Kleine Anfrage des Abg. Schaus (DIE LINKE) vom 25.09.2018 betreffend Durchsuchungen, Festnahme und Beschlagnahmung bei der schwerkranken Cannabis-Nutzerin Magda S. und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: Nach "Extratipp" und "Huffington Post" berichete der "Focus" am 04.06.2018 die Polizei Offenbach habe die Wohnung eines Paares gestürmt, weil es Cannabis anbaue. Unter dem Titel "Schwerkranke Frau baut Cannabis an - Polizei behandelt sie wie Terroristin" berichtet der "Focus": "Für Frau S. ist die Einnahme von Cannabis lebenswichtig", bestätigte Mediziner Manfred V. T. der Zeitung. "Nur so hat sie ihre epileptischen Anfälle und ihr Asthma im Griff. Magda S. ist schwer krank, leidet an Asthma, Epilepsie und ADHS. Vor allem die Epilepsie mache ihr schwer zu schaffen, sie habe eine Tochter wegen der vererblichen Krankheit verloren. Das Einzige, was wirksam und ohne Nebenwirkungen helfe, sei Cannabis. Von ihrem Arzt habe sie darum ein Rezept für medizinisches Cannabis erhalten, doch die Krankenkasse weigere sich die Kosten zu übernehmen, weshalb Frau S. diese verklagt hat. Sie könne die hohen Kosten von bis zu 3.000 Euro im Monat nicht selbst tragen und habe daher angefangen - zu einem Bruchteil der Kosten des Rezeptpflichtigen Cannabis - selbst zuhause anzubauen und dies öffentlich gemacht. Laut "Focus" und Auskunft von Frau S. kam es daraufhin zu zwei Hausdurchsuchungen. Bei der ersten im März 2018 sei ihr Lebensgefährte, der erst seit wenigen Wochen mit ihr zusammenlebte, verhaftet und für Wochen in Untersuchungshaft genommen worden, weil er für den Anbau verantwortlich gemacht worden sei. Beim zweiten Polizeieinsatz im Mai 2018 sei er erneut in Handschellen abgeführt worden, um auf dem Polizeirevier eine Haarprobe zu entnehmen. Grund sei ihn als Cannabis-Konsumenten zu überführen und damit erneut als Urheber des Cannabis-Anbaus zu ermitteln. Der Fokus und Frau S. schildern die Polizei-Einsätze als dramatisch. "In schwarzer Kampfmontur und mit gezogenen Waffen stürmen die Einsatzkräfte die Wohnung. Die Frau und ihr Lebensgefährte werden mit Handschellen fixiert und abgeführt. (…) Allerdings handelt es sich bei dem Paar nicht um Terrorverdächtige, mutmaßliche Mörder, Kinderschänder oder Raubdiebe." Jeweils bis zu 20 Polizisten seien teilweise behelmt und mit Maschinenpistolen in die Wohnung eingedrungen, beim zweiten Mal ohne zu klingeln durch aufbrechen der Türe um 7 Uhr morgens. Auch der anwesende Vater - er leidet unter Parkinson - sei am Rücken fixiert und lange auf den Boden gelegt worden. Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport: Unerlaubter eigener Anbau von Cannabis ist - auch zu medizinischen Zwecken - eine Straftat nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) und grundsätzlich im Rahmen des geltenden Rechts von den Ermittlungsbehörden als solche zu verfolgen . Die Staatsanwaltschaften führen ihre Ermittlungsverfahren grundsätzlich eigenständig. Die Landesregierung erteilt keine Weisungen hinsichtlich der konkreten Ermittlungsschritte in einzelnen Verfahren. Die zuständige Staatsanwaltschaft Darmstadt hat berichtet, dass die strafprozessualen Maßnahmen auf der Grundlage von richterlichen Beschlüssen des zuständigen Amtsgerichts erfolgten. Die Staatsanwaltschaft hat außerdem mitgeteilt, dass die Beschuldigten gegen die Durchsuchungen bzw. die richterliche Anordnung der Entnahme einer Haarprobe Rechtsmittel eingelegt haben. Die Gerichte entscheiden im Rahmen ihrer von Verfassungs wegen garantierten richterlichen Unabhängigkeit über die von den Beschuldigten eingelegten Rechtsmittel; die Landesregierung nimmt entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung ebenfalls keinen Einfluss. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat berichtet, dass das Landgericht Darmstadt die Beschwerden der Beschuldigten als unbegründet verworfen hat. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz und dem Minister für Soziales und Integration wie folgt: Eingegangen am 13. November 2018 · Bearbeitet am 13. November 2018 · Ausgegeben am 15. November 2018 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/6794 13. 11. 2018 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6794 Frage 1. Ist es zutreffend, dass Frau S. an den beschriebenen Krankheiten leidet, über entsprechende Atteste und Rezepte verfügt, aber die Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert und war der Einsatzleitung dieses durch die Veröffentlichung auf der Facebook-Seite der Frau S. bekannt? Die Ermittlungsbehörden haben berichtet, dass durch die Veröffentlichung auf der Facebook- Seite von Frau S. bekannt war, dass sie sich selbst als Schmerz-, Asthma-, ADHS- und Epilepsie -Patientin bezeichnet. Ob diese Angaben tatsächlich zutreffend sind, konnte anhand von Facebook-Postings nicht überprüft werden. Noch bevor im Rahmen der ersten Durchsuchung am 28.03.2018 entsprechende Rezepte oder Atteste vorgelegt, der Durchsuchungsgrund bekannt gegeben oder auch nur eine Begrüßung ausgesprochen werden konnte, leisteten Frau S. und ihr Lebensgefährte massiven Widerstand gegen die Vollzugskräfte, wodurch zwei Beamtinnen so erheblich verletzt wurden, dass eine umgehende Versorgung im Krankenhaus und eine mehrmonatige Nachbehandlung erforderlich wurden. Erst nachdem die Situation während der Durchsuchung nach ca. einer Stunde zumindest vorübergehend beruhigt werden konnte, legte Frau S. diverse Schriftstücke vor. Es steht nicht gesichert fest, ob Frau S. tatsächlich an den von ihr beschriebenen Krankheiten leidet und ihre Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. In Bezug auf die Kostenübernahme gilt § 31 Abs. 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Frage 2. Wenn ja, fällt laut Einschätzung der Landesregierung der Anbau von Cannabis zum Eigenbedarf aus medizinischen oder sogar lebenswichtigen Gründen unter Artikel 2 GG (Schutz der körperlichen Unversehrtheit) bzw. unter Artikel 13 GG (Schutz der Wohnung, vgl. BVerfG Beschluss vom 11.02.2015, Az.: 1694/14) und wenn nein, welcher Gefahr der öffentlichen Sicherheit standen diesen Grundrechte entgegen? Wie in der Antwort zu Frage 1 bereits ausgeführt, haben die Ermittlungsbehörden berichtet, dass nicht gesichert feststeht, ob Frau S. tatsächlich an den von ihr beschriebenen Krankheiten leidet und ihre Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. Im Übrigen führen die Staatsanwaltschaften - wie in der Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport bereits dargelegt - ihre Ermittlungsverfahren eigenständig. Die Landesregierung gibt grundsätzlich keine Stellungnahme zu Rechtsfragen aus laufenden Ermittlungsverfahren ab. Wie ebenfalls bereits in der Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport mitgeteilt, hat das zuständige Gericht die Beschwerden der Beschuldigten gegen die strafprozessualen Maßnahmen als unbegründet verworfen. Frage 3. Wie viele und welche Polizeieinheiten waren wie lange bei den beiden genannten Hausdurchsuchungen jeweils im Einsatz (Vollzugspolizei, Kriminalpolizei, Drogenfahndung, SEK)? Die erste Durchsuchung wurde am 28.03.2018 durchgeführt. Ein Durchsuchungsbeschluss des AG Darmstadt lag vor. Bei der Durchsuchung waren fünf Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte sowie ein Wachpolizist des Rauschgiftkommissariats der Kriminalpolizei eingesetzt. Darüber hinaus waren zwei Verwaltungsangestellte des Polizeipräsidiums Südosthessen aufgrund von Schulungsmaßnahmen und zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Offenbach anwesend, da bereits im Vorfeld bekannt war, dass vermutlich ein Kind in der Wohnung angetroffen wird und zumindest während der Maßnahmen betreut werden muss. Diese letztgenannten vier Personen betraten die Wohnung erst, nachdem