Kleine Anfrage der Abg. Degen und Frankenberger (SPD) vom 16.01.2018 betreffend politische Bildung an beruflichen Schulen und Antwort des Kultusministers Die Kleine Anfrage beantworte ich wie folgt: Frage 1. An welchen Schulformen der beruflichen Schulen ist ein Lehrplan für das Fach "Politik und Wirtschaft " vorhanden und in welcher Fassung liegt dieser jeweils vor? (Darstellung nach Schulformen der beruflichen Schulen sowie Jahrgang des Lehrplans) Für den Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" an Berufsschulen gibt es folgende curriculare Grundlagen: - Stärkung der Demokratieerziehung (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06.03.2009), - Elemente für den Unterricht der Berufsschule im Bereich Wirtschafts- und Sozialkunde gewerblich -technischer Ausbildungsberufe (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 30.05.2008), - Rahmenlehrplan für die beruflichen Schulen des Landes Hessen: Berufsschule, Fach Wirtschaftskunde von 1991, - Bildungspläne für die beruflichen Schulen im Lande Hessen, Gruppe: Berufsschulen, Heft 1/2, sozialkundlich-politischer Unterricht von 1965. Diese übergeordneten Grundlagen, die Anknüpfungspunkte für die Abdeckung politischer, wirtschaftlicher bzw. wirtschaftspolitischer Themenstellungen bieten, finden auch in weiteren Schulformen der beruflichen Bildungsgänge Anwendung. Neben den hier aufgeführten Bezugspunkten gibt es Lehrpläne, die für einzelne berufliche Schulformen gelten. Diese werden weiter unten, jeweils in Bezug auf die einzelne Schulform, erläutert. Auch wenn ein Bildungsplan von 1965 Grundlage eines aktuellen Unterrichts im Fach "Politik und Wirtschaft" ist, wird ihm nach wie vor größter Respekt der Fachöffentlichkeit entgegengebracht . Beispielhaft sei hier die Zieldefinition des sozialkundlich-politischen Unterrichts zitiert: "Der sozialkundlich-politische Unterricht muss die Voraussetzungen für politisch vernünftiges Handeln schaffen; Vernunft ist hierbei nicht nur sachrational, sondern auch wertrational gemeint ." Es heißt dort weiter, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrer Kompetenzentwicklung dazu befähigt werden, "1. sich über wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Fragen zu informieren und sich Kenntnisse zu verschaffen, um Vorurteile abzubauen und Sachurteile ohne Wertbezogenheit zu bilden; 2. zum Verständnis des Politischen und zur Einsicht in das Wesen der Demokratie und ihren Wert für Freiheit, Recht und Menschenwürde zu gelangen; 3. nach vernunftbestimmter Entscheidung für die Demokratie als freiheitlicher Lebens- und Herrschaftsform politisch zu handeln. Diese Entscheidung beruht auf Einsichten, die Demokratie möglich machen." Diese Bildungsziele sind nach Auffassung der Hessischen Landesregierung prägnant und zielgerichtet formuliert und haben nach wie vor Gültigkeit. Die Hinführung von Schülerinnen und Schülern zu politischem Verantwortungsbewusstsein und die sich daraus entwickelnde Erkennt- Eingegangen am 19. März 2018 · Bearbeitet am 19. März 2018 · Ausgegeben am 28. März 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5842 19. 03. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5842 nis, dass freiheitliche Demokratie nicht nur passiv konsumiert, sondern von jedem Einzelnen mitgetragen und gelebt werden muss, ist seit jeher eine der Hauptherausforderungen für den sozialkundlich -politischen Unterricht. Der o.g. Bildungsplan gibt universelle, über die tagesaktuellen Begebenheiten hinausgehende Denkanreize zu den Ansprüchen, die im System einer freiheitlichen Demokratie an jeden einzelnen Bürger und an jede einzelne Bürgerin gestellt werden. Er fordert darüber hinaus die Nutzerinnen und Nutzer des Curriculums auf, eine aktive Grundhaltung einzunehmen. Aktualität besitzt und behält der Lehrplan dadurch, dass es Aufgabe der jeweiligen Schule ist, ein erweitertes schul- bzw. schulformbezogenes Curriculum zu erstellen, mit dem aktuelle Schwerpunkte gebildet und relevante Themen ausgewählt, erweitert oder vertieft werden können . Diese schulbezogene Gestaltung des Lehrplans eröffnet darüber hinaus vielfältige Möglichkeiten der Differenzierung sowie der Anpassung an die jeweiligen Notwendigkeiten der einzelnen Schulform. Zu den einzelnen Schulformen können die folgenden, ergänzenden Aussagen getroffen werden: In den Bildungsgängen zur Berufsvorbereitung ist "Politik und Wirtschaft" Unterrichtsfach. Grundlage für den Unterricht ist der entsprechende Lehrplan (2010). In der zweijährigen Berufsfachschule ist "Politik und Wirtschaft" ebenfalls Unterrichtsfach. Der erfolgreiche Abschluss dieses Bildungsgangs kann als erstes Jahr einer entsprechenden Berufsausbildung anerkannt werden. Für den Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" gilt deshalb der o.g. Bildungsplan in Verbindung mit dem KMK-Orientierungsrahmen zur Demokratieerziehung (2009); die zu vermittelnden Inhalte werden über schulbezogene Curricula aktualisiert. In der einjährigen höheren Berufsfachschule gelten für das Fach "Politik und Wirtschaft" die gleichen Voraussetzungen wie in der zweijährigen Berufsfachschule. Im Rahmen des Schulversuchs "Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung (BÜA)" wird das Fach "Politik und Wirtschaft" verbindlich angeboten; hier gelten die gleichen Voraussetzungen wie für die zweijährige Berufsfachschule und die einjährige höhere Berufsfachschule. Hinzu kommt in diesem Schulversuch die Berücksichtigung des Lehrplans für die Bildungsgänge zur Berufsvorbereitung (2010). In der zweijährigen höheren Berufsfachschule ist in allen Fachrichtungen "Politik und Wirtschaft " Unterrichtsfach; Grundlage für den Unterricht sind grundsätzlich die jeweils gültigen Lehrpläne. In dieser Schulform wird auf den o.g. Bildungsplan zurückgegriffen (1965). Auch in der zweijährigen höheren Berufsfachschule für Sozialassistenz ist "Politik und Wirtschaft " Unterrichtsfach. Bezugspunkt für den Unterricht ist der Lehrplan (2008); die Grundlage für den Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" ist der entsprechende Lehrplan der höheren Berufsfachschule. Somit wird auch hier Bezug auf den o.g. Bildungsplan (1965) genommen. "Politik und Wirtschaft" ist verbindliches Unterrichtsfach in der Fachoberschule (Form A und Form B). Für den Schwerpunkt "Wirtschaft und Verwaltung" und dabei insbesondere in der Fachrichtung Wirtschaft existiert ein umfassender Lehrplan (2006), der u.a. auf den o.g. Bildungsplan zurückgreift. Das Fach "Politik und Wirtschaft" nimmt im Fächerkanon der gymnasialen Oberstufe und damit auch im Beruflichen Gymnasium eine besondere Stellung ein. Die Kerncurricula der gymnasialen Oberstufe (KCGO) sind zum Schuljahresbeginn 2016/17 in Kraft getreten. Für das Fach "Politik und Wirtschaft" ist das Kerncurriculum seither im Beruflichen Gymnasium Grundlage des Oberstufenunterrichts. Die Verordnung zum Lehrplan für die Fachschule für Sozialwesen, Fachrichtung Sozialpädagogik (2004) ist mit dem 31. Dezember 2017 ausgelaufen. Das in diesem nunmehr ungültigen Lehrplan angebotene Unterrichtsfach "Soziologie/Politik" entfällt mit der aktuellen Änderungsverordnung vom 11. Januar 2018; die Inhalte wurden in die einzelnen Aufgabenfelder überführt , insbesondere in das Aufgabenfeld 1 "Berufliche Identität und professionelle Perspektiven weiter entwickeln", Bildungsbereich "Demokratie und Politik". Diese Änderungen sind in dem neuen Lehrplanentwurf dieses Bildungsganges berücksichtigt, der in Kürze in Kraft gesetzt wird. In der Fachrichtung Heilerziehungspflege ergibt sich mit der vorliegenden Änderungsfassung der Verordnung eine entsprechende Umstrukturierung wie in der Fachrichtung Sozialpädagogik. Noch gilt als Grundlage für den Unterricht der entsprechende Lehrplan (2008). Der Lehrplanentwurf , der die Änderungen umsetzt, ist derzeit in Bearbeitung. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5842 3 In der Fachrichtung Heilpädagogik gibt es kein Unterrichtsfach "Politik und Wirtschaft". Für die zweijährigen Fachschulen in den Fachbereichen Wirtschaft, Technik und Gestaltung liegt ein Lehrplan für das Fach Politik, Wirtschaft, Recht und Umwelt in der Fassung vom 29.08.2011 vor. Für die einjährigen Fachschulen gibt es keinen eigenen Lehrplan. Frage 2. Wie viele Wochenstunden im Fach "Politik und Wirtschaft" sind für die jeweilige Schulform der beruflichen Schulen jeweils vorgesehen? Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Anzahl der jeweiligen Wochenstunden im Fach "Politik und Wirtschaft" in den beruflichen Voll- und Teilzeitschulformen: Berufliche Schulformen Voll-/Teilzeit (VZ/TZ) Wochenstunden Berufsschule TZ 1 Berufsgrundbildungsjahr in kooperativer Form (i. V. m. Verordnung Berufsschule) VZ TZ 1 1 Bildungsgänge zur Berufsvorbereitung VZ TZ 1 0,5 Zweijährige Berufsfachschule VZ 1,5 Einjährige höhere Berufsfachschule VZ 2 Berufsfachschule zum Übergang in Ausbildung (Schulversuch ab 01.08.2017) VZ 1 Zweijährige höhere Berufsfachschule VZ 1 Mehrjährige Berufsfachschule mit Berufsabschluss VZ 1 Fachoberschule - 1. Abschnitt Form A - 2. Abschnitt Form A / Form B TZ VZ 1 2 Berufliches Gymnasium - Einführungsphase - Qualifikationsphase VZ VZ 2 2 oder 3 (vgl. § 19 OAVO) Einjährige Fachschule VZ/TZ 1 Zweijährige Fachschule VZ/TZ 2 Frage 3. Wie viel % des Unterrichts im Fach "Politik und Wirtschaft" wird an beruflichen Schulen von Lehrkräften erteilt, die für das Unterrichtsfach in allen Phasen der Lehramtsausbildung qualifiziert wurden? (Angaben zum aktuellsten möglichen Zeitpunkt) Das Fach "Politik und Wirtschaft" wird im Schuljahr 2017/2018 an öffentlichen beruflichen Schulen zu 52,2 % von Lehrkräften erteilt, die über eine entsprechende Lehrbefähigung verfügen . Zu den weiteren im Fach eingesetzten Lehrkräften gehören Lehrkräfte mit Lehrbefähigung für ein anderes Fach, Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, die in der zweiten Phase der Lehramtsausbildung noch qualifiziert werden, oder Personen mit Unterrichtserlaubnis. Möglich ist beispielsweise der Einsatz von Lehrkräften, die Politik und Wirtschaft studiert, aber keinen Vorbereitungsdienst oder keinen Vorbereitungsdienst mit diesem Fach absolviert haben. Lehrkräfte ohne Fakultas "Politik und Wirtschaft" werden durch die kontinuierliche Mitarbeit an der Weiterentwicklung des schulbezogenen Curriculums für das Fach "Politik und Wirtschaft" im Sinne schulinterner Fortbildungen gemeinsam mit den Lehrkräften, die die Lehrbefähigung haben , insoweit qualifiziert, als sie inhaltlich und didaktisch-methodisch auf die jeweilige Umsetzung der curricularen Inhalte für den Unterricht vorbereitet werden. Frage 4. Wie wird sichergestellt, dass der Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" an den beruflichen Schulen jenseits des beruflichen Gymnasiums systematisch auf dem entsprechenden Unterricht der allgemeinbildenden Schulen aufbaut? Durch den Übergang aus den unterschiedlichsten allgemeinbildenden Schulformen in das berufliche Bildungssystem kann ein nahtloser inhaltlicher Aufbau auf die Unterrichtsinhalte der vorher besuchten Schule im Regelfall kaum erfolgen. Eine inhaltliche Passung des Unterrichts im Fach "Politik und Wirtschaft" der beruflichen Schulformen ist insbesondere aus zwei Gründen nicht realisierbar: aufgrund der Vielfalt der vorher besuchten Schulen und des Eintritts in das berufliche Schulwesen mit den unterschiedlichsten Bildungsbiografien. Nicht zuletzt deshalb sind die Curricula des beruflichen Bildungssystems offen formuliert und müssen Chancen für Differenzierungsangebote enthalten. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5842 Frage 5. Wie wird sichergestellt, dass der Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" an den beruflichen Schulen systematisch innerhalb der Schulformen der beruflichen Schulen aufeinander aufbaut? Da es keinen vorgeschriebenen einheitlichen Weg von Schülerinnen und Schülern durch das berufliche Bildungssystem gibt, ist die Idealvorstellung von konsequent aufeinander aufbauenden Curricula kaum realisierbar. Allenfalls kann dies in den beruflichen Schulformen - nicht nur für das Fach "Politik und Wirtschaft" - mit der Entwicklung und Fortschreibung schul(form)bezogener Curricula durch Fach- und Schulformkonferenzen sichergestellt werden. Das Unterrichtsangebot in den Fachschulen für Wirtschaft, Technik und Gestaltung stellt eine Form der schulischen Weiterbildung dar und baut in den verschiedenen Fachrichtungen und Schwerpunkten auf einer beruflichen Ausbildung auf. Die Inhalte des Bereichs Politik und Wirtschaft sind mit denen der beruflichen Schulformen abgestimmt, in denen eine Berufsausbildung absolviert wird. Frage 6. Welche Fortbildungsangebote bestanden in den vergangenen zwei Schuljahren und bestehen im laufenden Schuljahr für Lehrkräfte, die "Politik und Wirtschaft" an beruflichen Schulen erteilen? In den beiden Schuljahren 2015/2016 und 2016/2017 gab es bei der Hessischen Lehrkräfteakademie 127 akkreditierte Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte mit dem Unterrichtsfach "Politik und Wirtschaft" an beruflichen Schulen. Sechs dieser Veranstaltungen sind mangels Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgefallen. Zwei Veranstaltungen fielen zunächst mangels Referentin bzw. Referenten aus, wurden jedoch zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt. Zum Stichtag 2. Februar 2018 sind für das laufende Schuljahr 45 Fortbildungsveranstaltungen für die o.g. Lehrkräfte akkreditiert, von denen 41 Veranstaltungen zum genannten Stichtag bereits stattgefunden haben; weitere vier Fortbildungsangebote sind angemeldet. Frage 7. Welche Evaluation zum Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" sowie zur fächerübergreifenden politischen Bildung an beruflichen Schulen liegt der Landesregierung vor? Ein grundsätzlicher Orientierungsrahmen für die Weiterentwicklung des Unterrichts im Fach "Politik und Wirtschaft" liegt mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6. März 2009 "Stärkung der Demokratieerziehung" vor. Daraus abgeleitet hat es in Hessen zahlreiche Fachfortbildungen über alle Schulformen hinweg gegeben, insbesondere auch mit der Zielsetzung der entsprechenden Aktualisierung schulinterner Curricula. Mit der Veröffentlichung von Anja B., Lehrstuhl für Didaktik der politischen Bildung an der Technischen Universität Dresden, zum Thema "Monitor politische Bildung an beruflichen Schulen " (2014) liegt der Hessischen Landesregierung eine umfangreiche Evaluation zum Unterricht im Fach "Politik und Wirtschaft" vor, die über Hessen hinausgeht (http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/195348/monitor-politische-bildung-anberuflichen -schulen). Auch aus diesen Ergebnissen sind insbesondere für die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern in beruflichen Schulen entsprechende Angebote entstanden und umgesetzt worden. Nicht zuletzt hat die Hessische Landesregierung die Untersuchung von M. Gökbudak und R. Hedtke von der Universität Bielefeld "Ranking Politische Bildung" (2017) zur Kenntnis genommen (https://pub.uni-bielefeld.de/publication/2917005). Diese Untersuchung hat den Fokus auf die Sekundarstufe I gelegt und insbesondere die Lernzeiten für politische Bildung in allen Bundesländern verglichen. Dabei gehört Hessen - neben Schleswig-Holstein und Nordrhein- Westfalen - zu der Spitzengruppe. Die hessischen Schülerinnen und Schüler haben danach beste Möglichkeiten, sich intensiv mit den Grundlagen politischer Bildung auch für die weiterführenden Schulformen, einschließlich der beruflichen Schulen, zu qualifizieren. Hessenspezifische Evaluationen zu den in der Fragestellung genannten Aspekten liegen derzeit nicht vor. Frage 8. Zu welchen Erkenntnissen hinsichtlich der vorausgestellten Fragen kamen die früheren Schulinspektionen ? Der hessische Referenzrahmen für Schulqualität sieht keine fächerbezogenen Auswertungen vor; deshalb liegen aus den früheren Schulinspektionen keine Erkenntnisse zu den genannten Fragestellungen vor. Wiesbaden, 8. März 2018 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz