Kleine Anfrage des Abg. Siebel (SPD) vom 18.07.2014 betreffend Überlastungsanzeigen von Grundschullehrkräften und Antwort des Kultusministers Vorbemerkung des Fragestellers: In der Wissenschaftsstadt Darmstadt haben die Personalräte von elf Grundschulen eine Überlastungsanzeige gegenüber der ehemaligen Hessischen Kultusministerin und dem Schulträger geltend gemacht. Offensichtlich haben sich die Arbeitsbedingungen an diesen Grundschulen dermaßen verschlechtert, dass die Lehrerinnen und Lehrer zu dieser Maßnahme gegriffen haben. Sie begründen die Überlastungsanzeige mit der steigenden Anzahl von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten, der Anforderung an inklusiver Beschulung, aber auch zusätzlichen administrativen Aufgaben wie der Durchführung von Schulinspektionen, Erstellung von Förderplänen und notwendiger, weiterer Beratung. Vorbemerkung des Kultusministers: Zunächst wird hinsichtlich der juristischen Bedeutung des Terminus "Überlastungsanzeige" klargestellt, dass der § 15 Abs. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) auch für Beamte gilt (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ArbSchG). Danach sind die Beschäftigten verpflichtet, für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Nach § 16 Abs. 1 ArbSchG haben die Beschäftigten dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden. Nach § 17 Abs. 1 ArbSchG sind Beschäftigte berechtigt, Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. In den Ausführungen zur Überlastung geht es allerdings nicht um Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Sinne des o.g. Gesetzes. Auch waren darin keine Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz und in den Schulräumlichkeiten enthalten. Vielmehr steht die Forderung nach einer Reduzierung der Pflichtstundenzahl der Lehrkräfte im Vordergrund, daneben sollen die Besoldungen angehoben, die Klassengrößen verkleinert und Aufgaben außerhalb des Unterrichts reduziert werden. Diese genannten Punkte sind in anderen Zusammenhängen zu erörtern, bezogen etwa auf die Unterrichtsverpflichtung in Verbindung mit der Pflichtstundenverordnung, die in unregelmäßigen Abständen überarbeitet wird. Es handelt sich deshalb nicht um Anzeigen bzw. um Forderungen, die sich nach dem Arbeitsschutzgesetz richten und die den Arbeitgeber bzw. den Dienstherrn zu einer Beantwortung oder zu einem bestimmten Tätigwerden verpflichten. Nach den §§ 3 und 5 des ArbSchG hat der Arbeitgeber/Dienstherr allgemein die Verpflichtung, Gefährdungen der Beschäftigten zu ermitteln und die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Dabei bleiben dem Arbeitgeber weite Beurteilungs- und Handlungsspielräume (vgl. BAG, Urteil vom 12. August 2008 - 9 AZR 1117/06). Einklagbare Ansprüche auf die Durchführung bestimmter Maßnahmen haben die Beschäftigten nicht, sofern nicht konkret gegen arbeitsschutzrechtliche Anforderungen verstoßen wird. In Anbetracht der allgemeinen arbeitsmedizinischen Betreuung der Landesbediensteten, verbunden mit den Regelungen in den Erlassen zu "Arbeitsschutz, Sicherheit und Gesundheitsschutz an Schulen", ist davon auszugehen , dass das Land Hessen als Dienstherr seinen Verpflichtungen ausreichend nachkommt. Dass sich in einer sich immer weiterentwickelnden Gesellschaft Aufgabenfelder verändern und an den Einzelnen teilweise höhere Anforderungen gestellt werden als noch vor zehn oder 20 Jahren, ist - auch wenn man es bedauern mag - eine Begleiterscheinung der Postmoderne und betrifft alle Berufszweige. Im schulischen Bereich schlägt sich dies sowohl im pädagogischen Bereich (z.B. Inklusion, individuelle Förderung, didaktisch-methodische Innovationen) als auch im strukturellen Bereich (z.B. jahrgangsübergreifende Strukturen, Ganztag, Kooperation mit außerschulischen In- Eingegangen am 2. September 2014 · Ausgegeben am 5. September 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/714 02. 09. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/714 stitutionen) nieder. Gleichwohl bleibt festzustellen, dass der Großteil der in den Überlastungsanzeigen dargestellten Tätigkeiten durchaus zu den Regelaufgaben von Lehrkräften gehört, die sich aus dem Lehr-, Erziehungs-, Betreuungs- und Beratungsauftrag gemäß der Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 4. November 2011 (ABl. 12/11, S. 870 ff.) ableiten. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wann und in welchen Verfahrensschritten werden seitens des Kultusministeriums Überlastungs- anzeigen behandelt und wie ist der Stand im genannten Fall? Die Verfahrensschritte werden immer dann eingeleitet, wenn es zu Überlastungsanzeigen kommt. Zusammen mit Schulleitung und Schulaufsicht werden individuelle Lösungen bezüglich der Belastungssituation vor Ort erarbeitet und umgesetzt. Der Verfahrensstand im genannten Fall wird in der Antwort auf Frage 3 ausführlich dargestellt. Frage 2. Seit wann ist der Landesregierung diese Belastungssituation von Grundschullehrerinnen und -lehrern in Hessen und insbesondere in Darmstadt bekannt? Überlastungsanzeigen von Kollegien oder Personalräten von Grundschulen treffen in unregelmäßigen Abständen im Hessischen Kultusministerium ein. Die erste Überlastungsanzeige aus dem Schulamtsbezirk Darmstadt/Dieburg