Kleine Anfrage des Abg. Rentsch (FDP) vom 09.07.14 betreffend Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung des Fragestellers: Die allgemeinmedizinische Versorgung im ländlichen Raum ist aufgrund der Altersstruktur der Ärzte, die in den nächsten Jahren zunehmend den Ruhestand erreichen, gefährdet. Bereits heute ist zu beobachten, dass vielerorts die Anzahl der allgemeinmedizinischen Arztpraxen rückläufig ist und sich die betroffenen Kommunen mit Fragen und Beschwerden an die politischen Parteien wenden. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Es ist ein wichtiges Anliegen die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Dies ist in erster Linie die Aufgabe der Selbstverwaltung der Kassenärztlichen Vereinigung. Jedoch ist es erforderlich , dass alle Akteure des Gesundheitswesens hier unterstützend tätig werden und gemeinsam Lösungen entwickeln Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie beurteilt die hessische Landesregierung die aktuelle und künftige allgemeinmedizinische Versorgung im ländlichen Raum? Hessen verfügt über eine gute ärztliche Versorgung. Es zeigen sich jedoch Entwicklungen, die die bestehenden Versorgungsstrukturen mittel- bis langfristig verändern - insbesondere in ländlichen Regionen. In einigen eher ländlichen Regionen Hessens hat bereits heute schon die Zahl der dort tätigen Ärztinnen und Ärzte stark abgenommen bzw. wird aufgrund der Altersstruktur der Ärzteschaft in den nächsten Jahren vorhersehbar abnehmen. Dies gilt in erster Linie für die hausärztliche Versorgung, vereinzelt aber auch für die fachärztliche Versorgungsebene. Frage 2. Welche Erkenntnisse hat die hessische Landesregierung über die derzeitige allgemeinmedizini- sche Versorgung in den einzelnen ländlichen Regionen? Bitte nach Regionen aufschlüsseln. Kriterien für die Erfüllung der Sicherstellung in der vertragsärztlichen Versorgung sind die bundesgesetzlich geregelte Bedarfsplanung und die Beschlüsse des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen hierzu. Für die Bedarfsplanung werden in Hessen unterschiedliche Planungsbereiche ausgewiesen, die je nach Arztgruppe einen unterschiedlich großen Bereich umfassen, und für die eine Verhältniszahl (Einwohner je Arzt) festgelegt wird. Diese Verhältniszahlen bilden die Grundlage für die Berechnung des Versorgungsgrades und somit auch für die Feststellung einer "Überversorgung" bzw. "Unterversorgung" nach §§ 100,101 SGB V durch den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Der Bedarfsplan wird in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, den hessischen Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen erstellt (§§ 99 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 und 101 SGB V). Die aktuelle Bedarfsplanung setzt die zum 01.01.2013 in Kraft getretene neue Bedarfsplanungs-Richtlinie um, die eine zielgenauere und den regionalen Besonderheiten Rechnung tragende flexible Ausgestaltung der Bedarfsplanung mit erweiterten Einwirkungsmöglichkeiten der Länder ermöglicht (Anlage 1). Eingegangen am 19. August 2014 · Ausgegeben am 21. August 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/661 19. 08. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/661 Frage 3. Welche Erkenntnisse hat die hessische Landesregierung über die künftige allgemeinmedizinische Versorgung in den einzelnen ländlichen Regionen? Bitte nach Regionen aufschlüsseln. Anhand der Darstellung der Anlage 2 ist der Anteil der Hausärzte über 55 Jahre bezogen auf Gesamthessen ersichtlich. Es zeigt sich, dass der Anteil der Hausärzte über 55 Jahre besonders in Ost- und Nordhessen bei über 50 % liegt. Hieraus ergibt sich der zukünftige Nachfolgebedarf. Eine Übersicht über den Anteil der Hausärzte über 55 Jahre in einzelnen Mittelbereichen ist der Anlage 3 zu entnehmen. Um detaillierte Informationen über die Regionen zu erhalten, wird auf die jeweiligen Regionalen Gesundheitsreporte verwiesen, die auf der Seite des HMSI als Download zur Verfügung stehen. Frage 4. Welche Maßnahmen sind seitens der hessischen Landesregierung geplant, um die allgemeinme- dizinische Versorgung des ländlichen Raums zu sichern? Die Landesregierung hat den Hessischen Gesundheitspakt initiiert und mit den wesentlichen Akteuren des hessischen Gesundheitswesens ratifiziert: - Zur Stärkung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin wurden an den hessischen Universitäten in Frankfurt und Marburg jeweils ein Kompetenzzentrum eingerichtet, um den Aufund Ausbau von regionalen Weiterbildungsverbünden zu unterstützen und für Interessierte Weiterbildungsplätze in der Allgemeinmedizin zu vermitteln. Hierüber wurden landesweit bereits 32 Weiterbildungsverbünde gegründet, an denen sich 46 hessische Kliniken und über 200 allgemeinmedizinische Praxen aktiv beteiligen. - Um auch künftig eine möglichst wohnortnahe medizinische Versorgung sicherstellen zu können, wird in den Jahren 2011 bis 2014 die Ansiedlung von Ärztinnen und Ärzten in Gebieten mit regionalem Versorgungsbedarf gemeinsam vom Land Hessen, der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen in Hessen mit jeweils bis zu 50.000 Euro je Arzt-Sitz gefördert. - Über zwei Modellprojekte werden innovative Ansätze zur Frage der Delegation von ärztlichen Leistungen wissenschaftlich evaluiert. - Förderung ehrenamtlicher Pendel- und Begleitdienste: Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden hat sich das Land Hessen darauf ver- ständigt, Qualifizierungsmaßnahmen für Personen anzubieten, die einen Mobilitätsdienst gründen wollen. Zudem sollen die Mobilitätsdienste durch die Kommunen in Abstimmung mit der Ärzteschaft Hilfestellung bei der Terminvergabe und Einteilung der verfügbaren Fahrer erhalten. Die Landesregierung beabsichtigt, den Hessischen Gesundheitspakt weiterzuentwickeln. In Vorbereitung einer Fortführung und inhaltlichen Weiterentwicklung des Hessischen Gesundheitspaktes ab dem Jahr 2015 werden derzeit die bisherigen Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin gemeinsam mit den Pakt-Partnern überprüft. Ergänzend zu den vereinbarten Maßnahmen des Hessischen Gesundheitspaktes fördert die Landesregierung die Bildung regionaler Gesundheitsnetze. Die demografische Entwicklung und der Strukturwandel im Gesundheitswesen vollziehen sich in den hessischen Landkreisen und Städten nicht gleichmäßig, sondern regional und lokal differenziert. Aus diesem Grund sind Lösungen notwendig, die diese regionalen Entwicklungen der Demografie und Morbidität der Bevölkerung berücksichtigen. Daher wurden im Rahmen eines Wettbewerbs aus 23 Bewerbungen neun Modellregionen ermittelt, die mit verschiedenen Kooperationspartnern innovative, sektorenübergreifende Konzepte für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung in der Region entwickeln . Zudem wurde im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration eine Servicestelle "Regionale Gesundheitsnetze" eingerichtet, um sektorenübergreifende Kooperationen der Gesundheitsakteure untereinander und mit den Kommunen sowie Diskussionsprozesse in den Regionen über die Zukunft der gesundheitlichen Versorgung zu unterstützen und zu begleiten. Bei konkreten Sachverhalten können den regionalen Akteuren demografische Rahmendaten und Versorgungsanalysen zur Verfügung gestellt werden. Zudem wird Unterstützung bei der Initiierung von regionalen Auswertungen, bei der Vermittlung von Kontakten zu den Entscheidungsträgern oder bei der Prüfung von Fördermöglichkeiten gegeben. Mit den hessischen Gesundheitsämtern wird ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch hierzu durchgeführt. Die Landesregierung beabsichtigt, diese Unterstützungsleistungen auch in den kommenden Jahren fortzuführen und bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/661 3 Frage 5. Welche Rolle werden medizinische Versorgungszentren bei der allgemeinmedizinischen Versorgung des ländlichen Raums voraussichtlich künftig spielen? Laut des Koalitionsvertrages des Bundes sollen künftig auch arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zugelassen werden. Derzeit gibt es in Hessen noch keine sogenannten Hausarzt-MVZs. Eine spezielle gesetzliche Regelung bleibt hier abzuwarten. In Anbetracht der demografischen Entwicklung ist jedoch eine verstärkte Kooperation von Ärzten zu befürworten. Frage 6. Welche anderen Organisationsformen der allgemeinmedizinischen Versorgung spielen bei der Planung der künftigen Versorgung des ländlichen Raums eine Rolle? Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) basiert auf dem Prinzip der Selbstverwaltung. Der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) hat nach § 75 Abs. 1 SGB V die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen. Von dieser sozialrechtlichen Betrachtung getrennt zu analysieren sind jedoch die praktischen Probleme der Umsetzung dieses Sicherstellungsauftrages. Letztendlich besitzt die KVH keine rechtlichen Mittel, Ärztinnen oder Ärzte zur Niederlassung oder Tätigkeit in einer bestimmten Region zu zwingen. Sie kann nur über verschiedene Wege Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten setzen, ob diese dann wahrgenommen werden, kann seriös nicht vorhergesagt werden. Daher ist es wichtig, dass die KVH bei der Umsetzung des Sicherstellungsauftrages von den weiteren Akteuren im Gesundheitswesen unterstützt wird. Der Bundesgesetzgeber hat hierfür den notwendigen Rahmen geschaffen. Bei der Aufstellung des Bedarfsplans sind weite Beteiligungsrechte für die kommunale Seite, aber auch die Patientenvertretungen vorgesehen. Durch das Gemeinsame Landesgremium nach § 90 a SGB V kann dieser inhaltlich sehr anspruchsvolle Prozess begleitet werden. Nur auf diesem Wege wird gewährleistet, dass gesetzlich zulässige Abweichungen von den Vorgaben der Bedarfsplanung so fundiert und rechtssicher erarbeitet werden, wie der Bundesgesetzgeber dies erwartet. Darüber hinaus bieten die Gesundheitskonferenzen auf der Basis des HKHG bzw. die Unterstützung des Landes bei der Bildung regionaler Gesundheitsnetze auf verschiedenen Ebenen die Gelegenheit, mit allen im Gesundheitswesen verantwortlichen Akteuren nach geeigneten Wegen zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung zu suchen. Je nach Situation vor Ort müssen auch kooperative Lösungswege erörtert werden, die bei zu kleinteiliger Betrachtung der Versorgungsstrukturen möglicherweise übersehen werden. Aber neben der gesetzlichen Verpflichtung der KVH, die im Rahmen der dem Ministerium für Soziales und Integration obliegenden Rechtsaufsicht sorgfältig begleitet wird, ist es die Aufgabe jeder Stadt, Kommune und jedes Landkreises in eigener Verantwortung die Maßnahmen zu ergreifen , die die Bemühungen der KVH zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung unterstützen können. Dies beginnt allgemein bei der sozialen und kulturellen Infrastruktur bis hin zu möglicherweise einzurichtenden Pendeldiensten für ältere Patientinnen und Patienten oder Zurverfügungstellung von Praxisräumen. Aber auch hier muss immer die Frage nach sinnvollen Kooperationen gestellt werden, um nicht Konkurrenzsituationen zu begünstigen. Derzeit wird mit den Pakt-Partnern über eine Fortführung des Hessischen Gesundheitspaktes ab dem Jahr 2015 verhandelt. In diesem Rahmen wird die Frage einer möglichen Unterstützung der Gründung von Medizinischen Versorgungszentren und überörtlichen Praxisgemeinschaften als Auffangorganisation zum Erhalt von Arzt-Sitzen in ländlichen Regionen sowie zur Schaffung von neuen, attraktiven Anstellungsmöglichkeiten für junge Medizinerinnen und Mediziner zu erörtern sein. Hierzu wird im Übrigen auf die Beantwortung zu Frage 4 verwiesen. Frage 7. Wie steht die hessische Landesregierung zum Ziel des Erhalts der flächendeckenden Versorgung mit allgemeinmedizinischen Arztpraxen im ländlichen Raum? Die flächendeckende Versorgung mit allgemeinmedizinischen Arztpraxen im ländlichen Raum stellt für die Landesregierung ein wichtiges Anliegen dar. Durch die bereits erläuterten Maßnahmen und die derzeit geplante Weiterentwicklung des Hessischen Gesundheitspaktes soll dies erreicht werden. Frage 8. Welche Maßnahmen wird die hessische Landesregierung ergreifen, um die Anzahl der allge- meinmedizinischen Arztpraxen so weit wie möglich zu erhalten? Hierzu wird auf die Beantwortung der Fragen 4, 6 und 7 hingewiesen. Wiesbaden, 13. August 2014 Stefan Grüttner Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Mittelbereiche Ü55 Anzahl %-Anteil über55 Jahre Heringen (Werra) 5 17 29,41 Stadtallendorf 5 17 29,41 Usingen 11 34 32,35 Rüdesheim/Geisenheim 8 24 33,33 Heusenstamm/Rödermark/Rodagau/Dietzenbach/Obertshausen 26 76 34,21 Kirchhain 6 17 35,29 Taunusstein 6 17 35,29 Hofgeismar 8 22 36,36 Schlüchtern 8 22 36,36 Weilburg 12 33 36,36 Wiesbaden 72 195 36,92 Offenbach 44 117 37,61 Korbach 13 34 38,24 Frankenberg (Eder) 9 23 39,13 Friedberg/Bad Nauheim 38 96 39,58 Seligenstadt 14 34 41,18 Limburg 34 82 41,46 Grünberg/Laubach 13 31 41,94 Idstein 9 21 42,86 Schwalmstadt 19 44 43,18 Bad Schwalbach 10 23 43,48 Rüsselsheim 48 110 43,64 Bad Homburg/Oberursel/Friedrichsdorf 35 80 43,75 Lich/Hungen 7 16 43,75 Gladenbach 8 18 44,44 Neu-Isenburg/Dreieich/Langen 37 83 44,58 Marburg 43 96 44,79 Dieburg/Groß-Umstadt 26 58 44,83 Eltville 9 20 45,00 Lampertheim/Viernheim/Bensheim/Heppenheim/Bürstadt/Lorsch 74 164 45,12 Hanau 61 135 45,19 Gelnhausen 16 35 45,71 Fulda 62 135 45,93 Kassel 128 278 46,04 Büdingen 19 41 46,34 Wetzlar 54 116 46,55 Frankfurt 229 488 46,93 Hessen 47,36 Butzbach 9 19 47,37 Darmstadt 109 226 48,23 Giessen 71 147 48,30 Hattersheim/Hofheim/Kelkheim 37 75 49,33 Bad Wildungen 11 22 50,00 Sontra 5 10 50,00 Königstein/Kronberg/Schwalbach/Bad Soden/Eschborn 33 66 50,00 Borken (Hessen) 4 8 50,00 Hünfeld 13 26 50,00 Biedenkopf 10 19 52,63 Eschwege 18 34 52,94 Haiger/Dillenburg 17 32 53,13 Hessisch Lichtenau 8 15 53,33 Bebra/Rotenburg a.d.Fulda 15 28 53,57 Homberg (Efze) 7 13 53,85 Melsungen 13 24 54,17 Bad Arolsen 12 22 54,55 Bad Orb 6 11 54,55 Bad Hersfeld 23 42 54,76 Alsfeld 16 29 55,17 Herborn 16 29 55,17 Michelstadt/Erbach 36 63 57,14 Allendorf (Eder)/Battenberg 4 7 57,14 Wächtersbach/Bad Soden-Salmünster 13 22 59,09 Hochheim/Flörsheim 15 24 62,50 Fritzlar 10 16 62,50 Wolfhagen 11 17 64,71 Witzenhausen 12 18 66,67 Lauterbach 21 31 67,74 Nidda 14 18 77,78 Anlage 3 0661_Anlagen.pdf Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3