Kleine Anfrage des Abg. Dr. h.c. Hahn (FDP) vom 03.07.2018 betreffend Kreisfreiheit Hanau und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung des Fragestellers: Der Magistrat der Sonderstatus-Stadt Hanau hat am 25.06.2018 bekannt gegeben, dass man ab April 2021 das Ziel erreicht haben möchte, kreisfreie Stadt zu werden. Diese Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Frage 1. Welche inhaltlichen Voraussetzungen sind zu erfüllen, damit eine hessische Kommune kreisfreie Stadt werden kann? Frage 2. Welche politischen Entscheidungen muss die hessische Landesregierung bzw. der hessische Landtag treffen, damit eine Kommune wie Hanau kreisfrei werden kann? Frage 3. Sollten die notwendigen Einwohnerzahlen erreicht sein, hat die entsprechende Kommune dann einen Rechtsanspruch darauf, als kreisfrei anerkannt zu werden? Frage 4. Welche Voraussetzungen sind zu erfüllen, damit eine "Entflechtung" zwischen der bisher kreisangehörigen Kommune einerseits und dem Kreis andererseits erfolgreich abgeschlossen werden kann? Die Fragen 1 bis 4 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Nach § 14 Abs. 1 der Hessischen Landkreisordnung (HKO) können die Grenzen der Landkreise aus Gründen des öffentlichen Wohls geändert werden. Die Änderung der Grenzen eines Landkreises infolge Ein- oder Ausgliederung von Gemeinden bedarf nach § 14 Abs. 2 HKO eines Gesetzes. Die Auskreisung der Stadt Hanau aus dem Main-Kinzig-Kreis muss durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein. Im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Interessen sind neben den Interessen der Stadt Hanau auch die Auswirkungen der Auskreisung auf den Landkreis und auf die anderen kreisangehörigen Städte und Gemeinden zu berücksichtigen. Die Abwägungsentscheidung obliegt, da sie auf der Gesetzesebene zu treffen ist, letztlich dem Hessischen Landtag . Das hessische Landesrecht enthielt und enthält keine Bestimmungen über die Kriterien, nach denen eine Stadt als "kreisfrei" anerkannt werden kann. Im Rahmen der kommunalen Gebietsreform in Hessen wurden gesetzlich keine Mindest-Einwohnergrenzen für die Landkreise und die kreisfreien Städte (in der Anfangszeit noch als "Stadtkreise" bezeichnet) festgelegt. Allerdings wurden die vier Städte mit weniger als 100.000 Einwohnern, die bis dahin kreisfrei waren, darunter auch Hanau, im Rahmen der kommunalen Gebietsreform "eingekreist". Den Status der Kreisfreiheit behielten nach Abschluss der Gebietsreform mithin nur Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Die danach verbliebenen fünf kreisfreien Städte in Hessen sind enumerativ in § 2 des Gesetzes über die Regierungspräsidien und Regierungsbezirke des Landes Hessen vom 16. September 2011 genannt. Seit einer Begriffsbestimmung durch die Internationale Statistikkonferenz im Jahre 1887 werden (nur) Städte mit mindestens 100.000 Einwohnern als "Großstädte" bezeichnet. Nach dem Abschluss der kommunalen Gebietsreform in den (westlichen ) Bundesländern wurde in der Zeitschrift "Der Landkreis" im November 1978 folgende Bi- Eingegangen am 5. September 2018 · Bearbeitet am 6. September 2018 · Ausgegeben am 10. September 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6598 05. 09. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6598 lanz gezogen: "Mit der Einkreisung von insgesamt 49 Städten ist die Zahl der kreisfreien Städte von 137 auf 88 reduziert worden. […] Der Richtwert für den kreisfreien Status von Städten liegt also in den meisten Ländern grob gesagt bei etwa 100.000 Einwohnern". Ein gesetzlicher Automatismus bzw. ein Rechtsanspruch der Stadt Hanau auf den Status der Kreisfreiheit besteht nicht, auch wenn sie in (naher) Zukunft die 100.000-Einwohner-Grenze überschreiten sollte (vgl. bereits die Antwort des Hessischen Innenministeriums vom 21. Februar 1996 auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Lenz, CDU, betreffend "Kreisfreiheit für die Stadt Hanau" = LT-Drucks. 14/1466). Aus Gründen des öffentlichen Wohls ist bei einer solchen Entscheidung vielmehr stets auch die Leistungsfähigkeit des betroffenen Landkreises und das Interesse des Landes an ausgewogenen Kommunalstrukturen im Auge zu behalten. Nach den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften werden die Rechtsfolgen und die Auseinandersetzung einer Gebietsänderung im Gesetz oder durch Verordnung geregelt. Das Gesetz kann dies auch der Regelung der beiden beteiligten Gebietskörperschaften durch einen Grenzänderungsvertrag überlassen, welcher der Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde bedarf. Eine bilaterale Verständigung von Stadt und Landkreis über die Einzelheiten der Rechtsfolgen, der Auseinandersetzung und des Aufgabenüberganges kann wesentlich zu einer erfolgreichen Umsetzung des Vorhabens beitragen. Frage 5. Welche finanziellen Vor- bzw. Nachteile, sowohl im Hinblick auf den kommunalen Finanzausgleich einerseits, aber auch den entsprechenden Verpflichtungen gegenüber dem Kreis andererseits hat eine Kommune, wenn sie aus dem Bereich des Sonderstatus in den Bereich der Kreisfreiheit übergegangen ist? Kreisangehörige Gemeinden, zu denen auch die Sonderstatusstädte zählen, sind zur Zahlung einer Kreisumlage verpflichtet. So haben die Landkreise gemäß § 50 Finanzausgleichsgesetz (FAG) von ihren Gemeinden eine Kreisumlage zu erheben, soweit die Leistungen nach dem FAG und die sonstigen Erträge und Einzahlungen zum Ausgleich des Haushalts und zum Ausgleich von Fehlbeträgen aus Vorjahren nicht ausreichen. Des Weiteren erheben die Landkreise zum Ausgleich ihrer Belastungen als Schulträger von kreisangehörigen Gemeinden, die nicht Schulträger sind, einen Zuschlag zur Kreisumlage. Von den sieben Sonderstatusstädten sind fünf Schulträger, darunter auch die Stadt Hanau. Diese sind demnach nicht zur Zahlung dieses Zuschlags (Schulumlage) verpflichtet. Wird eine kreisangehörige Gemeinde kreisfrei, übernimmt sie grundsätzlich die auf ihrem Gebiet anfallenden kreislichen Aufgaben, die bislang der Landkreis für sie übernommen hat. Folglich entfällt die Verpflichtung zur Zahlung der Kreisumlage und der ggf. bislang zu leistenden Schulumlage. Darüber hinaus sind Veränderungen in der Höhe der Schlüsselzuweisungen zu erwarten. Auch kreisfreie Städte sind nach dem FAG zur Zahlung von Umlagen verpflichtet. Dabei handelt es sich zum einen um die Krankenhausumlage (§ 51 FAG) und zum anderen um die Verbandsumlage des Landeswohlfahrtsverbandes (§ 52 FAG). Es ist daher festzuhalten, dass finanziellen Entlastungen auch neue finanzielle Belastungen gegenüberstehen. In welchen Größenordnungen sich diese bewegen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht belastbar zu beziffern. Vor diesem Hintergrund lassen sich diese Veränderungen jeweils für sich genommen auch nicht als Vor- oder Nachteil bewerten. Frage 6. Welche finanziellen Auswirkungen, sowohl im Hinblick auf den Länderfinanzausgleich als auch den internen Ausgleichen wie Kreis- und Schulumlage hat der entsprechende Kreis, wenn eine bisher kreisangehörige Kommune kreisfrei wird? Wird in einem Kreisgebiet eine kreisangehörige Gemeinde kreisfrei, kann der Landkreis diese Gemeinde nicht mehr zur Zahlung einer Kreisumlage (und ggf. einer Schulumlage) heranziehen (siehe hierzu auch die Beantwortung zu Frage 5). Dieser Mindereinnahme des Landkreises steht eine zu erwartende Entlastung gegenüber, da der Landkreis die bisher für diese Gemeinde erbrachten Leistungen nicht mehr zu erbringen hat. Auch beim Landkreis sind zudem Veränderungen in der Höhe der Schlüsselzuweisungen zu erwarten. Somit stehen sich auch beim Landkreis finanzielle Be- und Entlastungen gegenüberstehen, die ebenfalls gegenwärtig nicht bezifferbar sind. Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich sind nicht zu erwarten. Da im Kommunalen Finanzausgleich alle drei kommunalen Gruppen (Landkreise, kreisfreie Städte und kreisangehörige Gemeinden) von der Erlangung der Kreisfreiheit einer kreisangehörigen Gemeinde betroffen sind, sind entsprechende Umverteilungen in diesem Bereich zwischen den jeweiligen Teilschlüsselmassen zu erwarten. Auswirkungen auf das Gesamtvolumen des Kommunalen Finanzausgleichs sind nicht ersichtlich. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6598 3 Frage 7. Der Bürgermeister der Sonderstatus-Stadt Hanau hat öffentlich bekräftigt, dass die Kommune Entlastungen in erheblicher Höhe bei Sozialausgaben mit dem Wechsel in die Kreisfreiheit erreichen würde. Wie ist dies erklärbar und wer trägt die Kosten dann künftig? Der Landesregierung liegen keine Berechnungen seitens der Stadt Hanau vor, die die von der Stadt angenommenen Entlastungen bei den Sozialausgaben, die mit dem Wechsel in die Kreisfreiheit einhergehen sollen, erklären. Daher kann lediglich angenommen werden, dass die Stadt Hanau davon ausgeht, die Aufgaben in diesem Bereich effizienter wahrnehmen und dadurch Kosten einsparen zu können. Grundsätzlich sind die Sozialleistungen, die bislang vom Landkreis getragen worden sind, zukünftig von der Stadt selbst zu tragen. Frage 8. In der kommunalen Familie Hessen ist derzeit ein Trend erkennbar, dass man sich versucht zusammenzuschließen , um gemeinsam Aufgaben zu erfüllen. Ist die Überlegung von Hanau diesem derzeitigen Trend entgegenwirkend? Nein. Die Überlegungen der Stadt Hanau stellen einen spezifisch gelagerten Einzelfall dar. Die Hessische Landesregierung wird auch weiterhin eine verstärkte kommunale Zusammenarbeit bis hin zu freiwilligen Gemeindefusionen unterstützen. Gerade für kleinere Gemeinden im ländlichen Raum sind zukunftsfähige Verwaltungsstrukturen eng mit der Gemeindegröße und dem Flächenzuschnitt verknüpft. Durch größere Einheiten kann eine zentrale, bürgerfreundliche, effektivere und kostengünstigere Verwaltung entstehen. Wiesbaden, 17. August 2018 Peter Beuth