Kleine Anfrage der Abg. Gnadl und Hofmann (SPD) vom 02.05.2018 betreffend Verfahren wegen des Verstoßes gegen § 219a StGB in Hessen und Antwort der Ministerin der Justiz Vorbemerkung der Fragesteller: Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann hat in einem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" am 27.04.2018 u.a. behauptet, dass nach ihrer Kenntnis die meisten Strafanzeigen wegen des Verstoßes gegen § 219a StGB von Ärztinnen und Ärzten erstattet würden. Vorbemerkung der Ministerin der Justiz: Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 27. April 2018 ging es nicht um statistische Fragen, sondern darum, dass es wichtig ist, dass jede schwangere Frau Zugang zu einer guten und ergebnisoffenen Beratung hat. Nur dieses vertrauensvolle Gespräch wird der Belastung gerecht , die eine ungewollte Schwangerschaft für Frauen bedeutet. Eine solche Beratung schützt die Frauen und das ungeborene Leben, und das ist letztlich das Anliegen, das hinter der Norm des § 219a steht. Die Norm ist ein Teil des ganzheitlichen Schutzkonzepts für das ungeborene Leben entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Überlegung des Gesetzgebers war es, keine Interessenkonflikte entstehen zu lassen. Es muss also ausgeschlossen werden, dass derjenige, der möglicherweise ein finanzielles Interesse an der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs hat, die Frauen darüber berät. Die unabhängige Beratung soll auch sicherstellen, dass Frauen an seriöse Ärzte oder Kliniken vermittelt werden, die Abtreibungen durchführen. Es geht nicht um Informationsverbote, sondern um Werbeverbote. Die bestehende Rechtslage ist ein Mittelweg, der sich in zwei Jahrzehnten bewährt hat. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Strafanzeigen wurden seit 2010 in Hessen wegen eines Verstoßes gegen § 219a StGB erstattet? Bitte aufschlüsseln nach Jahr. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren, welche wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 219a StGB eingeleitet worden sind, lässt sich anhand des vorliegenden statistischen Materials nicht ermitteln. Entsprechende Verfahren werden in der Statistik über die Geschäftsbelastung der Staatsanwaltschaften nicht gesondert ausgewiesen, sondern unter dem Sachgebiet 21 "vorsätzliche Körperverletzungen" gemeinsam mit weiteren Körperverletzungsdelikten (Straftaten gegen das Leben) nur als Gesamtzahl erfasst. Frage 2. Ist der Landesregierung bekannt, in wie vielen der in Frage 1. benannten Fälle die Anzeige von Ärztinnen und Ärzten erstattet wurde. Falls ja, in wie vielen Fällen? Anhand des vorliegenden statistischen Materials lässt sich auch die Frage nach dem Beruf der Anzeigeerstatterinnen oder Anzeigeerstatter bei Strafanzeigen wegen des Verdachts von Vergehen nach § 219a StGB nicht beantworten. Auf die Ausführungen in der Antwort zu Frage 1. wird ergänzend Bezug genommen. Frage 3. Falls Frage 2. mit Nein beantwortet wird: Worauf begründet sich die "Kenntnis" der Justizministerin in dieser Frage, d.h. auf welche Quellen beruft sie sich? Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die ethischen Grundsatzfragen, die sich hinsichtlich des Abbruchs einer Schwangerschaft aber auch bezüglich der Frage der unerlaubten Werbung für Eingegangen am 26. Juni 2018 · Bearbeitet am 26. Juni 2018 · Ausgegeben am 29. Juni 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6350 26. 06. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6350 den Abbruch der Schwangerschaft ergeben, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Ärzteschaft kontrovers diskutiert werden. Der 121. Deutsche Ärztetag hat sich im Mai 2018 ausdrücklich gegen einen Wegfall oder eine Einschränkung des in § 219a StGB kodifizierten Werbeverbotes für Abtreibungen ausgesprochen. Nicht wenige Ärztinnen und Ärzte stören sich daran, dass einzelne Kollegen sich nicht an diese Regeln halten. Insoweit wird eine Anzeigeerstattung durch Ärztinnen und Ärzte zwar nicht statistisch erhoben, woraus aber nicht der Schluss gezogen werden kann, dass solche Anzeigen nicht erstattet werden. Frage 4. Wie viele Anzeigen werden anonym gestellt? Anhand des vorliegenden statistischen Materials lässt sich auch die Frage nach anonym gestellten Strafanzeigen wegen des Verdachts von Vergehen nach § 219a StGB nicht beantworten. Auf die Ausführungen in der Antwort zu Frage 1. wird Bezug genommen. Frage 5. In wie vielen der in Frage 1. benannten Fälle wurde Anklage erhoben, wie viele der Verfahren wurden mit oder ohne Auflage eingestellt und in wie vielen Fällen kam es zu einer Verurteilung? Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Anklagen, Einstellungen (mit Benennung der Einstellungsnorm und ggf. der Auflage) und Verurteilungen. Entsprechend den Ausführungen in der Antwort auf Frage 1. lässt sich die Anzahl der Anklageerhebungen und der Einstellungen von Verfahren wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 219a StGB aus den statistischen Daten zur Geschäftsbelastung der Staatsanwaltschaften nicht entnehmen. Die Anzahl der rechtskräftigen Verurteilungen wegen Vergehen nach § 219a StGB ist in der Strafverfolgungsstatistik gemeinsam mit den Verurteilungen nach § 219b StGB als Gesamtzahl ausgewiesen. Da diese Gesamtzahl in den Jahren 2010 bis 2017 jeweils "0" betrug, erfolgten in den genannten Jahren auch keine rechtskräftigen Verurteilungen nach § 219a StGB. Darüber hinaus erfolgten in diesen Jahren auch keine sonstigen rechtskräftigen Aburteilungen (wie zum Beispiel Strafbefehle, Freisprüche, Einstellungen durch das Gericht). Aus den Berichten der Staatsanwaltschaften an das Hessische Ministerium der Justiz ist bekannt , dass in Hessen in den vergangenen Jahren zwei Anklagen gegen insgesamt drei Ärztinnen wegen des Verdachts des Werbens für den Abbruch einer Schwangerschaft erhoben wurden . Auf eine Anklage erfolgte im Jahre 2017 die durch die Medienberichterstattung bekannte, erstinstanzliche Verurteilung der angeklagten Ärztin zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 €. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist es nicht in der Strafverfolgungsstatistik erfasst. Auf die zweite Anklage gegen zwei Ärztinnen hat das Amtsgericht noch keinen Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Frage 6. Wie erklärt sich die Landesregierung, dass vergleichbare Verfahren bundesweit in der Regel aus Rechtsgründen oder gegen Auflagen eingestellt werden und es nur in Hessen bisher zu einer Anklage und Verurteilung gekommen ist? Auf welche Weise Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Vergehen nach § 219a StGB von den Staatsanwaltschaften anderer Bundesländer abgeschlossen werden, kommentiert die Landesregierung nicht. Die Landesregierung ist weder für solche Verfahren zuständig noch liegen entsprechende Erkenntnisse für eine solche Bewertung vor. Hinsichtlich der in Hessen geführten Verfahren hat die Generalstaatsanwaltschaft berichtet, dass die hessischen Staatsanwaltschaften im Bezugszeitraum in zwei Fällen Anklage wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 219a StGB erhoben haben. Im Übrigen seien von den hessischen Staatsanwaltschaften in Anzeigesachen und Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch Ablehnungen der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Einstellungen nach den §§ 170 Abs. 2, 153 Abs. 1, 153a Abs. 1 StPO erfolgt. Im Falle der in der Antwort zu Frage 5. erwähnten, erstinstanzlich verurteilten Ärztin sei ferner auf eine weitere Anzeige eine Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO mit Blick auf die zu erwartende (rechtskräftige) Verurteilung in dem Strafverfahren erfolgt. Dem zur erstinstanzlichen Verurteilung führenden Strafverfahren sei ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Ärztin in den Jahren 2008 und 2009 vorausgegangen. Dieses Verfahren sei von der Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, da damals von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum der Ärztin auszugehen gewesen sei. Der Umstand, dass die Ärztin aufgrund des vorangegangenen Ermittlungsverfahrens über die strafrechtliche Bewertung der von ihr über ihre Webseite dargestellten Inhalte durch die zuständige Staatsanwaltschaft informiert gewesen sei und gleichwohl die betreffenden Informationen auf ihrer Webseite nicht entfernt habe, habe erkennen lassen, dass es der - den Vorwurf aus Rechtsgründen bestreitenden - Ärztin offenbar auf eine gerichtliche Klärung der strafrechtlichen Fragestellungen angekommen sei. Da ein hinreichender Tatverdacht bestanden habe, sei die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung verpflich- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6350 3 tet gewesen. Die Voraussetzungen für eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO habe die Staatsanwaltschaft nachvollziehbar verneint. Man habe nicht davon ausgehen können, dass die Angeklagte die den Verdacht begründenden Informationen auf ihrer Webseite entfernen würde. Mithin sei eine fortwährende Verwirklichung des Dauerdelikts zu erwarten gewesen, weshalb ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestanden habe. In dem weiteren Verfahren gegen zwei Ärztinnen, in dem es zu einer Anklageerhebung gekommen sei, habe die Staatsanwaltschaft den angeklagten Ärztinnen eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO in Aussicht gestellt, sofern die den Verdacht einer Straftat nach § 219a StGB begründenden Informationen auf deren Webseite entfernen würden. Da die Angeklagten dies abgelehnt hätten, sei die Staatsanwaltschaft entsprechend der Gesetzeslage zur Anklageerhebung verpflichtet gewesen. Auch in diesem Strafverfahren komme es den Angeklagten offenbar auf eine gerichtliche Klärung der gegen sie erhobenen Vorwürfe an, so dass eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO nicht naheliegend gewesen sei. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die hessischen Staatsanwaltschaften ihre Verfahren selbstständig und eigenverantwortlich führen. Die Fach- und Rechtsaufsicht wird von der Generalstaatsanwaltschaft wahrgenommen. Einzelfallbezogene Weisungen des Hessischen Ministeriums der Justiz in konkreten Ermittlungsverfahren erfolgen nicht. Dem Bericht der Generalstaatsanwaltschaft zufolge werden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 219a StGB von den hessischen Staatsanwaltschaften sorgfältig und unter Beachtung der geltenden Rechtslage geführt. In den Strafverfahren, in denen es zur Anklageerhebung gekommen sei, hätten die Staatsanwaltschaften die Möglichkeiten für eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO hinreichend gewürdigt und die Voraussetzungen insoweit nachvollziehbar verneint. Wiesbaden, 19. Juni 2018 Eva Kühne-Hörmann