traf am 26. Juni 2014 ein. Frage 3. Was hat die Prüfung dieser Angelegenheit durch die Leitung des staatlichen Schulamts ergeben, die sich laut "Darmstädter Echo" vom 17.07.2014 "ein klares Bild" verschaffen will und "das sehr ernst" nimmt? Die Prüfung der Angelegenheit durch das Staatliche Schulamt für den Landkreis DarmstadtDieburg und die Stadt Darmstadt dauert an. Zum momentanen Zeitpunkt sind die Schulleitungen aufgefordert, Stellungnahmen zu den Überlastungsanzeigen abzugeben. Erst nach Eingang aller Stellungnahmen im Schulamt kann eine interne Auswertung erfolgen. Nach den Sommerferien wird das Gespräch mit Schulleitungen und örtlichen Personalräten gesucht. Es bedarf in dieser sensiblen Thematik einer sauberen Analyse und insbesondere einer umfassenden Begleitung der Schulen bei der Steuerung der Gesamtsituation. Dem kommen die verantwortlichen Personen des Staatlichen Schulamtes in vorbildlicher Weise nach. Frage 4. Was gedenkt die Landesregierung zu unternehmen, um die großen Belastungen der Grundschul- lehrerinnen und -lehrer abzubauen? In der vergangenen Legislaturperiode wurden bereits - trotz der zwischenzeitlich für Hessen eingeführten Schuldenbremse - bedeutende Maßnahmen umgesetzt, die den Gestaltungsspielraum der Schulen erhöhen und die Kollegien entlasten. Hierzu zählen insbesondere: - Die Reduzierung der Klassengrößen in der seit dem 21. Juni 2011 geltenden Klassengrößenverordnung . Darin wurde die maximale Klassengröße in der Grundschule von 28 auf 25 Schülerinnen und Schüler vermindert. Die durchschnittliche Klassengröße an Hessens Grundschulen reduzierte sich daraufhin auf unter 20 Schülerinnen und Schüler. - Die Neufassung der Pflichtstundenverordnung vom 1. August 2012. Diese eröffnet den Schulen zusätzliche organisatorische Spielräume. So können beispielsweise Schulleiterinnen und Schulleiter den Lehrkräften Anrechnungsstunden für besondere außerunterrichtliche Tätigkeiten erhöhen. Außerdem wurden die Deputatsstunden für Grundschulen aufgestockt . - Die Erhöhung der Lehrerzuweisung (Grundunterrichtsversorgung) von ursprünglich 100 % auf durchschnittlich 105 % ab dem 01. August 2013. Damit sind Hessens Schulen so gut mit Unterrichtsstunden versorgt wie noch nie zuvor. - Die Schaffung von 2.500 neuen Lehrerstellen, trotz rückläufiger Schülerzahlen. - Die Verteilung von 300 Stellen über einen Sozialindex, um gezielt Schulen mit vielen besonders förderbedürftigen Schülerinnen und Schülern zu unterstützen. - Die Verdopplung der Mobilen Vertretungsreserve auf mehr als 300 Stellen, um noch besser auf kurzfristige Unterrichtsausfälle reagieren zu können. - Der kontinuierliche Ausbau des Ganztagsangebots, für das 565 Stellen zur Verfügung gestellt wurden. Der weitere Ausbau soll in der neuen Legislaturperiode vorangetrieben werden. - Die erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten für Schulen im Rahmen der sog. Selbstständigen Schule (SES/SBS), des Großen und des Kleinen Schulbudgets (GSB/KSB). - Die Stellenhebung bei Grundschulrektorinnen und -rektoren durch das zweite Dienstrechtsmodernisierungsgesetz ab dem 1. März 2014 (A13 bis A15 anstatt A12Z bis A14). Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/714 3 In dieser Legislaturperiode wird zum Beginn des neuen Schuljahres der Sozialindex nochmal um 60 Stellen erhöht, um Schulen in besonders schwierigen Einzugsgebieten personell deutlich zu entlasten. Die Rolle der Grundschulrektorinnen und -rektoren wurde durch die Stellenhebung im Zuge des 2. Dienstrechtsmodernisierungsgesetzes wertgeschätzt und hervorgehoben. Sie sind maßgeblich für die Schulentwicklung verantwortlich und können mit ihrem Wirken zur Entlastung der einzelnen Lehrkräfte, z.B. durch Teambildung, Einsatz multiprofessioneller Teams und Koordinationsstunden , beitragen. Die Schulleitung steht auch in der Verantwortung, durch ihre Rolle als Führungskraft eine Schulkultur zu befördern, die auf den Prinzipien der Wertschätzung und des sozialen Miteinanders beruht. Es wird den Schulen seitens der Landesregierung darüber hinaus empfohlen, bei der Schulentwicklung Priorisierungen vorzunehmen, um zeitlich konzentrierte Arbeitsbelastungen zu vermeiden . Die Weiterentwicklung der Schulen ist ein fortlaufender Prozess, der nicht innerhalb eines Schuljahres erfolgen kann. Die gesetzlichen Vorgaben, wie zum Beispiel der Hessische Referenzrahmen, die überfachlichen Kompetenzen im Hessischen Kerncurriculum für Grundschulen und der Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von null bis zehn Jahren in Hessen geben in ihrem Zusammenwirken einen miteinander verzahnten klaren Arbeitsauftrag vor. Die Inhalte sind aufeinander abgestimmt und stehen in einer engen Korrelation. Hieraus muss jede einzelne Schule ihren eigenen Schwerpunkt ableiten und kann somit Synergieeffekte nutzen, die zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen. Zudem werden vom Medical Airport Service kostenfreie Fortbildungsangebote für die Grundschulen angeboten, die zur Lehrergesundheit beitragen und vielfältige Anregungen dazu geben, wie die Arbeit an Grundschulen effizient und gesundheitsfördernd gestaltet werden kann. Wiesbaden, 19. August 2014 Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz