw. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu richten hat. Im Nachfolgenden sind die maßgeblich relevanten Erlasse und Vorschriften aufgeführt und die wesentlichen Inhalte in Bezug auf die Fragestellung auszugsweise dargestellt . 1. Erlass "Neufassung der Richtlinie über Mitteilungen der Polizei an die Presse und den Rundfunk" - Gz: LPP PB 42 vom 10.02.2011 Unter Punkt 2.3.5 sind die Voraussetzungen aufgeführt, unter denen eine Auskunftserteilung stattzufinden hat. Im Folgenden steht hier: "Bei der Auskunftserteilung muss der durch die Grundrechtsnorm gebotene Persönlichkeitsschutz der betroffenen Personen (der Beschuldigten, Zeugen und anderen Beteiligten) berücksichtigt werden. Durch die Erörterung eines Ermittlungsverfahrens mit Namensnennung der tatverdächtigen Person entsteht die Gefahr einer erheblichen Rufschädigung. Die spätere Resozialisierung der Täterin oder des Täters kann durch Publizität seines Falles schon vor der gerichtlichen Verhandlung erschwert werden. Andere Personen als Tatverdächtige (z.B. Zeuginnen) können durch eine öffentliche Erörterung des Verfahrens einschließlich Namensnennung ebenfalls schwer benachteiligt werden (etwa Tatopfer bei Sittlichkeitsdelikten). Die tatverdächtige Person und andere betroffene Personen bloßzustellen oder zu schädigen, muss daher nicht nur in deren Interesse, sondern auch im Interesse der Strafrechtspflege vermieden werden. Es dürfen demzufolge grundsätzlich nur solche personenbezogenen Daten, die eine Identifizierung nicht zulassen (Alter, Geschlecht und Wohnort, ggf. auch Staatsangehörigkeit, nicht aber Namen und Beruf), mitgeteilt werden. Ausnahmen sind nur aus besonderen Gründen (z.B. im Rahmen einer Öffentlichkeitsfahndung) zulässig. Die Mitteilung, eine beschuldigte Person sei "überführt", ist nicht statthaft, weil von einer "Überführung" erst nach rechtskräftiger Verurteilung gesprochen Eingegangen am 28. Februar 2018 · Bearbeitet am 28. Februar 2018 · Ausgegeben am 2. März 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5813 28. 02. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5813 werden kann. Eine ausführliche Beschreibung der Straftat ist zu vermeiden, wenn die Gefahr besteht , dass hierdurch andere Personen zu gleichartigen Straftaten verleitet werden könnten." 2. Erlass "Schutz vor der Verwendung diskriminierender Minderheitenkennzeichnungen durch Beschäftigte von Polizeibehörden" - Gz: LPP 12/Su. - 22 g 04 27 vom 02.01.2014 Seite 1, 3. Absatz: "Insbesondere das in Art. 3 GG verankerte Diskriminierungsverbot setzt konkrete Vorgaben für den Minderheitenschutz, wonach niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, Heimat und Herkunft, seines Glaubens sowie seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Inhaltsgleiche Regelungen finden sich in Landesverfassungen und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die es verbieten, Menschen aufgrund ihrer Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder religiösen Herkunft zu benachteiligen; gleiches gilt für Personen besonderer Lebensweisen. Nach dem Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten ist damit auch jegliche Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verboten. Rassismus, rassistisch motivierte Handlungen und rassistisches Gedankengut sind auch innerhalb der Polizei nicht zu tolerieren. Gerade die Polizei ist im Sinne einer Garantenstellung zum Schutz der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger besonders verpflichtet." Zu dem vorgenannten Erlass wurden noch Leitsätze formuliert und sind für die hessische Polizei damit zu beachten. Auszug der Leitsätze: Die Angehörigen der hessischen Polizei weisen auf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit in der internen und externen Berichterstattung nur hin, wenn dieses für das Verständnis eines Sachverhaltes oder für die Herstellung eines sachlichen Bezuges zwingend erforderlich ist - darüber hinaus beachten sie die Regelungen zur Auskunftserteilung an die Medien; sind sich ihrer Verantwortung bei dem Umgang mit dem Persönlichkeitsrecht des Individuums gegenüber den Medien und der Presse bewusst. Um dem Schutz nationaler Minderheiten vor Diskriminierung auch in diesem Kontext gerecht zu werden, darf bei Veröffentlichungen und Fahndungsaufrufen nicht auf die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit hingewiesen werden. 3. Pressekodex vom 22.03.2017 (Quelle: www.presserat.de) Der deutsche Pressekodex, bietet der hessischen Polizei, Hinweise, die in die Bewertung eines Sachverhalts einfließen können. Dort heißt es: "Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden. Richtlinie 12.1 - Berichterstattung über Straftaten (gültig seit 22.03.2017): In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte." Des Weiteren werden folgende Pressekodex-Praxisleitsätze angeführt: "Für ein begründetes öffentliches Interesse an der Nennung der Zugehörigkeit von Tätern oder Tatverdächtigen zu einer Gruppe oder Minderheit kann unter anderem jedoch sprechen, wenn zumindest einer der folgenden Sachverhalte vorliegt: Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor. Beispiele: Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Mord, Folter, Sprengstoffanschlag (z.B. auf den BVB-Mannschaftsbus 2017). Eine Straftat wird aus einer größeren Gruppe heraus begangen, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden ist. Beispiel: Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015/16. Die Biografie eines Täters oder Verdächtigen ist für die Berichterstattung über die Straftat von Bedeutung Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5813 3 Beispiel: Täter ist Flüchtling und hat auf seiner Migration bereits vergleichbare Straftaten begangen. Der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen selbst ist Gegenstand der Berichterstattung. Beispiel: Die Redaktion thematisiert den Handel mit bestimmten Drogen an bestimmten Plätzen durch Täter einer bestimmten Gruppe. Ein Straftäter oder Tatverdächtiger hat die eigenständige Struktur seiner Herkunftsgruppe für die Tatausführung benutzt. Beispiele: Der Täter nutzt ausländische Absatzwege für Diebesgut. Besondere Clan- Strukturen ermöglichen erst die Begehung von Straftaten (Ehrenkodex, Schweigeverpflichtungen , Solidaritätszwang usw.). Ein Verdächtiger flüchtet unter Ausnutzung von Strukturen in sein oder aus seinem Herkunftsland. Die Gruppenzugehörigkeit eines Tatverdächtigen hat eine besondere Behandlung im Ermittlungsverfahren zur Folge. Beispiel: Ein Ermittlungsrichter erlässt Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, da die ausländische Staatsangehörigkeit des Verdächtigen ein Absetzen ins Ausland erleichtern würde. Bei einem Verdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit wäre im vergleichbaren Fall kein Haftbefehl erlassen worden. Während eines Strafverfahrens wird die Gruppenzugehörigkeit eines Verdächtigen durch Verfahrensbeteiligte in besonderem Maße thematisiert. Beispiel: In einem Strafprozess wegen schwerer Körperverletzung bleibt es nicht bei der bloßen Nennung der Staatsangehörigkeit des Angeklagten bei der Feststellung der Personalien. Zudem plädiert die Verteidigung für ein mildes Strafmaß, weil sich der Angeklagte bei der Tatbegehung an den Traditionen der Konfliktregulierung seiner Gruppe orientiert habe." Frage 2. Gibt es Erlasse, Verwaltungsvorschriften, Anweisungen, Hinweise, Tagungen, Schulungen oder sonstige direkte oder indirekte Einwirkungen des Hessischen Innenministeriums oder seiner nachgelagerten Behörden auf die Pressestellen der Polizeipräsidien oder anderer Stellen, die Staatsangehörigkeit von Straftätern oder Tatverdächtigen der Presse vorzuenthalten oder nur eingeschränkt bekannt zu geben? Falls ja, bitte die entsprechenden Verhaltensregeln bzw. Fallgruppen auflisten und erläutern. Nein, derartige Erlasse Verwaltungsvorschriften, Anweisungen, Hinweise, Tagungen, Schulungen oder sonstige direkte oder indirekte Einwirkungen sind nicht bekannt. Frage 3. Nimmt das Hessische Innenministerium oder nehmen seine nachgelagerten Behörden dergestalt Einfluss auf die öffentliche Berichterstattung, dass Informationen zur Staatsangehörigkeit von Straftätern oder Tatverdächtigen an Vertreter der Presse nur unter Einschränkungen bei der Veröffentlichung durch diese weitergegeben werden? Nein, derartiges ist nicht bekannt. Frage 4. Falls die Fragen 2 und / oder 3 zumindest teilweise mit `ja´ beantwortet werden: Aus welchen Gründen halte es die Landesregierung oder ihre nachgeordneten Behörden für notwendig, die Staatsangehörigkeit von Straftätern oder Tatverdächtigen der Öffentlichkeit vorzuenthalten? Entfällt. Frage 5. Soweit die Landesregierung zur Rechtfertigung der geübten Praxis auf den Pressekodex verweist, der Maßstäbe für die eigenverantwortliche journalistische Arbeit definiert: Wie begründet die Landesregierung, dass Sie die eigenverantwortliche Entscheidung der Journalisten nach dem Pressekodex verhindert, indem sie sich selbst bzw. die Polizeibehörden zu der Einzelfallentscheidung berufen sieht? Der Pressekodex bietet Medienvertretern Hinweise, wie und in welcher Weise die Staatsangehörigkeiten von Tatverdächtigen in die Berichterstattung einfließen können. Die zugrundeliegenden Prinzipien sind von einem gründlichen Abwägungsprozess getragen. Auch wenn die Empfehlungen des Pressekodex‘ keine bindende Wirkung für die hessische Polizei entfalten, sind die grundlegenden Gedanken der Eigenverantwortlichkeit und des sorgfältigen Abwägens des Einzelfalls die gleichen tragenden Prinzipien für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pressestellen hessischer Polizeibehörden. Eine vertrauensvolle und verantwortliche Kommunikation der Polizei mit Journalistinnen und Journalisten ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Öffentlichkeit umfassend informieren zu können. Daher setzen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizeipressestellen selbstverständlich auch mit dem Pressekodex auseinander, weil dieser die tragenden Prinzipien und Grundsätze für Medienvertreter darüber formuliert, ob Straftaten von öffentlichem Interesse sind. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5813 Ob der Schutz des Einzelnen gegenüber dem öffentlichen Interesse letztendlich zurückstehen muss oder nicht, wird von den Pressestellen der Polizei im jeweils vorliegenden Fall abgewogen und selbstständig entschieden. Sollte im Einzelfall ein Journalist oder eine Journalistin bezüglich der Nennung einer Information wie beispielsweise der Staatsangehörigkeit anderer Ansicht sein, so steht es ihm oder ihr jederzeit frei, dies zu hinterfragen und seine oder ihre Ansicht darzulegen. Eine Entscheidung wird so im gemeinsamen Diskurs auf der Grundlage der für beide geltenden Prinzipien möglich sein, die eigenverantwortliche Entscheidung eines Medienvertreters wird hierdurch weder verhindert noch eingeschränkt. Wiesbaden, 17. Februar 2018 Peter Beuth