Kleine Anfrage der Abg. Faulhaber (DIE LINKE) vom 28.02.2018 betreffend Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide von Geflüchteten und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung der Fragestellerin: Am 17.10.2017 berichtete die Frankfurter Rundschau über den Suizid eines 29jährigen chinesischen Flüchtlings im Transitbereich des Frankfurter Flughafens. Der Mann war tot in der Flüchtlingsunterkunft in der Cargo City Süd gefunden worden. Dort werden alle Asylsuchenden untergebracht, die ein verkürztes Asylverfahren durchlaufen, bei dem die Betroffenen ihren Antrag am Flughafen stellen müssen. Ihre Unterkunft dürfen die Betroffenen während des Schnellverfahrens nicht verlassen. Im April 2015 hatte ein kenianischer Flüchtling in derselben Flüchtlingsunterkunft im Flughafen- Transitbereich Flüssigseife geschluckt. Möglicherweise wollte er sich das Leben nehmen. Der 20jährige musste in einem Krankenhaus behandelt werden. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Die Grenzen zwischen einer Selbstverletzung und einem versuchten Suizid sind fließend. Es ist in der Regel nicht mit Sicherheit feststellbar, wann eine Selbstverletzung mit einer suizidalen Absicht zugefügt wird. Aus diesem Grund können diese Handlungen nicht bei allen Vorfällen trenngenau unterschieden werden. Zudem sind die persönlichen Hintergründe für Suizide, Suizidversuche und Selbstverletzung sehr unterschiedlich und häufig nicht bekannt, weswegen keine Rückschlüsse auf den Grund von suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen getroffen werden können. Suizide, Suizidversuche und Selbstverletzungen in den Einrichtungen der Erstaufnahme des Landes Hessen werden seit 2017 systematisch erfasst, sofern diese bekannt werden. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Hessischen Minister des Innern und für Sport und dem Hessischen Minister der Justiz wie folgt: Frage 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Beweggründe für den Suizid des chinesischen Asylsuchenden im Flughafen-Transitbereich? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Beweggründe des Asylbewerbers vor. Für einen bevorstehenden Freitod gab es keine erkennbaren Anzeichen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main führt wegen des Suizids im Flughafen-Transitbereich ein Todesermittlungsverfahren, welches noch nicht abgeschlossen ist. Die Einleitung entsprechender Verfahren erfolgt routinemäßig. Die Ermittlungen haben bislang keine Hinweise auf eine Vorhersehbarkeit des Suizids oder ein Fremdverschulden ergeben. Frage 2. Wie viele Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide gab es in den Jahren 2000 bis 2017 im Transitbereich des Frankfurter Flughafens? Bitte, soweit vorliegend, mit Angaben zu: Datum, Geschlecht, Alter, Herkunftsland, Verletzungsart, Verletzungsgrad, behandelndes Krankenhaus. Selbstverletzungen und Suizidversuche Für das Jahr 2017 sind 18 Fälle von Selbstverletzungen oder Suizidversuchen im Transitbereich des Frankfurter Flughafens in den Monaten Februar, März, Mai, September, Oktober und November dokumentiert. Bis auf eine weibliche Person wurden alle Suizidversuche und Selbstverletzungen von Personen männlichen Geschlechts unternommen. Die Personen stammen aus den Herkunftsländern Ägypten, Algerien, Äthiopien, Ghana, Jordanien, Kosovo, Libanon, Marokko , Pakistan und Sri Lanka. Eingegangen am 24. April 2018 · Bearbeitet am 24. April 2018 · Ausgegeben am 27. April 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6112 24. 04. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6112 Die Personen waren zum Zeitpunkt der Vorfälle 18 Jahre, 21 Jahre, 23 Jahre, 24 Jahre, 25 Jahre , 29 Jahre, 30 Jahre, 36 Jahre, 39 Jahre, 40 Jahre oder 44 Jahre alt (teilweise Mehrfachnennungen ). Die Suizidversuche und Selbstverletzungen erfolgten durch Schnittverletzungen, Verweigerung der Nahrungsaufnahme bzw. auch der Flüssigkeitsaufnahme teils bis zur Exsikkose (Austrocknung durch Abnahme des Körperwassers), Strangulation, Medikamenteneinnahme, Sprung gegen ein geschlossenes Fenster oder durch die Einnahme von Flüssigseife. Der zugeführte Verletzungsgrad ist nicht bei allen Vorfällen dokumentiert. Bei den dokumentierten Fällen lautet der Befund auf einen reduzierten Allgemeinzustand bzw. leichte oder oberflächliche Verletzungen. Darüber hinaus musste im Jahr 2015 ein kenianischer Asylbewerber medizinisch behandelt werden , nachdem er Flüssigseife zu sich genommen hatte. Suizide Für den Zeitraum 2000 bis 2017 sind zwei Suizide im Transitbereich des Frankfurter Flughafens bekannt. In einem Fall erhängte sich eine weibliche Person aus Algerien im Jahr 2000. Der zweite Fall betrifft den unter Frage 1 erwähnten chinesischen Asylbewerber aus dem Jahr 2017. Behandelnde Krankenhäuser Die behandelnden Krankenhäuser waren die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Agaplesion Markus Krankenhauses in Frankfurt am Main, das Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt am Main, die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Frankfurt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie - Psychosomatik des Klinikums Frankfurt Höchst, die Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie der Klinik Hohe Mark Oberursel und die Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Klinikums Frankfurt Höchst. Die Behandlungen erfolgten teilweise in den Zentralen Notaufnahmen der vorgenannten Krankenhäuser. Frage 3. Wie viele Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide gab es 2017 von Bewohnerinnen und Bewohnern von Unterkünften der Hessischen Erstaufnahme für Flüchtlinge? Bitte, soweit vorliegend mit Angaben zu: Datum, Ort, Unterkunft, Geschlecht, Alter, Herkunftsland, Verletzungsart , Verletzungsgrad, behandelndes Krankenhaus. Selbstverletzungen und Suizidversuche Im Jahr 2017 wurden in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung, mit Ausnahme der Außenstelle Frankfurt-Flughafen, in 13 Fällen Suizidversuche oder Selbstverletzungen in den Monaten Januar, Februar, März, April, Juli, September und Oktober dokumentiert (Büdingen, Rotenburg , Gießen - Rödgener Straße, Gießen - Meisenbornweg, Kassel-Niederzwehren, Neustadt, Calden). Bis auf eine weibliche Person wurden alle Suizidversuche und Selbstverletzungen von Personen männlichen Geschlechts unternommen. Die Personen stammen aus den Herkunftsländern Äthiopien, Algerien, Eritrea, Irak, Russland, Serbien, Syrien, eine staatenlose Person, eine Person ohne Angabe von Staatszugehörigkeit und waren zum Zeitpunkt der Vorfälle 14 Jahre, 19 Jahre, 21 Jahre, 23 Jahre, 24 Jahre, 26 Jahre, 27 Jahre, 34 Jahre, 35 Jahre oder 37 Jahre alt (teilweise Mehrfachnennungen). Die Suizidversuche und Selbstverletzungen erfolgten durch Schnittverletzungen, Stichverletzungen am Bauch, Sturz aus Gebäude, Schlagen des Kopfes gegen Wände, Strangulation, Zuführung von Kopfwunden, Suizidvorbereitungen durch Anfertigen eines Stricks. Die dokumentierten Verletzungsgrade waren oberflächlich bis leicht, in einem Fall verletzte sich eine Person schwer durch Stiche in den Bauch. Suizide Im Jahr 2017 sind außerhalb der Außenstelle der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung Frankfurt -Flughafen keine Suizide bekannt. Behandelnde Krankenhäuser Die behandelnden Krankenhäuser waren die Psychiatrie des Capio-Mathilden-Hospitals in Büdingen , das Ludwig-Noll-Krankenhaus Kassel, die Vitos Klinik Gießen-Marburg, die Vitos Klinik Kurhessen in Bad Emstal, die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums Bad Hersfeld, die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Kassel, das Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6112 3 Frage 4. Wie viele Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide gab es 2017 von Bewohnerinnen und Bewohnern sonstiger Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge in Hessen? Bitte, soweit vorliegend , mit Angaben zu: Datum, Ort, Unterkunft, Geschlecht, Alter, Herkunftsland, Verletzungsart , Verletzungsgrad, behandelndes Krankenhaus. Durch die für die Unterbringung in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften zuständigen Landkreise und kreisfreien Städte erfolgen keine flächendeckenden und systematischen Erfassungen und Dokumentationen zu Selbstverletzungen, Suizidversuchen und Suiziden. Demzufolge kann die Frage nur teilweise auf Grundlage der vorhandenen Informationen beantwortet werden. Dies vorangeschickt kann mitgeteilt werden, dass im Jahr 2017 in neun Landkreisen/kreisfreien Städten Suizide, Suizidversuche oder Selbstverletzungen dokumentiert und berichtet wurden. Diese wurden durch 42 Personen vorgenommen. Selbstverletzungen und Suizidversuche Nach den vorliegenden Informationen sind 39 Suizidversuche oder Selbstverletzungen dokumentiert . Soweit bekannt, erfolgten diese durch Alkohol und Tabletten, Alkoholeinfluss und tiefe Schnittverletzungen, Alkoholeinfluss und leichte bis tiefe Schnittverletzungen, Alkoholintoxikation , Medikamenteneinnahme, Schnittverletzungen, Stichverletzung, Strangulation und Sturz aus Gebäude. Suizide Des Weiteren sind drei Suizide bekannt. Ein Suizid wurde durch Erhängen begangen. Bei einem Suizid handelt es sich um einen Zugunfall . Zum anderen liegen keine näheren Angaben vor. Zeitpunkt Die Vorfälle ereigneten sich, soweit dokumentiert, in den Monaten Februar, März, Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober und Dezember. Geschlecht In 27 Fällen handelte es sich um männliche und in elf Fällen um weibliche Personen. In den weiteren vier Fällen ist das Geschlecht nicht bekannt. Alter Die Personen waren zum Zeitpunkt der Vorfälle - soweit bekannt - 14 Jahre, 17 Jahre, 18 Jahre , 19 Jahre, 20 Jahre, 21 Jahre, 22 Jahre, 24 Jahre, 25 Jahre, 26 Jahre, 27 Jahre, 28 Jahre, 35 Jahre, 40 Jahre, 42 Jahre oder 51 Jahre alt (teilweise Mehrfachnennungen). Herkunftsland Die betroffenen Personen stammen aus Äthiopien, Afghanistan, Albanien, Algerien, Irak, Iran, Pakistan, Palästina, Syrien, Türkei. Ort oder Unterkunft Soweit Angaben vorliegen, befanden sich die Personen zum Zeitpunkt des Vorfalls in folgenden Unterkünften: Stadtallendorf, LK Marburg-Biedenkopf, GU Wolfhagerstraße 112 in Kassel, Usingen, Königstein im Taunus, Bad Homburg, Oberursel, Friedrichsdorf, GU Lorch, GU Lucas -Cranach-Straße in Niedernhausen, Darmstadt. Behandelnde Krankenhäuser Soweit bekannt, wurden die betroffenen Personen in folgenden Krankenhäusern behandelt: Vitos Klinik Gießen-Marburg, Psychotherapie- Ambulanz Marburg, Krankenhaus Wolfhagen, Kinder- und Jugendpsychiatrie in Kassel, KH Klinikum Kassel, Merxhausen, Noll, Vitos Klinik Eltville, Klinikum Darmstadt, Elisabethenstift, Krankenhaus Bad Nauheim, Psychiatrisches Krankenhaus Friedberg. Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung das Flughafenasylverfahren unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten ? Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 –, BVerfGE 94, 166-240) schaffen die gesetzlichen Vorschriften zum Flughafenverfahren für behördliche Entscheidungen über Asylanträge einen Rahmen, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, und gewährleisten eine menschenwürdige Unterbringung und Behandlung von Asylsuchenden. Dieser Beurteilung schließt sich die Landesregierung an. Wiesbaden, 3. April 2018 Stefan Grüttner