Kleine Anfrage der Abg. Hartmann (SPD) vom 30.04.2018 betreffend Gewaltprävention an Schulen in Hessen und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Kultusministers: Die Landesregierung unterstützt die hessischen Schulen dabei, kompetent mit den verschiedenen Gewaltphänomenen umzugehen und sich bei Bedarf zusätzliche professionelle Hilfe zu holen. Zahlreiche Angebote mit unterschiedlichen Kooperationspartnern stehen hierzu den Schulen für die Gewaltprävention zur Verfügung. Die einzelne Schule entscheidet eigenverantwortlich darüber , welche gewaltpräventiven Maßnahmen sie im Rahmen ihres Schulprogramms einsetzen und nutzen möchte. Bezüglich der landesweit unterstützten Gewaltpräventionsprojekte werden mit Evaluationsvorhaben Reichweite und Wirkung der Maßnahmen gezielt überprüft. Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Gewaltpräventions- und Konfliktbearbeitungsprojekte gibt es und wie werden diese in Anspruch genommen a) von Lehrkräften, b) von Schulgemeinden, c) von sozialpädagogischen Fachkräften? Das seit 2007 bestehende Projekt des Kultusministeriums "Gewaltprävention und Demokratielernen " (GuD) konnte in den letzten Jahren durch vielfältige Beratungs- und Fortbildungsangebote viele Schulen in Hessen unterstützen. Lehrkräfte, Schulleitungen und auch sozialpädagogische Fachkräfte können diese Angebote nutzen. Eine detaillierte Zusammenstellung der beteiligten Schulformen sowie der konkreten Angebote von GuD lässt sich der Antwort auf die Kleine Anfrage Landtagsdrucksache 19/5337 entnehmen. Das in Kooperation mit GuD angebotene buddY-Qualifizierungsangebot richtet sich gezielt an Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte an Grundschulen und qualifiziert sie für die Umsetzung des Programms an ihrer Schule. Mit dem buddY-Programm fördern Fachkräfte gezielt den Erwerb sozialer Handlungskompetenzen auf der Grundlage sog. Peer-Group-Education bei ihren Schülerinnen und Schülern. Das Gewaltpräventionsprogramm Prävention im Team (PiT-Hessen) dient der Unterstützung des Erziehungsauftrags hessischer Schulen. Das Programm ermöglicht jeder Schülerin und jedem Schüler, gewaltbesetzte Situationen im öffentlichen Raum frühzeitig zu erkennen und im Training erworbene persönliche gewaltfreie Handlungskompetenzen anzuwenden. Das Programm wird im siebten Schuljahr an fünf Schultagen durchgeführt. Die Moderation erfolgt durch sog. PiT-Teams, in denen Schule, Polizei und Jugendhilfe zusammenarbeiten. Teilnehmen können weiterführende Schulen in Hessen. Das Netzwerk gegen Gewalt Hessen bietet regelmäßig Fachveranstaltungen zu gewaltpräventiven Inhalten an, die Lehrkräften sowie sozialpädagogischen Fachkräften als Fortbildung dienen. Themen sind beispielsweise "Mobbingprävention", "Gewalt im Namen der Ehre" oder Steigerung der Medienkompetenz (z.B. zum Erkennen und dem Umgang mit Hasskommentaren im Internet oder Cybermobbing). Des Weiteren unterstützt das Netzwerk gegen Gewalt das Gleichstellungsprojekt "HeRoes" in Offenbach. Im Rahmen der Peer-Group-Education (Kinder /Jugendliche lernen von gleichaltrigen Multiplikatoren) werden mit ausgebildeten Jugendlichen mit Migrationshintergrund Workshops zum Thema "Ehrgewalt" in Schulen durchgeführt. Eingegangen am 11. Juli 2018 · Bearbeitet am 11. Juli 2018 · Ausgegeben am 13. Juli 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6347 11. 07. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6347 Im Bereich der Extremismusprävention werden im Rahmen des Landesprogramms "Hessen - aktiv für Demokratie und gegen Extremismus" verschiedene Projekte gefördert, die in der Antwort auf die Kleine Anfrage Landtagsdrucksache 19/5352 einsehbar sind. In Kooperation mit dem Zentrum für Lehrerbildung der Justus-Liebig-Universität Gießen werden seit zwei Jahren als Pilotprojekt ganztägige Workshops zur Mobbingprävention und - intervention für Lehramtsstudierende aller Schulformen angeboten mit dem Ziel einer langfristigen Implementierung. Im Jahr 2018 hat sich erstmalig die Philipps-Universität Marburg an dem Projekt beteiligt. In diesem Themenfeld hat das Kultusministerium zusammen mit der Techniker Krankenkasse (TK) die Initiative "Mobbingfreie Schule - gemeinsam Klasse sein!" ins Leben gerufen. Um die Schulen bei der Vorbereitung und Durchführung der vorgesehenen Projektwoche zu unterstützen , erhielten sie einen von der TK entwickelten "Anti-Mobbing-Koffer", der Unterrichtsmaterialien unter anderem zu Rollenspielen und zum Erarbeiten von Umgangs- und Klassenregeln für die Jahrgangsstufe 5 enthält. Dieser wurde mittlerweile um einen Baustein zum Cybermobbing ergänzt. Im Bereich des Jugendmedienschutzes beschäftigen sich außerdem die Projekte "Digitale Helden " und "Medienscouts" mit Peer-to-Peer-Angeboten an der Aufklärung von Schülerinnen und Schülern im Umgang mit Cybermobbing. In einer mehrtägigen Fortbildungsreihe zum Jugendmedienschutz werden Lehrkräfte zu Jugendmedienschutzberaterinnen und -beratern als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für ihre Schulen qualifiziert. COOL and SAFE (CaS) des Vereins SMOG e.V. bietet ein internetbasiertes Trainingsprogramm für Schülerinnen und Schüler an Grundschulen an. Es zielt auf den Aufbau von Kompetenzen im Umgang mit Risikosituationen ab. Dabei wird dem Schutz vor den Gefahren des Internets und vor sexueller Gewalt durch fremde und bekannte Personen ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Mit dem Start der bundesweiten Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt" des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) sollen Schulleitungen und Lehrkräfte darin unterstützt werden, Schutzkonzepte zu entwickeln, um beispielsweise in Verdachtsfällen sexueller Gewalt kompetent reagieren zu können. Das Hessische Kultusministerium beteiligt sich an dieser Initiative (www.hessen.schule-gegen-sexuellegewalt .de) u.a. durch Aufnahme der Schutzkonzepte in die überarbeitete Handreichung zum Umgang mit sexuellen Übergriffen im schulischen Kontext. Für schulische Ansprechpersonen gegen sexuelle Gewalt stehen Qualifizierungsangebote über die Staatlichen Schulämter zur Verfügung, und insbesondere für die Jahrgangsstufen 5 und 6 bietet die "Trau Dich!"-Initiative eine Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt in Verbindung mit einem Theaterstück, das mittlerweile über das Schultheaterstudio Frankfurt am Main in Hessen angeboten werden kann. Bei der hessischen Polizei sind für die polizeiliche Jugendarbeit Jugendkoordinatorinnen und Jugendkoordinatoren eingesetzt. Sie arbeiten mit allen für die polizeiliche Jugendarbeit zuständigen und in der Prävention tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern innerhalb der Polizei zusammen . Sie sind weiterhin das Bindeglied zu allen Trägern der Jugendhilfe und die Ansprechpartner für Schulen und sonstigen Einrichtungen, die sich mit Jugendfragen beschäftigen. In den Aufgabenbereich der Jugendkoordinatorinnen und Jugendkoordinatoren fallen u.a. Tätigkeiten wie: Initiierung, Steuerung und Koordinierung von landesweiten kinder- und jugendspezifischen Präventions- und Interventionsprogrammen, -projekten und -maßnahmen (z.B. PiT- Hessen), Vortrags- und Referententätigkeiten im Rahmen der polizeilichen Fortbildung bei externen und internen Veranstaltungen, Vortragstätigkeiten vor Multiplikatorengruppen wie Eltern und Lehrern. Frage 2. An welchen Schulen finden regelmäßig gewaltpräventive Maßnahmen und Projekte statt? Schulen implementieren gewaltpräventive Maßnahmen abhängig von schulspezifischen Erfordernissen und haben hierzu unterschiedliche pädagogische Optionen bis hin zur Einbeziehung landesweiter Unterstützungsangebote. Bezüglich der Beteiligung von Schulen an landesweiten Maßnahmen ergibt sich folgender Sachstand: Aktuell arbeiten 510 Schulen mit GuD zusammen (s.a. Antwort auf die Kleine Anfrage Landtagsdrucksache 19/5337). Rund 200 Schulen davon arbeiten regelmäßig mit dem Klassenrat, und an 18 regionalen GuD-Prozessentwicklungsgruppen nehmen 140 schulische Tandems zweimal jährlich an moderierten Themen- und Austauschtagen zur gewaltpräventiven Arbeit an Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6347 3 ihren Schulen teil. Im Gewaltpräventionsprogramm "Prävention im Team" (PiT) sind 115 PiT- Teams an den Schulen im Einsatz. Im Kontext des buddY-Programms sind 56 Grundschulen seit 2013 aktiv. Frage 3. Gibt es Handlungsanweisungen von Seiten des Ministeriums, wie mit entsprechenden Vorfällen umzugehen ist und unter welchen Voraussetzungen Vorfälle der Polizei gemeldet werden sollen? Grundsätzlich besteht gemäß § 23 der Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und sozialpädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (LDO) eine Meldepflicht für Schulleiterinnen und Schulleiter gegenüber der Schulaufsicht bei wichtigen Vorfällen. Darüber hinaus beinhalten folgende Handreichungen auch themenbezogene Handlungsanweisungen und -empfehlungen für Lehrkräfte und Schulleitungen: Der Leitfaden "Handeln in Krisensituationen", der in Zusammenarbeit mit der hessischen Polizei erarbeitet wurde, bietet Hilfestellung und Anleitung bei sog. Amok-Lagen bzw. Verdachtsfällen zielgerichteter Gewalt. Die "Handreichung zum Umgang mit sexuellen Übergriffen im schulischen Kontext" bietet neben konkreten fallbezogenen Handlungsschritten auch Präventions- und Interventionsmaßnahmen zum Umgang mit sexueller Gewalt an. Die Handreichung zum Jugendmedienschutz bietet einen Überblick über Risiken der digitalen Kommunikation und Maßnahmen für ein sicheres Verhalten im Netz. Die durch das Netzwerk gegen Gewalt entwickelte Handreichung "Mobbing - Ein Wegweiser zur Mobbingprävention und Mobbingintervention in Hessen" richtet sich an pädagogische Fachkräfte und gibt Hilfestellung in diesem Themenfeld. Vom Netzwerk gegen Gewalt wurde die Handreichung "Gewalt im Namen der Ehre - Leitfaden zum Schutz junger Menschen, die von so genannten Ehrverbrechen betroffen sind" erarbeitet und jeder weiterführenden Schule in Hessen zugesandt. In der Broschüre finden sich Informationen für alle, die mit jungen Menschen in Berührung kommen und mit Themen wie Zwangsheirat oder Verbrechen im Namen der Ehre konfrontiert werden und helfend eingreifen wollen. Für (potenziell) betroffene Kinder- und Jugendliche ab zwölf Jahren wurde das Informationsblatt "Du entscheidest, wen und ob du heiratest" zum Thema Zwangsheirat entwickelt. Es gibt Hinweise zur Prävention einer bevorstehenden Zwangsverheiratung und nennt Kontaktdaten von Beratungsstellen und Behörden. Frage 4. Wie will das Kultusministerium gewährleisten, dass Präventionsprojekte flächendeckend angeboten werden können? Die stetige Verbesserung der Vernetzung und Koordinierung der Gewaltpräventionsaktivitäten für die hessischen Schulen ist ein Ziel des Kultusministeriums, das aus diesem Grund seit dessen Gründung eine aktive Rolle im Netzwerk gegen Gewalt wahrnimmt. Die seitens des Kultusministeriums unterstützten Gewaltpräventionsprojekte (z.B. PiT-Hessen, GuD) stehen in der Regel den hessischen Schulen, für die die jeweilige Maßnahme entwickelt wurde, zur Verfügung und werden beispielsweise durch die Staatlichen Schulämter oder die regionalen Geschäftsstellen des Netzwerks gegen Gewalt vor Ort unterstützt. Die Entscheidung, ob eine bestimmte Maßnahme im Bereich der Gewaltprävention schulisch umgesetzt wird, liegt bei der jeweiligen Schulleitung und den Anforderungen des Schulprogramms. Darüber hinaus werden mit Handreichungen und landesweiten Initiativen (z.B. im Bereich der Mobbingprävention) flächendeckend Rahmenbedingungen für eine gelingende Gewaltprävention in den Schulen sichergestellt . Frage 5. Welche Ursachen tragen aus Sicht der Landesregierung zum Anstieg von Gewalt und Gewaltbereitschaft bei? Die Anzahl der Gewaltdelikte an Schulen schwankte in den vergangenen fünf Jahren. Die genauen Zahlen können der Beantwortung der Kleinen Anfrage Landtagsdrucksache 19/6348 entnommen werden. Im Bereich der seitens der Unfallkasse Hessen ermittelten sog. Raufunfälle an hessischen Schulen gibt es keinen Anstieg in den letzten Jahren, sondern eher rückläufige Tendenzen zu berichten. Die subjektive, auch medial vermittelte Wahrnehmung einer deutlichen Zunahme an Gewaltvorfällen in Verbindung mit einer Beeinträchtigung des Sicherheitsempfindens steht im Kontrast zu den statistisch verfügbaren Zahlen und ist Gegenstand einer intensiven fachlichen Analyse, um das Phänomen besser einschätzen und bei Bedarf weitere gewaltpräventive Ansätze für den schulischen Bereich entwickeln zu können. Wiesbaden, 27. Juni 2018 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz