Kleine Anfrage der Abg. Faeser, Gnadl, Merz und Roth (SPD) vom 31.07.2014 betreffend Abschiebungshaft in Hessen und Antwort des Ministers des Innern und für Sport Vorbemerkung der Fragesteller: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 17. Juli 2014 entschieden, dass die Abschiebungshaft in Deutschland reformiert werden muss. Konkret hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen durch Mitgliedstaaten der EU zum Zweck der Abschiebung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen erfolgen muss. U.a. in Hessen erfolgt die Unterbringung jedoch in Justizvollzugsanstalten. Geklagt hatte daher auch ein Abschiebungshäftling aus Hessen. Der Bundesgerichtshof(BGH) hat nun am 23. Juli 2014 durch Beschluss entschieden, dass es keine gesetzliche Grundlage für die Inhaftierung im "Dublin-III-Verfahren" gebe. Begründet wird dies mit der seit Januar geltenden Dublin-III-Verordnung. In dieser Verordnung sind erstmals durch das Gemeinschaftsrecht die Voraussetzungen für eine Inhaftnahme in den sogenannten Dublin-Verfahren geregelt. Danach darf eine Person zur Sicherstellung ihrer Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Dublin-III-Verordnung nur unter bestimmten Voraussetzungen, u. a. dem Vorliegen einer Fluchtgefahr, in Haft genommen werden. Für die Begründung einer Fluchtgefahr bedürfe es jedoch klarer objektiver Regeln, die es in Deutschland noch nicht gebe. Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit der Ministerin der Justiz wie folgt: Frage 1. Wieso hat Hessen als eines von wenigen Ländern die Abschiebungshaft in einer Justizvollzugs- anstalt vollzogen, obwohl eine solche Unterbringung bereits vor der Entscheidung des EuGH als höchst zweifelhaft galt? Hessen hat wie viele andere Länder die Abschiebungshaft in einer Justizvollzugsanstalt gemäß den Vorgaben § 62a Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) getrennt von Strafgefangenen durchgeführt. Gewahrsamseinrichtungen, die dem Vorabentscheidungsurteil des EuGH entsprechen , gibt (gab) es nur in Bayern, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Die hessischen Amts- und Landgerichte haben in ihren Haftbeschlüssen durchweg die Unterbringung in den JVAen in Frankfurt am Main angeordnet und dies auch nach dem Schlussantrag des Generalanwaltes Bot in der Rechtssache C-473/13 (Bero) als europarechtskonform angesehen . Frage 2. Plant die Hessische Landesregierung sich auf Bundesebene für die Abschaffung der Abschie- bungshaft einzusetzen? Falls nein, warum nicht? Die Abschiebungshaft beruht auf europarechtlichen Grundlagen, die in Art. 15 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) und in Art. 28 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (Dublin III-Verordnung) geregelt sind. Ein Einsetzen auf Bundesebene für die Abschaffung der Abschiebungshaft ist folglich nicht geplant. Eingegangen am 14. Oktober 2014 · Ausgegeben am 16. Oktober 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/741 14. 10. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/741 Frage 3. Falls Frage 2 mit Nein beantwortet wurde: Welche Maßnahme ergreift die Hessische Landes- regierung, um nun endlich eine europarechtskonforme Ausgestaltung der Abschiebungshaft sicherzustellen ? Die Abschiebungshaft wird seit der Vorabentscheidung des EuGH in europarechtskonformen Einrichtungen vollzogen. Die Hessische Landesregierung wird deshalb Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Ländern ausloten. Frage 4. Wie viele Abschiebungshäftlinge waren seit der Schließung der Zweiganstalt Offenbach in der JVA Preungesheim untergebracht? Um wie viele "Dublin-III-Fälle" handelt es sich hierbei? Seit der Schließung der Zweiganstalt Offenbach im August 2011 bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und die damit verbundene Verlegung von Abschiebungsgefangenen in separate Hafteinrichtungen im Juli 2014 waren in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main I insgesamt 1.287 Abschiebungsgefangene untergebracht. Hierbei handelte es sich um 33 Dublin-III-Fälle. Diese Zahl umfasst den Zeitraum vom 1. Januar 2014, seitdem die Verordnung Anwendung findet, bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Frage 5. Erfolgte nach der Entscheidung des EuGH noch eine weitere Unterbringung von Abschiebungs- häftlingen in der JVA Preungesheim? Falls ja, wie lässt sich dies nach der Entscheidung rechtfertigen ? Falls nein, wo wurden nach der Entscheidung des EuGH die hessischen Abschiebungshäftlinge untergebracht? Nein, nach der Entscheidung wurden keine Abschiebungshäftlinge in der JVA Frankfurt am Main I untergebracht. Die Unterbringung erfolgte in europarechtskonformen Gewahrsamseinrichtungen außerhalb Hessens. Frage 6. Wie wird nach dem Beschluss des BGH mit den "hessischen Dublin-III-Fällen" verfahren? Abschiebungshäftlinge, bei denen kein materiell-rechtlicher Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG vorlag, wurden nach Bekanntgabe des Beschlusses des BGH aus der Abschiebungshaft entlassen. Eine Inhaftierung von Ausländern, die unter die Dublin-III-Verordnung fallen, ist auf der Grundlage der zuvor genannten Regelungen möglich. Hessische Gerichte geben derart begründeten Haftanträgen statt. Frage 7. Vertritt die Landesregierung die Auffassung, dass eine Rechtsgrundlage für die Inhaftierung von "Dublin-III-Fällen" geschaffen werden soll oder sollte die Inhaftierung für solche Fälle grundsätzlich nicht mehr ermöglicht werden? Sieht die Landesregierung in der Erteilung von Auflagen grundsätzlich eine Alternative? Die Inhaftnahme von Ausländern, gleich ob Sie unter die Dublin-III-Verordnung fallen oder nicht, ist immer das letzte Mittel. Falls ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, erhält er die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise. Auch im Falle der Abschiebung wurde und wird normalerweise erst dann Haft beantragt, wenn die betreffende Person am angekündigten Abschiebetag nicht anzutreffen ist und dann später aufgegriffen wird. Die Dublin-III-Verordnung sieht in Art. 28 Abs. 2 ausdrücklich die Möglichkeit der Inhaftnahme bei einer erheblichen Fluchtgefahr und einer Einzelfallprüfung vor. Art. 2 (n) der Verordnung legt fest, dass der Begriff "Fluchtgefahr" auf objektiv gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen muss. Die Mitgliedstaaten müssen den Begriff ausfüllen. Dies ist Bundesaufgabe. Das Bundesministerium des Innern hat dahin gehend einen ersten Referentenentwurf am 7. April 2014 vorgelegt. Die Inhaftnahme ist auch nach der Dublin-III-Verordnung wiederum das letzte Mittel. Alternativen scheiden für diesen Fall aus. Wiesbaden, 17. September 2014 Peter Beuth