Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 04.05.2018 betreffend Ziele der hessischen Energiepolitik - Energiegipfel 2011 und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung der Fragesteller: Sieben Jahre nach dem Hessischen Energiegipfel ist es Zeit eine Bilanz zu ziehen und die damals formulierten Erwartungen zu überprüfen. Bis 2050 soll der gesamte Energiebedarf in Hessen aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Im Rahmen des Energiegipfels wurde für die Stromerzeugung aus Windenergie ein Potenzial von 28 TWh jährlich errechnet. Dazu sollten 2 % der Landesfläche zur Verfügung gestellt werden. Im Jahr 2016 erreicht die Stromerzeugung aus Windkraft laut Energiebericht der Landesregierung 2,3 TWh, das entspricht 6 % des hessischen Strombedarfes (37,4 TWh). Aktuell sind über 1.000 Windkraftanlagen in Hessen in Betrieb. Die durchschnittliche Zahl der Volllaststunden beträgt in Hessen laut Energiebericht der Landesregierung etwa 1.400 und liegt damit unter dem vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik errechneten Zehnjahresmittel von 1651 Stunden. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Hessen kommt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich voran. Alleine im Jahr 2017 wurden, nach der Prognose des IE Leipziger Instituts für Energie zur Energiebilanz Hessen vom Mai 2018, in Hessen 103 Anlagen mit einer Leistung von 300 Megawatt (MW) neu errichtet . Im Bundesvergleich steht Hessen damit erstmals auf Platz 6. Alleine die in den vergangenen vier Jahren installierten Windenergieanlagen erzeugen Strom für mehr als 550.000 Haushalte. Die installierte Windkraft in Hessen wurde in dieser Legislaturperiode mehr als verdoppelt. Von 930 MW Ende 2013 konnte die installierte Leistung auf aktuell 1.991 MW (Ende erstes Quartal 2018) erhöht werden. Die Stromerzeugung aus Windkraft ist nach der Schätzprognose im Jahr 2017 auf 3.243 GWh gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr (2016: 2.204 GWh) ist das ein Plus von fast 50 %. Die ausreichende Zurverfügungstellung von geeigneten Flächen ist dabei die zentrale Aufgabe, ohne die ein Bundesland keine Planungssicherheit gewährleisten kann. Hier ist Hessen sehr erfolgreich gewesen. Die Landesregierung wird sich auch weiterhin auf Bundesebene dafür einsetzen , dass der Ausbau in Hessen weiter erfolgreich ist. Trotz der erschwerten Bedingungen, die das Ausschreibungsverfahren nach dem Erneuerbaren- Energien-Gesetz (EEG) 2017 für die hessischen Standorte bedeutet, konnten daher in der ersten Ausschreibung des Jahres 2018 bereits Zuschläge im Umfang von 81,4 MW Anlagenleistung (11,5 % der bundesweit ausgeschriebenen Leistung) verzeichnet werden. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie hoch wird nach Prognose der Landesregierung der hessische Strombedarf in den Jahren 2020, 2030, 2040 und 2050 sein (TWh/a)? Die aktuellsten Prognosen zum Strombedarf sind der hessischen Verteilnetzstudie 2018 (https://www.energieland.hessen.de/mm/Verteilnetzstudie_Hessen_2024_bis_2034.pdf) zu entnehmen. Dort sind nach Einschätzung der Studienautoren, ausgehend vom oberen Szenario, folgende Werte zu erwarten: 2024 39,6 TWh, 2034 41,7 TWh. Eingegangen am 26. Juni 2018 · Bearbeitet am 26. Juni 2018 · Ausgegeben am 29. Juni 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6366 26. 06. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6366 Frage 2. Welchen Beitrag werden nach Prognose der Landesregierung die einzelnen Energiequellen zum Bedarf in den Jahren 2020, 2030, 2040 und 2050 leisten (in TWh/a)? Es wird aufgrund der Angabe TWh/a davon ausgegangen, dass die Frage nur Bezug auf den Stromsektor nimmt. Nach der Schätzprognose für das Jahr 2017 wird erstmals 20,0 % des in Hessen verbrauchten Stroms in Hessen erneuerbar erzeugt. Etwa 54 % des Stroms wird importiert . Anteile Energieträger an der Bruttostromerzeugung: Erneuerbare Energien ..................................... 45 %, Kohle ........................................................ 21 %, Erdgas ....................................................... 26 %, Sonstige (Mineralöl, nicht-biogene Abfälle, Pumpspeicherwerke usw.) ................................ 