Kleine Anfrage der Abg. Hofmeyer, Gremmels, Faeser und Rudolph (SPD) vom 08.07.2014 betreffend Fiskalerbschaften und Antwort des Ministers der Finanzen Vorbemerkung der Fragesteller: Gebäude, bei denen im Falle des Todes des bisherigen Eigentümers gem. § 1936 BGB weder ein Verwandter noch ein Lebenspartner noch ein Ehegatte des Erblassers vorhanden ist, erbt das Land, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz hatte (sog. Fiskalerbschaft). Das Land hat hieraus alle Rechte und Pflichten zu übernehmen. Vorbemerkung des Ministers der Finanzen: Gebäude, bei denen im Falle des Todes des bisherigen Eigentümers gem. § 1936 BGB weder ein Verwandter noch ein Lebenspartner noch ein Ehegatte des Erblassers vorhanden oder zur Annahme der Erbschaft bereit ist, erbt das Bundesland, in dem der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen letzten Wohnsitz hatte (sog. Fiskalerbschaft), wenn a) nicht eine anderslautende testamentarische Erbeinsetzung wirksam wird und b) das zuständige Nachlassgericht den Eintritt der Fiskalerbschaft ausdrücklich beschließt. Das Land hat danach grundsätzlich alle Rechte und Pflichten aus dem Nachlass zu übernehmen; da es jedoch ein sog. Zwangserbe wird, der diese Erbschaft - in Gegensatz zu anderen Erben - nicht ausschlagen darf, gilt eine Privilegierung dahin gehend, dass das Land als letzter Erbe für bestehende Nachlassverbindlichkeiten von Anfang an grundsätzlich nur mit der vorhandenen Erbmasse haftet. Dies ergibt sich mittelbar aus §§ 2011 BGB, 780 Abs. 2 ZPO, ohne dass die Dürftigkeitseinrede im Sinne von § 1990 BGB expressis verbis erhoben werden müsste. Es ist zu konstatieren, dass Fiskalerbschaften eine größer werdende Herausforderung für das Land darstellen. Aufgrund des demografischen Wandels ist bei immer mehr Immobilien kein Erbe mehr vorhanden. Weiterhin führt die größere Mobilität der jüngeren Generationen dazu, dass gerade bei kleinen und weniger werthaltigen bzw. belasteten Immobilien das Erbe ausgeschlagen wird. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklungen eher noch verstärken werden. Das Land trägt den gestiegenen Fallzahlen bereits seit 2012 durch verstärkten Personaleinsatz im Bereich der Verwertung der Fiskalerbschaften Rechnung. Die Einnahmen aus der Verwertung der Fiskalerbschaften kommen der Hessischen Kulturstiftung zugute. Bedauerlicherweise sind diese Einnahmen in den letzten Jahren eher rückläufig. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Häuser, die mangels Erben in das Eigentum des Landes übergegangen sind, sind in den einzelnen Landkreisen registriert? Aktuell sind ca. 2.000 Fälle von Fiskalerbschaften in Hessen in laufender Bearbeitung. Die Anzahl der im Wege der Fiskalerbschaften in Landeseigentum übergegangenen bebauten Grundstücke beträgt zum 30.06.2014 insgesamt 445, davon liegen 337 in Hessen. Die Verteilung dieser 337 Grundstücke auf die einzelnen Landkreise in Hessen ergibt sich aus der beigefügten Anlage. Eingegangen am 20. August 2014 · Ausgegeben am 22. August 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/640 20. 08. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/640 Frage 2. Wie werden die unter Frage 1 benannten Liegenschaften vom Land Hessen betreut bzw. verwaltet ? Nach dem Erlass des HMdF vom 13.12.2010 (StAnz 52/2010 S. 2833) zur Verwaltung der dem Land Hessen zufallenden Erbschaften obliegt die Verwaltung der zu einem Nachlass gehörenden Grundstücke bis zur endgültigen Abwicklung in allen Grundstücksangelegenheiten der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main (OFD). Diese bedient sich zur Verwaltung und Verwertung der Grundstücke des Hessischen Immobilienmanagements (HI) als Dienstleister gegen Entgelt. Nach Feststellung der Fiskalerbschaft ermittelt die OFD bei den betroffenen Immobilien in der Regel vor Abgabe der Grundstücke an das HI die Rechtsverhältnisse (z.B. Klärung der Eigentumsverhältnisses bei Erwerb eines Miteigentumsanteils am Grundstücks), veranlasst die Grundbuchberichtigungen und ermittelt bei den in Hessen gelegenen Objekte konkret zu veranlassende Maßnahmen im Rahmen einer Erstbesichtigung. Dies gestaltet sich angesichts der Vielzahl an Objekten oft schwierig, da sich bauliche und hygienische Zustände durch unvorhergesehene Ereignisse (Witterung, Vandalismus etc.) auch kurzfristig ändern können. Die Betreuung und Verwaltung der Liegenschaften nach der Objektübernahme durch das HI wird durch die Objektleiter in vier Niederlassungen des HI sichergestellt. Zu ihren Aufgaben gehören u.a. regelmäßige Objektbegehungen, Betriebsführung und Verkehrssicherung. Die Vermarktung der Grundstücke obliegt der Zentrale des HI. Frage 3. Wie viele der unter Frage 1 benannten Gebäude sind bewohnt bzw. wie viele stehen leer? Von den 337 in Hessen gelegenen Liegenschaften sind zum 30.06.2014 insgesamt 87 bewohnt, 250 stehen leer. Die Verteilung der bewohnten und unbewohnten Grundstücke auf die einzelnen Landkreise in Hessen ergibt sich aus der beigefügten Anlage. Frage 4. Für wie viele der unter Frage 1 benannten Gebäude liegen Hinweise vor, dass sie verfallen bzw. verwahrlosen, und wie reagiert das Land Hessen auf solche Hinweise? Zur Beantwortung der Frage werden die Begriffe "verfallen" im Sinne von "abbruchreif" und "verwahrlost" im Sinne von "vermüllt" ausgelegt. Von den 337 in Hessen gelegenen bebauten Immobilien aus Fiskalerbschaften sind zum 30.06.2014 insgesamt 34 als abbruchreif und 25 als vermüllt anzusehen. Abbruchreife bzw. vermüllte Häuser stehen regelmäßig leer. Im Rahmen der Verwaltung der Grundstücke durch das HI werden in der Regel durch die jeweils regional zuständigen Objektleiter der Niederlassungen nach Abwägung des Gefahrenpotenzials Verkehrssicherungsmaßnahmen getroffen. Bei akuter Einsturzgefahr und Gefährdung von Personen oder Sachen im unmittelbaren Umfeld der Liegenschaften werden nach Prüfung und Abstimmung der Kosten im Einzelfall notwendige Abrissmaßnahmen oder Entrümpelungsmaßnahmen durchgeführt. Problemimmobilien werden prioritär einer Verwertung zugeführt, wobei gerade bei solchen Objekten die Vermarktungschancen in der Regel gering sind. Frage 5. Wie viele Anfragen von möglichen Käufern für Fiskalerbschaftsobjekte gab es in den letzten fünf Jahren, und wie viele davon wurden abgelehnt? Die genaue Anzahl der Anfragen potenzieller Käufer sowie die Anzahl der Ablehnungen werden beim Land statistisch nicht erfasst. In den letzten fünf Jahren gab es nach Schätzungen des HI zwischen 2000 und 3000 Anfragen von möglichen Käufern. Der überwiegende Anteil der Anfragen führt nicht zu einem Gebot, da die Kaufanfrage meist zurückgezogen wird, sobald der Interessent über bestehende Belastungen und weitere Miteigentümern bzw. Miterben des Grundstücks informiert wird. Gebote werden nur abgelehnt, wenn diese deutlich unter dem Wert des Objektes liegen bzw. unter dem in der öffentlichen Ausbietung erzielten Höchstgebot. Frage 6. Werden solche Gebäude gezielt zum Verkauf angeboten? Wenn nein, warum nicht? Grundstücke aus Fiskalerbschaften werden vom HI nach entsprechender Vertriebsanalyse und Entschuldung bzw. Teilentschuldung öffentlich ausgeboten bzw. einer öffentlichen Versteigerung zugeführt. Im Einzelfall werden Objekte auch mit den bestehenden Belastungen ausgeboten . Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/640 3 Frage 7. Warum kommt das Land seiner Verpflichtung nicht nach, in begründeten Fällen eine Entmül- lung bzw. Entseuchung eines Objektes vorzunehmen (Beispiel in der Stadt Liebenau, Landkreis Kassel)? Das Land kommt auch in Anbetracht steigender Fallzahlen problembehafteter, meist überschuldeter Fiskalerbschaftsgrundstücke seinen Verkehrssicherheitspflichten trotz Dürftigkeit des Nachlasses nach und wird auch in Fällen der Gefahrenabwehr tätig, um insbesondere Gefahren für Leib und Leben zu verhindern. Die überwiegende Zahl der Fiskalerbschaftsfälle wird kooperativ zwischen allen Beteiligten und beanstandungsfrei abgewickelt. Der im konkret genannten Beispielsfall (Grundstück in Liebenau) aufgetretene Dissens zwischen Land und Landkreis Kassel beruhte letztlich auf einer unterschiedlichen Einschätzung des Zustandes der Liegenschaft und der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen. Aus Sicht des Landes muss stets abgewogen werden, ob eine von der Allgemeinheit zu finanzierende Maßnahme nur wünschenswert oder tatsächlich geboten und erforderlich ist. Dies folgt insbesondere aus der Verpflichtung des Landes gegenüber seinen Bürgern und Steuerzahlern, die in einem Einzelfall nicht unangemessen mit den Folgen der Vernachlässigung eines zunächst privaten Besitzes belastet werden dürfen. Frage 8. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Kosten für die in Frage 7 genannten Maß- nahmen von den Landkreisen zu zahlen sind, obwohl das Verwaltungsgericht Kassel entsprechende Klagen des Landes zurückgewiesen hat und auch der Verwaltungsgerichtshof in Kassel festgestellt hat, dass das Land in Anspruch genommen werden durfte, jedoch allein mangels Rechtsgrundlage im Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz keine zwangsweise Beitreibung der verauslagten Kosten möglich ist? Frage 9. Falls Frage 8 mit ja beantwortet wird: Wie begründet die Landesregierung ihre Auffassung? Das Land erkennt die Rechtsauffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs an, dass die vom Landkreis Kassel für erforderlich erachteten Maßnahmen in diesem vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall vom Land zu ergreifen waren. Daher hat die OFD zwischenzeitlich dem Landkreis Kassel die Kosten der Ersatzvornahme einschließlich Zinsen für das Grundstück in Liebenau erstattet. Frage 10. Wie will das Land Hessen in Zukunft mit einer sicher zunehmenden Anzahl solcher Fiskal- erbschaften umgehen? Für diese in der Zukunft vermutlich zunehmenden Fälle dürfte zukünftig eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Entscheidungsträgern und Institutionen erforderlich werden. In den letzten Jahren wurde die Anzahl der ausschließlich mit der Betreuung der Fiskalerbschaften befassten Mitarbeiter kontinuierlich erhöht. Derzeit bearbeiten 14 Personen diese Fälle. Auch die Erledigungsquote der Verwertung der Fiskalerbschaftsgrundstücke steigt: wurden 2011 noch 14 Flurstücke, die dem Land durch Fiskalerbschaften zufielen, wieder veräußert, waren es im vergangenen Jahr 194 Flurstücke. Das Land, vertreten durch die Oberfinanzdirektion und das HI, bedauert, dass im Falle des Grundstücks in Liebenau die Zusammenarbeit mit dem Kreis bezüglich des Fiskalobjekts so unharmonisch verlief, da die Probleme, die durch belastete und vernachlässigte Grundstücke für die Allgemeinheit bzw. die Nachbarschaft entstehen, üblicherweise als gemeinsames Problem konstruktiv mit den betroffenen Körperschaften und Anliegern behandelt werden. Im Hinblick auf knappe Ressourcen und steigende Fallzahlen muss jedoch zur Wahrung der Interessen aller steuerzahlenden Bürger vom Land darauf geachtet werden, bei der Unterhaltung und Herrichtung von Fiskalerbschaftsimmobilien zwischen lediglich wünschenswerten und wirklich notwendigen Maßnahmen zu unterscheiden. Wiesbaden, 12. August 2014 Dr. Thomas Schäfer Anlage Anlage zu 19/640