die Lage vorübergehend beruhigt worden war. Die Beamtinnen und Beamten trugen Zivilkleidung und Schutzwesten. Nachdem es, wie beschrieben , zu heftigen Widerstandshandlungen beider Beschuldigter gekommen war, wurden weitere Kräfte des 2. Polizeireviers Offenbach (vier Beamte) zur Unterstützung hinzu gerufen. Ferner wurde ein Notarztwagen vor Ort beordert, dessen Besatzung die verletzten Beamtinnen versorgte und auch den Gesundheitszustand der Beschuldigten S. überwachte. Die zweite Durchsuchung wurde am 16.06.2018 durchgeführt. Die entsprechenden Beschlüsse des AG Darmstadt lagen vor. An der Durchsuchung waren sechs Polizeivollzugsbeamtinnen/- beamte des Rauschgiftkommissariats und sechs Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamte des Fahndungskommissariats der Kriminalpolizei beteiligt. Die Polizeivollzugsbeamtinnen/-beamten des Rauschgiftkommissariats trugen zivile Kleidung und Schutzwesten. Aufgrund der Brisanz der ersten Durchsuchung wegen der massiven Widerstandshandlungen trugen die Polizeivollzugsbeamtinnen /-beamten des Fahndungskommissariats aus Gründen der Eigensicherung ihre dienstlich zugewiesene Schutzausstattung. Frage 4. Ist es richtig, dass der Zweck des zweiten Polizeieinsatzes gegen Frau S. und Ihren Partner eine Haarprobe des Partners war? Wenn ja, wie bewerten sie die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes grundsätzlich (geeignet, erforderlich , angemessen) mit Blick auf mildere Mittel, wie eine Vorladung des Betroffenen und welche konkrete Gefahr stand der Wahl milderer Mittel wie Klingeln entgegen, insbesondere, wenn es richtig ist, dass der Zweck der Maßnahme eine Haarprobe war? Der Zweck der zweiten Durchsuchung war eine Haarprobenentnahme des Partners von Frau S. Das Landgericht Darmstadt hat die Beschwerden gegen die die Entnahme der Haarprobe und Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/6794 3 die Durchsuchung vom 28. März 2018 anordnenden Beschlüsse des Amtsgerichts Darmstadt verworfen und damit die Verhältnismäßigkeit bestätigt. Frage 5. Gab es eine Gefahreneinschätzung der von der Maßnahme betroffenen Personen, die Personalaufwand und Bewaffnung der eingesetzten Kräfte und spätere Fesselung begründete? Wie bereits in den Antworten zu Frage 1 und 4 geschildert, war der Widerstand der Beschuldigten so massiv, dass ein konsequentes Vorgehen mit dem gewählten Kräfteansatz zum Erreichen des Einsatzzweckes und zum Schutz der eingesetzten Beamtinnen und Beamten erforderlich war. Hierbei sei noch erwähnt, dass bei der ersten Durchsuchung eine Armbrust mit eingelegtem Pfeil aufgefunden wurde, deren Durchschlagskraft jedoch geeignet ist, je nach Trefferfläche erhebliche bis tödliche Verletzungen zuzufügen. Daher war auch eine Fesselung gerechtfertigt. Frage 6. Welche Kosten entstanden für die beiden Polizeieinsätze? Neben den Kosten für die eingesetzten Kräfte entstand Schaden an der Wohnungstür, die bei der zweiten Durchsuchung für den schnellen Zutritt gewaltsam geöffnet werden musste. Frage 7. Für die Sachlage, dass der Einsatz der Polizei gegen Frau S. und ihren Partner als unverhältnismäßig eingestuft werden muss, gibt es eine Aufarbeitung seitens der Polizei dieses Einsatzes? Wie erfolgt diese? Die Beantwortung dieser Frage entfällt. Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Frage 8. Wie ist die Reaktion der Landespolizei nach Feststellung grob unverhältnismäßiger Einsätze grundsätzlich geregelt? Erfolgen Entschuldigungen und Schadenersatzleistungen? Über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus gibt es keine weiteren grundsätzlichen Regelungen. Im Übrigen ist immer der Einzelfall zu bewerten. Sollte eine konkrete Forderung vorliegen, wird diese im zuständigen Polizeipräsidium geprüft und es erfolgt ggf. eine Regulierung . Auch Entschuldigungen sind im Einzelfall möglich. Wiesbaden, 6. November 2018 Peter Beuth