8 %. Der Beitrag der einzelnen "Energiequellen" hängt maßgeblich von den energiepolitischen Rahmensetzungen ab. Eine Prognose darüber, in welcher Dynamik zum Beispiel der Kohleausstieg erfolgt, ist nicht möglich. Auch kann der Emissionshandel mit der damit zusammenhängenden CO2-Preisentwicklung erheblichen Einfluss auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien haben. Zur Orientierung können die Zielvorgaben der Bundesregierung dienen. Steigerung des Anteils Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch auf 35 % bis 2020, auf 50 % bis 2030, auf 65 % bis 2040 und auf 80 % bis 2050. Frage 3. Wie hoch wird nach Prognose der Landesregierung die Stromerzeugung aus Windenergie in den Jahren 2020, 2030, 2040 und 2050 (in TWh) sein? Der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung lag 2017 bei 3,24 TWh (8,8 % vom Bruttostromverbrauch - Leipziger Institut für Energie). Wie sich der Ausbau entwickeln wird, hängt auch von der energiepolitischen Rahmensetzung des Bundes ab. Die aktuellsten Prognosen zur Stromerzeugung aus Windenergie sind der hessischen Verteilnetzstudie 2018 (https://www.energieland.hessen.de/mm/Verteilnetzstudie_Hessen _2024_bis_2034.pdf) zu entnehmen. Dort sind nach Einschätzung der Studienautoren, ausgehend vom oberen Szenario, folgende Werte zu erwarten: 2024 7,56 TWh, 2034 14,4 TWh. Frage 4. Wie wird sich nach Ansicht der Landesregierung die Zahl der durchschnittlichen Volllaststunden der in Hessen installierten Windkraftanlagen in den Jahren 2020, 2030, 2040 und 2050 entwickeln ? Die Volllaststundenzahl ist das Maß für den Nutzungsgrad einer Windenergieanlage. Sie beschreibt die Zeit, in der die Anlage mit Nennlast theoretisch betrieben werden müsste, um die gesamte Jahresarbeit im Echtbetrieb darzustellen. Die Volllaststundenzahl einer Anlage schwankt von Jahr zu Jahr. Eine Windenergieanlage mit großem Rotordurchmesser hat bei gleicher Anlagenleistung und gleicher Windgeschwindigkeit eine höhere Volllaststundenzahl als eine Anlage mit kleinerem Rotordurchmesser. Eine Windenergieanlage mit gleicher Leistung und gleichem Rotordurchmesser auf einem höheren Turm, erhöht ebenfalls die Volllaststundenzahl. Die Volllaststundenzahl hängt sowohl von der technischen Entwicklung der Anlagen als auch von den meteorologischen Rahmenbedingungen ab. Die Volllaststundenzahl neuer Anlagen hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich nach oben entwickelt. Diese Entwicklung wird sich auch in Zukunft fortsetzten. Eine belastbare quantitative Prognose der Entwicklung der kommenden Jahrzehnte ist aber aufgrund der Unvorhersehbarkeit der genannten Faktoren in diesem Zeitraum nicht möglich. Frage 5. Wie wird sich nach Ansicht der Landesregierung der durchschnittliche Flächenbedarf der Windkraftanlagen in den Jahren 2020, 2030, 2040 und 2050 entwickeln? Der entscheidende Flächenbedarf für Windenergieanlagen wird durch den Abstand bestimmt, den Windenergieanlagen in einem Park voneinander haben müssen. Der Abstand nimmt mit Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6366 3 größer werdendem Rotordurchmesser zu. Insgesamt wird der Flächenbedarf nicht steigen. Dieser ist begrenzt durch die 2 % der Landesfläche, die regionalplanerisch für die Windenergienutzung zur Verfügung gestellt werden. Frage 6. Hält es die Landesregierung für plausibel, dass die heute von ca. 1.000 Windkraftanlagen erzeugte Strommenge (2,3 TWh/a) um das Zehnfache gesteigert werden kann, ohne dass gleichzeitig auch die Zahl der benötigten Windkraftanlagen drastisch zunimmt? Die Zahl der benötigten Windenergieanlagen muss nicht drastisch erhöht werden. Es wird davon ausgegangen, dass bis zum Jahr 2050 zwischen 2.000 und 2.600 Anlagen erforderlich sind. Die bestehenden Altanlagen als Referenzwert zu verwenden, würde aufgrund des technischen Fortschritts zu einem verzerrten und letztlich unseriösen Ergebnis führen. Bei der Ermittlung der Anlagenzahlen 2011 (Energiegipfel) wurde von zwei Erneuerungszyklen ausgegangen. Als Referenzanlage wurde für das Jahr 2050 eine 7,0 MW Anlage mit 1.850 Volllaststunden zugrunde gelegt. Von diesen Anlagen würden auf 2 % der Landesfläche 2.100 Stück benötigt (Gesamtertrag 27,2 TWh). Bereits heute werden im Standard 3,5 MW Anlagen verbaut. 5 MW Anlagen befinden sich auch in Hessen bereits im Genehmigungsverfahren. Solche Anlagen werden mit 2.500 bis 3.000 Volllaststunden projektiert. Daraus lässt sich folgende Rechnung ableiten: 5 MW/Anlage x 2.500 Volllaststunden x 2.200 Anlagen = 27,5 TWh/a. Eine Anlagenzahl zwischen 2.000 und 2.600 für das Jahr 2050 erscheint vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung plausibel. Es handelt sich hierbei um einen theoretischen Ansatz, der eine maximale Potenzialausschöpfung beschreibt. Frage 7. Wie soll nach Ansicht der Landesregierung die Stromversorgung gesichert werden, wenn bei Windstille die Leistung mehrerer tausend Windkraftanlagen ausfällt? Frage 9. Ist sich die Landesregierung darüber bewusst, dass große Gebiete Deutschlands aufgrund der meteorologischen Grundvoraussetzungen relativ zeitgleich von windschwachen/windstarken Phasen erfasst werden und daher nicht nur Hessen, sondern alle Bundesländer mit Windenergieerzeugung auf (grundlastfähige) Stromimporte angewiesen sind? Die Fragen 7 und 9 werden wegen ihres Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Die Erneuerbaren Energien tragen immer mehr zur Stromproduktion bei. Im Jahr 2017 wurde in Europa erstmals mehr Strom aus Erneuerbaren Energien als durch Kohle erzeugt. Am 01. Januar 2018 konnten die Erneuerbaren Energien allerdings bei vergleichsweise geringer Nachfrage erstmals nahezu 100 % der Stromnachfrage decken. Um Schwankungen in einer deutlich stärker regenerativ ausgerichteten Stromversorgung zu untersuchen, sind detaillierte Daten zur räumlichen und zeitlichen Struktur der Wetterverhältnisse über lange Zeiträume erforderlich. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat solche Datensätze aktuell ausgewertet (DWD 2018). Auch wenn sich im Durchschnitt Wind und Sonne gut ergänzen, können Situationen auftreten, in denen in Deutschland aus beiden Energieformen gleichzeitig nur eine verringerte Einspeiseleistung zur Verfügung steht. Bei einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien müssen für derartige Situationen Reservekraftwerke, Speicherlösungen, schaltbare Lasten und auch der großräumige Stromaustausch die Netzstabilität garantieren. Dies ist durch eine entsprechende Digitalisierung zu flankieren. Grundsätzlich führt der kombinierte Einsatz von Windenergie und Photovoltaik zu einer deutlich geringeren Anzahl von Fällen mit geringer Stromproduktion. Auch die Offshore-Gebiete können aus meteorologischer Sicht einen wesentlichen Beitrag zu einer zuverlässigen Stromversorgung aus Erneuerbaren Energien leisten. Letztlich trägt auch der europäische Stromverbund zu einer Minimierung der Ertragsausfälle bei. Frage 8. An wie vielen Tagen 2017 lag die Leistung aller in Hessen betriebenen Windkraftanlagen bei weniger als 10 % ihrer installierten Leistung? Zu Frage 8 liegen keine Zahlen vor. Eine zentrale Erhebung der dafür erforderlichen Betriebsdaten erfolgt nicht. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6366 Frage 10. Wie hoch werden nach Prognosen der Landesregierung die hessischen Stromimporte in den Jahren 2020, 2030, 2040 und 2050 sein (in TWh/a)? Der Austausch von Strom ist seit Beginn der Stromerzeugung Standard. Das hierfür ausgelegte Übertragungsnetz ist dafür da, große Strommengen über größere Entfernungen von den Erzeugern zu den Verbrauchszentren zu transportieren. Das deutsche Stromnetz ist dabei eingebunden in das europäische Verbundsystem, ein europaweites und engmaschiges Stromnetz aus Hochund Höchstspannungs-Leitungen. Durch energiepolitische Entscheidungen verändert sich die Kraftwerkserzeugungsarchitektur stetig. Der Ausstiegsbeschluss bei der Kernenergie und die zu erwartenden Kraftwerksstilllegungen im Kohlebereich verschieben das Verhältnis von Erzeugungslast und Bedarfslast. Die Stromnetze sind hierbei das zentrale Element, einen entsprechenden Ausgleich herzustellen. Insofern kann der "hessische Stromimport" nicht dekadenscharf prognostiziert werden. Hessen war immer schon Stromimportland, selbst zu Zeiten, als das Atomkraftwerk Biblis komplett am Netz war. Die Übertragungsnetzbetreiber gehen im aktuellen Netzentwicklungsplan (NEP 2030, Version 2017) davon aus, dass im Jahr 2035 ein Stromimport von 21,5 TWh zu erwarten ist. Je erfolgreicher der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Hessen ist, umso geringer ist der Stromimportbedarf. Zudem findet die Energiewende national und auf europäischer Ebene statt. Den Bilanzierungsraum auf Hessen zu beschränken, macht vor dem Hintergrund der bestehenden Netzanbindungen keinen Sinn. Wiesbaden, 13. Juni 2018 Tarek Al-Wazir