Kleine Anfrage des Abg. Lotz (SPD) vom 23.03.2018 betreffend Auswirkungen auf den Wald durch Orkan Friederike und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung des Fragestellers: Am 18. Januar 2018 hat der Orkan Friederike die hessischen Wälder getroffen, daraufhin sind ca. 1,4 bis 1,6 Millionen Kubikmeter Holz im Windwurf gefallen. Bei nicht rechtzeitiger Herausholung aus dem Wald droht eine Borkenkäfergroßkalamität. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz : Nach dem Orkanereignis Friederike hat der Landesbetrieb Hessen-Forst für die hessischen Wälder eine erste sondierende Schadensabschätzung getroffen. Die Windwurfmenge wurde nach den ersten Erhebungen Ende Januar auf rund 1,5 Millionen Kubikmeter Holz in allen von Hessen -Forst betreuten Waldbesitzarten geschätzt. Durch Folgestürme mit einhergehenden Nachwürfen beläuft sich die Schadholzmenge inzwischen jedoch angenommen auf etwa zwei Millionen Kubikmeter. Hinzuzurechnen sind Schadmengen in den nicht von Hessen-Forst betreuten, eigenständig wirtschaftenden Forstbetrieben. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Hat das Ministerium einen Erlass oder andere Weisungen schriftlich oder mündlich ausgesprochen , a) in Bezug auf Waldschutz: Keinerlei Vorausflugbehandlung mit Insektiziden jeglicher Art gegen Borkenkäfer (Buchdrucker et al) zum Schutz gegen Massenvermehrung zu tätigen? Falls nein, welche Mittel mit welchen Wirkstoffen hat sie zugelassen? b) in Bezug auf Produktschutz: Keinerlei Vorsorgen mit im Wald zugelassenen Insektiziden gegen holzbrütende Borkenkäfer (Lineatus) zum Schutz des Holzes gegen massive Entwertung (und damit erheblichen Vermögensschaden für das Land Hessen) zu tätigen? Falls nein, welche Mittel mit welchen Wirkstoffen hat sie zugelassen? Das geltende Pflanzenschutzrecht schreibt den sogenannten "Integrierten Pflanzenschutz" vor, der als letztes Mittel auch den Einsatz chemischer bzw. biologischer Pflanzenschutzmittel vorsieht . Diese Verpflichtung zum Pflanzenschutz ist in § 8 des Hessischen Waldgesetzes sinngleich aufgenommen. Der Begriff "Pflanzenschutzmittel" bezieht sich dabei sowohl auf Schutzmittel für lebende Pflanzen als auch auf lagernde Pflanzen oder Teile davon. Eine rechtzeitige Schutzbehandlung liegenden Holzes wirkt gleichzeitig gegen holz- und rindenbrütende Schadinsekten und schützt somit dieses Holz sowohl gegen Borkenkäfer als auch gegen holzbrütende Insekten . Aufgrund der erfolgten und laufenden Zertifizierung des Hessischen Staatswaldes nach FSC wird auf den Einsatz chemischer bzw. biologischer Pflanzenschutzmittel grundsätzlich verzichtet . Wenn es die Gefährdungslage trotz entsprechender Vorsorgemaßnahmen erfordert, wird gem. des aktuell geltenden FSC-Standards eine behördliche Anordnung der zuständigen Forstbehörde beantragt. Für den Hessischen Staatswald ist das Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) für eine entsprechende behördliche Anordnung zuständig. In diesem Jahr wurde bisher, d.h. bis zum 11.04.2018 weder seitens des Landesbetriebes Hessen -Forst eine behördliche Anordnung beantragt, noch wurde eine solche erteilt. Im Übrigen gelten auch bei der Zertifizierung nach PEFC die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes, Eingegangen am 23. Mai 2018 · Bearbeitet am 23. Mai 2018 · Ausgegeben am 25. Mai 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6203 23. 05. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6203 wonach Pflanzenschutzmittel nur als letztes Mittel nach organisatorischen und/oder technischen Maßnahmen und bei schwerwiegender Gefährdung zulässig sind. Frage 2. Ist sicher gewährleistet, dass alles brutfähige Rundholz vor Beginn des Ausfluges der ersten Borkenkäfergeneration und der dann bei hoher Vorbelastung aus 2017 folgenden Massenvermehrung aus dem Wald herausgefahren werden kann? Da die angefallene Schadholzmenge insgesamt zu groß ist, kann nicht überall gewährleistet werden, dass alles brutfähige Rundholz vor Beginn des Ausfluges der ersten Borkenkäfergeneration aus dem Wald herausgefahren wird. In den Forstämtern mit geringen bis moderaten Schadholzanfällen ist das gewährleistet, weil dort die Holzaufarbeitung und auch der Holzabfluss in Richtung Käufer bzw. Lagerplätze vordringlich forciert wurde, um hinsichtlich des Waldschutzes (Entzug von bruttauglichem Holz) eine größtmögliche Wirkung zu erzielen. In den besonders stark betroffenen Forstämtern (mit über 60.000 Festmetern Schadholz) ist ein vollständiger, zeitgerechter Holzabfluss auf Grund begrenzter Aufarbeitungs-, Transport- und Aufnahmekapazitäten der Holzkäufer nicht möglich. Die Aufarbeitung wird in einzelnen Forstämtern voraussichtlich bis zum ersten Quartal 2019 andauern. Frage 3. Stehen entsprechende Kapazitäten an Rungen-LKW zur Verfügung? a) Falls nein: Welche Mengen an Sturmholz wird sie bis zum Einsetzen der Massenvermehrung (April/ Mai) aus dem Wald herausgefahren haben, welche Mengen werden in Nasslager , unter Folie, geschält, gelagert? Die Transportkapazitäten sind knapp. Verstärkt wird dieser Effekt durch ebenfalls hohe Windwurfanfälle in benachbarten Bundesländern mit einer Gesamtmenge von mehr als zehn Millionen Erntefestmetern. Die Lage bleibt voraussichtlich das ganze Jahr hindurch kritisch. Die Transportkapazität bleibt der Engpass bei der Gesamtbewältigung der Sturmholzaufarbeitung. Eine Tonnageerhöhung bei Rundholz-LKW von 40 to auf 44 to aus den Sturmwurfgebieten ist ein wichtiger Schritt. Die notwendigen formalen Voraussetzungen sind zwischenzeitlich per Erlass des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung grundsätzlich gegeben. Zu Frage 3 a: Die Größenordnung kann nur geschätzt werden, da die Menge des abtransportierten Holzes von verschiedensten Parametern abhängt. Als grober Richtwert kann bis etwa Ende Mai mit einer Abflussmenge von ca. 600.000 Kubikmetern Sturmholz gerechnet werden. Diese Menge setzt sich aus verkauftem und innerhalb des Betriebes umgelagertem Holz zusammen . Somit würden dann noch rund 1,4 Millionen Kubikmeter Sturmholz im Wald sein. Der Landesbetrieb HessenForst entlastet den Holzmarkt und begegnet den Waldschutzrisiken durch Borkenkäfer und der Entwertung des Sturmholzes, indem er Sturmholz aus dem Staatswald des Landes Hessen aus dem Wald heraus fährt und folgende Mengen Fichtenstammholz einlagert: ca. 150.000 Festmeter Nasslager auf vier Plätzen, ca. 20.000 Festmeter in Folie, ca. 10.000 Festmeter entrindet und trocken lagert sowie verschiedene Trockenlager (Palettenholz und Industrieholz) in den Forstämtern einrichtet. Frage 4. Welche Mengen an Sturmholz verbleiben ungeschützt im Wald? Es werden dann noch bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter Sturmholz im Wald sein. Um deren Entwertung durch Trocknis zu vermeiden, werden Bäume unter fachlich vertretbaren Gesichtspunkten auch am Wurzelteller belassen, wenn dieser Kontakt zum Mineralboden hat. Damit wird der Frischzustand der Bäume, insbesondere in schattigen Hanglagen zeitlich gestreckt und die Holzqualität weitestgehend erhalten. Dies trägt dazu bei, die Holzaufarbeitung zeitlich und quantitativ am Holzabfluss auszurichten. Frage 5. Ist es gewährleistet, dass zur Abwehr von schweren Schäden im Landes-, Kommunal- und Privatwald entsprechende Abwehrmaßnahmen greifen? Falls ja: Um welche Abwehrmaßnahmen handelt es sich? Zum Zwecke der Schadensminimierung werden folgende Maßnahmen ergriffen: Bestmöglicher Holzverkauf durch Erfüllung bestehender Verträge und deren Erweiterung, Verbringung von Holz auf Nass-, Folien- und Trockenlagerplätze, Nutzung der zeitlich begrenzten Lebendkonservierung am Stock, Nutzung verfügbarer Stammholzentrindungsanlagen, um aufgearbeitetes Holz vor Ausflug der Käfer zu entrinden bzw. für rindenbrütende Borkenkäfer unattraktiv zu machen, Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6203 3 Schutzbehandlung von nicht mehr rechtzeitig abzufahrendem, aufgearbeitetem Holz mit zugelassenen Pflanzenschutzmitteln und Anlage von Fangeinrichtungen mit Pflanzenschutzmitteln zur Verhinderung von späterem Stehendbefall. Die letztgenannte Schutzvariante mit Pflanzenschutzmitteln steht im Rahmen des sachgerecht abgewogenen integrierten Pflanzenschutzes den nicht nach FSC zertifizierten Betrieben offen. Das gilt für den größten Teil der Kommunal- und Privatwaldbesitzer. Die FSC-Zertifizierung bedingt eine behördliche Anordnung, die dort wo erforderlich ausreichend begründet beantragt wird. Frage 6. Auf wie hoch beziffert die Landesregierung die Entwertung des Holzes, wenn durch den Verzicht auf Insektizide im bereits gepolterten Holz bei Befall durch holzbrütende Borkenkäfer (Lineatus) stattfindet? Diese Frage lässt sich nicht beantworten, da die Dichte der holzbrütenden Borkenkäfer (Lineatus ) jahresweise schwankt. Frage 7. Ist der Landesregierung bewusst, dass es in Folge einer sicher zu erwartenden Massenvermehrung des Buchdruckers zu nicht mehr behebbaren Schäden in intakten stehenden Fichtenbeständen kommen wird? Nach starken Sturmereignissen mit erhöhtem Brutraumangebot ist regelmäßig mit einer ansteigenden Borkenkäferpopulation zu rechnen. Dabei ist nicht nur das liegende Sturmholz betroffen . Das Schadensrisiko bezieht sich vor allem auf die noch stehenden Bäume bzw. Bestände und damit einhergehender, schwer vorhersagbarer räumlicher Ausbreitung. Das Ausmaß der Folgeschäden und die räumliche Ausbreitung sind maßgeblich abhängig vom Witterungsverlauf in den Sommermonaten der kommenden zwei Jahre. Dieser Gefährdung kann nur durch die konsequente Umsetzung aller Optionen des integrierten Waldschutzes schadensmindernd begegnet werden. Frage 8. Wie gedenkt die Ministerin mit möglichen Schadensersatzforderungen von Kommunalwald und Privatwald auf der Grundlage von nicht vorsorgendem Waldschutz (§ 8 und 9 HWaldG) umzugehen ? Im Staatswald des Landes Hessen werden alle möglichen vorsorgenden Waldschutzmaßnahmen nach Maßgabe der geltenden gesetzlichen Regelungen ergriffen, um ein Übergreifen von Borkenkäfern auf Waldflächen anderer Waldbesitzer zu verhindern. Frage 9. Beabsichtigt die Ministerin die auftretenden Schäden gegebenenfalls gegenüber dem FSC, der ein Verbot von Insektiziden in seinem gültigen Standard 2.3 niedergeschrieben hat, einzufordern, und wenn nein, warum nicht? Das Land Hessen hat sich dafür entschieden, seinen Staatswald nach den Regularien von FSC Deutschland zertifizieren zu lassen. Damit ist die Entscheidung einhergegangen, auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden gemäß den anzulegenden Standards grundsätzlich zu verzichten. Soweit eine Behandlung zur Verhinderung bestandsbedrohender Schäden am Wald im Rahmen des "Integrierten Waldschutzes" als erforderlich angesehen und seitens der Forstbehörden für zwingend notwendig erachtet wird, kann im Einzelfall auf Antrag eine behördliche Anordnung zur Abwendung von Schäden erfolgen. Insoweit sind Forderungen gegenüber FSC nicht erforderlich. Frage 10. Wie ist die Fachkundliche Position der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW- FVA) zu diesem durch die FSC-Regularien hervorgerufenen Waldschutzrisiko (Verbot jedes Insektizideinsatzes )? Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt berichtet, dass bereits in den Jahren 2016 und 2017 in Hessens Fichtenwäldern wachsende Schäden durch Borkenkäfer zu verzeichnen waren. Aufgrund der angespannten Gefährdungslage wurden behördliche Anordnungen zum Einsatz von Insektiziden in vier FSC-Forstämtern erteilt. In zwei dieser FSC-Forstämter wurden daraufhin Insektizide gegen Borkenkäfer eingesetzt. In vielen Fällen konnte 2017 von Borkenkäfern befallenes Holz aus unterschiedlichen Gründen (z.B. Unternehmungs- bzw. Arbeitskapazitäten , Witterung) erst aufgearbeitet werden, nachdem die Jungkäfer bereits ausgeflogen waren. Für 2018 wird unabhängig von den jüngeren Sturmereignissen daher von einer erheblichen Gefährdung hessischer Fichtenwälder durch Borkenkäfer ausgegangen. Der Landesbetrieb Hessen- Forst wurde von der Abteilung Waldschutz der NW-FVA auf die Gefährdungslage hingewiesen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6203 In Fichtengebieten ohne nennenswerte Vorkommen von frischem, liegendem Sturmholz können bereits die aus der Überwinterung kommenden Borkenkäfer Stehendbefall verursachen. In Gebieten mit größerem Anfall von Sturmholz wird die überwinterte Borkenkäfergeneration ab etwa Mitte/Ende April voraussichtlich überwiegend liegendes Windwurfholz in den Beständen besiedeln . In solchen Gebieten wird es daher kaum Stehendbefall durch die erste Generation geben. Allerdings entstehen in liegendem Sturmholz in der Regel sehr große Mengen an Jungkäfern (2. Generation), die ab etwa Mitte/Ende Juni 2018 schlüpfen und dann aller Wahrscheinlichkeit nach erheblichen Stehendbefall verursachen werden. Um den Ausflug der Jungkäfer aus besiedeltem Windwurfholz verhindern zu können, muss dieses Holz rechtzeitig aus den Waldbeständen herausgeholt (gerückt) werden. Solange die Käferentwicklung unter der Fichtenrinde noch nicht zu weit fortgeschritten ist, ist die Abfuhr des Holzes aus dem Wald die beste Bekämpfung. In Regionen ohne nennenswerte Sturmholzmengen ist die zeitgerechte Sanierung des Befalls aus dem Vorjahr und die anschließende Abschöpfung verbliebener Borkenkäfer mit Fangsystemen die effektivste Methode, um dort neuen Stehendbefall zu vermeiden und die lokalen Käferpopulationen zu mindern. Aufgrund der Ausgangslage und der zu erwartenden Entwicklung in den Sturmschadensgebieten empfiehlt die NW-FVA, Abteilung Waldschutz, den rechtzeitigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln an liegenden Holzpoltern, um einerseits wertvolleres Holz vor Befall zu schützen und andererseits Jungkäfer in bereits befallenem Holz am Ausschlüpfen zu hindern. Die Landesregierung hat mit der Zertifizierung des Staatswaldes nach FSC ihren Willen zum Ausdruck gebracht, auf einen Einsatz von PSM im Staatswald grundsätzlich zu verzichten. Um dem gesetzlichen Auftrag des Waldschutzes nachzukommen und insbes. eine Gefährdung Wälder anderer Besitzarten zu verhindern, kann das HMUKLV nach sorgfältiger Überprüfung eine behördliche Anordnung erteilen. Hierfür liegt eine fachliche Einschätzung der Gefahrensituation durch die Abt. Waldschutz der NW-FVA vor. Die Forstämter schätzen die Gefährdungssituation vor Ort nach einem vereinbarten Vorgehen ein und stellen ggf. einen Antrag auf Erteilung einer behördlichen Anordnung. Durch das HMUKLV erfolgt dann nach Überprüfung der Unterlagen eine Entscheidung über die Anordnung zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gegen rindenbrütende Borkenkäfer. Diese ist zeitlich und räumlich begrenzt. Wiesbaden, 7. Mai 2018 Priska Hinz