Kleine Anfrage der Abg. Dr. Sommer (SPD) vom 19.01.2018 betreffend Abbildung spezialisierter Behandlungen an Universitätsklinika im nationalen DRG-System und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung der Fragestellerin: Eine Studie der Charité-Universitätsmedizin Berlin analysiert den tatsächlichen Behandlungsaufwand und dessen Abbildung im geltenden Abrechnungssystem (DRG) am Beispiel von Patientinnen und Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und bezieht sich auf mehr als 3000 klinische Fälle. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zählen zu komplexen Erkrankungen des Verdauungstraktes. Betroffene benötigen meist eine intensive Pflege und aufwendige Behandlung durch multidisziplinäre Teams an Universitätsklinika. Die Studie belegt, dass sich die Kosten für die erbrachten Leistungen nicht in pauschalen Abrechnungen wiederfinden . Universitätsklinika sind aufgrund ihrer Spezialisierung und technischen Ausstattung in besonderem Maße für die fachgerechte Betreuung von Patientinnen und Patienten geeignet, die von seltenen oder schwerwiegenden Erkrankungen - teilweise ein Leben lang - betroffen sind. Ein Fazit der Studie ist, dass die Berechnungsgrundlage des nationalen DRG-Systems spezialmedizinische Behandlungen und den finanziellen Mehraufwand dafür nicht hinreichend abbilden und lediglich partiell durch Zusatzentgelte abgelten können. Stark spezialisierte Fachdisziplinen, seltenere Krankheitsbilder und ihre Behandlungsverfahren seien einem zunehmenden Selektionsdruck ausgesetzt. Vorbemerkung des Ministers für Wissenschaft und Kunst: Die von der Fragestellerin angesprochene Studie der Charité-Universitätsmedizin Berlin wurde im Januar 2016 in der Fachzeitschrift PLOS ONE (https://doi.org/10.1371/journal.pone. 0147364) veröffentlicht. Als höchste medizinische Versorgungsstufe übernehmen Universitätsklinika viele Patienten mit besonders komplexen und schweren Erkrankungen. Ihr Anteil an besonders teuren und aufwendigen Behandlungen ist im Vergleich zu anderen Kliniken deutlich höher. Die Frage der Finanzierung der hessischen Hochschulmedizin war und ist ständiger Gegenstand parlamentarischer Anfragen und Initiativen in dieser Legislaturperiode. Zur Beantwortung der nachstehenden Fragen sind das Universitätsklinikum Frankfurt (UKF) und die Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH (UKGM) um Stellungnahme gebeten worden. Das UKF hat mitgeteilt, dass die Auswertung zur Beantwortung der Fragen auf stationäre Fälle beschränkt wurde. Der Vollständigkeit halber wurde darauf hingewiesen, dass in dem umfangreichen Angebot an Spezialsprechstunden, u.a. in der Hochschulambulanz, die Patienten aus dem Niedergelassenen-Bereich nach entsprechender Facharztüberweisung behandelt werden, da dies in der Komplexität nur im ambulanten Umfeld eines Universitätsklinikums möglich sei. Für das UKGM sind die gewünschten Informationen für die beiden Standorte Gießen und Marburg getrennt vorgelegt worden. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Auf welche Behandlungen seltener oder schwerwiegender Erkrankungen sind die hessischen Universitätsklinika spezialisiert (bitte nach Universitätsklinika aufgeschlüsselt die fünf häufigsten Erkrankungen dieser Art)? Das UKF hat darauf hingewiesen, dass die folgende Auflistung auf einer Auswertung der schwerwiegenden Erkrankungen gemäß Klassifikation des Verbands der Universitätsklinika Eingegangen am 28. Februar 2018 · Bearbeitet am 28. Februar 2018 · Ausgegeben am 2. März 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/5950 28. 02. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5950 Deutschlands (VUD) und einer Auswertung der seltenen Erkrankungen ausgehend von der Definition im § 116b des SGB V basiert. Die Gewichtung ist entsprechend des Case Mix Index gebildet worden: 1. Lebertransplantationen, 2. Frühgeborene unter 1.250 g, 3. Stammzellentransplantationen, 4. Herzklappen-OP, 5. Nierentransplantationen. Der UKGM-Standort Gießen teilt mit, auf die nachfolgenden schwerwiegenden und seltenen Erkrankungen spezialisiert zu sein: 1. Kinderherztransplantationen, 2. Frühgeborene unter 1.250 g, 3. Lungentransplantationen, 4. Nierentransplantationen, 5. Stammzellentransplantationen. Nach Mitteilung des UKGM-Standort Marburg besteht dort eine Spezialisierung zu folgenden schwerwiegendsten und seltenen Erkrankungen: 1. Angeborene Fehlbildungen der großen Arterien, 2. Nichtrheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten, 3. Polycythaemia vera, 4. Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS], 5. Angeborene Fehlbildungen der Lunge. Frage 2. Wie lange dauert im Durchschnitt eine Behandlungsphase seltener oder schwerwiegender Erkrankungen an den hessischen Universitätsklinika (bitte nach Universitätsklinika aufgeschlüsselt auf die in Frage 1 genannten Erkrankungen)? Die durchschnittlichen Verweildauern in Tagen betrugen am UKF für die in Frage 1 genannten Erkrankungen in den letzten fünf Jahren: 1. Lebertransplantationen: ..................................... 51,5 2. Frühgeborene unter 1.250 g: .............................. 60,4 3. Stammzellentransplantationen: ............................ 36,5 4. Herzklappen-OP: ............................................ 20,9 5. Nierentransplantationen: .................................... 30,1 Die durchschnittlichen Verweildauern in Tagen betrugen am UKGM-Standort Gießen für die in Frage 1 genannten Erkrankungen in den letzten fünf Jahren: 1. Kinderherztransplantationen: ........................... 136,7 2. Neugeborene unter 1.250 g: .............................. 67,5 3. Lungentransplantationen: .................................. 67,7 4. Nierentransplantationen: .................................. 25,3 5. Stammzellentransplantationen: ........................... 37,2 Die durchschnittlichen Verweildauern in Tagen betrugen am UKGM-Standort Marburg für die in Frage 1 genannten Erkrankungen in den letzten fünf Jahren: 1. Angeborene Fehlbildungen der großen Arterien: ...... 34,4 2. Nichtrheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten:... 19,9 3. Polycythaemia vera: ....................................... 33,3 4. Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS]: .......... 24,8 5. Angeborene Fehlbildungen der Lunge: ................. 17,7 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5950 3 Frage 3. Wie viele Patientinnen und Patienten werden aktuell bzw. wurden in den letzten fünf Jahren betreffend der in Frage 1 genannten Erkrankungen an hessischen Universitätsklinika behandelt (bitte nach Universitätsklinika aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre)? In den Jahren 2013-2017 sind am UKF für die in Frage 1 genannten Erkrankungen folgende Fälle bzw. Patienten behandelt worden: Stationäre Fallzahlen 2013 2014 2015 2016 2017 Lebertransplantationen 33 19 18 22 19 Frühgeborene unter 1.250g 60 66 56 54 79 Stammzellentransplantationen 145 138 188 167 187 Herzklappen-OP 973 872 846 751 814 Nierentransplantationen 59 66 58 42 55 In den Jahren 2013 bis 2017 sind am UKGM-Standort Gießen für die in Frage 1 genannten Erkrankungen folgende Fälle bzw. Patienten behandelt worden: Stationäre Fallzahlen 2013 2014 2015 2016 2017 Kinderherztransplantationen 9 13 11 11 5 Neugeborene unter 1.250 g 38 52 65 64 59 Lungentransplantationen 12 20 12 11 14 Nierentransplantationen 21 28 26 27 13 Stammzellentransplantationen 25 26 36 57 34 In den Jahren 2013 bis 2017 sind am UKGM-Standort Marburg für die in Frage 1 genannten Erkrankungen folgende Fälle bzw. Patienten behandelt worden: Stationäre Fallzahlen 2013 2014 2015 2016 2017 Angeborene Fehlbildungen der großen Arterien 1 3 2 0 3 Nichtrheumatische Trikuspidalklappenkrankheiten 2 2 8 12 3 Polycythaemia vera 1 0 1 0 1 Atemnotsyndrom des Erwachsenen [ARDS] 15 19 15 29 15 Angeborene Fehlbildungen der Lunge 0 1 0 1 1 Frage 4. Inwiefern ist der Landesregierung die beschriebene Problematik betreffend einer erschwerten Abbildung spezialisierter Behandlungen im nationalen DRG-System an hessischen Universitätsklinika bekannt? a) Welche Strategien haben hessische Universitätsklinika diesbezüglich entwickelt? b) Welche landespolitischen Unterstützungsmaßnahmen gibt es diesbezüglich bzw. welche Optimierungsbedarfe kann die Landesregierung mit welchen Maßnahmen steuern? c) Wie muss sich aus landespolitischer Sicht das DRG-System diesbezüglich weiterentwickeln? Zu Frage 4: Der Hessischen Landesregierung ist die beschriebene Problematik bekannt, u.a. wurde über diese Thematik bereits am 28.05.2015 im Rahmen des Dringlichen Antrags 19/2024 im Plenum diskutiert. zu Frage 4 a: Das UKF hat mitgeteilt, dass die erschwerte Abbildung im DRG-System gegeben sei und nur marginal beeinflusst werden könne. Ob der Fallmix ausreiche, die hauseigenen Kosten zu decken, sei nicht abbildbar, da UKF kein Kalkulationskrankenhaus sei. Am Beispiel der Geburtshilfe sei dies gut darstellbar; UKF sei ein Perinatalzentrum Level 1: von 1929 Geburten seien 1603 komplizierte Entbindungen, da UKF z.B. auf Beckenendlage spezialisiert sei. Damit seien die Anforderungen an Ärzte, Hebammen etc. überdurchschnittlich. Allerdings seien die DRGs einheitlich und finanzierten auch andere Geburtskliniken, welche Patientinnen bei sich abzeichnenden schwierigen Geburten oftmals an die Uniklinika verwiesen. Das UKGM hat hierzu dargelegt, die Behandlung hochkomplexer medizinischer Erkrankungen wie auch die Behandlung von Patienten mit seltenen Erkrankungen zähle zu den Kernaufgaben der Universitätsklinika. Die Universitätsklinika in Deutschland würden durch die Vorhaltung 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/5950 modernster medizinischer Diagnose- und Therapieverfahren, durch ihr hoch qualifiziertes Fachpersonal , insbesondere die Ärztinnen und Ärzte, und mit ihrer Tätigkeit in Forschung, Lehre und Krankenversorgung dieser Aufgabe gerecht. Die komplexen Erkrankungsfälle benötigten sehr häufig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit vieler medizinischer Fachabteilungen. Diese Zusammenarbeit werde an den Universitätsklinika in herausragender Weise geleistet. Zu Frage 4 b und c: Die Fragen werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Die Betriebskosten der Krankenhäuser werden nach den bundesrechtlichen Vorgaben des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) finanziert. Das DRG-System ist ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Entgeltsystem, mit dem jeder stationäre Behandlungsfall mittels einer entsprechenden DRG-Fallpauschale und teilweise ergänzenden Zusatzentgelten, vergütet wird. Die Ermittlung der DRGs erfolgt auf Basis der Kalkulation der Ist-Kosten (2017) von 242 Krankenhäusern, davon 10 Universitätsklinika. Wesen eines pauschalierenden Systems ist es, dass nicht jede einzelne Leistung so vergütet wird, wie es den tatsächlichen individuellen Kosten entspricht. Das System ist allerdings als "lernendes" System angelegt und wird in jedem Jahr vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) aktualisiert und auf Basis von Erfahrungen und Hinweisen der Krankenhäuser verbessert. Gerade die teuren Fälle wurden in den letzten Jahren jährlich neu bewertet, für die sogenannten "Extremkostenfälle" wurde in § 17b Abs. 1 Satz 11 i.V. mit Abs. 10 KHG ein Verfahren etabliert, um hoch aufwendige Fälle, von denen Uniklinika besonders belastet sind, besser vergüten zu können. Die Hessische Landesregierung hat in der Bund-Länder-AG zur Krankenhausreform dazu beigetragen, dass das Vergütungssystem der Krankenhäuser durch das Krankenhausstrukturgesetz insgesamt deutlich verbessert wurde. Wiesbaden, 19. Februar 2018 Boris Rhein