Kleine Anfrage der Abg. Dr. Neuschäfer (SPD) vom 02.07.2014 betreffend Vereinbarkeit von Familie und Hochschule und Antwort des Ministers für Wissenschaft und Kunst Vorbemerkung der Fragestellerin: Die Vereinbarkeit von Familie und Hochschule sowohl von Studierenden wie Beschäftigten sowie Pflege und Hochschule spielt auch an den hessischen Hochschulen eine wichtige Rolle. Durch Programme und das Audit familiengerechte Hochschule werden familienfreundliche Maßnahmen angestrebt, die eine Vereinbarkeit ermöglichen. Jedoch werden diese Maßnahmen partiell nicht durchgängig gemeistert. Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Anreize einer flexiblen Studiengestaltung wird die Landesregierung für Studierende hes- sischer Hochschulen schaffen, um den Anforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Hochschule bzw. Pflege und Hochschule adäquat zu begegnen? Wesentliches Element einer flexiblen Studiengestaltung ist die Ermöglichung einer zeitlichen und räumlichen Unabhängigkeit im Studium. Der Grad der Unabhängigkeit muss dabei jedoch die spezifischen Präsenzerfordernisse eines Hochschulstudiums berücksichtigen (z.B. Laborversuche ). Dies vorausgeschickt, sind vor allem das Teilzeitstudium und elektronische Medien nutzende Studien- und Lehrveranstaltungen Komponenten, die eine möglichst flexible Studiengestaltung ermöglichen. Die hessischen Hochschulen und die Landesregierung ergreifen schon seit Jahren entsprechende Maßnahmen bzw. setzen Anreize zu deren Konzeptionierung und Verwirklichung. Beispielhaft sind zu nennen: a) Formales Teilzeitstudium Ein Teilzeitstudium ist auf der Grundlage des Hessischen Hochschulgesetzes in Verbindung mit der Hessischen Immatrikulationsverordnung bereits möglich. Die Hochschulen sollen in grundständigen Studiengängen die Möglichkeit für ein Teilzeitstudium eröffnen, wenn Studierende wegen der Betreuung von Angehörigen, wegen einer sich auf das Studium auswirkenden Behinderung oder chronischen Erkrankung oder aus einem vergleichbaren wichtigen Grund ihr Studium nicht als Vollzeitstudium betreiben können. Darüber hinaus ist es seit der Änderung der Immatrikulationsverordnung im Jahr 2013 möglich , dass sich erkrankte Studierende auf Dauer vom Studium beurlauben lassen können. Auch gibt es in Hessen weiterbildende Masterstudiengänge, die von der Struktur und Organisation her so angelegt sind, dass sie neben einer Berufstätigkeit absolviert werden können. Im Rahmen der gemeinsamen Landeshochschulentwicklungsplanung des Hessischen Ministe- riums für Wissenschaft und Kunst mit den hessischen Hochschulen befasst sich aktuell eine Arbeitsgruppe u.a. mit diesem Thema, auch um etwaige erforderliche Änderungen rechtlicher Regelungen bei der anstehenden Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes berücksichtigen zu können. b) Modellversuche zur Förderung des Teilzeitstudiums Nach einer Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks sind etwa ein Viertel aller Studie- renden an deutschen Hochschulen Teilzeitstudierende. Neben den Studierenden, die einen Antrag auf Teilzeitstudium gestellt haben und formal Teilzeitstudierende sind, gibt es auch faktisch Teilzeitstudierende. Eingegangen am 5. August 2014 · Ausgegeben am 7. August 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/601 05. 08. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/601 Um neue modellhafte Wege zu beschreiten, hatte das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst in den Jahren 2009 bis 2013 - aufgeteilt auf zwei Förderperioden - Modellversuche zur Förderung des Teilzeitstudiums ausgeschrieben. In den fünf Jahren wurden 13 Projekte an sechs Hochschulen mit insgesamt über 900.000 € unterstützt. In der zweiten Förderperiode (2012 bis 2013) handelte es sich dabei überwiegend um Projekte der ersten Förderperiode (2009 bis 2011), die fortgesetzt oder weiterentwickelt wurden; aktuell sind vier Projekte wegen Laufzeitverlängerungen noch nicht abgeschlossen. In den Projekten wurden verschiedene Ansätze verfolgt, u.a. die Schaffung zentraler Koor- dinierungsstellen wie z.B. an der Technischen Universität Darmstadt und der Frankfurt University of Applied Sciences. Daneben wurden auch Maßnahmen in konkreten Fachbereichen umgesetzt, so beispielsweise im Fachbereich Medizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Als Beispiel der Förderung orts- und zeitunabhängigen Lernens kann das Projekt "Reduzierung verpflichtender Anwesenheitszeiten durch E-Learning in Grundlagenveranstaltungen " der Justus-Liebig-Universität Gießen genannt werden. c) Studienstrukturprogramm Den hessischen Hochschulen werden ferner über das bereits im Jahr 2007 vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst erstmalig initiierte und seitdem finanzierte Studienstrukturprogramm Anreize gesetzt, um auf eine flexible Studiengestaltung hinzuwirken. Im Rahmen des Studienstrukturprogramms stehen jährlich rund 2,6 Mio. € zur strukturellen Weiterentwicklung des hessischen Hochschulwesens zur Verfügung. Die Mittel werden in der Regel im wettbewerblichen Verfahren vergeben. Gefördert werden unter anderem auch Maßnahmen zur Umsetzung des Audits "Familienfreundliche Hochschule" sowie zur Vereinbarkeit von Kindern und Studium. Dabei wird auch die flexible Studiengestaltung unterstützt, um den Anforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Hochschule adäquat zu begegnen. In der Vergangenheit wurden beispielsweise Projekte zum Thema E-Learning und Blended-Learning durchgeführt, die zu einer flexiblen Studiengestaltung beitragen sollen (z.B. "Einsatz digitaler Medien in der Fern- und Präsenzlehre …" von der Hochschule Fulda, Laufzeit 2013/2014, "E-Learning Plattform Lebenswissenschaften" von der Justus-Liebig-Universität Gießen, Laufzeit 2011/2012). Es werden aber auch allgemeine Maßnahmen zur Unterstützung der Familiengerechtigkeit an hessischen Hochschulen gefördert, z.B. das Projekt Unterstützung der Vereinbarkeit von Studium und familiären Verpflichtungen im Rahmen des Audits "familiengerechte Hochschule " von der Technischen Universität Darmstadt, Laufzeit 2011/2012. d) Nicht studiengestalterische Maßnahmen für eine familiengerechte Hochschule Neben der Förderung von nicht auf die Studiengestaltung bezogener, unterstützender Maßnahmen zur Realisierung einer familiengerechten Hochschule aus dem Studienstrukturprogramm unterstützt die Hessische Landesregierung diese Zielsetzung insbesondere in den Bereichen Kinderbetreuung und studentisches Wohnen wie folgt: Eine hessenweite Untersuchung der Betreuungssituation an Hochschulen zeigte zusätzlichen Bedarf für Betreuungsplätze für unter Dreijährige, Ganztagsbetreuungsplätze, Flexibilisierung durch Platzsharing, kurzfristige Betreuung in Regeleinrichtungen, Ad-hoc-Betreuung, Eltern-Kind-Zimmer, Ferienbetreuungsangebote , Notfallbetreuung für Krankheitsfälle sowie Verbesserung der Beratung und Vernetzung. Die bedarfsgerechten Konzepte für die notwendigen Kinderbetreuungsmaßnahmen erarbeiten die Studentenwerke in Zusammenarbeit mit den Hochschulen. Sie sind individuell auf die jeweiligen Hochschulen zugeschnitten und stehen in Art und Umfang insbesondere in Abhängigkeit zu sonstigen verfügbaren Angeboten anderer Träger im Einzugsgebiet der Standorte. Den fünf hessischen Studentenwerken werden seit dem Jahr 2008 für den Bereich "Studieren mit Kind" jährlich Zuschüsse in Höhe von 500.000 € zur Verfügung gestellt. Zwischenzeitlich konnten über 200 Kinderbetreuungsplätze dauerhaft eingerichtet werden. Darüber hinaus werden aus Mitteln des HEUREKA-Programms zahlreiche Bauprojekte finanziert. Derzeit stehen den Hochschulen in Hessen insgesamt 1.091 Betreuungsplätze für Kinder im Alter von drei Monaten bis zu zehn Jahren zur Verfügung. Die Landesregierung hat mit der Novellierung des Studentenwerksgesetzes im Jahr 2006 die Studentenwerke in ihrer Autonomie gestärkt. Wohnheimprojekte können in eigener Regie durch die Studentenwerke durchgeführt werden. So sind bzw. werden in Hessen in den nächsten Jahren aufgrund von Eigeninvestitionen der Studentenwerke oder von ihnen geschlossenen Generalmietverträgen mit privaten Investoren rund 1.830 Wohnheimplätze neu entstehen. Seit 2012 bis heute sind davon bereits rund 1.100 Wohnheimplätze fertiggestellt. Laut Statistik des Deutschen Studentenwerks hat die Anzahl der Wohnheimplätze in Hessen seit 2007 deutlich zugenommen. In diesem Zeitraum sind insgesamt 3.272 zusätzliche Wohnheimplätze geschaffen worden. Die Studentenwerke berücksichtigen in ihren Wohn- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/601 3 heimkonzepten die Bedürfnisse von Studierenden mit Kindern und bieten familiengerechte Wohnungen an. Die Hessische Landesregierung fördert mit ihrem Sonderprogramm für den sozialen Wohnungsbau zusätzliche 2.000 Wohnheimplätze für Studentinnen und Studenten und stellt hierfür 30 Mio. € an Zuschüssen und günstigen Darlehen bereit. Im vergangenen Jahr wurden in einer ersten Tranche aus diesem Programm mit 5 Mio. € bereits rund 390 Wohnheimplätze in ganz Hessen gefördert. Für beide Bereiche werden den Studentenwerken werthaltige Landesgrundstücke unentgeltlich bereitgestellt. Frage 2. Welche Anreize einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung wird die Landesregierung für Beschäftigte und Hilfskräfte hessischer Hochschulen schaffen, um den Anforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Pflege und Beruf adäquat zu begegnen? Die konkrete Gestaltung der flexiblen (bzw. gleitenden) Arbeitszeit liegt in der Verantwortung der hessischen Hochschulen. Wesentliches Instrument ist hierfür der Abschluss von Dienstvereinbarungen zwischen der Hochschulleitung und den zuständigen Interessenvertretungen. Der Inhalt dieser Dienstvereinbarungen über die Arbeitszeit liegt grundsätzlich außerhalb des Einflussbereichs der Landesregierung, da diese Regelungen auf behördlicher Ebene der Dienststellen ausgehandelt werden. Da die hessischen Hochschulen in der Regel am Audit "berufundfamilie" bzw. "familiengerechte Hochschule" der gemeinnützigen Hertie-Stiftung teilnehmen, werden üblicherweise - seit dessen Einführung - weitere Maßnahmen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung ergriffen. Beispielhaft seien in diesem Zusammenhang, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die nachfolgenden Bereiche genannt: - alternierende Telearbeit, - Teilzeitarbeitsmöglichkeiten, - familienbedingte Beurlaubung, - Mitnahmemöglichkeit von Kindern (Stichwort: familiengerechte Hochschule), - Ferienbetreuung, - Zurverfügungstellung eines Spielecontainers/Eltern-Kind-Arbeitszimmer, - Kinder-Notfallbetreuung, - Information zum Thema Pflege, - Übernahme nachgewiesener Betreuungskosten bei Fortbildungsveranstaltungen. Unabhängig davon ist die Landesregierung bestrebt, die sehr hohen Standards bei der flexiblen Arbeitszeitgestaltung an den Hochschulen als Teil der öffentlichen Verwaltung in Hessen fortzuentwickeln . Beispielhaft sei an dieser Stelle die Entwicklung eines landeseigenen Gütesiegels "Familienfreundlicher Arbeitgeber Land Hessen" bzw. "Familienfreundliche Hochschule Land Hessen" zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeführt. Ein Beitritt zu diesem landeseigenen Gütesiegel steht jeder hessischen Hochschule frei. Wiesbaden, 23. Juli 2014 Boris Rhein