Kleine Anfrage der Abg. Knell (FDP) vom 08.08.2018 betreffend Entwicklung der Verbissbelastung der Waldvegetation und zur Einführung eines Vergleichsflächenverfahrens und Antwort der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorbemerkung der Fragestellerin: Nach § 26 HJagdG sind bei der Erstellung des Abschussplanes die Abschussergebnisse der letzten drei Jagdjahre ohne zugelassene Planüberschreitung und die forstlichen Gutachten über die Verbiss- und Schälschadensbelastung der Waldvegetation und die Lebensraumverhältnisse des Wildes zu berücksichtigen. Die Verbissbelastung wird seit Anfang der 1990er Jahre mit Hilfe des sogenannten Traktflächenverfahrens auf markierten, ungezäunten Waldverjüngungsflächen ermittelt. Bei der jüngsten Novellierung des HJagdG waren sich HessenForst, Landesjagdverband, private Waldbesitzer, die beiden damaligen Regierungsparteien CDU und FDP sowie die SPD einig, dass sich die Verbisssituation rund 20 Jahre nach der Einführung des Traktflächenverfahrens in Hessen großflächig so weit entspannt hat, dass der Rehwildverbiss-mit lokalen Ausnahmen- ganz überwiegend keine Rolle mehr für die Waldverjüngung spielt und deshalb unter bestimmten Voraussetzungen auf die obligatorische aufwendige Verbisserhebung verzichtet werden kann. Dieser breite Konsens fand seinen Niederschlag in § 26a Abs. 3 HJagdG. "Auf eine Erhebung der Verbissbelastung kann verzichtet werden, wenn eine einvernehmliche Einigung innerhalb der Hegegemeinschaft über den Abschussplanvorschlag nach Abs. 4 erzielt wird und die Jagdrechtsinhaber dem zustimmen." Damit sollte auch ein Teil der Kosten eingespart werden, die auf insgesamt drei Millionen Euro pro landesweiter Verbissaufnahme geschätzt werden. Mit Erlass vom 9. März 2018 hat das HMUKLV jedoch für die Verbissaufnahme in allen staatlichen Eigenjagdbezirken das wesentlich aufwendigere und teurere Vergleichsflächenverfahren mit dem Bau von Weisergattern angeordnet. Vorbemerkung der Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz : Nach den Zielen des Hessischen Jagdgesetzes ist u. a. der Lebensraum des Wildes zu fördern und gegen vermeidbare Zerstörungen und Beeinträchtigung zu schützen. Dabei müssen die Wildbestände den Möglichkeiten und der Leistungsfähigkeit des Naturraumes angepasst sein. Alle Regelungen sind so zu treffen, dass ein verträgliches Miteinander von Flur, Wald und Wild sowie ein entsprechend wirkender Interessensausgleich stattfindet. Dies setzt voraus, dass der Wildbestand eine Entwicklung und Sicherung gesunder, stabiler und artenreicher Waldbestände vorrangig aus Naturverjüngung ohne Schutzmaßnahmen zulässt. Gemäß den Bestimmungen des § 21 HJagdG sollen übermäßige Verbiss- und Schälschadensbelastungen vermieden werden und über die Belastungen der Waldvegetation sind forstliche Gutachten zu erstellen. Zur Bewertung dieser Verbissbelastungen sind seit 1988 Aufnahmeverfahren zur Ermittlung des Verbisses - sogenannte Traktflächenverfahren - etabliert. Hierbei wird auf einer Fläche von 50 mal zwei Metern der Verbiss an den Leittrieben der Hauptbaumarten zahlenmäßig erfasst. Auch bei ihrer Anwendung konnten Weiserflächen zusätzlich ausgewiesen werden. Für den Staatswald ist das neue Vergleichsflächenverfahren als verbindlich anzuwendendes Verfahren für die Verbissaufnahme ab dem Frühjahr 2018 für alle Eigenjagdbezirke (Regiejagdund verpachtete Jagdflächen) des Landes Hessen anzuwenden. Dabei wird auf einer geeigneten Fläche ein Zaun errichtet, der nun den Vergleich der Verbisssituation unter gezäunten Bedingungen gegenüber der ungezäunten Flächenverhältnisse erlaubt. Eingegangen am 18. September 2018 · Bearbeitet am 18. September 2018 · Ausgegeben am 21. September 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6641 18. 09. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6641 Für die vom Landesbetrieb HessenForst betreuten Waldbesitzer werden weiterhin Verbissgutachten nach dem Traktflächenverfahren erstellt. Die jeweiligen Waldbesitzer sind auf die Wahlmöglichkeit, das Vergleichsflächenverfahren zu übernehmen oder das bisherige Traktflächenverfahren beizubehalten, hinzuweisen. Mit der Übernahme des Vergleichsflächenverfahrens verbundene Kosten für den Weisergatterbau und dessen Unterhaltung sind vom Waldbesitzer zu tragen. Deren Entscheidung, welches Verfahren zur Anwendung kommen soll, ist zu dokumentieren . Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie hoch war jeweils in den Jahren 1991/92, 2006, 2012, und 2015 der Leittriebverbiss (in Prozent ) durch a) Rehwild (und ggfs. Rotwild), b) Feldhase und Kaninchen, c) Mäuse? In den besagten Jahren wurde durch den Landesbetrieb HessenForst lediglich der durch Schalenwild verursachte Leittriebverbiss erhoben. Der durch andere Tierarten verursachte Verbiss wurde bei der Einzelaufnahme gutachterlich eingeschätzt und vermerkt, sofern eine Zuordnung möglich war. Statistische Auswertungen über landesweite Werte liegen nicht vor. In der als Anlage beigefügten Tabelle sind die landesweiten Verbissprozente getrennt nach staatlichen und nicht-staatlichen Jagdbezirken gemäß dem Traktflächenverfahren dargestellt. Frage 2. Wurde der Leittriebverbiss durch Feldhase/Kaninchen und durch Mäusefraß sowie Schäden, die beispielsweise durch Pilzinfektionen, Läuse, Hagelschlag etc. entstehen, bei der bisherigen Aufnahme der Verbissbelastung im Traktflächenverfahren quantitativ erfasst und gesondert vermerkt sowie im waldbaulichen Gutachten berücksichtigt und der Hegegemeinschaft erläutert? Nein, auf die Antwort zu Frage 1 wird hierzu verwiesen. Frage 3. Laut Erlass des HMUKLV soll durch das neue Vergleichsflächenverfahren "kontrolliert werden, ob das waldbauliche Ziel erreicht werden kann". Aus welchen Gründen ist dies mit dem Traktflächenverfahren nicht möglich? Die waldbauliche Kontrolle war mit dem bisherigen Traktflächenverfahren in der Hinsicht nur eingeschränkt möglich, da eine Quantifizierung der Entmischung (selektiver Vollverbiss natürlich ankommender Baumarten) durch das Traktflächenverfahren nicht erhoben werden konnte. Somit war die Prognose der waldbaulichen Entwicklungsmöglichkeiten und der durch Wild erfolgten Beeinflussung nur begrenzt möglich. Das Vergleichsverfahren bietet somit eine weitaus bessere Beurteilungsmöglichkeit des waldbaulichen Potenzials. Frage 4. Ändern sich die waldbaulichen Ziele und die Betriebszieltypen von HessenForst durch die flächendeckende Einführung der FSC-Zertifizierung grundsätzlich? Für FSC-zertifizierte Forstämter wurden die bisher verwendeten Verjüngungsziele überarbeitet und in neue "Waldentwicklungsziele" überführt. Diese berücksichtigen die waldbaulichen Vorgaben des FSC-Standards (Indikator 10.0.1) und fordern: "[…] standortgerechte Waldbestände, die sich an der Baumartenzusammensetzung, Dynamik und Struktur der natürlichen Waldgesellschaft orientieren […]." Gegenüber den bisherigen waldbaulichen Konzepten stellen diese Waldentwicklungstypen keine grundsätzliche Änderung dar, sie setzen nur in bestimmten Bereichen andere Schwerpunkte, etwa bei den maximalen Anteilen von nicht-heimischen Baumarten oder den angestrebten Laubholzanteilen . Frage 5. Sofern das jeweilige waldbauliche Ziel durch Verbiss beeinträchtigt wird, muss nach dem Vergleichsflächenverfahren der Rehwildabschuss erhöht werden, selbst wenn das Verbissprozent unter 20 v.H. liegt. Konkret muss der Abschuss um 30 v.H. erhöht werden, wenn das waldbauliche Ziel "beeinträchtigt" ist. Um 50 v.H. muss der Abschuss erhöht werden, wenn das waldbauliche Ziel "erheblich beeinträchtigt" ist. Wie ist dieser Automatismus der Abschusserhöhung mit Aufgaben, Rechten und Status der Hegegemeinschaften bei Abschussregelung und Abschussplanung zu vereinbaren, die in § 26 und § 26a HJagdG festgelegt sind? Der einschlägige Erlass an den Landesbetrieb HessenForst vom 9. März 2018 sieht folgende konkrete Auswertung des Verbisses vor: Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6641 3 "4. Auswertung 4.1 Die Grenzwerte (Verbissstufen) des Traktflächenverfahrens bleiben unverändert gültig . 4.2 Beim Vergleichsflächenverfahren besitzen diese zunächst keine differenzierte Aussagekraft . Für eine waldbauliche Interpretation der Befunde ist eine gutachterliche Stellungnahme abzugeben, ob ein Verbiss negativen Einfluss auf die waldbauliche Entwicklung einer Verjüngung und auf die Begleitvegetation nimmt. Dabei ist die Wirkung des Verbisses auf die waldbaulichen Ziele und die Folgen für die Abschusshöhe wie folgt zu klassifizieren: - Das waldbauliche Ziel ist nicht beeinträchtigt. Die Abschusshöhe kann unverändert bleiben. - Das waldbauliche Ziel ist beeinträchtigt. Das bisherige Abschuss-Ist muss um 30 % erhöht werden. - Das waldbauliche Ziel ist erheblich beeinträchtigt. Das bisherige Abschuss-Ist muss um 50 % erhöht werden." Der zitierte Erlass ist an den Landesbetrieb HessenForst gerichtet und gibt Richtwerte für die Stellungnahme im forstlichen Gutachten vor. Dies wirkt sich nicht unmittelbar auf die Erhöhung des Abschussplans aus, insoweit gibt es auch keinen "Automatismus der Abschusserhöhung", denn es handelt sich um die gesetzlich vorgeschriebene Stellungnahme der Forstverwaltung, die ergänzend zu den Stellungnahmen von Jagdrechtsinhaberinnen und Jagdrechtsinhaber und Jagdausübungsberechtigten in den Prozess der Abschussplanfestsetzung eingebracht wird. Die Werte im Erlass beruhen auf der langjährigen Erfahrung der Forstverwaltung. Das Verfahren zur Festsetzung der Abschuss-Sollzahlen durch die unteren Jagdbehörden ist unverändert geblieben. Frage 6. Erfordert die FSC-Zertifizierung grundsätzlich die Aufnahme der Verbissbelastung durch das Vergleichsflächenverfahren? Die FSC-Zertifizierung von HessenForst erfolgte unter den Regelungen des seinerzeit gültigen FSC-Standards 2.3. Dort war in Indikator 8.2.4 vorgegeben: "Liegen vegetationsbeeinflussende Wildbestände vor, sind Weiserflächen hinter Zaun als Basis für die Floren- und Faunenausstattung heranzuziehen." Nachdem im Rahmen der Zertifizierung "in regional unterschiedlicher Ausprägung" solche vegetationsbeeinflussenden Schalenwildbestände festgestellt wurden, wurde die Umsetzung eines landesweiten Weisergatterkonzepts mit Auflage 05/14 c auch unmittelbar vom Zertifizierer eingefordert . Der aktuell gültige FSC-Standard 3.0 fordert nicht explizit das Weisergatterverfahren, sondern in Indikator 6.1.1 lediglich, dass "Verbiss- und Schälschäden […] regelmäßig durch anerkannte Methoden erfasst [werden]." Weiserflächen werden vom FSC als Managementinstrumente jedoch ausdrücklich empfohlen und das hessische Weisergatterkonzept/Vergleichsflächenverfahren als solches anerkannt. Frage 7. Sieht das HMUKLV eine feste Korrelation zwischen der Höhe des Rehwildbestands und dem Ausmaß des Verbisses (Höhe des Verbissprozents)? Auch wenn natürlich zahlreiche weitere Faktoren – wie die vorhandene Biotopkapazität, die allgemeine Biotopstruktur und unterstützende Maßnahmen wie Äsungsflächen oder Besucherlenkung den auf der Fläche lastenden Verbissdruck erheblich beeinflussen, muss ceteris paribus davon ausgegangen werden, dass ein hoher Bestand an Rehwild auch zu höheren Verbissschäden führt. Grade aufgrund der mannigfaltigen Einflüsse ist daher die detaillierte Analyse vor Ort unbedingt erforderlich. Frage 8. Sollen auch flankierende Maßnahmen, wie zum Beispiel die Ausweisung von Wildruhezonen mit Äsungsflächen, Besucherlenkung und die Steuerung von Freizeitaktivitäten im Wald, umgesetzt werden, um lokal erhöhten Verbiss zu senken? Ja, auf die Antwort zu Frage 7 wird hierzu verwiesen. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6641 Frage 9. Wird beim Vergleichsflächenverfahren der Leittriebverbiss durch Feldhase/Kaninchen und durch Mäusefraß etc. bei der Aufnahme der Verbissbelastung quantitativ erfasst und gesondert vermerkt sowie im waldbaulichen Gutachten berücksichtigt und der Hegegemeinschaft erläutert? Es wird lediglich der durch Schalenwild verursachte Leittriebverbiss erhoben. Der durch andere Tierarten verursachte Verbiss wird gutachterlich eingeschätzt und vermerkt, sofern eine Zuordnung möglich ist. Wenn Ausfälle einzelner Baumarten durch andere biotische oder abiotische Faktoren als Verbiss (Trocknis, Forst, Mehltau o.ä.) verursacht worden sind, dann ist dies als Bemerkung im Erhebungsbogen aufzuführen. Frage 10 Welche Kosten entstehen HessenForst durch das Vergleichsflächenverfahren? Validierte Zahlen für das aktuelle Vergleichsflächensystem liegen noch nicht vor, da die Vergleichsflächenanlage in 2017 und 2018 erfolgt. Wiesbaden, 11. September 2018 Priska Hinz Anlage Anlage zur Drucksache 19/6641 Leittriebverbiss nach der Untersuchung im Frühjahr - Teil B des Lebensraumgutachtens - Land Hessen insgesamt Ergebnisse der Untersuchungsjahre Summe. Laubholz Summe. Nadelholz. Summe. alle Staatswald Jagdbez. Traktflächen 27,6% 17,1% 24,9% Sonstige Anzahl 30,7% 18,8% 28,5% Summe Land 1992 29,5% 17,9% 26,9% Staatswald 699 1.385 17,4% 17,1% 17,3% Sonstige 1.889 2.018 17,8% 19,4% 17,9% Summe Land 2006 2.588 3.403 17,7% 17,9% 17,7% Staatswald 758 1.404 17,1% 16,4% 16,8% Sonstige 1.757 2.067 18,2% 23,9% 18,7% Summe Land 2009 2.515 3.471 17,8% 18,6% 18,0% Staatswald 376 611 16,8% 15,1% 16,3% Sonstige 873 816 19,8% 14,4% 19,2% Summe Land 2012 1.249 1.427 18,8% 14,8% 18,0% Staatswald 477 2.562 21,0% 17,0% 20,1% Sonstige 1.254 5.623 21,0% 22,0% 21,0% Summe Land 2015 1.731 8.185 21,0% 19,0% 20,7% Die differierenden Zahlen der Anzahl der Jagdbezirke und Traktflächen kommt dadurch zustande, dass gem. § 26 a Abs. § 3 HJagdG auf eine Erhebung der Verbissbelastung verzichtet werden kann, wenn eine einvernehmliche Einigung innerhalb der Hegegemeinschaft über den Abschussplanvorschlag nach Abs. 4 erzielt wird und die Jagdrechtsinhaber dem zustimmen. Weiterhin nimmt der Landesbetrieb HessenForst regelmäßig verpachtete Flächen in die Regiejagd zurück.