Kleine Anfrage des Abg. Degen (SPD) vom 09.05.2018 betreffend Nutzung von Filmen und Zeitungen im Unterricht und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung der Fragesteller: Mit der Neufassung des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) wurden Änderungen zum Urheberrecht rechtsgültig, die die im Unterricht verwendbaren Materialien nach Ansicht von Lehrkräften massiv einschränken und die Umsetzung des Erziehungs- und Bildungsauftrages gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Hessisches Schulgesetz gefährden. Im vom Deutschen Bundestag neu gefassten § 60a des Urheberrechts wird den Lehrkräften erlaubt, 15 % eines Werkes zu kopieren oder öffentlich zugänglich zu machen bzw. wiederzugeben. Als problematisch wird diese Regelung aus der Sicht von Lehrkräften insbesondere für die Nutzung von Zeitungsartikeln aus Tageszeitungen sowie für das Vorführen von Filmen angesehen . Im Raum steht, dass komplette Zeitungs- und Zeitschriftenartikel nicht mehr für Schülerinnen und Schüler kopiert werden dürfen. Das stellt insbesondere für den Unterricht in "Politik und Wirtschaft" sowie für den beruflichen Unterricht in Wirtschaft und Verwaltung eine nicht hinnehmbare Einschränkung dar. Zahlreiche Lehrkräfte nutzen in ihrem Unterricht regelmäßig Zeitungsartikel, um aktuelle Themen zu bearbeiten , die Schulbücher nicht abdecken können. Ebenso wird kritisch gesehen, dass offenbar ganze Filme im Unterricht nicht mehr gezeigt werden dürfen, selbst wenn es sich um "nicht öffentliche" Vorführungen handelt. 15 % eines Filmes wären erlaubt, sind aber oft nicht sinnvoll im unterrichtlichen Einsatz. Gezeigt werden dürften somit nur noch Filme aus dem eingeschränkten Angebot der Medienbildstellen. Vorbemerkung des Kultusministers: In der Neufassung des Urheberrechtsgesetzes, die am 1. März 2018 in Kraft getreten ist, sind die gesetzlich erlaubten Nutzungen für Unterricht und Lehre im Wesentlichen nur zusammengefasst worden, ohne dass sich inhaltlich viel verändert hätte. Richtig ist, dass die zustimmungsfreie Nutzung von Beiträgen aus Zeitungen und Publikumszeitschriften im Vergleich zur früheren Rechtslage eingeschränkt worden ist. Wegen der Einzelheiten wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. Im Übrigen erweitert die Neufassung die Anteile an urheberrechtlich geschützten Werken, die ohne Zustimmung genutzt werden können, deutlich. Das betrifft gerade auch Filmwerke, wie näher in der Antwort auf Frage 7 ausgeführt wird. Nicht öffentliche Vorführungen von Filmen sind ebenso wie bisher unabhängig von der Zustimmung des Rechteinhabers und vergütungsfrei möglich. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Gilt § 60 a des Urheberrechtsgesetzes auch für "nicht öffentliche" Filmvorführungen (im Klassenraum ) von Filmen aus dem privaten Bestand einer Lehrkraft? Nein, denn außer auf die Vervielfältigung und die Verbreitung eines Werks ist § 60a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) nur auf dessen öffentliche Wiedergabe an Bildungseinrichtungen anwendbar . Eine Wiedergabe ist aber nach § 15 Abs. 3 UrhG nur dann öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Und zur Öffentlichkeit gehört nicht, wer durch persönliche Beziehungen mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, oder demjenigen, der das Werk verwertet, verbunden ist. Diese Abgrenzung ist durch die Gesetzesnovelle nicht verändert worden . Es gilt daher weiterhin, dass eine Filmvorführung innerhalb der Klasse oder sonstigen Lerngruppe nicht öffentlich ist, weil deren Mitglieder eine hinreichende persönliche Verbundenheit Eingegangen am 29. Juni 2018 · Bearbeitet am 29. Juni 2018 · Ausgegeben am 3. Juli 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6387 29. 06. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6387 untereinander aufweisen. Auf den Ort, an dem die Vorführung stattfindet, kommt es nicht an. Unabhängig davon rät das Kultusministerium den Lehrkräften allerdings davon ab, Filmkopien aus ihrem Privatbesitz in der Schule vorzuführen, damit sie nicht persönlich für wirkliche oder angebliche Urheberrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Frage 2. Gilt § 60a des Urheberrechtsgesetzes für ganze Zeitungen, so dass einzelne Artikel einer Zeitung für den Unterricht verwendet werden dürfen oder bezieht sich diese 15- %-Einschränkung auf einzelne Artikel? Ein Werk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes ist jeder in sich abgeschlossene Zeitungs- oder Zeitschriftenbeitrag, nicht die Zeitschrift oder Zeitung als Ganze. Richtig ist, dass § 60a Abs. 1 UrhG nunmehr den Umfang, in dem die Nutzung zur Veranschaulichung des Unterrichts gesetzlich zugelassen ist, auf 15 % festlegt. Bislang ließ das Gesetz ohne Zustimmung des Rechteinhabers demgegenüber ohne konkrete Prozentangabe die Nutzung von "kleinen Teilen" eines Werks zu. In ihren Vereinbarungen mit den Verwertungsgesellschaften hatten die Länder eingeräumt, dass der "kleine" Teil bei der öffentlichen Zugänglichmachung 12 % und bei der Vervielfältigung sogar nur 10 % eines Werks beträgt. In diesem Punkt hat die Gesetzesänderung die Rechtslage also aus schulischer Sicht verbessert. Abweichend von der allgemeinen Begrenzung auf 15 % können darüber hinaus Beiträge aus Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften auch vollständig genutzt werden, ohne dass die Erlaubnis des Rechteinhabers erforderlich wäre. Allerdings muss sich die Nutzung auf einzelne Beiträge beschränken; es darf also nicht die gesamte Zeitschrift kopiert oder öffentlich zugänglich gemacht werden. Die Sonderregelung ist insoweit ungünstiger als nach bisherigem Recht, als Tages- und Wochenzeitungen sowie Publikumszeitschriften, also Zeitschriften, die nicht für die wissenschaftliche oder sonstige fachliche Öffentlichkeit bestimmt sind, davon nicht mehr erfasst sind. Für sie gilt die allgemeine Grenze von 15 % jedes einzelnen Beitrags. Frage 3. Sofern einzelne Artikel aus Tageszeitungen nicht mehr vollumfänglich im Unterricht eingesetzt werden dürfen, wie stellt die Landesregierung sicher, dass aktuelle Zeitungsartikel auch in Zukunft im Unterricht wie auch in schulischen Prüfungen verwendet werden dürfen? Auf der Ebene der Kultusministerkonferenz bestehen mit den für die Rechteinhaber tätigen Verwertungsgesellschaften Gesamtverträge zum bisherigen § 52a und zu § 53 UrhG. Die Gesamtverträge regeln die Bedingungen der Nutzung von Filmen, Print- sowie digitalen Werken an Schulen auf praxisnahe Weise sowohl länder- als auch medienübergreifend. Derzeit werden die Gesamtverträge an die Änderung des Urheberrechtsgesetzes angepasst. Für den Übergangszeitraum bis zur Neufassung der Gesamtverträge haben die Länder mit den Verwertungsgesellschaften Zusatzvereinbarungen geschlossen, die die neue Rechtslage berücksichtigen. Damit im Unterricht auch weiterhin vollständige Beiträge aus Zeitungen oder Publikumszeitschriften genutzt werden können, wird derzeit auf der Ebene der Kultusministerkonferenz ein weiterer Gesamtvertrag mit der PMG Presse-Monitor GmbH erarbeitet, die als Vermittlerin zu den Presseverlagen fungiert. Der Abschluss des Gesamtvertrags soll in Kürze erfolgen. Für den Zeitraum vom Inkrafttreten der Änderungen im Urheberrechtsgesetz bis zum Abschluss des Gesamtvertrags wurde mit der PMG Presse-Monitor GmbH eine Duldungsvereinbarung abgeschlossen . Aufgrund dieser Vereinbarungen können Beiträge aus Publikumszeitschriften und Zeitungen an Schulen vollständig genutzt werden. Somit dürfen weiterhin einzelne Beiträge, die in Tageszeitungen und Publikumszeitschriften erschienen sind, sowohl analog als auch digital vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Frage 4. Gelten die Regelungen aus § 60a des Urheberrechtsgesetzes ebenso für im Internet veröffentliche Zeitungsartikel auf der jeweiligen Onlinepräsenz von Verlagen? Bereits vom Verlag öffentlich zugänglich gemachte Zeitungsartikel können nach § 49 UrhG weitgehend frei genutzt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchem Medium die Erstveröffentlichung stattgefunden hat. Unbeschränkt und vergütungsfrei zulässig ist jede Vervielfältigung , Verbreitung und öffentliche Wiedergabe, wenn es sich lediglich um "vermischte Nachrichten" handelt, das heißt um solche Nachrichten, die nicht ausschließlich einen politischen , wirtschaftlichen oder religiösen Inhalt haben und sich auf reine Tatsachenmitteilungen beschränken, die nicht kommentiert oder um Hintergrundinformationen bereichert worden sind. Politische, wirtschaftliche und religiöse Informationen können ebenso frei genutzt werden, wenn sie tagesaktuell sind. Im Übrigen greift § 60a UrhG in der Tat auch für ihre Nutzung ein. Über die 15-Prozent-Schwelle hinaus dürfen politische, wirtschaftliche und religiöse Informationen sowie Kommentare und Hintergrundberichte zwar ohne ausdrückliche Zustimmung des Verlags Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6387 3 öffentlich wiedergegeben werden, wenn er sie nicht mit einem "Vorbehalt der Rechte" versehen hat, sich die Zustimmung also nicht ausdrücklich vorbehalten hat. Für die öffentliche Wiedergabe muss dann aber eine Vergütung an die zuständige Verwertungsgesellschaft gezahlt werden. Frage 5. Ist es zutreffend, dass im ursprünglichen Entwurf des Urheberrechtsgesetzes die Nutzung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln im Unterricht erlaubt war? Frage 6. Wie erklärt sich die Landesregierung die nun deutlich restriktiver getroffene Regelung? Frage 7. Welche Maßnahmen hatte die Landesregierung ergriffen, um die unterrichtliche Nutzung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikel jenseits von Fachzeitschriften sowie von Filmen außerhalb des Angebots der Bildstellen auch in Zukunft sicherzustellen? Die Fragen 5 bis 7 werden gemeinsam beantwortet, da sie sachlich eng zusammenhängen. Mit dem "ursprünglichen Entwurf des Urheberrechtsgesetzes" scheint der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG) gemeint zu sein. Nach diesem Entwurf sollte § 60a Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes wie folgt gefasst werden: "Abbildungen, einzelne Beiträge aus derselben Zeitung oder Zeitschrift, sonstige Werke geringen Umfangs und vergriffene Werke dürfen abweichend von Absatz 1 vollständig genutzt werden." In dieser Fassung (BR-Drs. 312/17, S. 6) ist der Entwurf vom Bundesrat und seinen Ausschüssen behandelt worden. Der Bundesrat bat darum, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob auch die Nutzung im Rahmen außerunterrichtlicher Angebote der Ganztagsschule in die Schrankenregelungen der §§ 60a ff. einbezogen werden könne. Deren Anknüpfung an den Begriff des "Unterrichts" sei nicht mehr zeitgemäß. Denn sie berücksichtige nicht, dass die Ganztagsschule auch im Rahmen außerunterrichtlicher Angebote ihrem Bildungsauftrag nachkomme (BR-Drs. 312/17 (B), S. 8). Zu § 60a Abs. 2 hat der Bundesrat sich nicht geäußert. Die Bundesregierung hielt die vom Bundesrat angeregte Änderung nicht für erforderlich. Das Tatbestandsmerkmal "Unterricht" schließe ergänzende Angebote von Schulen nicht aus (BT-Drs. 18/12378, S. 4). Erst nach der Beteiligung des Bundesrats hat der Ausschuss des Bundestags für Justiz und Verbraucherschutz empfohlen, die Wörter "Zeitung oder Zeitschrift" durch "Fachzeitschrift oder wissenschaftlichen Zeitschrift" zu ersetzen (BT-Drs. 18/13014, S. 13). Damit reagierte der Ausschuss auf eine nach seiner Auffassung "besondere Situation der Tages- und Publikumspresse " im Gegensatz zu Wissenschafts- und Fachverlagen sowie auf den verfassungsrechtlichen Rang der Hochschullehre (a. a. O., S. 30). In dieser Fassung hat der Bundestag das Gesetz beschlossen (BGBl. 2017 I S. 3346, 3348). Der Bundesrat sah davon ab, gegen es Einspruch zu erheben, um das umfangreiche Gesamtpaket der Novelle nicht zu Fall zu bringen. Insofern wurde unter der Mitwirkung des Landes Hessen ein Kompromiss zwischen den pädagogischen Interessen der Länder und den wirtschaftlichen Interessen der Verlage gefunden. Die unterrichtliche Nutzung von Filmen ist im Gegensatz zur unterrichtlichen Nutzung von Zeitungs - oder Zeitschriftenbeiträgen nicht von der Änderung des Urheberrechts durch das UrhWissG betroffen. Eine Filmvorführung innerhalb der Klasse oder sonstigen Lerngruppe ist nicht öffentlich, weil deren Mitglieder in hinreichendem Maß persönlich miteinander verbunden sind (vergleiche Antwort zu Frage 1). Daher bestand für die Landesregierung kein Anlass zu weitergehenden Maßnahmen, um die unterrichtliche Nutzung von Filmen "sicherzustellen". Frage 8. Gibt es derzeit Verhandlungen zwischen den Ländern und entsprechenden Interessensvertretungen der Verlage, um die vollständige Nutzung von Zeitungsartikeln und Filmen im Unterricht zu erleichtern ? In Bezug auf die Nutzung von Zeitungsbeiträgen lautet die Antwort ja; insoweit wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Hinsichtlich der Nutzung von Filmen bedarf es keiner Verhandlungen , wie sich aus der Antwort zu Frage 7 ergibt. Frage 9. Wie unterstützt die Landeregierung grundsätzlich, dass Schülerinnen und Schüler an das Lesen von Zeitungen herangeführt und dabei schulisch begleitet werden? Die hessische Landesregierung motiviert Schülerinnen und Schüler zur Lektüre von Zeitungen auf vielfältige Weise. So bestehen in Hessen curriculare Vorgaben für eine Heranführung an das Lesen von Zeitungen für einzelne Fächer. Etwa im Kerncurriculum des Fachs Politik und Wirtschaft ist für die Sekundarstufe I im gymnasialen Bildungsgang als Kompetenzziel u. a. die Lesekompetenz beschrieben, die sich gerade in diesem Fach in signifikantem Maße auf Zeitungen beziehen muss. Danach lesen und rezipieren die Lernenden Texte unterschiedlicher Formate und nutzen dabei Lesestrategien. Sie entnehmen den Texten wesentliche Informationen und ziehen begründete Schlussfolgerungen. Sie interpretieren Texte auf der immanenten Ebene sowie im Zusammenhang ihres gesellschaftlichen, historischen und kulturellen Kontextes. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6387 Die Lesekompetenz ist außerdem Gegenstand privater Initiativen wie etwa des Projekts "Meine Zeitung", das die Frankfurter Allgemeine Zeitung seit 2007 jährlich gemeinsam mit der Stiftung Polytechnische Gesellschaft zur Förderung der Lese- und Medienkompetenz von Jugendlichen durchführt. Während des rund dreimonatigen Projektzeitraums erhalten täglich jeder Schüler und jede Schülerin ein Freiexemplar der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" oder der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Bislang haben 350 Klassen der Jahrgangsstufen 6 bis 10 an Frankfurter Schulen mit 10.000 Schülern an dem Projekt teilgenommen. Wiesbaden, 25. Juni 2018 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz