Kleine Anfrage des Abg. Hahn (FDP) vom 29.07.2014 betreffend Rekommunalisierung von E.ON-Mitte und Antwort des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Vorbemerkung der Fragesteller: Im Juni 2012 kündigte E.ON den Verkauf seiner Netzgesellschaft E.ON Mitte an. Die Minderheitsgesellschafter - darunter acht hessische Landkreise - machten von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch, so dass im Dezember 2013 E.ON Mitte zum ersten Mal komplett in kommunaler Hand war. Dafür gaben die Käufer 617 Mio. € aus, obwohl fünf der acht hessischen Landkreise Schutzschirmkommunen sind. Die 1.200 Mitarbeiter der E.ON wurden komplett übernommen und weitere 50 direkt nach der Übernahme eingestellt. Von E.ON Mitte übernehmen die Kreise nur den Netzbetrieb, darüber hinaus soll aber unter der neuen EAM auch der Vertrieb von Elektrizität erfolgen, obwohl keinerlei Kundenstamm vorhanden ist bzw. übernommen werden konnte. Weil der Gesetzgeber die Trennung von Netz und Betrieb verlangt, muss der Netzbetrieb wiederum in eine GmbH ausgegliedert werden. Handwerksleistungen sollen laut Pressemeldung vor allem an regionale Unternehmen vergeben werden. Alleine in diesem Jahr sind nach Angaben der EAM mehr als 90 Mio. € Investitionen in die Netze notwendig. Im nächsten Schritt sollen die Hälfte der Anteile an möglichst viele der 200 Städte und Gemeinden verkauft werden, die bereits Konzessionen der EAM besitzen. 136 Städte und Gemeinden hätten bereits Interesse signalisiert . Die Abstimmungen in den Kommunalparlamenten sollen in der zweiten Jahreshälfte stattfinden. Vorbemerkung des Ministers für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung: Die Energiewende erfordert einen tief greifenden Umbau unseres Energieversorgungssystems. Während das bisherige System finanzkräftige Stromkonzerne begünstigte, da es im Wesentlichen durch den Einsatz kapitalintensiver, in der Nähe größerer Verbrauchszentren errichteter Großkraftwerke geprägt war, hat die politisch wie auch gesellschaftlich gewünschte, dezentralisierte Stromerzeugung aus EEG-Anlagen die Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter spürbar gesenkt. Gemeinsam mit den kommunalen Unternehmen sorgen diese für eine erhöhte Wettbewerbsintensität auf dem Erzeugungsmarkt, was sich in fallenden Strompreisen am Großhandelsmarkt widerspiegelt. Zudem steht die Versorgungswirtschaft durch die zunehmende Einspeisung aus kleineren dezentralen Anlagen vor neuen Herausforderungen im Bereich der Verteilnetze , die insbesondere von den kommunalen Unternehmen mit ihren engen Kundenbeziehungen gemeistert werden können. Der zu beobachtende Trend zur Rekommunalisierung der Stromversorgung entspricht daher auch grundsätzlich dem Geist der Energiewende, die von unten getragen wird. Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Hessischen Minister der Finanzen und dem Hessischen Minister des Innern und für Sport wie folgt: Frage 1. Warum glaubt die Landesregierung hatte E.ON ein Interesse, seine Tochter E.ON-Mitte zu ver- äußern? E.ON hatte Mitte 2012 angekündigt, das Regionalversorgergeschäft auf die Tochterunternehmen Avacon, Bayernwerk, E.DIS und E.ON Hanse zu konzentrieren, um Investitionen zielgerichteter und effizienter vornehmen zu können. Bei dem Verkauf der E.ON Mitte handelt es sich demnach um eine unternehmerische Entscheidung im Rahmen eines Desinvestitionsprogramms des E.ON-Konzerns. Der Landesregierung sind keine weitergehenden strategischen Absichten des Konzerns bekannt. Eingegangen am 25. September 2014 · Ausgegeben am 1. Oktober 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/734 25. 09. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/734 Frage 2. Hat die Landesregierung Erkenntnisse, dass der Investitionsbedarf in die Netze der E.ON-Mitte vor dem Hintergrund der Energiewende erheblich größer ist, als gedacht? Im Zuge der Energiewende müssen bundesweit sowohl die Stromübertragungsnetze als auch die Stromverteilernetze ausgebaut werden. Der Umfang des EEG-bedingten Netzausbaus bestimmt sich nach der regionalen Entwicklung der Anschlussleistung. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der Netzbetrieb der ehemaligen E.ON Mitte AG, der heutigen EnergieNetz Mitte GmbH, in weit überdurchschnittlichem Maße von Ausbaubedarf betroffen ist. Nach Auskunft der EnergieNetz Mitte GmbH wurde im Rahmen einer Langfristplanung bei E.ON Mitte ein an der TU Braunschweig entwickeltes Prognose-Programm zur Abschätzung der Ausbaupotenziale der Erneuerbaren Energien verwendet, das mit den Prognosen einer Vielzahl von Regionalversorgungsunternehmen validiert wurde und daher die Erfahrungswerte vieler Unternehmen abbildet. In der E.ON Mitte-Prognose ist nach Auskunft des Unternehmens das Ziel der Landesregierung berücksichtigt, 2 % der Landesfläche als Vorrangfläche für die Windenergieerzeugung auszuweisen. Der Netzbetreiber hat ferner mitgeteilt, dass sich die abgeleiteten Kostenverläufe an den E.ON Mitte-Erfahrungswerten der letzten Jahre bezüglich der Ist-Kosten im Bereich der Erneuerbaren Energien orientieren und die Ergebnisse der Berechnungen (steigende Investitionskurven) in der Investitionsplanung berücksichtigt wurden. Das Energieregulierungsrecht sieht Regelungen vor, die einem effizient wirtschaftenden Netzbetreiber den erforderlichen Mittelrückfluss (Abschreibung und Verzinsung) auf Investitionen gewährleisten . Frage 3. Wenn die Gewinne der E.ON-Mitte für die E.ON nicht lukrativ sind, wie glaubt die Landesre- gierung kann ein kommunales Unternehmen mit zusätzlichem Personal angeblich Gewinne einfahren ? Hauptgeschäftsfeld der rekommunalisierten EAM-Gruppe wird in den nächsten Jahren der Netzbetrieb sein. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind deshalb maßgeblich durch das Energieregulierungsrecht, insbesondere die Verordnungen über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen (Stromnetzentgeltverordnung und Gasnetzentgeltverordnung ) und die Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (Anreizregulierungsverordnung ) geprägt. Das Energieregulierungsrecht sieht die Erstattung der bei effizienter Leistungserbringung anfallenden Kosten einschließlich einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals vor. Die Landesregierung geht davon aus, dass ein Unternehmen der infrage stehenden Betriebsgröße und Leistungsfähigkeit unter den geltenden Bedingungen einen angemessenen Ertrag erwirtschaften kann. Der Netzbetreiber EnergieNetz Mitte GmbH hat der Landesregierung auf Anfrage mitgeteilt, dass das vom Fragesteller angesprochene zusätzliche Personal bisher im E.ON-Konzern eingekaufte Dienstleistungen ersetze und sich der Personalaufbau daher aus Ergebnissicht mindestens kostenneutral darstelle. Frage 4. Wie beurteilt die Landesregierung den Kauf von Anteilen an der EAM durch Kommunen, die unter dem Schutzschirm des Landes Hessen stehen? Ziel des Kommunalen Schutzschirms ist die Wiederherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit in besonders konsolidierungsbedürftigen Landkreisen, Städten und Gemeinden. Diesen soll durch die sofortige partielle Entschuldung in einem Gesamtvolumen von rund 2,8 Mrd. € sowie Zinsdiensthilfen aus dem Landeshaushalt von insgesamt rund 400 Mio. € (zzgl. weiterer Zinsdiensthilfen aus dem Landesausgleichsstock in ähnlicher Größenordnung) und den damit sinkenden Zinsaufwendungen spürbar geholfen werden, ihren Haushalt im ordentlichen Ergebnis wieder ausgleichen zu können. Landeshilfen in Kombination mit eigenen merklichen und über die bisherigen Maßnahmen hinausgehenden Konsolidierungsanstrengungen sollen dazu beitragen, die dauerhafte finanzielle Leistungsfähigkeit wieder sicherzustellen. Die vom Gesetzgeber in die Anlage zum "Gesetz zur Sicherstellung der dauerhaften finanziellen Leistungsfähigkeit konsolidierungsbedürftiger Kommunen (Schutzschirmgesetz - SchuSG)" vom 14. Mai 2012 (GVBl. 2012, Seite 128) aufgenommenen besonders konsolidierungsbedürftigen Landkreise, Städte und Gemeinden konnten selbst über die Teilnahme an dem Programm entscheiden . Die antragsberechtigte Kommune musste sich im Fall einer Teilnahme vertraglich verpflichten, ihren Haushalt im ordentlichen Ergebnis schnellstmöglich und anschließend dauerhaft jahresbezogen auszugleichen. Der Konsolidierungspfad und die zur Erreichung des Haushaltsausgleichs notwendigen Maßnahmen sind in den Anlagen 1 und 2 zu dem Vertrag beschrieben worden. Der Landkreis, die Stadt oder die Gemeinde hat sich verpflichtet, die Maßnahmen Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/734 3 im Konsolidierungszeitraum umzusetzen und das verbleibende jahresbezogene Defizit laut Konsolidierungsvertrag in allen Jahren des Abbaupfades nicht zu überschreiten, wobei auf das ordentliche Ergebnis im Gesamtergebnis abgestellt wird. Soweit diese vereinbarten Konsolidierungsschritte eingehalten werden, steht der Kommunale Schutzschirm einem Erwerb von Gesellschaftsanteilen nicht entgegen. Frage 5. Welche wirtschaftlichen Risiken sieht die Landesregierung für die Kommunen? Wirtschaftliche Betätigung, insbesondere auf liberalisierten Märkten, beinhaltet stets Risiken. Grundsätzlich dürften nur dann Risiken auf die am Rückkauf beteiligten Kommunen zukommen, wenn Netzentgelte die Kosten des laufenden Betriebs sowie die für Investitionsbedarfe nicht decken . Frage 6. Hat oder wird die Landesregierung kaufwillige Kommunen über die Risiken beratend aufklären? Entsprechende Beratungen hat es nicht gegeben und werden auch nicht erfolgen. Die Entscheidungen über einen Anteilserwerb sind eigenständig im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu treffen. Auf § 121 Abs. 6 HGO wird verwiesen, wonach Chancen und Risiken einer wirtschaftlichen Betätigung dem zur abschließenden Entscheidung berufenen kreisangehörigen kommunalen Organ im Vorfeld umfassend darzulegen sind. Dies war vorliegend gegeben. Da die Rentierlichkeit der Rückübertragung allein des Netzes durch gutachterliche Aussagen belegt war, wurden die notwendigen aufsichtlichen Genehmigungen (Bürgschaften) durch das Regierungspräsidium Kassel erteilt. Aufsichtseitig wird jedoch ausschließlich der rechtliche Rahmen geprüft. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang weiter, dass für interessierte, kreisangehörige Kommunen Informationsveranstaltungen unter Leitung einer den Verkauf begleitenden Beratungsgesellschaft initiiert worden waren. Frage 7. Wie schätzt die Landesregierung die Situation auf dem Energiemarkt für einen neuen Marktteil- nehmer ein, der ohne Vertriebsstrukturen komplett aus neuen Kunden in die schwarzen Zahlen kommen will? Auf die Antwort zur Frage 3 wird verwiesen. Es obliegt dem unternehmerischen Geschick, ergänzend zum Netzbetrieb auch einen Energievertrieb aufzubauen und wirtschaftlich ertragreich zu führen. Der erfolgreiche Aufbau neuer Strom- und Gasversorgungsunternehmen nach der Liberalisierung des Energiemarktes belegt die vorhandenen Chancen. Dem aktuellen Internetauftritt des Unternehmens EAM GmbH & Co. KG ist zu entnehmen, dass ein Erfolgspotenzial insbesondere in der Vermarktung von Strom aus ausschließlich regenerativer Energie gesehen wird. Weiterhin will sich die EAM als regionaler Partner im Vertriebsgebiet engagieren. Dazu zählt auch der angestrebte Aufbau einer Flächenpräsenz, der ein deutliches Abgrenzungsmerkmal zu anderen deutschlandweit tätigen Flächenvertrieben sein soll. Frage 8. Hält die Landesregierung die Ankündigung der EAM, dass Tief- und Elektrobau sowie die Handwerkerleistungen von Unternehmen der Region geleistet werden sollen, mit dem hessischen Vergaberecht für vereinbar? Das Vergaberecht für die EAM bestimmt sich nach dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 97 ff GWB) und der Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung - SektVO). Das Hessische Vergabegesetz vom 25. März 2013 ist nur vom Land Hessen, sowie den Gemeinden und Gemeindeverbänden und ihren Eigenbetrieben anzuwenden (§ 1 HVgG). Der Gemeinsame Runderlass zum öffentlichen Auftragswesen vom 1. November 2007, in der Fassung vom 2. Dezember 2013, richtet sich ebenfalls nur an die für das kommunale und Landeshaushaltsrecht gebundenen Beschaffungsstellen. Die EAM muss als privat organisierte Gesellschaft (GmbH & Co. KG) beide Vorschriften nicht anwenden. Für sie gilt kein hessisches Vergaberecht. Frage 9. Wäre der Aufbau von Vertriebsstrukturen für Elektrizität, der nun erfolgen soll, auch unter der bisherigen HGO rechtlich möglich gewesen? Der Aufbau von Vertriebsstrukturen für Elektrizität wäre für die acht hessischen kommunalen Altgesellschafter auch ohne die HGO-Novelle möglich gewesen, da diese den Vertrieb schon 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/734 immer als Gesellschaftsaufgabe im Gesellschaftsvertrag stehen hatte ("Besitzstandsklausel" ge mäß § 121 Abs. 1 Satz 2 HGO). Neu hinzukommende kreisangehörige Kommunen hätten sich allerdings ohne die entsprechende Gesetzesänderung nur bei vollständiger Erfüllung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 Ziffern 1. bis 3. ("Schrankentrias"), also insbesondere dann, wenn die Subsidiaritätsklausel erfüllt gewesen wäre, beteiligen können. Wiesbaden, 3. September 2014 Tarek Al-Wazir