Kleine Anfrage des Abg. Rock (FDP) vom 18.08.2014 betreffend Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen und Antwort des Ministers für Soziales und Integration Vorbemerkung des Fragestellers: Die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls und das Recht auf Anhörung wird im Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1089 (UNO-KRK, kurz UN-Kinderrechtskonvention) fest geschrieben . Seither wurden bundesweit Interessenvertretungen für Kinder begründet. Vorbemerkung des Ministers für Soziales und Integration: Kinder sind Träger eigener unveräußerlicher Grundrechte. Die in der UN-Kinderrechtskonvention formulierten Standards haben zum Ziel, die Würde, das Überleben und die Entwicklung aller Kinder sicherzustellen. Die Verantwortungsträger Familie, Gesellschaft und Politik tragen die Verantwortung für die Verwirklichung der Kinderrechte. Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist an seinen Grundbedürfnissen und Grundrechten orientiert. Die Berücksichtigung des Kindeswohls ist daher zentraler Leitgedanke und Voraussetzung jeglicher Tätigkeit der Jugendhilfe. Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1. Wie viele Interessenvertretungen für Kinder gibt es in Hessen? Bitte aufschlüsseln nach Land, Kreisen und Kommunen. Belange und Bedürfnisse zu erkennen, zu formulieren und sie öffentlich und in politischen Gremien zu vertreten, bedeutet Interessenvertretung. Die Wahrnehmung von Interessenvertretung für Kinder kann höchst unterschiedlich ausfallen. Sie reicht über Eltern, Jugendorganisationen, Vereine bis hin zu Kindern selbst. Daher sind die Organisationen, Verbände und Gruppierungen , welche sich mit dem Anliegen der Interessenvertretung für Kinder befassen sehr vielfältig und praktisch kaum überschaubar. Die Anzahl von Interessenvertretungen für Kinder in Hessen ist dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration daher nicht bekannt. Frage 2. Welche verschiedenen Arten von Interessenvertretungen für Kinder gibt es in Hessen und wie unterscheiden sie sich voneinander? Aus den Kinderrechten der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) folgt kein umfassender Anspruch von Kindern, an allen sie betreffenden Angelegenheiten in einer von ihnen selbst gewählten Form beteiligt zu werden. Die Beteiligungsanlässe und -arten werden vielmehr gesetzlich geregelt, und zwar unter Berücksichtigung des Elternrechts. Dabei ist zwischen den Beteiligungsformen (Information, Anhörung, Zustimmung usw.) ebenso zu unterscheiden wie zwischen den sozialen Bereichen (z.B. Familie, Schule, Kinder- und Jugendhilfe). Für die kommunale Ebene sind in der Hessischen Gemeinde- und Landkreisordnung (§ 4c Beteiligung von Kindern und Jugendlichen) Regelungen zur Beteiligung von Kindern verankert worden. Zudem besteht der Auftrag hierzu geeignete Verfahren zu entwickeln und durchzuführen . Zwei Arten von Interessenvertretungen lassen sich kategorisch unterscheiden: als "indirekte (stellvertretende)" Formen arbeiten Kinderbeauftragte, -büros, -bürgermeister, Koordinationsstellen etc.; als "direkte Formen" der Partizipation von Kindern werden Kinder- und Jugendparlamente , -foren, -beiräte, -initiativen -projekten etc. bezeichnet. Mit Berücksichtigung dieser Strukturmerkmale haben sich vielfältige und örtlich unterschiedliche Ausprägungen von Interes- Eingegangen am 2. Oktober 2014 · Ausgegeben am 9. Oktober 2014 Herstellung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden · www.Hessischer-Landtag.de Drucksache 19/775 02. 10. 2014 19. Wahlperiode HESSISCHER LANDTAG 2 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/775 senvertretungen von und mit Kindern in Hessen entwickelt. Sie zeichnen sich durch eine hohe Wandlungsfähigkeit aus. Damit können sie veränderten örtlichen Bedingungen begegnen und veränderten Bedürfnissen von Kindern entsprechen. Auf überregionaler Ebene nehmen Jugendorganisationen, -verbände und Vereine und deren Zusammenschlüsse (wie z.B. der Hessische Jugendring) eine hervorragende Stellung mit Blick auf die Interessenvertretung von Kindern ein. Im Bereich der Erziehungshilfe bilden in Hessen seit vielen Jahren die Empfehlungen zu den Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten junger Menschen in Einrichtungen eine ausdrückliche Grundlage zur Interessenvertretung von und für Kinder. Sie wurden durch den Landesjugendhilfeausschuss mit dem Titel "Grundrechte und Heimerziehung" im November 2000 beschlossen . Im Absatz 9, Interessenvertretung, wird ausdrücklich der Aufbau einer eigenen Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen gefordert, um den unterschiedlichen Belangen von Mädchen und Jungen Rechnung zu tragen. Auch die Empfehlung zur Bildung einer landesweiten Interessenvertretung (Landesheimrat) ist von Bedeutung. Dieser wird durch das Landesjugendamt und weitere Beraterinnen und Berater aus den Heimen unterstützt. Frage 3. Wie verteilen sich die Interessenvertretungen für Kinder auf die öffentlichen und nicht öffentli- chen Träger? Bitte nach Kreisen und Kommunen aufschlüsseln. Eine differenzierte Übersicht zur Verteilung der Interessenvertretungen für Kinder bei öffentlichen und nicht öffentlichen Trägern liegt dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration nicht vor. Bekannt ist, dass beispielsweise mit Kinder- und Jugendbüros in den Städten Frankfurt, Kassel und Oberursel seit Jahren sehr gute Erfahrungen im Bereich der Interessenvertretung für und von Kindern gemacht werden. An anderen Orten wirken mit dem Auftrag zur Interessenvertretung von Kindern sogenannte Koordinationsstellen (z.B. in Wiesbaden, Hanau, Weiterstadt und Fulda). Erfolgreich arbeiten auf kommunaler Ebene seit vielen Jahren auch Kinder- und Jugendparlamente wie in Offenbach, Marburg, Landkreis Marburg-Biedenkopf. Die Jugendorganisationen im Hessischen Jugendring sind darüber hinaus an vielen Orten in Hessen aktiv. Frage 4. Welche Aufgabengebiete und Kompetenzen haben die jeweiligen Interessenvertretungen für Kinder? Das Anliegen, die Interessen von Kindern zu vertreten, wie in der UN-KRK, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dem Grundgesetz, im SGB VIII, in Gemeindeordnungen, Satzungen, Programmen, Empfehlungen etc. formuliert, finden ihren Niederschlag im Engagement vieler Organisationen. Dabei sind die jeweiligen spezifischen Aufgabengebiete und Kompetenzen der Organisationen sehr unterschiedlich und in ihren spezifischen Schwerpunkten im Einzelnen nicht bekannt. Verwiesen werden kann beispielhaft auf die Aufgabengebiete und Kompetenzen des Kinderbüros Frankfurt und die des Kinder- und Jugendparlaments Marburg: Das Kinderbüro Frankfurt (gegründet 1991) hat diverse Kompetenzen (z.B. direktes Vorspracherecht beim Oberbürgermeister, Einblick in Planungsverfahren). Der Arbeitsbereich gilt als eine Querschnittsaufgabe und versteht sich als interdisziplinär, ämterübergreifendes und innovativ . Die Hauptaufgabe des Kinderbüros ist die einer Beratungs- und Clearingstelle. Das Kinder- und Jugendparlament Marburg (gegründet 1997) versteht sich als überparteiliche Interessenvertretung und setzt sich für die Belange, Wünsche und Sorgen aller Schülerinnen und Schüler in Marburg ein. Derzeit besteht das Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) aus ca. 100 Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 18 Jahren, die alle zwei Jahre an den Marburger Schulen gewählt werden. Die öffentlichen Sitzungen des KiJuPa finden ca. sieben Mal im Jahr statt. Zusätzlich treffen sich die Mitglieder regelmäßig in Arbeitsgruppen und planen Projekte, Aktionen und eigene Seminare. Das KiJuPa verfügt über ein eigenes Budget in Höhe von ca. 8.000 €/Jahr und besitzt Antrags- und Rederecht im Stadtparlament. Darüber hinaus ist es in mehreren städtischen Gremien vertreten, z.B. im Verwaltungsausschuss des Kommunalen Jugendbildungswerkes , in der Schulkommission, im Schul- und Kulturausschuss. Das KiJuPa ist an das Kommunale Jugendbildungswerk bzw. die Jugendförderung der Universitätsstadt Marburg angebunden. Eine halbe Stelle einer Jugendbildungsreferentin und ein Team aus ca. fünf Studierenden unterstützen und begleiten die Arbeit. Regelmäßig arbeitet das KiJuPa mit dem Kreisjugendparlament Marburg-Biedenkopf (KJP) und dem Deutschen Kinderschutzbund Marburg zusammen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/775 3 Außerdem hat sich die Landesregierung vorgenommen, die Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu fördern und zu unterstützen. Sie will mit bestehenden Kinder- und Jugendparlamenten oder Jugendforen für einen weiteren Ausbau werben und einen Preis für Kinder- und Jugendparlamente schaffen, die die Umsetzung innovativer Projekte würdigt. Frage 5. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass Kinder und Jugendliche durch eine unabhängige Inte- ressenvertretung, analog des Rechts auf eine eigene Interessenvertretung im Familienrecht (Verfahrenspfleger/in), gegenüber den Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe vertreten werden sollten? Bitte begründen. Zentraler Leitgedanke und damit Grundvoraussetzung der Arbeit in der Jugendhilfe ist immer das Kindeswohl. Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Im Hilfeplanverfahren ist daher im § 36 SGB VIII (KJHG) z.B. konkret geregelt, wie der öffentliche Jugendhilfeträger (Jugendamt) vor der Installation einer Hilfe zur Erziehung Betroffene zu beteiligen hat, um eine geeignete Erziehungshilfe für Kind, Jugendliche und ihre Familien zu finden. An diesem Hilfeplanverfahren sind die Personensorgeberechtigten (Eltern, Vormund) und insbesondere das betroffene Kind bzw. der betroffene Jugendliche sowie eine Vertreterin bzw. ein Vertreter des zuständigen Jugendamtes gleichermaßen zu beteiligen. Eine darüber hinausgehende unabhängige Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche wird nicht für erforderlich gehalten. Frage 6. Hat die Landesregierung die Absicht, Standards für die Umsetzung von Kinderrechten in der Erziehungshilfe zu setzen? Wenn ja, inwiefern? Wenn nicht, bitte begründen. Die Landesregierung misst Kinderrechten einen hohen Stellenwert bei. Die weltweit gültigen Kinderrechte der UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 setzen international Standards in vielen Bereichen, insbesondere auch in Deutschland für die Regelungen der Kinder - und Jugendhilfe. Angebote der Kinder- und Jugendhilfe verstehen sich dabei als sozialpädagogische Unterstützung, die Vorstellungen der Betroffenen respektiert und handlungsleitend berücksichtigt. Die Erziehungshilfe ist dabei eine Sozialisationsinstanz mit eigenständigem Profil. In der Erziehungshilfe existieren hinsichtlich der Umsetzung von Kinderrechten sowohl bundesweit als auch in Hessen richtungsweisende Standards. (vgl. Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren im Rahmen der Betriebserlaubniserteilung für Einrichtungen der Erziehungshilfe, 2. aktualisierte Fassung aus 2013 sowie die Richtlinien für (teil-)stationäre Einrichtungen in Hessen, beschlossen vom Landesjugendhilfeausschuss am 24. Februar 2014). Zum 1. Januar 2012 wurde durch das Bundeskinderschutzgesetz der Erlaubnisvorbehalt des § 45 SGB VIII erweitert. Gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII ist die Betriebserlaubnis auch an Konzepte zur Partizipation gebunden. Beteiligung soll dabei alters-, alltags- und handlungsorientiert sein, es sind individuelle und gruppenbezogene Beteiligungsformen gefordert. Konkret werden in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe beispielsweise Vertretungen für Kinderrechte (i.d.R. als Heimrat bezeichnet) gewählt und innerhalb ihrer Institution eingebunden und beteiligt. Gruppen- und Einrichtungsregeln werden mit den betreuten jungen Menschen (weiter-)entwickelt, die Erziehungs- und Hilfeplanung mit den Betroffenen abgestimmt und die Grundrechte von Kindern und Jugendlichen alters- und entwicklungsentsprechend vermittelt. In Hessen sind hier insbesondere die hessischen Empfehlungen zu den Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten junger Menschen in Einrichtungen handlungsleitend (s. Frage 2.). Darüber hinaus sind geeignete Verfahren zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten vorzuhalten. Junge Menschen sind berechtigt , sich mit den Mitarbeitenden der örtlichen Aufsichtsbehörden, den fallzuständigen Jugendämtern u.a. Ansprechpartnern in Verbindung zu setzen, wenn sie einen Anlass zur Beschwerde sehen. Darüber hinaus sind die Einrichtungsträger verpflichtet, kindeswohlbeeinträchtigende Ereignisse oder Entwicklungen der betriebserlaubniserteilenden Behörde zu melden (gemäß § 47 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII). Das Landesjugendamt - integriert in das Hessische Ministerium für Soziales und Integration - überprüft im Rahmen der Erteilung von Betriebserlaubnissen für stationäre Einrichtungen, ob die gesetzlichen Vorgaben altersgerecht umgesetzt werden. Dieser Schutzauftrag soll die Rechte von Kindern und Jugendlichen sicherstellen. Eine Beratung hinsichtlich dieser Standards erfolgt sowohl vor Aufnahme des Betriebs einer Einrichtung (Erlaubnisvorbehalt gemäß § 45 SGB VIII), als auch während des laufenden Betriebs (gemäß §§ 85 Abs. 2 Nr. 7 sowie 46 SGB VIII) durch die örtlich zuständige Heimaufsicht und ggf. die betriebserlaubniserteilende Behörde /Landesjugendamt. 4 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · Drucksache 19/775 Die Regelungen des SGB VIII bilden insgesamt und insbesondere für die Erziehungshilfe relevante Grundlagen und Standards für vielfältige Anliegen und Hilfen zum Wohl der Kinder und Jugendlichen. In diesem Kontext werden zentrale Ansprüche der UN-Kinderrechtskonvention umgesetzt. Weitergehende Standards zur Umsetzung von Kinderrechten für die Erziehungshilfe als im SGB VIII normiert sind zurzeit nicht vorgesehen. Wiesbaden, 24. September 2014 Stefan Grüttner