Kleine Anfrage der Abg. Wissler (DIE LINKE) vom 25.07.2014 betreffend Betrieb der reaktivierten Bahnstrecke Korbach - Frankenberg und des RegioNetzes Kurhessenbahn und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung der Fragestellerin: Am 30. Juni 2014 wurde der Baubeginn für die Reaktivierung der Bahnstrecke Korbach-Frankenberg in Anwesenheit von Herrn Minister Al-Wazir feierlich begangen. Die DB-Tochter RegioNetz Kurhessenbahn hat diese und Bahnstrecken in der Region zwischen Kassel, Marburg, Wabern und NRW bis 2022 gepachtet und errichtet auch an der neuen Strecke die Bahnhöfe und dazugehörige Infrastruktur. Zum Baubeginn verlautbarte der Nordhessische Verkehrsverbund, dass die Strecke bis 2017 direkt an die Kurhessenbahn vergeben und anschließend europaweit ausgeschrieben werden soll. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Aufgabenträger für den ÖPNV sind in Hessen die Landkreise, kreisfreien Städte und Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern. Sie nehmen die Aufgaben hierbei gemeinsam mit den Verkehrsverbünden wahr. Gemäß dieser Verteilung wurden die Fragen daher durch den vorliegend zuständigen Nordhessischen Verkehrsverbund (NVV) beantwortet, wobei sich die Landesregierung die Antworten inhaltlich zu Eigen macht. Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Ist es zutreffend, dass der Betrieb auf der Strecke Korbach - Frankenberg - bzw. der Linie R42 Marburg - Frankenberg - zu 2017 ausgeschrieben werden soll? Ja, der Betrieb auf der Strecke Korbach - Frankenberg bzw. der Linie R42 Marburg - Frankenberg soll ausgeschrieben und ab Dezember 2017 neu vergeben werden. Frage 2. Wenn ja, betrifft dies das gesamte heutige RegioNetz Kurhessenbahn? Ja, es betrifft das Nahverkehrsangebot auf dem gesamten heutige RegioNetz Kurhessenbahn (KHB) inklusive der in der Frage 1 genannten Verbindungen. Der NVV als zuständige Aufgabenträgerorganisation schreibt die Leistungen federführend gemeinsam mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und dem Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL), deren Gebiete jeweils tangiert werden, aus. Frage 3. Ist die Landesregierung bzw. die Aufgabenträger zur Ausschreibung verpflichtet oder welche anderen Gründe führen zu einer Ausschreibung? Ja, die Verpflichtung besteht zum einen nach dem nationalen Vergaberecht zum anderen aber auch nach der unmittelbar wirkenden EU VO 1370/2007. Ziel dieser Regelungen ist eine wirtschaftliche Beschaffung und damit eine sparsame Verwendung von Haushaltsmitteln (Steuergeldern) sowie die Sicherstellung von Wettbewerb einschließlich der Verhinderung von Korruption. Das europäische Recht verpflichtet zu einer Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte in der EU durch transparente und nicht diskriminierende Vergabeverfahren für alle potenziellen europäischen Bewerber. Eingegangen am 25. September 2014 · Ausgegeben am 1. Oktober 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/732 25. 05. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/732 Die KHB konnte im Rahmen einer Interimsvergabe aufgrund der gerade stattfindenden Reaktivierungsarbeiten auf der Strecke Frankenberg–Korbach noch bis Ende 2017 in vergaberechtlich zulässiger Weise direkt beauftragt werden. Ab 2017 sind die zuständigen Stellen aber verpflichtet , die Verkehrsleistungen des RegioNetzes Kurhessenbahn über ein europaweit bekannt zu machendes, offenes Verfahren oder ggf. über ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zu vergeben. Frage 4. Wie bewertet die Landesregierung die 2002 durchgeführte Umwandlung des nordwesthessischen Eisenbahnnetzes in das RegioNetz Kurhessenbahn durch die Deutsche Bahn und den seit dem erfolgten Betrieb von Netz und Verkehr durch eine regionale Gesellschaft? Die Arbeit der KHB wird insgesamt positiv bewertet. Die KHB erbringt den Fahrbetrieb stabil, zuverlässig und mit einer insgesamt zufriedenstellenden Pünktlichkeitsquote. Sie hat bei der grundhaften Erneuerung der Infrastruktur in ihrem Netz in Zusammenarbeit mit dem NVV und den Kommunen außerordentlich gute Ergebnisse erzielt. Frage 5. Sieht die Landesregierung ein Problem darin, dass die Strecke bis 2022 an die Kurhessenbahn verpachtet ist, diese aber ab 2017 unter Umständen nicht mehr den Verkehr betreiben soll - beispielsweise durch eine Verschlechterung von Pünktlichkeit oder Service? Nein, die öffentliche Vergabe von Betriebsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) hat sich in rd. 10 Jahren geübter Praxis in Hessen bewährt. Es war möglich, die Quantität und Qualität des SPNV-Angebots gegenüber dem Vorherzustand nachhaltig zu verbessern und marktübliche Preise (Besteller Entgelt) zu erzielen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass nach erfolgter Ausschreibung und der etwaigen Betriebsaufnahme durch ein anderes Eisenbahnverkehrsunternehmen sich Pünktlichkeit und Service verschlechtern werden. Die u.a. mit Kommunal-, Landes- und Bundesmitteln geförderte Infrastruktur wird auch dann zur Verfügung stehen, wenn ein anderes Eisenbahnverkehrsunternehmen den Zuschlag erhalten sollte. Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind gesetzlich verpflichtet, den diskriminierungsfreien Zugang sicherzustellen. Auch in anderen Teilnetzen gehören das Unternehmen, das die Infrastruktur betreibt und das Unternehmen, das den Betrieb durchführt, nicht stets demselben Konzern an. Frage 6. Welche Folgen erwartet die Landesregierung für die 175 Beschäftigten der Kurhessenbahn? Die Landesregierung hat keine Erwartungen, da sie das Ergebnis der Ausschreibung nicht voraussagen kann. Gleichwohl kann sie sich auf die Erfahrung früherer Vergabeverfahren beziehen, bei denen das Bestandsunternehmen im Vergabeverfahren nicht zum Zug kam. Grundsätzlich ist die Zahl der Beschäftigten im Vergleich "vorher - nachher" nicht gesunken, in einigen Fällen wurde die Betriebsleistung und damit auch die Zahl der im Fahrdienst Beschäftigten erhöht. Ein Teil der Beschäftigten wurde von dem neu beauftragten Eisenbahnunternehmen übernommen. Der überwiegende Teil der Beschäftigten verblieb im Bestandsunternehmen, wobei dies in zahlreichen Fällen mit einem Wechsel des Einsatzortes verbunden war. Die Qualifikationen als Triebfahrzeugführer und Zugbegleiter sind auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragt und werden von den Arbeitsagenturen als Mangelberuf klassifiziert. Der NVV und seine Partner gewährleisten durch Vorgaben in den Vergabeunterlagen die Einhaltung des tarifvertraglich vereinbarten Lohnniveaus des "Branchentarifvertrages SPNV" (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, EVG). Wenn das z.Z. im Gesetzgebungsverfahren befindliche Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz in Kraft treten wird, sind darüber hinaus bei künftigen Vergaben die Vorgaben dieses Gesetzes in Bezug auf die Tariftreue zu beachten. Frage 7. Wie schätzt die Landesregierung, auch nach den Erfahrungen bisheriger Ausschreibungen, die Entwicklung bei der Anzahl der Arbeitsplätze, dem Lohnniveau und den allgemeinen Arbeitsbedingungen nach der Ausschreibung und Vergabe an einen ggf. neuen Betreiber ein? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/732 3 Die Marktpreise, die bei wettbewerblichen Ausschreibungen erzielt werden, tragen dazu bei, dass der NVV die Fahrplanangebote - mit Qualitätsverbesserungen - aufrechterhalten kann, mit den entsprechenden positiven Auswirkungen auf die Arbeitsplätze der Branche. Als entscheidende Kriterien bei den Vergabeverfahren im SPNV sind nach bisherigen Erfahrungen der wirtschaftliche Einsatz kapitalintensiver Produktionsmittel, wie Fahrzeuge, Werkstätten, Overheadkosten, die unterschiedlichen Risikoeinschätzungen der Unternehmen, die eingepreist werden sowie die wirtschaftliche Gestaltung der Arbeitsprozesse. Wiesbaden, 27. August 2014 Tarek Al-Wazir