Kleine Anfrage des Abg. Degen (SPD) vom 10.07.2018 betreffend Einsatz von fachfremd unterrichtenden Lehrkräften im Mathematikunterricht an Grundschulen und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: Laut § 10 des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes umfasst das Studium für das Lehramt an Grundschulen grundsätzlich die Unterrichtsfächer Deutsch und Mathematik. Damit trägt das Hessische Lehrerbildungsgesetz der besonderen Bedeutung dieser beiden Fächer für den weiteren Bildungs- und Lebensweg der Schülerinnen und Schüler Rechnung und beabsichtigt gezielt in diesen beiden Fächern den fachfremden Unterricht zu minimieren. In ihrer Antwort auf die Drucksache 19/6013 und anderen Anfragen gibt die Landesregierung keine Auskunft über fachfremd erteilten Unterricht an Grundschulen. Dies wird damit begründet, dass an Grund- und Förderschulen in der Regel nach dem Klassenlehrerprinzip unterrichtet wird. Aus einer Umfrage der Universität Kassel geht hervor, dass 53 % der fachfremd unterrichtenden Mathematiklehrkräfte sich mit Hilfe des Kollegiums auf den Unterricht vorbereiten. Lediglich sieben % geben an, dass sie Fortbildungen besuchen um sich weiterzubilden. Zudem sagen 85 % der insgesamt befragten Grundschullehrkräfte , dass sie einen Nachteil bei ihren Schülerinnen und Schülern sehen, wenn sie von fachfremden Lehrkräften unterrichtet werden. Rund 47 % der fachausgebildeten Lehrkräfte sehen einen qualitativen Nachteil der Schülerinnen und Schüler. 88 % der fachfremden Lehrkräfte geben an, dass ihre Schülerinnen und Schüler nicht weniger mathematische Kompetenzen erreichen als im Vergleich zu ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen. 37 % der fachausgebildeten Lehrkräfte sagen, dass bei fachfremden Kolleginnen und Kollegen weniger mathematische Kompetenzen erreicht werden. Vorbemerkung des Kultusministers: Das Hessische Lehrerbildungsgesetz (HLbG) schreibt seit dem Jahr 2005 vor, dass der Studiengang Lehramt an Grundschulen (L1) aus mehreren Bausteinen besteht. Es müssen drei Unterrichtsfächer für die Klassen 1 bis 6 studiert werden. Zwei der Fächer müssen Mathematik und Deutsch sein. Das dritte mögliche Fach ist Kunst, Musik, Sport, Sachunterricht, Englisch, Religion oder Ethik. Durch diese sinnvolle Schwerpunktsetzung der Landesregierung wird die Wichtigkeit der Fächer Mathematik und Deutsch betont und konsequent in der Lehrerausbildung umgesetzt. Trotz der wichtigen Neuregelung bzgl. der Pflichtfächer Mathematik und Deutsch im HLbG gibt es hessische Lehrkräfte mit Grundschullehramt, die das Fach Mathematik nicht studiert haben . Dies ergibt sich zwangsläufig allein schon aus der Tatsache, dass nach wie vor Lehrkräfte im Dienst sind, die ihr Erstes Staatsexamen vor dem Inkrafttreten der oben genannten HLbG- Änderung abgelegt haben. Außerdem werden in Hessen auch ausgebildete Lehrkräfte aus anderen Bundesländern eingestellt, in denen Mathematik nicht als Pflichtfach im Studium vorgeschrieben ist. Perspektivisch wird aber durch die richtige Reform des Jahres 2005 der Anteil der Lehrkräfte an hessischen Grundschulen, die das Fach Mathematik studiert haben, weiter zunehmen . An Grundschulen gilt in der Regel das Klassenlehrerprinzip. Dies ist eine bewusste und pädagogisch sinnvolle Maßnahme, die unter anderem dazu dient, den Grundschülerinnen und - schülern feste Bezugspersonen zuzuordnen. Zwangsläufig führt dieser für die Grundschülerinnen und Grundschüler wertvolle Ansatz dazu, dass Klassenlehrerinnen und -lehrer teilweise auch Fächer abdecken, die nicht spezialisiert Gegenstand ihres Lehramtsstudiums gewesen sind. Dabei muss jedoch betont werden, dass Grundschullehrkräfte auf ein umfassendes Fortbildungsangebot zurückgreifen können. So gibt es seit einigen Jahren umfassende einjährige Fortbildungsmaßnahmen für fachfremd Mathematik unterrichtende Lehrkräfte. Eine Aufteilung der Eingegangen am 18. September 2018 · Bearbeitet am 18. September 2018 · Ausgegeben am 21. September 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6603 18. 09. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6603 Lehrkräfte in solche, die das Fach Mathematik studiert haben, und solche, die dies nicht getan haben, ergäbe damit ein unvollständiges Bild. Über die genannten Fortbildungsmaßnahmen wird erreicht, dass auch fachfremd unterrichtende Lehrkräfte einen qualitativ hochwertigen Unterricht anbieten. Allein anhand der Studieninhalte auf den Anteil fachfremden Mathematikunterrichts und dessen Qualität an Grundschulen zu schließen, würde die hochwertigen Fortbildungsangebote außer Acht lassen. Hinter einer solchen Betrachtungsweise stünde außerdem der Gedanke des Fachlehrerprinzips, das dem an der Grundschule in der Regel praktizierten Klassenlehrerprinzip widerspräche und daher irreführend wäre. Grundsätzlich aber stärken die beschriebene Veränderung der Lehrerausbildung wie auch die konsequente Fortführung der Fortbildungsmaßnahmen für den Bereich der Mathematik die Kompetenzen der Lehrkräfte in diesem Fach. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Liegen der Landesregierung Zahlen zum Anteil von fachfremd erteilten Mathematikunterricht an Grundschulen vor und ist sie bereit diese dem Fragesteller gegenüber offenzulegen, unabhängig von der Frage, ob nach dem Klassenlehrerprinzip unterrichtet wird oder nicht? Frage 2. In welchem Umfang wird an hessischen Grundschulen Mathematikunterricht von Lehrkräften erteilt , die nicht für dieses Fach ausgebildet wurden oder gar über keine Lehrbefähigung für die Grundschule verfügen? Frage 3. Falls diese Landesregierung diese Zahlen nicht kennt oder nicht in Erfahrung bringen will, warum werden diese Zahlen nicht erfasst, obwohl die Schulleitungen in ihren Planungen wissen, welche ihrer Lehrkräfte entsprechend ausgebildet sind und welche im Gegenzug nicht? Zur Beantwortung der Fragen 1 bis 3 wird auf die Vorbemerkung des Kultusministers verwiesen . Pauschale Rückschlüsse auf die Qualität des Unterrichts lassen sich vom Anteil fachfremd unterrichtender Lehrkräfte nicht ableiten. Frage 4. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass außerhalb von freiwilligen Fortbildungen die Qualität im Mathematikunterricht der Primarstufe gewährleistet ist? Seit dem Jahr 2005 sind die Unterrichtsfächer Deutsch und Mathematik im Rahmen des Studiums für das Lehramt an Grundschulen verpflichtend im Hessischen Lehrerbildungsgesetz verankert (vgl. § 10 HLbG). Alle ab diesem Zeitpunkt ausgebildeten Lehrkräfte erwerben dementsprechend im Rahmen ihrer Ausbildung fachwissenschaftliche sowie -didaktische Kompetenzen in diesen Fächern. Durch vorgeschriebene Praktika im Rahmen des Studiums (vgl. § 15 HLbG) und im Referendariat können erworbene Kenntnisse in der Praxis umgesetzt und erweitert werden . Darüber hinaus sind gemäß § 86 Abs. 2 Satz 3 des Hessischen Schulgesetzes (HSchG) alle "Lehrerinnen und Lehrer […] verpflichtet, sich regelmäßig fortzubilden und einen Nachweis über die Erfüllung dieser Verpflichtung zu führen". Die Schulleiterin oder der Schulleiter sind unter anderem dafür verantwortlich, für die systematische Qualitätsentwicklung sowie die Fortschreibung und Umsetzung des Schulprogramms zu sorgen (vgl. § 88 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HSchG). "Teil des Schulprogramms ist ein Fortbildungsplan, der den Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte erfasst" (§ 127b Abs. 1 Satz 4 HSchG). Frage 5. Wie will die Landesregierung das in der Vorbemerkung angenommene Ungleichgewicht in Hinblick auf die Fortbildungsgewohnheiten fachfremd unterrichtender Mathematiklehrkräfte umkehren und die Qualität der eigenen Fort- und Weiterbildung sichern? Der Bereich "Lesen-Schreiben-Rechnen" ist durch die Hessische Landesregierung als prioritäres Thema fest verankert. Kontinuierlich werden in Zusammenarbeit von Hessischem Kultusministerium und Hessischer Lehrkräfteakademie abgestimmt Fort- und Weiterbildungsangebote durchgeführt, evaluiert und bedarfsgerecht neue Angebote entwickelt. Nach einer vorangestellten Pilotphase im Schuljahr 2012/2013 werden im Rahmen der Maßnahmen "Mathematik im Anfangsunterricht für fachfremd unterrichtende Lehrkräfte" (Start 2013/2014) und "Mathematik im dritten und vierten Schuljahr für fachfremd unterrichtende Lehrkräfte" (Start 2016/2017) jährlich jeweils rund 100 Lehrkräfte über ein Schuljahr hinweg fortgebildet. Die Maßnahmen werden stetig weiterentwickelt und entsprechend den aktuellen Themenschwerpunkten umfassen sie acht bis zehn Veranstaltungen. Der Fokus liegt auf fachfremden Lehrkräften, teilnehmen können aber auch erfahrene Lehrkräfte, die sich bezüglich aktueller fachlicher Entwicklungen weiterbilden möchten. Ausgehend von diesem Angebot wird seit dem Schuljahr 2017/2018 im weiterführenden Bereich die ebenfalls einjährige Fortbildungsmaßnahme "Mathematik in der Sekundarstufe I sprachbildend und lerneffektiv unterrichten " im Umfang von sechs Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6603 3 Darüber hinaus werden weitere Fachtage (z.B. Fachtage Mathematik in der Grundschule in Nordhessen/Fachtage zum Übergang von Klasse 4 zu 5) angeboten. Die Veranstaltungen umfassen Vorträge deutschlandweit anerkannter Fachdidaktikerinnen und - didaktiker im Fach Mathematik der Grundschule. Darüber hinaus wird die Qualität zusätzlich durch den Einsatz langjährig erfahrener Fachberaterinnen und -berater gesichert. Diese durchliefen teilweise eine mehrjährige Ausbildung im Rahmen des SiNUS-Projekts Hessen (Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts) und/oder bilden sich kontinuierlich in Dienstversammlungen sowie mathematischen Fachtagungen (z.B. bundesweite Fachtagungen des Deutschen Zentrums für Lehrerbildung Mathematik [DZLM]) fort. Die Anmeldezahlen und Evaluationsergebnisse (z.B. Weiterempfehlungsrate im Schuljahr 2017/2018 der Reihe "Mathematik im Anfangsunterricht": 97 %) sprechen für den Erfolg der benannten Maßnahmen. Verstärkt wird bei der Anmeldung rückgemeldet, dass diese aufgrund der Empfehlung ehemaliger Teilnehmerinnen oder Teilnehmer erfolgt. Zusätzlich ist in jedem Staatlichen Schulamt eine Unterrichtsberatung "Mathematik Grundschule" installiert, die bei Bedarf von Schulleitungen und Lehrkräften zur Unterstützung angefordert werden kann. Frage 6. Wie beabsichtigt die Landesregierung diese aus Lehrkräftesicht wahrnehmbaren Nachteile für die Schülerinnen und Schüler abzubauen, auch in Bezug darauf, dass es aktuell einen Lehrermangel an Grundschulen gibt? Die in den Fragen 4 und 5 erläuterten Maßnahmen der Landesregierung tragen dazu bei, diesem von den Lehrkräften wahrgenommenen Bedarf zu entsprechen. Die Grundunterrichtsversorgung ist an jeder einzelnen Grundschule in Hessen gesichert. Die Zuweisungen und die reale Lehrkräfteversorgung gehen weit darüber hinaus. Es gibt keine Grundschule, an der der Unterricht in Deutsch, Mathematik und den anderen Fächern der Stundentafel nicht abgedeckt wäre. Frage 7. Wie sorgt die Landesregierung dafür, dass der hohe Unterschied in der Selbstwahrnehmung der Mathematiklehrkräfte in Bezug auf die Wirksamkeit des Unterrichts qualitativ reflektiert wird und sich daraus Konsequenzen für die Lehrerbildung ergeben? Durch die bereits etablierten Maßnahmen im Fortbildungsbereich "Mathematik Grundschule" wird diesem Umstand bereits Rechnung getragen. Die teilnehmenden fachfremden Mathematiklehrkräfte werden im Zuge der Evaluation der Maßnahme zur Reflektion ihrer Selbstwahrnehmung aufgefordert. Die Evaluation der Fortbildungsergebnisse des Schuljahres 2017/2018 zeigt in diesem Zusammenhang folgende Ergebnisse. Mathematik in Anfangsunterricht: Über 95 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten ihre Kenntnisse in den Vortragsveranstaltungen erweitern. 89 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten die Inhalte in ihrem Unterricht umsetzen . Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben zudem zu 90 % an, dass sich ihr Mathematikunterricht positiv verändert hat. Mathematik im dritten und vierten Schuljahr: 90 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten ihre Kenntnisse in den Vortragsveranstaltungen erweitern. 79 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten Inhalte in ihrem Unterricht umsetzen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben zudem zu 75 % an, dass sich ihr Mathematikunterricht positiv verändert hat. Wiesbaden, 11. September 2018 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz