Kleine Anfrage der Abg. Özgüven (SPD) vom 27.07.2018 betreffend Stufen- und Barrierefreiheit an den Bahnhöfen Kirchhain und Neustadt und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung der Fragestellerin: Laut der Allianz pro Schiene sind mittlerweile fast 80 % der deutschen Bahnhöfe stufenfrei. In Hessen sind allerdings nur 66 % der 429 Bahnhöfe stufenfrei. Hessen schafft es mit diesem Wert nur auf Platz 15 der 16 Bundesländer. Im Ostkreis des Landkreises Marburg-Biedenkopf sind die Bahnhöfe in den Kommunen Kirchhain und Neustadt bis heute nicht stufen- und barrierefrei umgebaut. Somit sind viele Menschen, die nur in einem stufen- bzw. barrierefreien Bahnhof mobil sind, von dem Bahnverkehrsnetz abgeschnitten. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Die Bahnhöfe und Stationen in Hessen sind in der Regel Eigentum der DB Station & Service AG. Sie ist daher für die Planung und Ausführung des barrierefreien Ausbaus zuständig. Die Finanzierung liegt gemäß Art. 87e Abs. 4 Grundgesetz in der Verantwortung des Bundes. Der Bund stellt der DB Station & Service AG Bundesmittel aus dem Budget der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zur Verfügung. Die aus diesem Budget vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel haben jedoch nicht die Barrierefreiheit als Vorgabe, sondern den Bestandserhalt der Bahnhöfe. Insofern werden seitens des Bundes bezogen auf die Barrierefreiheit fehlende oder falsche Anreize gesetzt. Das Land Hessen wird daher im Rahmen der nun beginnenden Verhandlungen zwischen Bund und Deutscher Bahn zur Ausgestaltung einer Nachfolgelösung der aktuellen LuFV II eine deutliche Anreizregelung zum barrierefreien Ausbau von Bahnhöfen fordern, mit der zudem auch den Verpflichtungen des Bundes in finanzieller Hinsicht entsprochen wird. Die derzeit laufenden Planungen und baulichen Umsetzungen des barrierefreien Ausbaus von Verkehrsstationen in Hessen erfolgen auf Basis der "Rahmenvereinbarung über die Modernisierung und Qualitätsverbesserung von Personenbahnhöfen in Hessen (Laufzeit 2011 bis 2019)". Vor dem Hintergrund, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen, um die Bahnhöfe im gebotenen Tempo zu modernisieren und barrierefrei auszubauen, wurde von vielen Ländern eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, in der für die Planung und Realisierung der Vorhaben ein Finanzierungsmix vereinbart wurde. D.h. für den Ausbau und die Erweiterung bestehender Anlagen an Bahnhöfen, die über die Instandhaltung des Bahnhofs hinausgehen , wie beispielsweise der erstmalige Einbau von Fahrtreppen, Aufzügen und Rampen, beinhaltet der vereinbarte Finanzierungsmix eine Einbeziehung der Fördermittel des Landes und die Einbeziehung der Aufgabenträger des ÖPNV. In diesem vereinbarten mehrjährig getakteten Programm der DB Station & Service AG mit dem Land Hessen und den Aufgabenträgern (RMV, NVV, VRN) ist der Umfang, die Finanzierung und die Terminierung der Modernisierungsprojekte von Bahnhöfen antizipiert, um das verfügbare Budget der DB (LuFV II und Eigenmittel DB Station & Service) auf den Erneuerungs- und Ausbaubedarf abzustimmen. Dabei stellt sich die Finanzierung des einzelnen Bahnhofs - je nach Sanierungs- und Modernisierungsbedarf des Vorhabens - unterschiedlich dar. Die derzeitige bis 2019 laufende Rahmenvereinbarung sieht vor, dass mit einem jeweils rund hälftig von der DB Station & Service einerseits und vom Land, den Verbünden und den lokalen Aufgabenträgern andererseits bereitgestellten Finanzvolumen von insgesamt 258 Mio. € rund 90 Verkehrsstationen u.a. mit neuen Bahnsteigen , Aufzügen und Rampen ausgestattet werden. Zudem hat der Bund im Jahr 2015 ein Sonderprogramm (Zukunftsinvestitionsprogramm ZIP) zum Umbau kleiner Bahnstationen mit weniger als 1000 Ein- und Aussteigern pro Tag gestartet. Die Landesregierung hat diese Chance ergriffen und zur Beschleunigung des Prozesses entschieden , die vom Bund geforderte hälftige Beteiligung an den Kosten im Gegensatz zu vielen Eingegangen am 30. August 2018 · Bearbeitet am 30. August 2018 · Ausgegeben am 3. September 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6616 30. 08. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6616 anderen Bundesländern komplett durch das Land zu tragen. Dieser Schritt hat entscheidend dazu beigetragen, dass von den bundesweit 132 für dieses Programm angemeldeten Stationen der absolut höchste Anteil, nämlich 31 und damit fast ein Viertel der in diesem Programm finanzierten Umbauten, hessische Stationen betreffen. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Welche Gründe sprechen für das schlechte Abschneiden Hessens bei stufenfreien Bahnhöfen? Hinsichtlich der genannten Statistik der Allianz Pro Schiene zur Stufenfreiheit von Verkehrsstationen in verschiedenen Bundesländern ist darauf hinzuweisen, dass die erstplatzierten Länder meistens über deutlich weniger Bahnstationen verfügen als in Hessen. Bei der Interpretation der erwähnten Statistik ist außerdem relevant, dass Bundesländer mit überwiegend ländlichem Raum und einfachen bahnbetrieblichen Verhältnissen (z.B. viele eingleisige Strecken) im Hinblick auf die Stufenfreiheit Vorteile gegenüber bevölkerungsreichen Bundesländern haben. In Hessen, mit insgesamt etwa 500 Bahnhöfen der DB Station & Service AG, der Kurhessenbahn sowie der Hessischen Landesbahn und sowohl sehr ländlichem Raum als auch sehr verkehrsreichen Ballungszentren , ist die Herstellung von Stufenfreiheit ungleich schwieriger und aufwendiger. Frage 2. Was wird die Landesregierung unternehmen, um den Nachholbedarf für Kirchhain und Neustadt zu bewerkstelligen? Frage 5. Bis wann soll für Kirchhain und Neustadt die Barrierefreiheit hergestellt werden? Die Fragen 2 und 5 werden wegen ihres Sachzusammenhanges zusammen beantwortet. Eigentümerin der Verkehrsstationen und Bauherrin barrierefreier Modernisierungsvorhaben ist die DB Station & Service AG. Sie ist damit zuständig für die Durchführung von Planungen. Für die Verkehrsstation Kirchhain liegt mittlerweile ein Antrag der DB Station & Service auf Planfeststellung beim Eisenbahnbundesamt zur Prüfung vor. Das Planfeststellungsverfahren wird voraussichtlich bis Anfang 2020 abgeschlossen sein, sodass in der anschließenden Phase der Realisierung des Projektes (voraussichtlicher Baubeginn spätestens Anfang 2021) die GVFG-Mittel vom Land neben der Finanzierung durch den lokalen ÖPNV-Aufgabenträger zum Einsatz kommen können, um die gewünschte Barrierefreiheit umsetzen zu können. Von Seiten der DB Station & Service liegen für die Verkehrsstation Neustadt bislang keine Planungen für eine Sanierung oder Modernisierung vor. Um Sanierungs- bzw. Modernisierungsmaßnahmen für Neustadt einzuleiten, wäre es daher zunächst erforderlich, dass zwischen dem lokalen Aufgabenträger, dem Verkehrsverbund (RMV) und der DB Station & Service als Eigentümerin der Verkehrsstation eine Vereinbarung über die Durchführung entsprechender Planungen (mit dem Ziel der Barrierefreiheit) getroffen wird. In der Phase der Realisierung der geplanten Maßnahmen besteht dann die Möglichkeit der Zuschussgewährung aus GVFG-Mitteln durch das Land, um die Barrierefreiheit an der Verkehrsstation Neustadt voranzutreiben. Frage 3. Welche Aufgaben hat die Bundesebene, welche die Landesebene und welche die Standortkommunen , um Bahnhöfe stufenfrei und barrierefrei zu gestalten? Frage 4. Sind Entlastungen für die Standortkommunen geplant, die sich an der Finanzierung beteiligen und wie sollen diese erfolgen? Frage 6. Ist eine Änderung der Rahmenvereinbarung Hessen zur Modernisierung der Bahnhöfe erforderlich , um das Ziel der vollständigen Barrierefreiheit der hessischen Bahnhöfe zu erreichen? Frage 8. Was kann das Land tun, um die Barrierefreiheit an hessischen Bahnhöfen schneller umzusetzen? Die Fragen 3, 4, 6 und 8 werden wegen ihres Sachzusammenhanges zusammen beantwortet. Die Finanzierungsbeteiligung der kommunalen Gebietskörperschaften beruht auf der in der Vorbemerkung genannten Rahmenvereinbarung, die für den Zeitraum von 2011 bis 2019 geschlossen worden ist. Hintergrund hierfür ist, dass in Hessen die Aufgabenträgerschaft für den ÖPNV, gemäß dem Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr, bei den kommunalen Gebietskörperschaften in gemeinsamer Aufgabenwahrnehmung mit den Verkehrsverbünden liegt. DB Station & Service hingegen finanziert im Grundsatz die Maßnahmenteile, die dem Bestandserhalt dienen. Zu den in diesem Zusammenhang bestehenden Forderungen des Landes an den Bund wird auf die Ausführungen in der Vorbemerkung verwiesen. Um den barrierefreien Ausbau von Stationen bis zum Vorliegen der vom Bund und der Bahn in der Verhandlung befindlichen LuFV III voranzubringen, plant die Landesregierung - parallel zu der derzeit noch laufenden Rahmenvereinbarung II - mit der DB Station & Service und den Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6616 3 Aufgabenträgern eine Vereinbarung abzuschließen, um bis zum Vorliegen der LuFV III einen Planungsvorrat für die Modernisierung von weiteren Stationen auf den Weg zu bringen. Auf diesem Wege sollen Mittel des Bundes, die im Rahmen von Sonderprogrammen oder durch die LuFV III zur Verfügung gestellt werden, unmittelbar für die bauliche Realisierung von Bahnhofsmodernisierungen eingesetzt und der barrierefreie Ausbau beschleunigt werden. Frage 7. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass nur der barrierefreie Umbau von Bahnhöfen mit einer Bahnsteighöhe von 76 cm förderfähig ist? Sieht die Landesregierung eine Möglichkeit zu bewirken, dass auch ein Bahnhofsumbau bei einer Bahnsteighöhe von 55 cm gefördert wird? Wie in der Vorbemerkung ausgeführt, ist die DB Station & Service als Vorhabenträgerin für den barrierefreien Ausbau von Bahnhöfen zuständig. Die Finanzierung dieser bundeseigenen Eisenbahninfrastrukturanlagen erfolgt durch den Bund. Dies gilt auch für die Erhöhung der Bahnsteige. Das Bahnsteighöhenkonzept 2017 der DB AG befindet sich aktuell in der Abstimmung mit den Ländern und den zuständigen ÖPNV-Aufgabenträgern. Die DB AG verfolgt das grundsätzliche Ziel, die Bahnsteige auf 76 cm (mit Ausnahme der S-Bahn-Bahnsteige, die eine Regelhöhe von 96 cm haben) im Hauptnetz bundeseinheitlich auszubauen. Da in Deutschland und in Hessen auf Grund der ausgeschriebenen Verkehre nicht auf allen Strecken Fahrzeuge für einen barrierefreien Einstieg von 76 cm hohen Bahnsteigen zur Verfügung stehen und die SPNV-Verkehrsverträge mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen teilweise noch bis 2025/2040 laufen, ist die DB AG von den Ländern und ÖPNV-Aufgabenträgern aufgefordert worden, ein Migrationskonzept (Barrierefreiheit) für die Umsetzung des Bahnsteighöhenkonzeptes der DB AG zu erarbeiten. Dieses Konzept liegt den Ländern und den für die Organisation und Ausschreibung der SPNV-Verkehrsleistungen zuständigen ÖPNV-Aufgabenträgern noch nicht in abgestimmter Fassung vor. Sobald ein abgestimmtes Migrationskonzept vorliegt, können die weiteren Schritte zur vollständigen Umsetzung des Ziels, die Barrierefreiheit für die Eisenbahnverkehrsstationen und deren Nutzern herzustellen, zielgerichtet weiterverfolgt werden. Wiesbaden, 22. August 2018 Tarek Al-Wazir